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Als Karl sich am andern Morgen in der Frühe erhoben hatte, wurde an seine Thüre gepocht. Es war der Marquis, welcher ihn bat, in seinem Zimmer mit ihm den Kaffee zu nehmen. Karl folgte seiner Einladung. Das Zimmer des Marquis lag neben dem seinen, über den Gemächern im Erdgeschoß, welche die Fürstin und Bianca bewohnten. Es war mit jenem schwerfälligen Luxus eingerichtet, der die Häuser vornehmer Familien charakterisirt, in welchen die Zeiten der Väter in Ehren bleiben und bei denen jene falsche Vornehmthuerei, die auch in Meubeln und Einrichtungsstücken den wechselnden Launen der Mode folgt, keinen Eingang gefunden hat. Ein Schreibtisch in der Mitte des Gemachs war mit einer Menge von Briefen und Schriftstücken bedeckt. Karl's Auge fiel, als es darüber hinschwebte, auf mehre Briefschaften, welche in Chiffern geschrieben waren.
Sie wundern sich über meine ausgedehnte Correspondenz, sagte der Marquis lächelnd, ich bin nichts als der Secretair der Frau Fürstin. Meine eigene Arbeit beschränkt sich auf ein sehr harmloses Unternehmen, bei welchem Sie mir vielleicht mit einem Rathe beistehen können.
Und das ist?
Ich schreibe eine Operette oder vielmehr ein Melodrama mit eingelegten Couplets.
Das ist freilich eine sehr harmlose Beschäftigung in dieser harmvollen Zeit.
Nicht wahr? versetzte der Marquis mit einem eigenthümlichen verschmitzten Lächeln. Aber was wollen Sie? Gerade in Tagen, wie die unsern, sehnt sich der Mensch aus dem Leben in die Kunst, und in der Kunst sucht er sich das Milde, Weiche, Sentimentale aus. Darum erfreuen sich die zarten Schäferspiele auf unsern Theatern noch immer des entschiedensten Beifalls.
Lockt das famose Stück »Charles IX.«, dessen erste Aufführung Frankreich die Entdeckung eines Talma machen ließ, auch die Menge mit seinen Bösewichtern von Königen und Pfaffen, seinen Dolchen und seinem Sturmglockengeheul in die Comédie française, so zieht doch der »Tod Abel's« nicht weniger an und »La chaumière Indienne« füllt alle Räume des Theater Feydeau, so oft es gegeben wird.
Und welchem Charakter huldigt Ihr Stück? Tönt darin die Sturmglocke oder das friedliche Geläute weidender Lämmerheerden?
Es ist geschrieben im Geschmacke des beliebten »Réveil d'Epiménides à Paris«, ein satyrisches Stück, welches die Schwächen der Aristokratie und des alten Hofes geißelt.
Und ein solches Stück schreiben Sie?
Weßhalb nicht? Ich schicke mich in die Aufgabe des Poeten, der für den Erfolg arbeitet – keine Gesinnung zu besitzen, sondern den demüthigen Hofschranzen Sr. Maj. des Pöbels zu machen. Ich möchte um Alles in der Welt nicht durchfallen oder ausgepfiffen werden. Sie glauben nicht, verehrter Freund, welchen demoralisirenden Einfluß dies auf den Charakter hat. Es gibt kein schauderhafteres Ungethüm als einen gestochenen Poeten. Die schonungslosesten Werkzeuge der Vernichtung findet die Revolution in Dichtern, deren Talentlosigkeit umsonst einen Platz in den friedlichen und stillen Hallen der Musen suchte. Wenn sie nicht unter den schaffenden und aufbauenden Künstlern eine Stelle erringen können, werden sie die wüthendsten Vernichter, wahre politische Ikonoklasten. Sehen Sie unsere Ronsin und Collot-d'Herbois an, welche in ihrem Stücke »Louis XII.« dem Königthum so süßen Weihrauch opferten, aber seitdem sie damit ausgepfiffen wurden, die blutdürstigsten Cordeliers geworden sind. Hr. Fabre d'Eglantine ist in derselben Lage, und wenn es zu Tage käme, wie viele verunglückte Schöngeister, Besinger königlicher Wochenbetten und Namenstage unter Denen sind, welche Ludwig XVI. in den Tempel schickten, so würde man erstaunen. Sehen Sie, einer solchen Gefahr, in die Berserkerwuth eines in seiner Eitelkeit verletzten Poeten zu fallen, will ich mich nicht aussetzen. Ich schmücke deßhalb mein Stück mit der hinreichenden Zahl von Witzen auf die Aristokraten aus, würze es mit den Worten Frankreich, Freiheit, Brüderlichkeit, bringe eine gehörige Anzahl Verwünschungen wider die Tyrannen, die Nero, die Dschingischan, die Heliogabal hinein, und bin sicher, daß ich einen glänzenden Erfolg habe.
