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Kriegserklärung.


Viertes Kapitel.


Es war Abend geworden. Die Sonne warf blendend ihre schrägen Strahlen in den Baumhof hinter dem Bauerhause und ihr Schein spielte in den sanftbewegten Blättern der Laube, worin Valerian am Vormittag Theo aufgesucht hatte. In der Mitte dieses schattigen Verstecks stand ein runder Tisch aus rohem Sandstein und hinter demselben, auf einer Bank, worauf ein Kissen gelegt worden war, saß Finkenberg.

Er lehnte sein blasses Haupt an die dunkle Blätterwand hinter ihm und auf dem grünen Grunde erschien es doppelt bleich; seine regelmäßigen und ursprünglich edeln Züge wurden durch den Ausdruck von Leiden und Ergebung, den sie trugen, anziehend, und der goldne Schein der Abendsonne verklärte diesen Ausdruck, so daß Theo, die vor ihm saß, ihr Herz von unbegrenzter Theilnahme für ihn erfüllt fühlte.

Ihr gegenüber, zu Finkenberg's Füßen auf der Bank saß Valerian. Auch sein Auge ruhte voll Theilnahme auf dem Verwundeten; doch schweifte es von Zeit zu Zeit auf Theo hinüber, die, von seinem Blick getroffen, im ersten Augenblick jedes Mal erröthend zu Boden sah, dann aber sich ermuthigte, ihre breiten Lider aufschlug und lächelnd ihn wieder anblickte. Man sah, es kostete sie noch einige Ueberwindung, noch ein Zusammennehmen all ihres kleinen Heldenmuths, um offenen Aug's die Blicke Valerian's, die voll schwärmerischer Leidenschaftlichkeit waren, auszuhalten, denn sie bohrten sich wie Pfeile in ihr Herz, süße, betäubende, ängstliche Empfindungen weckend.

Finkenberg erzählte. Er gab Valerian in kurzem Umriß ein Bild von seiner ganzen, früheren Existenz.

Ich bin in Böhmen geboren, sagte er, wo mein Vater Beamter war und durch seine Verdienste sich den Adel erwarb. Diese Verdienste hatten für mich die Folge, daß sie mich des unschätzbaren Glückes theilhaftig machten, als Knabe von acht Jahren in die Theresianische Ritterakademie aufgenommen und darin bis zu meinem zweiundzwanzigsten Jahre unentgeldlich erzogen zu werden.

Ich weiß nicht, ob Sie die Theresianische Ritterakademie zu Wien und ihre Tendenzen hinreichend kennen, um dies Glück, welches mir widerfuhr, in seinem ganzen Umfang schätzen zu können. Diese Anstalt ist von der großen und erleuchteten Kaiserin Maria Theresia zu den besten Zwecken und im edelsten Sinne errichtet worden. Jetzt aber ist dies große Erziehungshaus nichts Anderes als eine Anstalt, worin der Absolutismus seine Werkzeuge schult und seine Zöglinge, wie junge Pferde aus den Wildbahnen Lithauens, an Muth und Feuer so völlig zu brechen weiß, daß sie geduldig den schweren Stangenzaum tragen, dessen Zügel die väterlichsanfte Hand eines gemüthlichen und patriarchalischen Systems regiert.

Wer im Theresianum gebildet wurde, ist einer guten Laufbahn im Staatsdienst gewiß; man weiß, von ihm ist nichts zu fürchten. Er wird allezeit zu lebendig die Schwere des Drucks, der auf ihm gelastet hat, im Gedächtniß behalten, um je an eine Empörung wider denselben zu denken. Aber wissen Sie, durch welche Prüfung der Glückliche, der zu diesem neidenswerthen Loose ausersehen ist, zu laufen hat? Er braucht sich nur die Verkrüppelung und Erstickung seiner edelsten, geistigen Kräfte, der schönsten Regungen des Jugendmuths, des Rechtsgefühls, des Unabhängigkeitssinns, kurz alles Dessen, was den Mann adelt, gefallen zu lassen und Jahrelang bis zum Ekel sich zu sättigen an einer conventionellen Lüge, welche man ihm als Wissenschaft aufzutischen die Schamlosigkeit hat.

Mönche, welche böhmische Piaristen genannt werden, sind seine Lehrer und seine Erzieher; und da alle die würdigen, jungen Gottesgelahrten, welche in den theologischen Studien Mangel an Befähigung verrathen, immer noch zur Einweihung in den Piaristenorden zugelassen werden, so begreifen Sie, in welch' würdigen Händen die Erziehung der künftigen Staatsmänner eines großen Reiches sich befindet, sowie auch, welchen Unterricht ein Theil Derjenigen genossen hat, in deren Händen jetzt die Geschicke dieses Reiches ruhen.

Die Bücher, welche hier die Grundlage des Unterrichts bilden, gehen aus jener ruhmwürdigen, um die Wissenschaft so großartige Verdienste erwerbenden Anstalt hervor, welche k. k. Schulbücherverschleiß heißt, und tragen, jedes einzelne Exemplar, den Stempel, nicht des Genies, sondern der hohen obrigkeitlichen Billigung. Ich zweifle, ob man in einer russischen Schulanstalt mit solcher Virtuosität aus der Geschichte eine moralische Erzählung von der Weisheit und den himmlischen Tugenden der Regenten, dem demüthigen und gottgefälligen Gehorsam der Unterthanen und den höllischen Strafen undankbarer Widerspänstigen zu machen und ob man dort über unangenehme Punkte, wie Reformation und Revolution, mit so viel unerschütterlicher Sicherheit hinüberzuspringen versteht! –

Wenn ein junger Mann die Lehrzeit in der Akademie endlich überstanden hat, ohne durch zu hartnäckigen, gesunden Sinn sich das Glück der Verweisung zugezogen zu haben, so ist sein materielles Wohl für die Zukunft gewöhnlich gesichert. Bei mir sollte es anders sein. Mich erwartete bei meinem Austritt aus der Anstalt eine Prüfung, der ich leider endlich erlegen bin und dies Erliegen hat dem Rest von Selbstbewußtsein, welchen ich mir aus jener Anstalt gerettet, den letzten Stoß gegeben; ja, ich bin geworden, wozu man mich hat machen wollen – ein Mensch ohne innern Halt, ohne das moralische Mark der Selbstachtung und des männlichen Bewußtseins!

