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Neuntes Kapitel.


Valerian saß noch im Zimmer der Frau von Sasseneck, als der Knecht, den der Castellan an ihn abgesandt hatte, und die Zofe der Dame zugleich in's Zimmer stürzten, um die Ankunft des Feindes zu melden.

Fürchten Sie nichts, meine gnädige Frau, sagte Valerian; ich bürge Ihnen für Ihre Sicherheit.

In diesem Augenblicke fiel der Schuß, den Sasseneck auf seinen Kutscher abfeuerte.

Valerian eilte hinaus und ließ sich auf die Plattform über dem Thore führen. Der Verwalter kam ihm entgegen, während der Kutscher am Rande der Brustwehr nach dem Hofe zu in einer höchst confusen Rede an die Knechte unten begriffen war.

Da sehen Sie, Herr Graf, sagte der Castellan, indem er Valerian den lackirten Hut des Kutschers hinhielt, der tolle Mensch hat eine Kugel hindurchgeschossen. Und jetzt hält er dort unten bei den Lerchentannen und will Niemanden aus Arnstein lassen, bis der Hunger seine Frau zwingt hinauszukommen. Sehen Sie, dort und dort hat er Schildwachen ausgestellt! Er beabsichtigt eine förmliche Belagerung dieses Schlosses.

Welche Donquichotterie!

Und, fuhr der Verwalter fort, er hat auch gedroht, Sturm laufen zu wollen auf Arnstein.

Der Mensch ist ein vollständiger Narr, lachte Valerian. Aber man muß gestehen, daß er eine für uns sehr unangenehme Art von Narrheit hat. Herr Castellan, können Sie nicht zum nächsten Gendarmerieposten schicken und den Thoren nach Hause weisen lassen?

Der nächste Posten ist fünftehalb Stunden von hier entfernt, Herr Graf; wir sind hier in einem sehr wenig bevölkerten und selten besuchten Gebirgswinkel. Ueberdies hören Sie ja, daß Niemand hinausgelassen wird.

Possen! ich werde sogleich selbst fortreiten und ich hoffe, die Blokadeposten des fehdelustigen Barons werden vorziehen, mich ungehindert zu lassen. Ich will Ihnen sodann Entsatz senden, Castellan.

Aber, Herr Graf, Sie setzen sich in der That den Kugeln dieses wahnsinnigen Menschen aus.

Bah! ich fürchte sie nicht! Halten Sie nur wacker Stand, bis ich Ihnen die Hülfe der nächsten Behörden gesendet habe, versetzte Valerian.

Er ging, um sich bei Frau von Sasseneck zu beurlauben. Dieser hatte unterdeß ihre Zofe die wahnsinnigsten Dinge in den Kopf gesetzt, indem sie ihr die Raserei ihres Gemahls schilderte, der, wenn man ihren Versicherungen Glauben beimaß, die ernsthaftesten Anstalten machte, das ganze Schloß mit Feuer und Schwefel zu vertilgen und jeden Bewohner in Stücke zu reißen. Der Schuß auf den Kutscher hatte freilich diese menschenfreundlichen Absichten bestätigt.

Frau von Sasseneck war dem Tode nahe vor Angst. Valerian wagte kaum, ihr seine Absicht, nun endlich fortreiten zu wollen, anzukündigen; als er sie nach einer Weile doch kundgethan hatte, umfaßte die arme Frau krampfhaft mit beiden Händen seinen Arm und bat flehentlich, doch nur ein paar Stunden noch, längstens bis zum Einbruche der Nacht zu bleiben, weil ja zu hoffen sei, daß Sasseneck am Abende spätestens abziehen werde.

Ich wäre des Todes, sagte die Frau von Sasseneck, wenn mein einziger Beschützer dieser Castellan wäre, der mir im Anfange so feige seinen Schutz versagte.

Valerian konnte nicht anders, als versprechen, er werde bleiben. Aber er vermochte es nicht, einige Ausrufe des Unmuths über das verdrießliche Abenteuer zu unterdrücken, welches ihm eine unerläßliche Ritterpflicht auflegte, während die peinigendste Ungeduld ihn zu seiner Braut trieb.

