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Achtes Kapitel.


Unter dem dunkeln, gewölbten Thorwege der Burg Arnstein waren der schweißtriefende Kutscher, ein kleiner Graukopf mit einem offenen, redlichen Gesichte, und ein Knecht beschäftigt, ein altes Fallgitter niederzulassen.

Wer ist die Dame, rief Valerian dem Alten zu, den er an seiner gelben Livree als den Lenker des verlassenen Wagens erkannte.

Schnell, schnell, wenn Sie herein wollen, riefen die beiden Beschäftigten, denn eben sollte das Gitter niedersinken. Valerian eilte durch den Thorweg; das schwere Stangenwerk rasselte hinter ihm nieder, daß das dumpfe Gewölbe dröhnte.

Auf dem Hofe war Niemand; es war ein enges Fünfeck, dessen zwei größere Seiten von den beiden Flügeln eines zur rechten liegenden Wohngebäudes gebildet wurden; die drei andern Seiten schloß eine hohe, mit Schießscharten versehene Mauer, welche von schlanken Thürmen flankirt wurde. In der Mitte des Hofes stand eine uralte, den ganzen kleinen Raum beinahe beschattende Ulme.

Valerian sprang vom Pferde und eilte in das Gebäude, dessen wappengekröntes Portal offenstand. Ein großer Flur umfing ihn, an dessen Ende eine Wendelstiege emporführte. Zu seiner Rechten befand sich eine Flügelthüre aus dunkler, geschnitzter Holzarbeit. Dahinter wurde Stimmenwechsel laut.

Valerian riß die Thüre auf und trat in eine große, gewölbte Halle, welche die ganze Tiefe des Gebäudes ausfüllte, denn eine Reihe Fenster ging, auf den Hof, eine andere bot an der gegenüberliegenden Seite die Aussicht ins Freie und hier umrahmte jede der tiefen Nischen ein besonderes, entzückendes Landschaftsbild. Die Halle selbst, welche Hirschgeweihe und rostige, an den Wänden umher angebrachte Waffenstücke schmückten, war geweißt und hatte keine andere Möbeln, als einen ungeheuern Tisch von braungebohntem Eichenholz und reichgeschnitzte, hölzerne Stühle von gleicher Farbe.

In den Fensternischen waren an beiden Seiten steinerne Bänke angebracht und auf einer dieser Bänke saß, Athem schöpfend, die Hände müde in den Schoos legend, während neben ihr auf dem Boden der Basthut mit grünem Schleier lag, eine blaß und leidend aussehende Frauengestalt. Valerian eilte auf sie zu; Theo war es nicht – er schalt sich jetzt selbst einen Thoren, im ersten Augenblick eine solche Befürchtung gefaßt zu haben, denn wie hätte Theo in so kurzer Zeit die weite Strecke bis hierher zurücklegen können?

Die blasse Flüchtige war Valerian fremd; sie war etwa dreißig Jahre alt, hatte eine sehr zierliche Gestalt und war augenscheinlich eine Dame von vornehmem Stande.

Mitten in der Halle, zwischen ihren beiden Cartons, stand die andere der beiden flüchtigen Frauen, eine Zofe, deren rundes Gesicht durch die Erhitzung und den Eifer, mit welchem sie redete, blutroth geworden war.

Sie unterhandelte mit dem corpulenten, kleinen Manne, der vor ihr stand und, wie es schien, in sehr großer Gemüthsbewegung war. Denn er fuhr mit seinen Händen bald in die Höhe, bald tief in das Unterste seiner Hosentaschen, bald rang er sie, als ob sie eiskalt geworden wären, und streckte sie dann beide wie in Schrecken vor sich hin.

Das ist ja ein wahres Unglück – ein wahres Elend, rief er aus –

Was wollen Sie von Unglück sprechen, schrie dagegen erbost die Zofe; sehen Sie die gnädige Frau an, die ist im Unglück, und nun gehen Sie, Verwalter, und machen Sie, daß die Thore verschlossen werden.

Die Thore verschließen? daß ich ein Narr wäre! daß es mich meine Stelle kostete! daß es mir an Hals und Kragen ginge!