Urtheilen Sie nicht zu hart über mich, Graf Schlettendorf – ich klage mich selbst an, ja, ich verschweige nichts, denn es drängt mich, es herauszusagen, wie schlecht ich geworden bin, weil darin ein Gefühl befriedigter Rache an Denen liegt, welche mich zu dem Menschen erzogen haben, der ich bin.

Finkenberg hielt eine Weile inne; sein Auge schien feucht geworden zu sein, wenigstens erglänzte es heller, als vorher. Dann sagte er:

Als ich das Theresianum verlassen hatte, wurde ich ein Spion und ein Verräther an meinen Freunden!

Gütiger Himmel! fuhr Valerian auf.

Theo wandte sich erschrocken und sah Valerian an, als frage sie, ob es möglich sei, daß eine so schwere Selbstanklage im Ernst gemeint sein könnte.

Ja, fuhr Finkenberg fort – zu solch' einer ehrenwerthen Beschäftigung hat man mich dressirt und ich habe mich ihr gefügt – wenn auch anfangs Verzweiflung im Herzen, doch gefügt, immer ruhiger und gleichgültiger mich gefügt! – Aber nicht ohne langen Widerstand, nicht ohne erbitterten Kampf mit meinen Versuchern und mit mir selbst! Um Ihnen Alles umständlich zu zeigen und deutlich zu machen, was mich in meine neue Laufbahn zwängte, müßte ich Sie tief in die verschlungenen »Geheimnisse« einer der verdorbensten Städte der Welt einweihen.

Eine Despotie, die offen und brutal zu Tage tritt, wirkt zwar verderblich auf die Sitten des Volkes ein, nichts aber höhlt einen so tiefen Abgrund moralischer Verdorbenheit aus, als ein absolutistisches System, welches den Schein fürchtet, welches dem Geist der Zeit nicht offen mehr die Stirn zu bieten wagt und, indem es sich einen Mantel umhängt, als habe es die beste Absicht, dem Rufe des Rechts und der Wahrheit zu gehorchen, im Einklang zu bleiben mit dem vorwärtsdrängenden Gange der Geschichte, doch alle seine alten Rechte im Geheimen festzuhalten strebt und zu diesem Zwecke kein Mittel scheut!

Dies kann nirgends fühlbarer werden, als in der Stadt und in dem Staate, von dem ich rede. Unter Anderm herrscht hier jenes fürchterliche System der Spionage, welchem weder das Siegel heilig ist, noch der Familienkreis am häuslichen Herd, sowenig wie verschlossene Thüren und Tische! Zum Diener dieses Systems wurde ich ausersehen; ich wies diese infamirende Beschäftigung mit Zorn und Abscheu zurück, ich wehrte mich mit Händen und Füßen dagegen, aber meine Verfolger ließen nicht ab; man hatte Eigenschaften in mir entdeckt, die man nicht unbenutzt lassen wollte, und, was noch mehr, man hatte sich von vornherein mit Eröffnungen mir anvertraut, die man unmöglich im Besitze Jemandes lassen konnte, den man nicht mit Haut und Haar in seiner Gewalt wußte.

So wurde ich denn wahrhaft gehetzt, moralisch gefoltert, bis ich in eine Art Betäubung gerieth. Zuerst machte man mir Vorstellungen, wie meine Aufgabe keine andere sein solle, als im Interesse der Ruhe meines Vaterlandes zu wachen, einen Theil des Ruhmes zu erringen, welchen meine väterliche Regierung durch ihren unablässigen Kampf gegen die völkerverderblichen, mörderischen und verruchten Grundsätze des Jacobinismus und der Revolution sich tagtäglich verdiene.

Als diese Vorstellungen nicht fruchteten, ging man zu Drohungen über. Mein Vater war unterdeß gestorben, ohne Vermögen zu hinterlassen; die Meinigen, eine Mutter und zwei jüngere Brüder, hatten auf mich, als auf die einzige Stütze, ihre letzte Hoffnung gesetzt. Man zeigte sie mir in Elend und Kümmerniß; man drohte, mich selbst ohne Subsistenzmittel zu lassen. Ich sah der Noth, dem Hunger ins Auge, denn ich hatte nichts, und meine Erziehung war nicht geeignet gewesen, mir eine Ausbildung zu geben, die mich unabhängig gemacht hätte.

Doch ich widerstand – widerstand um so lauter, heftiger, bis zum Schreien und Toben – je tiefer man mit allen diesen Argumenten in meine innersten Gefühle vorrückte. Ich wollte endlich Niemand mehr sehen und hören, ich schloß mich in mein Zimmer ein und verbot, irgend Jemand zu mir zu lassen. Da trat eines Morgens mein Beichtvater in mein kleines Stübchen im vierten Stock. Dem frommen Manne hatte ich den Eintritt nicht zu wehren gewagt. Lächelnd stand er vor mir und als ich schluchzend antwortete auf seine sanften, liebevollen Fragen nach meinem Zustande, als ich begann all' mein Leid in seinen Busen auszuschütten, voll Vertrauen, hier nur Tröstung und Stärkung in meinen Vorsätzen zu finden, da thut sich auch der Mund des heiligen Mannes noch zur Predigt gegen die gottlosen Jünger des bösen Zeitgeistes auf. Er malt mir mit den schwärzesten Farben die Verruchtheit ihrer Pläne aus und schließt mit einer väterlichen Ermahnung, nicht eine Gelegenheit zurückzustoßen, welche sich mir biete, den wahren und beglückenden Principien der altgeheiligten Ordnung in Staat und Kirche die wesentlichsten Dienste zu leisten!

Unmöglich! rief Valerian aufspringend aus.

Und doch ist es so, beim heiligsten Schwur! sagte Finkenberg Ich war hiernach überwältigt, niedergeworfen, fuhr er fort, aber besiegt dennoch nicht. Auch schien man sich für's Erste bei meinen Weigerungen zu beruhigen; man ließ mich als Praktikant an einer untern Behörde eintreten und gab mir ausnahmsweise einen kleinen Gehalt aus mir unbekannten Fonds, den ich hinnahm, unbekümmert um die Gründe dieses Edelmuths, weil ich ihn hinnehmen mußte, um nicht zu darben.