Es war Mittag geworden; der Castellan ließ für die Dame und Valerian eine Art Diner, so gut man es in der Verwirrung des Morgens hatte herrichten können, in dem Zimmer der Frau von Sasseneck auftragen. Aber Beide genossen wenig und Valerian eilte hinunterzukommen, da er beschlossen hatte, seinen Reitknecht wenigstens an die seiner harrende Theo vorauszusenden. Der Bursche weigerte sich jedoch hartnäckig, den Schüssen zu trotzen, mit denen Sasseneck's Posten drohten, und dazu zwingen wollte und konnte Valerian ihn nicht. Unmuthig ging dieser jetzt im Burghofe auf und ab.

Während seiner Verhandlung mit dem Reitknecht hatte er den Juden in den Ställen umherschleichen gesehen; jetzt trat Isaak mit der ihm eigenen schüchternen Frechheit an Valerian heran und sagte:

Ew. gräfliche Gnaden, ich glaube, Sie kennen mich? Ich bin der Isaak Koppel.

Ihr seid der Rechenkünstler, den ich einmal in Verdacht hatte, mir meinen Paß entwendet zu haben. Die Gräfin von Quernheim hat mir jedoch von Euch als einem zuverlässigen Botengänger gesprochen und mir Briefe durch Euch geschickt. Auch seid Ihr es wahrscheinlich, der einen Mann bis zu seiner Einschiffung nach Amerika begleiten sollte, nicht wahr?

Richtig, ganz richtig – ich seh', Ew. gräfliche Gnaden sind in Alles eingeweiht, sagte Isaak, indem er dem Grafen schlaue Blicke des Einverständnisses zuwarf.

Dieser wandte sich stolz ab.

Was wollt Ihr, Isaak? sagte er.

O, Ew. gräfliche Gnaden, Sie könnten einem armen Juden eine große Wohlthat erweisen, wenn Sie nur beliebten, ein paar Worte zum gestrengen Herrn Castellan zu sprechen.

Was für Worte?

Der Jude zog ein Papier aus der Westentasche und reichte es Valerian.

Hier lesen Sie dies, Herr Graf; wessen Hand ist das?

Das Papier enthielt die Worte:

 

»An den Castellan und Rentmeister
Krauß zu Arnstein.

Dem Handelsmann Isaak Koppel wollen Sie nach Ablieferung eines versiegelten Packets, welches einen Folioband enthält, die Summe von 25 Thalern auszahlen. Das Packet haben Sie in dem für mich reservirten Theile des feuerfesten Archivs niederzulegen.

Allgunde, Gräfin zu Quernheim.«

 

Das ist die Handschrift der Gräfin, unzweifelhaft! versetzte Valerian.

Freilich, freilich, ist sie's! sagte der Jude, aber der Castellan will es nicht glauben. Diesen Morgen bin ich gekommen und habe mein Packet abliefern wollen und den Zettel vorgewiesen: da hat der Castellan gesagt, für einen Botengang zahle Niemand 25 Thaler und er kenne mich schon und ich sei ein Spitzbube und habe die 2 in den Brief hineingeschrieben, es habe gewiß ursprünglich nur 5 dagestanden, und ich bekomme mein Geld nicht! Nun, so bekommt Ihr auch mein Packet nicht, hab' ich gesagt.

Valerian betrachtete die Schrift genauer; allerdings stand die 2 der 5 auffallend nahe und dieser Umstand schien den Verdacht des Castellans erweckt zu haben.

Mein Freund, sagte Valerian deshalb, ich bin kein Schriftkundiger und kann mich unmöglich zu Euerm Bürgen bei dem Castellan hergeben.

Der Jude jammerte und flehte; als Valerian aber unerbittlich blieb, sagte er:

Nun dann will ich sehen, ob mein Packet 25 Thaler für die Frau Gräfin werth ist, und will es Ew. gräflichen Gnaden zeigen, daß Sie ein gutes Wort für mich beim Herrn Castellan einlegen, damit ich komme zu meinem Geld, meinem sauer verdienten Geld.

Ihr thut am besten, mich ganz aus dem Spiele zu lassen, Isaak Koppel, versetzte Valerian und wandte sich ab.

Er schritt in Gedanken versunken lange auf und nieder. Dann ging er wieder zur Frau von Sasseneck hinauf, um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen, und als er sie etwa eine Stunde lang durch sein Gespräch zu zerstreuen gesucht hatte, trieb seine Unruhe ihn wieder ins Freie hinaus. Er eilte auf die Plattform über dem Thore, um nach den Bewegungen des Feindes auszuschauen. Aber kein Zeichen deutete an, daß die Belagerer sich zum Abzuge anschickten.