Der Marquis stand bei diesen Worten von dem Tische auf, an welchem er mit Karl sich zum Kaffee niedergelassen hatte, und holte ein sehr elegant geschriebenes Heft herbei, das er seinem Gast zum Durchblättern reichte. Das Stück hieß: »François I. de retour«. Nach dem Dichter war Franz I. nicht vom Kaiser Karl V. aus der Gefangenschaft entlassen, sondern er war von maurischen Zauberern im Dienste des Spanierkönigs in ewigen Schlummer eingewiegt und in einem Gewölbe der Cathedrale von Segovia eingeschlossen worden. Einer der Zauberer dagegen hatte seine Gestalt angenommen und war von den Spaniern nach Frankreich zurückgesandt worden, nachdem er den entehrenden Frieden beschworen. Die Kunde von der Revolution, die an die Pforten der Paläste und Cathedralen von ganz Europa donnerte, hatte nun den schlummernden König in der unterirdischen Wohnung in Segovia aufgeweckt; die Thore seines Gefängnisses waren vor ihm aufgeflogen und er war über die Pyrenäen in sein Reich heimgeeilt. Hier ließ ihn der Dichter durch die Säle der Königsschlösser schreiten. Er stellte die Ritterlichkeit des tapfern Franz I. neben die Schwäche Ludwig's XVI.: er zeigte den gekrönten Valois in seiner ganzen Entrüstung, als dieser in Versailles, in den Tuilerien eine Enkelin seines Todfeindes, des Habsburgers Karl, findet, eine Oesterreicherin, welche Alles thut, um Frankreich und das Volk zu Grunde zu richten. Das Stück wurde bald nur noch eine heftige Schmähschrift auf Marie Antoinette.
Karl legte es mit einem mistrauischen Blicke auf den Marquis aus den Händen.
Das Stück ist beinahe fertig und bedarf nur noch geringer Feile, sagte der Marquis ruhig lächelnd. Nur eine Stelle macht mir noch Schwierigkeiten. Der Impressario des Theaters der Italiener, für welches das Stück bestimmt ist, fodert hartnäckig, daß eine der handelnden Personen umgebracht werde – und ich weiß nicht, wie ich seinen Blutdurst befriedigen soll.
Aber haben Sie denn im Theater der Italiener nicht Dolche, Giftbecher, Schwerter, Abgründe dazu? Man sollte meinen, die Bravos und die Stilette müßten gerade dort am wenigsten fehlen!
Daran fehlt es freilich nicht, aber mir fehlt die Motivirung in meinem heitern Stück.
Woher denn dieser seltsame Eigensinn in Ihrem Director?
Sie müssen wissen, daß unsere Theater früher unter dem erdrückendsten Joch seufzten, welches ihnen die Privilegien der Comédie française, jetzt »Théâtre de la Nation« genannt, auferlegten. Die Italiener durften früher keine recitirenden Stücke geben, es sei denn, daß die antediluvianische Gestalt Harlequins darin vorkam. Damit sie ja der Comédie française das Monopol der Tragödie nicht raubten, durften in ihren Stücken die handelnden Personen nicht sterben, sie durften nur ohnmächtig werden. Schläge durften sie bekommen nach Herzenslust, aber vor Dolchstichen schützte die Helden das strengste Polizeireglement.
Karl brach in ein Gelächter aus über diese närrische Vormundschaft der Polizei über die Poesie.