Eines Abends saß ich spät noch in meinem Zimmer und vergaß, daß längst jede menschliche Seele sich zur Ruhe gelegt habe, weil eines jener verbotenen Bücher mich beschäftigte, die nirgends mehr verbreitet und gelesen werden als in jenem Lande, wo man grade am sorglichsten die Grenzen gegen sie hütet. Da hör' ich plötzlich rasche, leichte Schritte über den Gang vor meiner Stube eilen, hastig wird die Thüre aufgerissen und athemlos, im leichten, flatternden Nachtkleide, tritt eine junge Dame über meine Schwelle, die, eine reizende, verführerische Erscheinung, wie hergezaubert mitten in dem Kreise der verlockenden Bilder steht, welche meine durch die verbotene Lectüre erhitzte Phantasie heraufbeschworen hatte, um eine stille, dürftige und nackte Kammer damit zu beleben.

Um Gottes willen, lieber Herr, verzeihen Sie mir, sagte die Dame mit allen Spuren des höchsten Schreckens im Gesicht – Sie sind der Einzige, der noch wach ist im ganzen Hause, ich sah Licht durch das Schloß Ihrer Thüre quillen – meine kleine Schwester hat soeben einen Anfall der Bräune bekommen, das Kind stirbt, wenn nicht in kürzester Frist der Arzt da ist und ihm Hülfe bringt. Ich weiß mir nicht zu helfen – o, wenn Sie zum Arzte gehen wollten!

Ich war im nächsten Augenblick davon gesprungen und es gelang mir, in Zeit von einer Viertelstunde den Arzt herbeizuschaffen. Das Kind, ein Mädchen von sechs Jahren, genas in Folge der raschen Hülfe; die Schwester desselben, die mit mir im selben Hause, ein Stockwerk unter mir wohnte und sehr elegant eingerichtet war, konnte nicht enden, mir ihre Dankbarkeit auszudrücken; ich meinerseits war willig genug, die so angefangene Bekanntschaft fortzusetzen. Durch ihr Betragen schimmerte eine leise, ermuthigende Koketterie; ich war bald täglicher Gast in ihrem, mit allen Ueberflüssigkeiten des Luxus zu einem neidenswerthen Aufenthalt ausgestatteten Besuchzimmer, und obwol ich eigentlich über die Verhältnisse der Dame nicht recht ins Klare kommen konnte, so umstrickte mich doch ihre Anmuth, ihr gewandter Geist und ihre, wenn auch oberflächliche, doch alle Frauen, die ich je gesprochen hatte, weit überflügelnde Bildung.

Was soll ich Ihnen dies Verhältniß weiter schildern? Ich war ein blutjunger Mensch und ein Neuling, wie nur je ein Klosterschüler es gewesen ist. Daß ich in immer lichtere Flammen gerieth, war natürlich, und daß ich tief und leidenschaftlich liebte, war eben so natürlich, denn ich hatte nichts auf der Welt, was mich fesselte und bewegte, als diese meine erste Liebe.

Ich weiß nicht, ob ich je eine Erklärung gewagt haben würde, wenn nicht ein Entgegenkommen stattgefunden hätte, welches mich freilich hätte stutzig machen müssen, wäre nicht meine blinde Leidenschaft gewesen. So wagte ich denn eine Erklärung; in heißen und flammenden Worten sprach ich die Tiefe des Gefühls aus, das mich beseelte, und wenn ich je zum Dichter wurde, so war es in diesem stürmischen Augenblicke, in diesem Rausch und Enthusiasmus der ersten Leidenschaft, bei diesem Ergüsse eines lange zurückgedrängten, vulkanischen Feuers.

Und nun? fragte Schlettendorf.

Sie lächelte, sie erröthete, sie hielt mich hin, machte Zugeständnisse, Bedingungen, die ich anfangs nicht verstand, und endlich wurde meiner Leidenschaft Erhörung zugesagt, meiner Liebe Erwiderung, wenn – ich mich zu dem Metier hergäbe, wozu man sich nun einmal entschlossen hatte, mich gebrauchen zu wollen.

O der Infamie! rief Valerian entrüstet aus.

Theo stand auf; mit geröthetem Gesichte verließ sie die Laube, um in den Gängen des Gartens eine Weile auf- und abzugehen. Es war, als schämte sie sich für ihr ganzes Geschlecht, und Valerian sagte ein inneres Gefühl, daß es schicklicher für ihn sei, sie allein zu lassen, als ihr zu folgen.

Meine Liebe war gekühlt, fuhr Finkenberg fort, aber nicht meine sinnlich erregte Leidenschaft; diese war es, die mich zum Falle brachte. Ja, setzte er hinzu, in dieser letzten Schlinge wurde ich gefangen; aus dem schönsten, edelsten Erblühen der menschlichen Innerlichkeit, der Liebe, hatte man die Giftfrucht erzogen, die mich verdarb!

Ich war bald enttäuscht und abgekühlt und wandte mich von ihr ab, innerlich vernichtet, apathisch, in materiellen Genüssen den Gedanken ertödtend.

Wer war das Weib? fragte Valerian.

Eine unterhaltene Frau, eines jener Geschöpfe, die fast alle im Solde der Gewalt stehen.

Ich war nun gefangen und als ich einmal in der Bahn, in welche man mich geschoben, einige Schritte gemacht hatte, mischte sich ein gewisser Ehrgeiz, eine gewisse Eitelkeit, die an der entwickelten Schlauheit Behagen fand, in die Sache. Zeit und Gewohnheit begannen den Ekel abzustumpfen, der mich anfangs vor mir selbst erfüllte; die Ausbrüche von Verzweiflung über mich selbst, die zuerst noch oft meine angenommene Apathie unterbrachen, wurden immer seltener, kurz mein besseres Gefühl erstarb mehr und mehr.

Man hatte mich in die große Welt eingeführt; die Salons der Gesellschaft, welche unmittelbar auf die Crême der Aristokratie folgt, waren mir zum Wirkungskreise angewiesen worden; das Leben in diesen Kreisen gefiel mir und meine wachsende Menschenkenntniß und Erfahrung zeigte mir, daß so manche der Männer, mit denen ich hier in Berührung kam, von einer innerlichen Hohlheit, einer Genußsucht, Frivolität und sklavischen Abhängigkeit der Gesinnung seien, welche einen süßen Trost für meine fortwährende Perfidie enthielten.