Sie sind ein erbärmlicher Mensch, Herr Verwalter mit Ihrer Feigheit, das sag' ich Ihnen! rief die Zofe im höchsten Zorn. Bei Gott, im nächsten Augenblick kann das Unglück da sein – und die gnädige Frau stürzt sich dann lieber durch's Fenster da in den Abgrund hinunter, als daß sie sich von dem gnädigen Herrn wieder holen ließe!

Der Verwalter zitterte vor Bestürzung.

Aber sie ist doch seine Frau, rief er aus – ich kann doch dem Manne nicht die Thüre vor der Nase zuschlagen, wenn ich seine Frau in meinem Hause habe – das ist ja wider göttliche und menschliche Gebote!

Gebote hin, Gebote her, antwortete die Zofe, lassen Sie augenblicklich die Zugbrücken aufziehen, die Thore verrammeln, schicken Sie die Knechte auf die Mauern – oder der gnädige Herr ist da, ehe wir die Hand umdrehen und dann geht es uns Allen an Hals und Kragen!

Aber ich darf und ich will nicht! rief der Verwalter aus, und lief, um der rasenden Zofe zu entgehen, fort ans andere Ende der Halle.

An die Thore, an die Thore, Herr Verwalter, um Gottes Barmherzigkeit willen! schrie das Mädchen hinter ihm dreinfahrend und ihn am Aermel haltend, daß er sie vergebens abzuschütteln versuchte.

Nein, nein, nein! eiferte dagegen der nun seinerseits in Wallung kommende Burghüter.

Valerian hatte unterdeß die Dame in der Fensternische angeredet.

Kann ich Ihnen dienen in dieser Verwickelung, meine gnädige Frau? Ich bin der Graf Schlettendorf.

Um Gottes willen, versetzte flehentlich ihre Hände faltend die Dame, reden Sie diesem eigensinnigen Menschen zu, daß er mich gegen meinen Gemahl in Schutz nimmt, dessen Ankunft jeden Augenblick erfolgen kann. Ich bin die Frau von Sasseneck. Es wurde mir zur Pflicht der Selbsterhaltung, mich der an Wahnsinn streifenden Behandlung meines Mannes zu entziehen. Hier in dieser abgelegenen und stillen Besitzung meines Onkels Quernheim glaubte ich mich für den ersten Augenblick am besten geborgen. Ich bat deshalb meine Cousine Allgunde Quernheim vor einigen Tagen schriftlich um eine zeitige Benachrichtigung des hiesigen Verwalters und einen Befehl an ihn, daß er mich aufnehme und sicherstelle, bis sie durch ihre Vermittelung die Anerkennung meiner Trennung in einem Familienrathe erwirkt habe. In der Frühe dieses Morgens verließ ich das Haus meines Mannes und jetzt, nach mehren Stunden unsäglicher Angst hier angekommen, weigert sich der Verwalter, mich gegen die Verfolgung meines Mannes zu schützen, da ihm kein Befehl dazu geworden sei, und er keine Zeile vom Grafen Quernheim oder der Gräfin Allgunde zu Gesicht bekommen habe. Und Sasseneck wird nicht zögern, meiner Spur zu folgen! Ich vergehe unterdeß vor namenloser Angst!

Valerian eilte zum Verwalter, den fortwährend die Zofe am Kragen gefaßt hielt.

Sie werden nicht wagen, Castellan, sagte er, sich den Befehlen dieser Dame zu widersetzen.

Wer sind Sie? Was wollen Sie? antwortete barsch der Verwalter.

Herr Verwalter, he, Herr Verwalter, ein Wort! rief hier eine heisere Stimme dazwischen.

Sie kam vom obern Ende der Halle, wo ein Hausirjude sich's auf zwei Stühlen bequem gemacht hatte; vor ihm stand ein kleiner Tisch mit Resten eines Frühstücks, von denen er einen schmutzigen, weißen Pudel fütterte. Quersack und Stock lagen neben ihm.

Was wollt Ihr, Isaak? fragte der Verwalter.

Der Jude winkte dem Castellan so lange, bis dieser dicht neben ihn trat, und dann flüsterte er ihm zu:

Mein, mein, vergreifen Sie sich nicht an dem Herrn; der ist ein gar großer Freund von der gnädigen Gräfin und was der sagt, das können Sie thun, als ob's die Gräfin selber gesagt hatte! Der Schlettendorf ist es, der neue Graf!