O ich könnte Ihnen noch viel tollere Sachen erzählen, fuhr der Marquis fort. Wir hatten ein Theater, welchem das Privilegium der Couplets fehlte. Um dieser Beschränkung zu entgehen, ließ man nun die Gesänge hinter der Scene absingen und ein Schauspieler auf der Scene machte die nöthigen Gesticulationen dazu. Die constituirende Versammlung nun hat das Alles abgeschafft und den Theatern volle Freiheit gewährt. Seitdem aber ist der Unternehmer der Italiener ein wahrer Wütherich geworden. Seitdem er, von dem langen Drucke befreit, das Privilegium hat, hängen, köpfen, braten und rädern zu lassen, so viel er will, ist er wie wüthend von Mordlust: es ist, als wollte er alle die schönen, seit so viel Jahren versäumten Gelegenheiten, seinen Helden eins mit dem Dolche zu versetzen, wieder einbringen. Er geht umher zwischen den Dichtern, die für ihn arbeiten, wie ein Karl IX. mit dem Feuerrohr, und der Refrain seiner Rathschläge ist ein fortwährendes: Tue! tue!
Karl mußte abermals lachen und bewunderte nebenbei die Geisteselasticität des jungen Franzosen, der in so ernster Zeit und Lage sich und seinen Gast in die heiterste Stimmung zu plaudern wußte.
In diesem Augenblicke wurde an die Thür gepocht und ein Mann in mittlern Jahren trat ein, dessen tiefe Verbeugung vor dem Marquis zusammen mit dem stillen, unterwürfigen Wesen die Gewohnheit des Dieners voraussetzen ließ, während seine Tracht die eines Bürgers der untern Classen war.
Der Marquis trat mit ihm in eine Fensternische, wo Beide sich eine geraume Zeit halblaut besprachen. Dann näherte sich La Roche Karl und sagte ihm:
Die Fürstin sendet uns eine Botschaft. Dieser Mann, der Bürger Delcour, ehemaliger Haushofmeister meines emigrirten Oheims, war in Ihrer Wohnung. Er hat Lambert gesprochen und glaubt überzeugt sein zu dürfen, daß Sie ihm ohne Gefahr ein Rendezvous geben können. Er hat es mit Lambert auf zehn Uhr in einem alten verlassenen Hotel der Rue St. Maur verabredet. Die Fürstin glaubt, daß Sie hingehen können. Wenn Sie einstimmen, so wird Delcour Lambert, der ihn in der Rue du Bac erwartet, hinführen und ich werde Sie hingeleiten. Die Waffen sind dort. Ich sehe voraus, daß Sie mir die Ehre gönnen, Ihr Secundant zu sein, nicht wahr?
Und hat Lambert einen zuverlässigen Secundanten?
Er versprach ihn mitzubringen, nahm jetzt Delcour das Wort. Er hatte, fuhr der ehemalige Haushofmeister fort, einen eigenthümlichen Ton von tiefer innerer Erschütterung und Leidenschaft; sein ganzes Wesen verrieth, daß er keine Ueberlistung vorhabe und nicht daran denke, den Herrn eine Schlinge zu legen.
Und wie kam es, daß er sich Ihnen anvertraute? fragte Karl.
Die Frau Fürstin hatte mir befohlen, mich für den Diener des Herrn Barons auszugeben, der beauftragt sei, Botschaften für Sie entgegenzunehmen.
Die Frau Fürstin beweist in dieser Angelegenheit eine ganz außerordentliche Fürsorge! sagte Karl mit einem Anflug von spöttischer Gereiztheit.
Es kommt nun Alles auf Sie an – fiel begütigend der Marquis ein – ob es Ihnen genehm ist, die Angelegenheit so rasch zu beenden. Sie kennen die Lage der Dinge. Sie haben nicht allein ein misbrauchtes Vertrauen, eine Infamie, welche auch gegen Sie begangen wurde, zu rächen. Die beiden Frauen erwarten noch außerdem von Ihnen ihre Sicherheit, vielleicht die Rettung ihres bedrohten Lebens. Sie setzen voraus, daß es einem Edelmann nicht schwer fällt, dem Leben eines solchen Menschen ein Ende zu machen, oder ihn mindestens so zuzurichten, daß er eine Zeitlang außer Stande ist, sie zu verfolgen oder ihnen Gefahren zu bereiten.
Ich weiß es, Herr Marquis. Die Fürstin faßt meine Ehrenpflicht ein wenig wie die Mission eines Raufers auf. Wenn ich auch zu der letztern nicht ganz meine Einstimmung geben kann, so bleibt doch darum die erstere nicht minder dringend und heilig. Ich bin bereit, gehen wir!