Uebrigens weiß ich meine Seele rein von einer Verrätherei, welche Jemanden ins Unglück gestürzt hätte. In den Eröffnungen und Berichten, die ich meinem Chef zu machen hatte, suchte ich Beweise von seltener Combinationsgabe und Listigkeit abzulegen, um im Vertrauen zu bleiben, obwol meine Berichte nie so wesentliche Dinge enthielten, daß sie irgend einen Unbesonnenen hätten ernstlich compromittiren können. Nein, ich habe Niemanden ins Unglück gestürzt!

Finkenberg sah Valerian bei diesen Worten wie fragend an, als ob er irgend ein billigendes und beruhigendes Wort von ihm erwarte.

Valerian schwieg; er mochte denken: so verriethst du den Einen, ohne gegen den Andern redlich zu sein!

Theo war zurückgekommen und hatte sich still auf ihren frühern Platz gesetzt.

Finkenberg fuhr fort zu erzählen:

Ich hatte drei Jahre diese Dienste geleistet; unterdeß war ich durch die eigene Beobachtung und die Mittheilungen meiner Collegen eingeweiht worden in die verschiedensten Verhältnisse und ich konnte mich einer Menschenkenntniß rühmen, welche wenig Leute meines damaligen Alters besitzen mögen; ich hatte mir alle Formen der feinsten Gesellschaft zu eigen machen können und hatte nachgedacht über Alles, was nur irgend den Gegenstand der Unterhaltung unter Gebildeten ausmacht.

Der bornirte und lügnerische Unterricht, den man mir in der Ritterakademie ertheilt, hatte mich begierig gemacht, die Darstellungen meiner Lehrer mit wahrhaften Schilderungen, wie unbestochene Schriftsteller sie geben, zu vergleichen. Ich hatte einen wahrhaften Heißhunger nach den Büchern erleuchteter und freisinniger Männer und vertieft in solche Werke fühlte ich einen gewissen Rachedurst, den ich gegen die Gleißnerei meiner Lehrer hegte, befriedigt, wenn ich sah, wie auf jeder Blattseite ihre Stupidität und Verlogenheit auf's Haupt geschlagen wurde.

So kam es, daß ich in meinem vierundzwanzigsten Jahre ein Mann von vielseitiger, wenn auch nicht gelehrter und tiefgehender, doch bestechender und von allen meinen Bekannten beneideter Bildung geworden. Ich war in der Gesellschaft eine Art Encyklopädie und Orakel; man nannte mich den »Philosophen«, aber meine Philosophie war eine »für die Welt«, für die große, die kokette Welt der Soireen und Routs berechnete Weisheit. Sie war eine absolute Ich-Philosophie, vortrefflich für Herren, um sie als wasserdichten Mantel in Gewissensstürmen, für Damen, um sie als stärkenden Odeur bei Anwandlungen aller Art zu gebrauchen. Kurz, ich war ein glänzendes Gaslicht der Gesellschaft, ein Löwe und – nebenbei Polizeispion.

Es war um diese Zeit, als eine Dame in den Kreis der Gesellschaft eintrat, welche bald große Aufmerksamkeit erregte und endlich auf eine Weise imponirte, wie die frivole Männerwelt, in der ich mich bewegte, sich sonst nicht von Frauen imponiren läßt. Sie war nicht schön und ihre Gestalt hatte Nichts, das außergewöhnlich gewesen wäre. Nur ihr Blick war unheimlich fest, scharf und hart; ihre Haltung aber deutete auf eine männliche Entschlossenheit und das Haupt trug sie so stolz zurückgeworfen, daß es einen ganz übermenschlichen Hochmuth verrieth.

Die Menschen der Gesellschaft sind zumeist von einer solchen innern Nichtigkeit, daß sie entweder nicht den Scharfsinn zu haben wagen, welcher zur Untersuchung von Grund oder Ungrund einer großen Anmaßung gehört, oder daß sie zu schwach und eigenen Werthes zu wenig bewußt sind, um Anmaßungen in ihre Schranken zurückweisen zu mögen. Daher kommt es, daß man einer Selbstüberhebung, die nur recht unbefangen auftritt, in der Gesellschaft gewöhnlich Alles einräumt, was sie selbst sich zulegt. Man nimmt den Menschen als Das, wofür er sich gibt.

Valerian unterbrach den Erzählenden hier:

Sollte das, sagte er, nicht ebensowol begründet sein in einer gewissen ehrenhaften Loyalität der Menschen, indem ihnen die Vorstellung fern liegt, es könne Jemand Anmaßungen geltend machen, zu denen er keinen Grund und keine Berechtigung habe?

Ueberhaupt, fügte Theo hinzu, wird es mir schwer an eine so große, innerliche Verdorbenheit und Fäulniß aller Zustände, wie Sie sie uns schildern, zu glauben. In Ihrem Geschicke freilich mag hinreichend Ursache gegeben sein, Alles von der dunkeln Seite aufzufassen, aber sollte es nicht auch Standpunkte geben, die, wenn nicht Alles, doch Vieles von Dem, was Sie schildern, in hellerem Lichte zeigen?

Ich bin mir bewußt, daß ich möglichst mildere; aber streiten wir nicht darüber, versetzte Finkenberg lächelnd, lassen Sie mich fortfahren:

Die Dame, von der ich eben sprach, hatte es also nach kurzer Zeit durchgesetzt, daß sie wie die Königin jedes Kreises betrachtet wurde, in den sie eintrat; eine große Schärfe des Geistes, eine unerbittliche Strenge des Urtheils, dem Witz und Satyre zu Gebot standen, ungewöhnliche Bildung, eine Genialität der Ideen, die hauptsächlich darin sich zeigte, vor keiner Autorität im Himmel und auf Erden zu zagen – diese Eigenschaften machten sie zu Dem, was ihr Ehrgeiz erstrebte, zum Mittelpunkt der Gesellschaft. Alle Frauen waren erbittert gegen sie, alle Männer huldigten ihr, obwol sie, wie ich sagte, nicht schön war, wenn auch die Blüte der Jugend sie zu einer angenehmen Erscheinung machte.