Ah, das ist 'was Anderes, rief der Castellan aus und zu Valerian gewendet sagte er mit demüthiger Verbeugung:

Ich bin bereit, Alles zu thun, Herr Graf, was Sie mir befehlen, werde mich dann aber nicht mehr als selbst verantwortlich betrachten.

So eilen Sie, um Alles zu thun, was nöthig ist, damit Frau von Sasseneck einen ebenso sichern als bequemen Aufenthalt hier finde. Richten Sie Zimmer für dieselbe her; das Thorgitter ist schon gefallen; lassen Sie auch die Thorflügel schließen.

Der Castellan verbeugte sich abermals und ging; gleich darauf hörte man in einem der Schloßthürme eine helle Glocke angezogen und weithin ihre Klänge über das Thal und in die Bergwaldungen ausstreuen.

Frau von Sasseneck stand auf und nahte sich Valerian schwankenden, langsamen Schrittes. Sie reichte ihm die Hand und sagte:

Ich danke Ihnen, Graf Schlettendorf, ich danke Ihnen wie meinem Lebensretter. Sie begreifen nicht, daß ich solchen Werth auf Ihren Dienst lege – aber wenn Sie Sasseneck kennten, würden Sie es!

Sie wankte, Valerian gab ihr den Arm und als eine Magd eintrat und meldete, daß oben im Hause ein mit bequemerer Einrichtung versehenes Gemach aufgeschlossen sei, führte er sie die Wendelstiege hinauf dorthin. Es war ein großes Zimmer, das seit langer Zeit nicht mehr bewohnt schien; dunkles Getäfel und kleine, wetterverbrannte Scheiben in vergitterten Fenstern machten es ziemlich unheimlich und düster, doch enthielt es ein Ruhebett für die ermüdeten Glieder der leidenden Frau. Sie legte sich darauf und bat Valerian, in einem Armsessel neben ihr Platz zu nehmen, da sie ihm Vieles zu sagen habe.

Zuerst schien ihr am Herzen zu liegen, in seinen Augen ihren Schritt gerechtfertigt zu wissen. Valerian hatte jedoch vom Herrn von Sasseneck und von seinen Eigenthümlichkeiten schon früher genug gehört, um ihr von vornherein die Versicherung geben zu können, daß er ihren Schritt eben so natürlich als vernünftig und tadellos finde. Diese Versicherung freute sie und sie wagte nun, an Valerian einige Bitten zu richten, zu denen ihre jetzige Lage sie zwang.

Zuerst wünschte sie, daß er ihr einen geschickten Advocaten sende, um ihre Scheidungsklage anzubringen.

Ich weiß, daß ich vor der Justiz nicht bestehen werde, sagte sie; das Gericht wird mich auffordern, zu meinem Manne zurückzukehren, bis das Urtheil erfolgt ist, sonst wird es mich als bösliche Verlasserin für den schuldigen Theil erklären. Mein Mann würde mich freilich tödten; aber wie kann eine solche geringfügige Nebensache die Weisheit des Gesetzes beirren!

Dann bat sie Valerian, zu Allgunden von Quernheim zu eilen und sie aufzufordern, sich schützend ihrer anzunehmen. Allgunde war eine ihrer nächsten, jedenfalls die einflußreichste und mächtigste ihrer Verwandten. Sie hatte ihr einen flehentlichen, herzzerreißenden Brief geschrieben. Daß das Gemüth eines weiblichen Wesens davon unerschüttert und unberührt geblieben sein sollte, konnte sich die arme Frau nicht möglich denken. Sie schob es daher dem Zufalle, der Nachlässigkeit eines Boten oder einer derartigen Ursache zu, wenn der Castellan von Arnstein noch nicht die nöthigen Befehle zu ihrer Aufnahme erhalten habe.