Delcour, holen Sie Hut und Handschuhe des Herrn aus seinem Schlafzimmer, sagte der Marquis.
Als der Diener das Zimmer verlassen hatte, zog Karl eine Brieftasche hervor.
Es könnte sein, sagte er, daß das Umgekehrte von dem einträfe, was die Fürstin erwartet, das heißt, daß ich fiele. Dann müßte ich Sie bitten, mir einen Liebesdienst zu erweisen. Nehmen Sie in einem solchen Falle diese Brieftasche, die Briefe und allerlei Aufzeichnungen enthält, siegeln Sie dieselbe, ohne darin geblättert zu haben, ein und senden Sie sie, wie sie da ist, an die Adresse, welche Sie hier auf dem ersten Blatte verzeichnet finden.
Karl öffnete die Brieftasche und zeigte dem Marquis die Adresse Cölestinens, welche er auf das erste Blatt geschrieben hatte. Als er sie wieder schließen wollte, fiel ein Medaillon heraus.
Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, versetzte La Roche, während er das Medaillon aufhob, daß ich Ihren Befehl gewissenhaft erfüllen würde. Aber welch ein wunderhübsches Gesicht ist dieses? setzte er hinzu, das Medaillon betrachtend, das in einem schmalen Goldrahmen, wie eine Münze mit doppeltem Gepräge, an der einen Seite das Miniaturbild Mariannens, an der andern das Cölestinens enthielt.
Es ist meine Schwester, sagte Karl.
Welch ein rosiger, süßer, kleiner Kopf! rief La Roche entzückt aus.
Man sieht, daß Sie ein Dichter sind, lächelte Karl.
Weßhalb?
Wäre es sonst möglich, sich für ein Bild so zu enthusiasmiren?
O, ich enthusiasmire mich durchaus nicht für das Bild – Ihre deutschen Künstler mögen sich nicht zu viel einbilden: aber ich bin verliebt in Ihre Schwester!
La Roche gab endlich das Medaillon zurück. Es ist freilich jetzt keine Zeit dazu. Kommen Sie, gehen wir!
Sie gingen. Der ehemalige Haushofmeister war ihnen bereits vorausgeeilt. Karl konnte jetzt beim hellen Tageslicht den Weg erkennen, den er am Abend zuvor im Dunkel gemacht hatte und der ihm wie ein vollständiges Labyrinth vorgekommen war. Der Marquis La Roche führte ihn über einen langen Corridor, an dessen Ende eine schmale, einst für die Bequemlichkeit des Gesindes angelegte Treppe sich befand. Auf dieser niedersteigend, kamen sie in eine Reihe kleiner Domestikenzimmer im Souterrain, welche mit einer Thüre endeten, die frisch durch die Mauer gebrochen schien. Der Marquis öffnete sie mit einem Schlüssel, den er bei sich trug, und schloß sie dann sorgfältig wieder zu. Die beiden jungen Männer standen jetzt in einem schmutzigen, kaum dämmerhellen Raum.
Stoßen Sie sich hier nicht, sagte La Roche. Wir befinden uns in der Waschküche des Bürgers Delcour, und mitten zwischen seinen Kufen und Zubern. Wir sind nicht mehr im Hotel meines Oheims, sondern in der anstoßenden bescheidenen Wohnung unseres frühern Haushofmeisters, der hier ein ganz vortreffliches Geschäft mit den ausgezeichnetsten kurzen Waaren etablirt hat. Sehen Sie dort, am Ende dieses schmalen Ganges ist die Glasthüre, die uns in den Laden führt, worin Delcour seine Schätze an Kindertrommeln, unechten Tressen, Schaukelpferden, Jacobinermützen, dreifarbigen Cocarden und anderm Spielzeuge feil bietet.
Sie traten in den Laden, den ein junges Mädchen bewachte, und gelangten von dort auf die Gasse. Karl warf einen Blick auf die zur Seite liegende Façade des Vorgebäudes des Hotels, welches sie eben verlassen hatten. Sie zeigte nur verschlossene Läden hinter den von Spinngeweben umzogenen Gitterfenstern, und ein Haufen Schutt und Kehricht vor dem Einfahrtsthore bewies, daß seit Monden kein Fuß mehr über diese Schwelle getreten.
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