Ich war der Einzige, der ihr nicht huldigte; ich vermied sie, wo es möglich war. Ich fürchtete sie; es war mir, als ob mir Unheil kommen werde von dem Blick dieser bohrenden Reiheraugen, die ich tief in das innere Dunkel meiner Brust dringen fühlte. Es war mir, wenn ich mit ihr sprach, als lange sie mit ihren herben, oft so scharf verurtheilenden Worten heimlich wie mit kalten, eisigen Händen in das trübe Wirrniß meiner Seele hinein. Und dann nach einer Weile hatte ich ein Gefühl, als läge das Geheimniß meiner Schmach offen vor ihren Augen da, als habe sie es heraufgeangelt aus der untersten, verborgensten Ecke meines Herzens, wohin ich es zurückgedrängt, um nicht daran zu denken.

Wie gesagt, ich fürchtete sie, und doch gelang es ihr, auch mich zu unterjochen. Als sie wahrnahm, daß ich sie vermied, begann sie mit mir zu kokettiren – freilich in dem Maße nur, wie es ihr Stolz zugab, doch hinreichend, um meine Eitelkeit ins Spiel zu ziehen. Ein Zauber begann sich für mich in ihre kalten Augen zu legen, daß sie mich, wie die der Klapperschlange ihre Beute, anzogen; wenn ich diese Blicke zwischen den Köpfen der andern Damen her auf mich gerichtet sah, so war ich gefesselt und in ihren Kreis gebannt.

Und doch haßte ich sie eigentlich mit allem Hasse, den ich in meiner gebrochenen Seele aufzubieten hatte, ja ich haßte sie, weil vor ihr allein, vor diesem stolzen, mächtigen, unterjochenden Charakter ich mich niedergedrückt fühlte von der Last meines Bewußtseins. Vor den schlaffen Seelen der andern Männer, vor der flachen Würdelosigkeit ihres Treibens erhob ich ohne Schamerröthen mein Gesicht; die Frauen konnten mir in ihrer sündigen und leeren Aeußerlichkeit keine Achtung einflößen; aber hier war ein Charakter vor mich getreten, an dessen Höhe ich meine eigene Größe messen mußte – und der Unterschied überwältigte mich.

Was sie Anziehendes an mir fand – es war das Doppelte: einmal hatte ich ihr Kälte und Abneigung gezeigt und zweitens war ich, neben den Vorzügen des Aeußern, die ich damals hatte, wol der gebildetste der jungen Männer, die sie sah; kurz sie wandte mir ihre Gunst zu und ich erfreute mich derselben in einer Art bitterer, zorniger Glückseligkeit.

Doch würde sich unser Schicksal wol nie so sonderbar verflochten haben, wenn nicht ein Zufall hinzugekommen und die Veranlassung dazu geworden wäre. Der Graf P. hatte ein großes Fest angeordnet, mit welchem er seine silberne Hochzeit feiern wollte. An die im Parterre seines Hotels liegenden Gesellschaftsräume war zu diesem Zwecke ein Gartensalon gebaut, in welchem soupirt werden sollte. Die reichsten Draperien bedeckten die Wände dieses Salons, die Orangerie hatte einen Wald exotischer Prachtpflanzen hergegeben, um ihn zu schmücken, und tausend Lichter warfen ihre zuckenden Strahlen durch die grüne Blätterwelt des Südens.

Die Gesellschaft hatte sich versammelt, so zahlreich, wie es der gastfreie Festgeber nur wünschen konnte. Nachdem mehrere Stunden lang getanzt worden, setzte man sich zum Mahle nieder. Man schwelgte mit Belsazers Sorglosigkeit in den Genüssen, die diese smaragdglänzende, musselinene Aureng-Zeyb-Herrlichkeit bot. Da erhob sich ein plötzliches Getümmel unter den Anwesenden; Rufen, Angstschreie folgten, und ein hellrother Flammenschein schoß zischend durch den Raum. Eine Draperie hatte Feuer gefangen, das leichte Musselingewölk unsers Firmaments stand im Augenblick darauf in Flammen und, da der Saal aus trockenen Fichtenbretern aufgeschlagen war, so gerieth das ganze leichte Bauwerk in Brand.

Es entstand nun ein unbeschreibliches Drängen dem Ausgange zu; ohnmächtig werdende Damen mußten hinausgetragen werden, die Dienerschaft suchte das Silber und das kostbare Tafelgeräth in Sicherheit zu bringen, und so kam es, daß an der Ausgangsthüre eine Verwirrung entstand, welche fürchterlich war. Ich hatte oben im Saal neben meiner Dame gesessen; wir waren unter den Letzten des hinausdrängenden Haufens und die Lohe schlug immer lauter prasselnd über unsern Köpfen zusammen.

Ich will nicht läugnen, daß ich einen Vorgeschmack der Todesangst empfand; kalter Schweiß trat auf meine Stirn und ich griff nach der Lehne eines Sessels, um mich daran aufrecht zu halten. Neben mir, mit festem, ruhigem Blicke in das Getümmel vor uns schauend, stand sie, nur zuweilen einen leisen, zornigen Ruf der Ungeduld ausstoßend.

Da wurde plötzlich ein doppelt starkes Prasseln laut, ein heftiges Krachen über uns folgte, eine Planke des Daches löste sich, sank, umflattert von helllohenden, leichten Stoffen, wie ein großer Flammenvogel nieder und schoß knisternd, funkensprühend auf uns herab. Ein Blick nach oben zeigte mir die Gefahr. Ich warf mich zur Seite und war glücklich genug, mit einer Wunde am Knie, worauf die Planke fiel, und mit versengtem Barte, weil mir der brennende Stoff übers Gesicht fuhr, davonzukommen; sie hatte sich mit Macht nach vorn ins Gedränge gestürzt. So war sie unverletzt und unberührt geblieben, aber sie lag ohnmächtig am Boden.

In diesem Augenblicke kam uns Hülfe; uns zur Seite wurden von außen die Breter des Saales aufgerissen; in einigen Augenblicken war eine weite Oeffnung geschaffen und mit Hülfe eines Lakaien trug ich die Ohnmächtige hinaus in den Garten. Wir legten sie auf eine Gartenbank nieder, wo sie, von der kühlen Nachtluft angeweht, bald wieder zu sich kam.