Valerian konnte zwar nicht die persönliche Verhandlung mit der Gräfin Quernheim zusagen, doch versprach er einen seiner Freunde zu der Letztern zu schicken. Den Advocaten und auch einen Arzt versprach er ebenfalls ohne Verzug herzusenden. Dann wollte er aufstehen und weiter eilen, um die versäumte Stunde einzuholen; aber Frau von Sasseneck, die fortwährend in der höchsten Nervenaufregung war, hielt ihn fest und beschwor ihn, um des Himmels willen bei ihr zu bleiben – wenigstens bis Sasseneck dagewesen und wieder abgezogen sei – wenigstens nur eine Stunde noch, bis sie nur um ein klein Weniges beruhigter sei.

So peinlich diese Verzögerung für Valerian war – er konnte nicht umhin, die Bitten der Dame zu erfüllen.

So saß er denn wie auf Kohlen zu Häupten des Ruhebettes, auf welchem die Märtyrerin des Ehestandes ihre zarte und anmuthige Gestalt ausruhen ließ. Sie erzählte ihm, wie sie ihre Flucht bewerkstelligt habe, in der ersten Dämmerung des Morgens, von der Seite Sasseneck's fort; wie sie ihr einziges Kind geküßt und nicht mehr gewagt, es mitzunehmen, weil sie Sasseneck habe sich räuspern und husten gehört, daß sie mit zitternden Gliedern im Todesschrecken davon geflohen sei.

Valerian sprach ihr Muth ein und in der That beruhigte sie sich allgemach. Nur zuweilen drückte sie die Hände vor's Gesicht und rief weinend aus: o mein Kind, o mein Kind!

Unterdeß war es unten im Schloßhofe sehr lebendig geworden. Die Glockentöne hatten aus dem Walde und von den Feldern alles Gesinde zusammengerufen; man hatte mit großer Anstrengung das Fallgitter wieder in die Höhe gebracht und so war der ganze Haufe der Leute, mitten unter ihnen hoch zu Roß Valerian's Reitknecht, der bis jetzt vergeblich um Einlaß gebeten, in die Burg gekommen. Ein halb Dutzend stämmiger Knechte hatte sich unter der Ulme auf eine Bank gesetzt und vor ihnen der gelbe Kutscher Sasseneck's sich aufgepflanzt, ihre verwunderten Fragen, was es denn gebe? mit haarsträubenden Erzählungen von der Aufführung seines Herrn gegen seine arme, gnädige Frau und von den andern Tollheiten des berüchtigten Barons beantwortend.

Neben ihm stand Isaak Koppel, auf seinen Wanderstab gestützt; schielend greinte er seine schönsten Grimassen – er war augenscheinlich durch Alles, was er sah und hörte, im höchsten Grade befriedigt; nur war schwer zu entscheiden, ob ihm die Rohheiten des Barons, oder die verwunderten Gesichter der derben Pflüger oder endlich die Wuth, in welche sich der Gelbe hineineiferte, am meisten Vergnügen machten.

Ueber dem Burgthore befand sich eine von Zinnen eingefaßte Plattform, zu der man auf einer kleinen Treppe aus dem zweiten Stock des Schloßgebäudes niederstieg. Vier kleine Geschütze waren oben aufgestellt, die man bei Festen oder der Ankunft der Herrschaft gebrauchte. Hier, obwol die Sonne ziemlich glühend niederbrannte und die Aeste der Ulme nicht drei Fuß breit Schatten auf die erhitzten Steinplatten warfen, ging der Verwalter auf und ab. Ein breiter Strohhut schützte den Obertheil seiner gedrungenen Gestalt vor der Sonne, doch perlten schwere Tropfen auf seiner Stirn und von Zeit zu Zeit sah man ihn heftig sich Luft zufächeln mit einem rothcarrirten Tuche, das er nach dem Gebrauche jedesmal in die Tiefe seines Hutes vergrub. Rock und Weste hatte er abgeworfen, die Hände auf den Rücken gelegt und ein Schlüsselbund ließ er klirrend, etwas tiefer als die Kammerherren ihre Schlüssel tragen, an einem Lederriemen baumeln.

So auf- und abwandelnd, wie ein Marine-Capitain auf seinem Castell, hatte er den doppelten Vortheil, seine Festung überschauen und zugleich das Nahen des Feindes beobachten zu können.