Ich kann unmöglich, unmöglich länger hier bleiben, sagte Valerian für sich; es liegt mir eine Last auf der Brust, die mich erstickt; ich habe ein unheimliches Gefühl, eine Ahnung, daß ein Unheil über mir oder Theo schwebt – ich will, ich muß fort! Diese arme Frau – aber ist sie nicht gleich sicher hinter diesen Mauern, ob ich nun bei ihr bin oder nicht?

Es war Abend geworden; die Sonne senkte sich dem Horizonte zu und in der zauberhaften Beleuchtung, welche sie dem schönen Thale gab, das Valerian von seinem Söller aus überblickte, bekam das Landschaftsbild einen wunderbaren Reiz. War es diese Aussicht, was die Blicke des jungen Mannes so fesselte, daß er stand und schaute, dann, wie in plötzlichem Entschluß, hastig ein paar Schritte machte und wieder stehen blieb und sinnend schaute.

Es ist unritterlich, sie zu verlassen, flüsterte er, und dann: ich würde mich nur lächerlich machen durch solch' eine Beschützerrolle; ich wäre verloren, wenn man erzählte, ich habe eine Burg gegen eine Belagerung vertheidigt im Jahre 183* – Bah! was liegt daran! Ich darf als Mann diese Frau nicht der zweifelhaften Tapferkeit und Treue des Castellans anheimgeben – nein, ich darf nicht fort, ehe dieser hirnverbrannte Thor fort ist – aber o Gott im Himmel, Theo, Theo, Theo!

Valerian rang in voller Verzweiflung die Hände, als plötzlich ein schwaches, hohles Rufen in sein Ohr drang. Er blickte um sich und sah in der Ferne einen Haufen Männer heranziehen, die mit jenem Geschrei ihre Ankunft anzukündigen schienen. Als sie näher kamen, bemerkte Valerian zu seinem nicht geringen Erstaunen, daß sie Alle bewaffnet waren; Sensen, Gabeln und Aexte blitzten in den Strahlen der sinkenden Sonne auf und Einige trugen Waffen auf ihren Schultern, welche Musketen und Jagdflinten zu sein schienen. Andere Trupps folgten; es war kein Zweifel mehr, das eigentliche Belagerungsheer deployirte sich aus dem Defilé des Gebirgspasses und die Blockade schien in eine förmliche Berennung übergehen zu sollen. Ein Wagen wurde ihnen mit der nöthigen Munition nachgefahren.

Als Herr von Sasseneck das Herannahen seiner Getreuen vernahm, sah man ihn sich aus seinem Hauptquartier erheben und den Ankommenden entgegenreiten. Sie scharten sich im Kreise um ihn, als er sie erreicht hatte; er schien eine Rede zu halten, welche nach dem Erfolge zu urtheilen viel Begeisterndes haben mußte, denn Valerian sah, wie sie die Hüte schwenkten und ein furchtbares Hallohrufen erschütterte danach die Luft des ruhigen Herbstabends.

Herr von Sasseneck führte jetzt das Heer seiner Myrmidonen – es mochten etwa vierzig Männer, aus lauter Ackerknechten, Untersassen und Hörigen gebildete Kerntruppen sein – vor die feindliche Veste. Sie lagerten sich rund umher, in einzelnen Wachtposten, deren jeder sogleich Anstalten traf, aus Laubästen sich Beiwachthütten zu errichten und die nöthigen Wachtfeuer zu entzünden. Auch wurde zu jedem Posten ein Faß Branntwein getragen und mit lautem Jubel begrüßt.

Vorräthe verschiedener Art jedoch wurden von dem mitgekommenen Wagen im Hauptquartiere des Herrn von Sasseneck abgeladen. Da dieser ehrenwerthe Edelmann die Gewohnheit hatte, gegen die Abendstunde bis zum Ausgehen von Sinn und Gedanken »süßen Weines voll« zu werden, wobei sein Revierförster ihn nach Kräften durch thätige Teilnahme zu ermuntern pflegte, so war nicht anzunehmen, daß er nach den Aufregungen des heutigen denkwürdigen Tages eine Ausnahme zu machen geneigt sei.