Sie blickte verwundert um sich, erhob sich rasch wie beschämt und verlegen und forderte meinen Arm, um zu ihrem Wagen geführt zu werden. Auf dem Wege durch den Garten und das Hotel ging sie schweigend neben mir her, entließ mich dann mit einer stummen Kopfneigung, stieg ein und rollte davon – ohne ein Wort des Dankes, ohne eine Silbe der Erkundigung, ob ich unverletzt geblieben, oder ob überhaupt Jemand Schaden genommen, oder wo nur ihr Vater sei, der sie begleitet hatte.

Am andern Tage erhielt ich eine Einladung von ihr, sie in ihrer Wohnung zu besuchen. Ich hatte sie nie in ihrem chez-soi gesehen; sie bewohnte den ersten Stock eines schönen, großen Hauses, der aber eine höchst einfache und anspruchlose Einrichtung hatte. Hier fand ich sie in Gesellschaft ihres Vaters, der sich bald entfernte, als ich gekommen.

Wie sehen Sie aus, um Gottes willen, rief sie mir entgegen, ihr Bart ist verbrannt, ihre Brauen sind weggesengt – und ich glaube, Sie hinken gar!

In der That – ich habe eine kleine Verletzung am Knie bekommen, als ich mich bemühte, Sie aus der Glut zu tragen, versetzte ich.

Sie pius Aeneas! sagte sie spöttisch.

Ich habe doch keinen alten Anchises aus den Flammen getragen.

Freilich nicht!

Eher wie Krëusa mein Götterbild! sagte ich mit einer Verbeugung.

Sie war in einer seltsamen Stimmung, schien es; bald schweigsam und gereizt, bald in einen lebhaften Schwung der Gedanken versetzt und außergewöhnlich rasch und heftig redend. Es war etwas Leidenschaftliches in ihrem Wesen, ein verhaltener Groll, oder eine Erbitterung gegen irgend Jemanden.

Sie ist zu stolz, um gegen einen Mann eine Verpflichtung haben zu mögen, sagte ich mir; sie haßt mich von dem Augenblicke an, in welchem ich stärker war, als sie und sie rettete.

Daß sie mich hassen sollte, nachdem bisher in gewisser Weise das Umgekehrte stattgefunden hatte, machte einen seltsamen Eindruck auf mich. Ein Mann kann ein Herz misachten, das sich an ihn hängt, aber er willigt schwer darein, es zu verlieren. Und in diesem Augenblicke, wo sie sich von mir wenden wollte, begann mir dieses weibliche Wesen unendlich groß, edel und begehrenswerth zu erscheinen. Ich fühlte jetzt, wie viel es meiner Eitelkeit gewesen war, vor den Menschen als ihr Günstling auftreten zu können; dies königliche, zum Herrschen wie geborene Weib hatte mich aufrecht erhalten in meinen eigenen Augen und konnte mich aufrecht halten in denen aller Welt, hoch über aller Schande empor. So kam es, daß, jemehr sie sich gereizt, ja bitter gegen mich zeigte, mit desto leidenschaftlicher Innigkeit alle Kräfte meiner Seele sich an sie anklammerten.

Sie wurde im Verlaufe des Gesprächs immer heftiger; mit zorniger Erbitterung tadelte sie das Betragen der Männer im Augenblicke der Gefahr, ihren Egoismus, ihre Hast, das eigene jämmerliche Leben zu retten, und die Brutalität Einiger derselben, welche schwächere Frauen zurückgestoßen, wie sie am vorigen Abende beobachtet haben wollte. Dann sprach sie überhaupt von den Eigenschaften der Männer und urtheilte mit einer Ironie und Härte über dieselben, welche mir einen Stachel nach dem andern ins Herz drückte, da ich nur zu viele der abgeschossenen Pfeile auf mich gezielt glauben konnte.

Lange schwieg ich; dann fiel ich ihr in die Rede und leidenschaftlich erregt wie ich war, ergriff ich heftig ihren Arm.

Schweigen Sie, um des Himmels willen, schweigen Sie, sagte ich – Sie wollen mich schmerzlich verletzen, mich zum Zorn stacheln mit ihren Vorwürfen, und doch, wenn es einen Mann gibt, der durch Tiefe der Leidenschaft, durch eine nie auszulöschende Glut der Hingebung Sie, grade Sie belehren wird, daß Sie Unrecht haben, daß wir der tiefsten Empfindungen und des edelsten, dauerndsten Enthusiasmus fähig sind, so bin ich es!

So sind Sie es?! rief sie aus.

Ja ich, ich bin.es! Und antworten Sie, Gräfin, welches Recht haben Sie, mir gegenüber den Männern alle diese schmählichen Vorwürfe zu machen? Wollen Sie sich rächen an uns, weil Sie gestern zeigten, wie auch Sie nur ein schwaches Weib waren und ohnmächtig niedersanken, während der Mann neben Ihnen aufrecht stehen blieb und der Gefahr ruhig ins Auge schaute – bis er Sie wie ein Kind auf seine Arme nehmen konnte, um Sie davon zu tragen? Ich, ich habe Sie aus den Flammen getragen, ich habe Ihr Leben gerettet und habe es mir gerettet, mir gehören Sie und als mein, als ew'ges Eigen fordere ich von Ihnen diese Hand.