Dieser ließ in der That nicht auf sich warten, denn wenn er auch nicht den Flüchtigen so dicht auf den Fersen, war, wie die Angst diese hatte fürchten lassen, so sah man doch einige Zeit, nachdem das Gesinde in das Schloß eingelassen worden, die ersten Anzeichen seines Nahens. Auf dem Wege, welchen die Frau von Sasseneck gekommen, erhob sich nämlich eine große Staubwolke, die sich näher und näher heranwälzte, bis eine Gruppe von Reitern sich daraus entwickelte, welche mit verhängten Zügeln dahersprengten.

Als sie an dem verlassenen Wagen ankamen, den die Pferde unterdeß abseit gezogen hatten, um sich am Gras des Rasens zu weiden, hielten die Reiter einen Augenblick; dann setzte sich der Trupp wieder mit geflügelter Eile in Bewegung.

Um Gottes willen, er kommt, er kommt! rief der Castellan oben mit beklommener Stimme; Wilhelm, Matthis, schließt das Thor, schließt das Thor!

Mehrere der Knechte stürzten nach dem Thore, um die schweren Flügel desselben in Bewegung zu setzen und es zu verriegeln.

Der gelbe Kutscher eilte in das Gebäude, um auf die Plattform zu gelangen.

Der Castellan trippelte auf und ab; die Steine unter seinen Füßen schienen glühend zu sein.

Wo ist denn der Graf? rief er – mag der es auf sich nehmen – was geht's denn mich an – wo ist der Graf, ruft doch den Grafen, daß er hierher kommt!

Ehe einer der Knechte jedoch Valerian rufen konnte, hielt der Baron Sasseneck mit seinem Gefolge von berittenen Jägern, Lakaien, Reit- und Stallknechten vor dem Thore der Burg.

Der Baron von Sasseneck war ein kleiner Mann von kräftiger Gestalt mit einem enorm großen Kopfe, den eine Fülle von grauwerdenden Locken umwallte, während der dichte Bartwuchs das ganze Gesicht mit hellblondem Gekräusel umgab. Der Mann hatte den Kopf eines Löwen: kleine, dunkle Augen schossen sprühende Blitze und Zorn und Erhitzung hatten seine Züge wie mit Incarnat gefärbt. Er war im grünen Jagdrock und hatte einen Hirschfänger umgeschnallt.

Vor dem Thore angekommen, zog er den Zügel seines schweißtriefenden Fuchses an und blickte zu dem Verwalter auf, welcher, über ihm an den Zinnen stehend, seinen Strohhut abgezogen hatte und sehr viele Bücklinge machte.

Macht auf! schrie der Baron. Meine Frau ist in Arnstein. Dort unten steht ihr Wagen

Verzeihen Sie, Ew. Gnaden, sagte der Castellan, es ist mir verboten worden.

Aufgemacht oder der Teufel holt Euch!

Gnädiger Herr – wenn ich dürfte –

Das Thor auf, oder ich schieße Euch wie einen Spatz da von der Mauer herunter.

Hoho! versetzte der Castellan in großer Verwunderung – Herr von Sasseneck, wir sind hier nicht in der Türkei.

Nein, in einem Christenland, rief in diesem Augenblicke der Kutscher der Frau von Sasseneck aus, der unterdeß die Plattform erreicht hatte und an dem die Brustwehr bildenden Mauerkranze kniend, durch eine der Zinnenlücken zu seinem Herrn niederredete:

Nein, in einem Christenlande, Herr von Sasseneck, rief er, und darum machen Sie nur immer rechtsum und gehen, woher Sie gekommen sind, denn hier ist nichts für sie zu holen! Seien Sie ein Narr, aber seien Sie's auf ihre eigene Faust und schämen Sie sich Ihres Sündenlebens, Sie Blaubart Sie, und wenn's recht ginge in der Welt, so wären Sie lange schon unter Curatel gestellt, und wenn's noch rechter ging, so kriegten Sie alle Tage bei gelegener Zeit und zu passender Stunde ihre Tracht Prügel für ihre Verwogenheit – denn Züchtigung muß sein in der Welt, damit Ordnung und Sitte ist, aber nur mit Maß und bei Veranlassung und nicht mit blinder Wuth, weil ein schwaches Frauenzimmer wie die gnädige Frau immer mit Rücksicht und mit christlicher Sündenvergebung als ein wahrer Engel auf den Händen zu tragen Ihre allerschönste Pflichterfüllung –