So war Schloß Arnstein vollständig belagert und die laute Lust, die bald anfing, in dem Lager der Feinde zu herrschen, war nicht geeignet, den Muth der Eingeschlossenen zu erhöhen. Doch zagten diese keineswegs. Im Gegentheil entbrannte der Castellan jetzt erst recht in muthigem Zorne. Valerian hatte ihn zu sich auf die Plattform rufen lassen, zeigte dort seinem erstaunten Auge die nahenden Scharen und Beide beobachteten dann die weitern Bewegungen des Feindes.

Diese wilde Jagd, dieses tolle Heer! Möge der Teufel sie rädern, diese Kerle! rief der Castellan. Jetzt werden sie sich betrinken und dann werden sie Sturm laufen wollen. Aber sie sollen begrüßt werden!

Der Castellan eilte in den Hof und Valerian beobachtete von seinem Söller herab nicht ohne Ergötzen und Freude den Eifer des Burgvogts, womit dieser jetzt zu einer geregelten Verteidigung der Veste Maßregeln ergriff. Er ließ den Vorrath an Jagdflinten, der sich im Schlosse befand, an seine Knechte austheilen, ließ die Hälfte der letztern auf den Thürmchen und auf den vorspringenden Mauerecken als Schildwachen aufziehen und begab sich dann wieder auf die Plattform, wo er mit Hülfe des Kutschers und des Reitknechts Valerian's die Carronaden lud.

Seltsam, sagte Valerian lächelnd zu sich selbst, daß alle diese Burschen in einem heiligen Eifer sind und in wahrer Seligkeit schwimmen bei dieser kindischen Belagerung! Ist das Kind noch so mächtig in uns, oder die Freude am Abenteuer? oder ist es die Lust an Kampf und Fehde, die in den Gezähmtesten und Unterdrücktesten von uns zurückbleibt?

Er mußte sich selbst gestehen, daß das Abenteuer anfing, ihm ein ungewöhnliches Interesse einzuflößen. Vielleicht wäre dies Interesse in herzliche Freude an dem tollen Junkerstücklein übergegangen, das hier in dem stillen Gebirgsthale aufgeführt wurde, wo nichts hinderte, sich tief ins Mittelalter zurückzuträumen. Aber leider mußte er sich ebenfalls gestehen, daß er ein Gefangener in der Veste sei; um dies einzusehen, hatte Frau von Sasseneck ihm genug erzählt von der unbezwinglichen Hartnäckigkeit, womit ihr Mann durchführe, was er einmal sich in den Kopf gesetzt habe.

In seiner Trunkenheit wäre er im Stande, Sie niederschießen zu lassen, oder, wenn seine Leute sich weigerten, es selbst zu thun, sagte Frau von Sasseneck; keinenfalls aber dürfen Sie hoffen, daß er Sie durchläßt, wenn er sich vorgenommen hat, durch Absperrung dieses Schlosses darin eine Hungersnoth hervorzubringen. Deshalb ergeben Sie sich getrost darin, in meiner Gesellschaft bleiben zu müssen.

Valerian versuchte es, so gut es gehen wollte, und suchte sich im Gespräch mit der armen, flüchtigen Frau zu zerstreuen. So verfloß der Abend.

Als Valerian darauf durch einen düstern, gewölbten Gang sich zu dem Zimmer begeben wollte, das man als Nachtquartier für ihn hergerichtet hatte, fühlte er sich plötzlich am Aermel gezupft. Er schaute um – Isaak Koppel war es, dessen scharfes, greinendes Gesicht, grell von dem Licht in Valerian's Hand beschienen, doppelt unheimlich aus dem Dunkel eines Mauervorsprungs auftauchte.

Herr Graf, Herr Graf, sagte der Jude mit großer Lebhaftigkeit – ein Wort, etwas Wichtiges – lassen Sie mich mit Ihnen gehen auf Ihr Zimmer!

So kommt! versetzte Valerian und schritt weiter. Der Jude folgte ihm, ein Packet unter dem Arme tragend.

Erlauben Sie, daß ich zuriegeln darf, sagte er, als er die Schwelle des Zimmers übertrat, in das Valerian ihn führte. Dann drehte er hastig im Innern den Schlüssel um.



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