O Thor! fuhr die Gräfin auf, indem sie mir heftig ihre Hand entriß, die ich ergriffen hatte, also das gibt dem Manne ein Recht über die Frau, daß ihre Nerven schwächer sind und unter drohender Gefahr einen stärkern Reiz empfinden, als die seinen? daß sie ohnmächtig wird, wo er noch genug Kraft und Bewußtsein übrig behält, um ihr einen leicht und bald vollbrachten Dienst zu leisten – das begründet die ganze brutale Kettenfolge von Ansprüchen, die der Mann auf unsere Dienstbarkeit, unsere sklavische Unterwerfung macht?! Und das, meinen Sie, könne mir nur das leiseste, bittere Gefühl machen, daß ich gesehen habe, wie ich nicht stärker bin, als andere Frauen auch? Gehen Sie, lassen Sie meine Hand; wenn ich mich ausgesprochen habe über Ihr Geschlecht, so schmeicheln Sie sich nicht, daß Sie und die gestrige Ritterthat, deren Sie sich rühmen, für etwas in meinem Urtheile sind! Aber Sie selbst, sagen Sie, wollen mich eines Bessern belehren? Um Gott, wer sind Sie denn, Sie Champion eines Geschlechts, das sich so vieler Tugenden berühmt? Lassen Sie uns einmal näher zusehen. Sind Sie etwas Anderes als ihre gezierten und süßlichen Genossen, eine unnütze, innerlich hohle Alltagsexistenz, oder ist jemals der Gedanke in Ihnen aufgestiegen, daß der liebe Gott, wenn er Sie ins Leben setzte, auch ein Ziel und einen Zweck für Sie bestimmt haben muß? Ist Ihnen je eingefallen, sich nach diesem Zweck zu fragen? Haben Sie je einen Schritt zu diesem Ziele gemacht? Oder haben Sie je nur zufällig einen Gedanken erzeugt, von dem Sie sagen können, daß er der Keim irgend eines nützlichen, schönen oder erfreuenden Resultats für die Menschheit geworden? Haben Sie nur je die Hand erhoben zu einer That, die nur werth wäre, am andern Tage noch ins Gedächtniß der Menschen zurückgerufen zu werden? Haben Sie je sich einen kleinsten Genuß versagt, um statt dessen einen Darbenden zu erquicken, je eine Stunde Ihrer Nachtruhe daran gesetzt, einen geistig Daniedergeschlagenen zu erheben? Kurz, haben Sie je mit eigener Aufopferung etwas Gutes gethan, oder einer Versuchung siegreich widerstanden, oder je das Bewußtsein, daß Sie aus innern Kämpfen größer und reiner hervorgegangen, nähren dürfen? Denken Sie sich in Ihrer Sterbestunde, denken Sie Ihren Vater, Ihre Mutter vor Ihrem Bette knien – würden Sie da sagen können: Vater, ich kann getrost meine Stirn vor dem Throne Gottes erheben; ich bin auf dem Pfade gewandelt, den du mir gewiesen, auf dem Pfade der kämpfenden Männlichkeit, die weiß, was sie sich schuldet und was sie als Stütze und Verfechter des Rechts und der Ehre den mitringenden Brüdern zu sein schuldig ist? Werden Sie da sagen können: Mutter, ich hoffe oben dich wieder zu finden, denn ich habe den Segen rein zu erhalten gewußt, den du auf mein Haupt legtest, als du mich von dir gehen ließest in die weite Welt; ich bin siegreich gewesen in dem Kampfe mit der Welt und du kannst deinem sterbenden Kinde getrost die Augen zudrücken, denn es ist rein und wahr und fromm geblieben, wie du es gelehrt hast zu sein! Die Schande hat nie mit ihrem schmutzigen Finger an seine Stirn gerührt und der Verrath ist fern geblieben von seiner Lippe!

Die Gräfin blickte triumphirend auf mich nieder, als sie mit flammendem Antlitze, mit unbeschreiblich eindringlicher Gewalt der Stimme diese Worte sprach.

Ich war nicht erschüttert, nicht zerknirscht, nein, ich war vernichtet. Ich warf mich zu ihren Füßen nieder – o halten Sie ein, halten Sie ein, rief ich aus – Sie wissen nicht, an welche tiefe Wunden Sie rühren, nein, Sie können es nicht wissen – denn tödten, tödten, wollten Sie mich nicht!

Ha, sagte sie – also Sie fühlen, was ich Sie empfinden lassen wollte, Sie fühlen, wie begründet und heilig die Ansprüche und Rechte sind, welche solch ein Mann wie Sie sich über ein reines und edles Weib zu nehmen befugt glaubt! Und das, weil seine Nerven einer Ohnmacht trotzen, wo sie getroffen zusammensinkt!

Ich war in Thränen ausgebrochen, ich wand mich zu ihren Füßen und krampfhaft schluchzend versuchte ich vergebens noch ein Wort hervorzustammeln.

Sie beugte sich zu mir nieder; sie beobachtete mich anfangs mit einem Ausdruck von kalter Neugier, wie ein Naturforscher die Zuckungen eines galvanisirten Geschöpfes. Dann sprang sie plötzlich wie in einem Anfall von Freude und Entzücken auf; sie stellte ihren Fuß auf meinen Nacken und so rief sie aus:

Nun ist die Ohnmächtige gerächt! Du wirst dich nie mehr einer höheren Seelenstärke vor mir rühmen!

Welch ein fürchterliches Weib! unterbrach Theo hier, ihre Farbe wechselnd, den Erzähler.

Und Sie?! fragte Valerian mit heller Röthe des Zornes und der Entrüstung im Gesicht.

Ich? ich war und blieb zu Boden geschlagen unter der dämonischen Gewalt dieses Weibes. So, fuhr sie fort, so will ich den Mann: muthig in der Gefahr, mit großartigem Ueberblick die Verhältnisse der Welt überschauend, mit all den Kenntnissen und der Bildung, welche nur der Geist des Mannes umfassen kann, ausgerüstet, einer glühenden Leidenschaft fähig – und dann unter meinem Fuße, für mich ein gebrochener Sklave, ein Nichts!

Sie schwieg und strich mir mit der Hand das Haar aus der Stirn. So sah sie mir starr ins Auge. Dann sagte sie:

Du bist tieferer Empfindung fähig, als ich glaubte. Hier ist meine Hand; jetzt nimm sie, wenn du sie willst!

Ich ergriff ihre Hand; als ich zu ihr aufsah, ruhte ihr Auge groß, rund und forschend auf mir, aber es war kein Zug in ihrem Gesicht, der mich ermuntert hätte, ihr ein Wort der Liebe zu sagen.

Allgunde von Quernheim – daß sie es war, brauche ich wol kaum noch hinzuzusetzen – war also meine Braut. Und wir waren ein seltsames, im Grunde schlecht genug zusammenpassendes Paar. Doch lebten wir in der besten Harmonie und während ich mich wegen meiner Eroberung des stolzesten Weibes auf Erden im Stillen nicht wenig brüstete, schien sie sich ebenso Glück zu wünschen zu der vertrauten Verbindung mit einem Manne, welcher wie kein Andrer sie in alle Mysterien und Verhältnisse der Kaiserstadt einzuweihen vermochte und bei seinem Vertrautsein mit Allem stets die Faden jedes Gewebes anzugeben wußte.