Der Kutscher wurde hier sehr brüsk in seiner Standrede unterbrochen. Ein Knall erfolgte, eine Kugel pfiff an seiner Nase vorüber und eine Wolke Pulverrauchs schlug ihm ins Gesicht. Herr von Sasseneck hatte zähneknirschend den Anfang der Rede gehört; bald darauf aber wurde er durch die Worte seines ungetreuen und verrätherischen Dieners, der als Hauptgehülfe bei der Flucht seiner Frau thätig gewesen war, so zur Wuth gereizt, daß er ein langes Pistol aus dem Sattelholfter zog und es, ehe der Redner oben sich hinter die Brustwehr ducken konnte, auf ihn abschoß.

Die Kugel war durch den lackirten Hut des entrüsteten Alten geschlagen, der einen Augenblick wie versteinert dastand und dann an die andere Seite der Plattform rannte, wo er den Knechten im Hofe zurief:

Er ist ein Mörder, Mörder, Mörder!

Das Attentat auf das Leben des Kutschers schien auf den Castellan wie eine große Ermuthigung zu wirken. Seine Aengstlichkeit wich der Entrüstung über die That; er fühlte sich jetzt in seinem Rechte, wenn er den Eingang seines Schlosses vor einem so gewaltthätigen Menschen vertheidigte, und dies Gefühl gab ihm plötzlich allen Muth zurück. Er war wie so viele in kleinen Verhältnissen aufgewachsene Männer; von der größten Bravour einem persönlichen Feinde gegenüber, von der größten Zaghaftigkeit, wenn er Rücksichten zu nehmen, Bedenken zu hegen, Verhältnisse zu schonen hatte u. s. w.

Herr von Sasseneck, schrie er hinunter, indem er keck seinen Hut aufstülpte und ihn tief in die Stirn drückte, nun wird mir's zu arg; thun Sie mir den Gefallen und ziehen Sie wieder ab, meinetwegen ins Irrenhaus, wohin Sie gehören! Schießen wollen Sie, mit Kugeln auf Christenmenschen schießen? Ei, sieh doch! Soll ich die vier Carronaden hier neben mir laden lassen, daß sie Ihnen und Ihrem wilden Heer eine Lage Kartätschen auf den Kopf speien?

Herr von Sasseneck war beschäftigt, sein durch den Schuß scheu gewordenes Pferd zu zügeln. Die Unbändigkeit desselben versetzte ihn in noch größere Wuth und als er das Thier mit gewaltigem Druck wieder zum Stehen gebracht hatte, rief er:

Castellan, entweder er macht das Thor auf –

Lieber unter dem Schutte des Schlosses begraben werden! schrie der Castellan.

Oder ich stürme es mit Gewalt!

Stürmt! schrie der Castellan.

Wer herauskommt, wer es auch sei, den lass' ich niederschießen, bis der Hunger meine Frau heraustreibt!

Das wird im ersten Monat noch nicht der Fall sein, erwiderte voll Hohn der Andere.

Der Herr von Sasseneck warf jetzt sein Pferd herum und gab seinen Leuten mehrere Befehle. In Folge derselben sprengte ein Lakai nach seinem Gute zurück; zwei Jäger stiegen von den Pferden und faßten Posto hinter Hollundersträuchen oben zu beiden Seiten des Hohlweges, der ans Burgthor führte, wo sie mit gespannten Büchsen den Ausgang hüteten und Befehl hatten, durch Schüsse Jedermann von dem Verlassen des Schlosses abzuhalten. Zwei Reitknechte wurden sodann als Wachen an den andern Seiten der Burg aufgestellt; Herr von Sasseneck gab Jedem eine seiner Reiterpistolen und nachdem er also die Blockade der Veste organisirt hatte, zog er sich in den Schatten einer Gruppe von Lerchentannen zurück, welche nahe am Burgwege auf dem Rasenabhange standen. Hier schien er sein Hauptquartier aufschlagen zu wollen. Denn hierhin führte der ihm zur Disposition gebliebene letzte Diener die Pferde der andern zusammen und hierhin wurde auch der Wagen geholt, der bis jetzt noch immer unten im Thale in der Gewalt der weidenden Gäule geblieben war.



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