Sie hatte damals schon dieselbe Bahn politischen Ehrgeizes betreten, die sie jetzt so leidenschaftlich verfolgt; und ihr Aufenthalt in Wien hatte den Zweck, die Gesinnungen der Aristokratie dieses Orts und des großen Reichs kennen zu lernen und zu erforschen, in wieweit sich auf dieselben als eine Schutzmacht für die Adelsbestrebungen ihrer Heimat bauen lasse. Doch theils die ganz verschiedenen Verhältnisse des Adels unter einer katholisch-absolutistisch-aristokratisch gebildeten Regierungsform, theils der in materiellen Lebensgenuß versunkene Sinn der Klasse, bei welcher Allgunde für ihre kühnen Hoffnungen ein Echo zu finden erwartete, bewogen sie bald, ihren Hoffnungen zu entsagen.

Sie reiste mit ihrem Vater heim und ich folgte ihnen. Unsere Verlobung war nach ihrem Wunsche heimlich geblieben und Niemanden, auch ihrem Vater nicht, mitgetheilt worden. Als wir auf ihrem Gute ankamen, eröffnete sie mir, daß auch unsere Vermählung eine geheime bleiben müsse; denn erstens gedenke sie nicht die Einkünfte ihrer Stiftspräbende aufzugeben und zweitens – das war wol der Hauptgrund – könne sie nicht einem Manne von leonischem Adel, der keine Ahnen und keinen stiftsfähigen Namen habe, ihre Hand geben, ohne um ihr Ansehen und um alle Achtung bei der ganzen Aristokratie des Landes zu kommen. Ob noch andere Rücksichten sie zu dieser Heimlichkeit bewogen, will ich hier unerörtert lassen, gewiß ist nur, daß ich, völlig von ihr abhängig und ihrem Willen unterthan, mich in Alles fügen mußte.

So wurde denn unsere Ehe in einer Dorfkirche auf den Gütern des Grafen von Quernheim eingesegnet. Nur der Baron Tondern und dessen grauköpfiger Jäger, der seitdem gestorben ist, waren als Zeugen herbeigezogen; der Geistliche war ein junger Mensch, dem Allgunde die Pfarrstelle durch ihren Vater als Patronatsherrn hatte übertragen lassen und der sich dafür gern der Bedingung, daß die Ceremonie strengstes Geheimniß bleiben müsse, fügte. Er führte uns demnach eines schönen Morgens in seine Kirche, als ob er uns das Innere derselben zeigen wolle, schloß dann die Thüre ab, nahm die Trauung vor und erfüllt bis auf diesen Tag Allgundens Bedingung so gut, daß er mir ins Gesicht behauptet, mich nie gesehen zu haben.

Allgunde und ich lebten nun eine Zeitlang in großer Harmonie zusammen; unsere Gemüther waren sich im Grunde zu fremd, aus zu verschiedenem Teig geknetet, als daß es zu Reibungen hätte kommen können; auch, glaube ich, war Allgunde doch zu sehr Weib, um nicht wenigstens einmal und eine Zeitlang in ihrem Leben das Bedürfniß der Liebe zu empfinden. Ihr Vater hatte mir ein Gut abgetreten – dem Namen nach verpachtet – und hier lebte ich, mit den Leichtsinnigeren unter den Junkern meiner Bekanntschaft, sie überbietend an Ausgelassenheit und Verschwendung.

Zwei Jahre waren seit unserer Vermählung verflossen, als ich eines Abends, von der Jagd heimkehrend, ein Billet Allgundens fand, welches mich augenblicklich zu ihr beschied. Ich eilte hinüber auf das, nicht zehn Minuten entfernt liegende Schloß ihres Vaters; als ich in ihr Zimmer trat, kam sie mir mit zorngeröthetem Gesichte entgegen. Indem sie einen Brief aus einem Portefeuille riß und mir hinhielt, rief sie aus:

Elender! ist das wahr?!

Ich nahm den Brief – er war von der Hand Heydenreich Tondern's, meines liebsten, meines besten Freundes – Heydenreich war in Wien, er hatte aus sicherer Quelle erfahren, welche Rolle ich in Wien gespielt habe und mein zärtlicher Freund hatte nichts Eiligeres zu thun gehabt, als meiner Frau dies zu schreiben.

Spion – Verräther also waren Sie, Herr von Finkenberg – und Sie, Sie, ein Mensch, den der Fluch innerer Ehrlosigkeit zum Wurme in den Staub hätte drücken müssen, Sie wagten es, die Hand der Gräfin Quernheim anzunehmen?!

Meine Zunge hatte der Schrecken gelähmt; kein Wort der Entschuldigung wollte über meine Lippen. Allgunde brauchte nur mich anzusehen, um überzeugt zu werden, daß Heydenreich mir nicht Unrecht gethan habe. Dies übermannte sie so sehr, daß sie sich in einen Sessel warf und bitterlich zu weinen begann; es war das erste Mal in meinem Leben, daß ich eine Thräne an der Wimper dieser Frau wahrgenommen hatte.

Gehen Sie, sagte sie dann – gehen Sie, wir sind geschieden von diesem Augenblicke an; sie haben keinen Beweis Ihrer Vermählung mit mir in Händen und ich werde diese Vermählung von dieser Stunde an als aus dem Grunde des Betrugs nichtig und nicht geschehen betrachten. Sollten Sie Einspruch dagegen erheben, oder irgend einen Schritt thun, der mir nicht genehm wäre, so wird Ihnen das Gut gekündigt, dessen Einkünfte von nun an Ihre einzige Hülfsquelle sind und das Sie auf einen Pachtcontract hin besitzen. Gehen Sie!

Ich ging in der bittersten Verzweiflung, der Stunde fluchend, welche mich ins Leben geworfen hatte, wie in eine stürmische, gefahrvolle Flut; als Spielball von Umständen, die mir über den Kopf wogten und an deren Gewalt sich die moralische Kraft eines stärkern Menschen gebrochen haben würde!

Finkenberg schwieg. Er blickte traurig in die untergehende Sonne, die blutroth am Horizonte hing und mit goldnen Flammen den ganzen Westen überhüllt hatte. Die Wipfel bewegten leis ihre Blätter und ließen sie spielen mit den Farbenstrahlen, von denen sie angeglüht wurden; aber die lebenden Wesen, die lärmenden Vögel saßen stumm in den Zweigen, wie stille Beter bei der Abendandacht der Natur.



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