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Was ich für Herrlichkeit geschaut
Mit still anbetendem Erstaunen,
Was ich gehört für sel'gen Laut,
Als Orgel mehr und als Posaunen:
Das steht nicht in der Worte Macht.
Uhland.
Ein milder, wunderlieblicher Herbstnachmittag hatte mich nach einigen Regentagen hinausgelockt auf die sonnigen Bergeshöhen, in die schattigen, grünüberwölbten Waldeshallen, wo nur selten durch das dichte Gezweig goldene Streiflichter den Durchgang fanden, in denen Tausende von Insekten summend schwärmten. Ohne Weg war ich zwischen den zerstreuten Felsen emporgestiegen, wo die gelbe Goldrute blüht und die purpurne Heide, und hatte die herrlich gelegenen Ruinen von Hohenbaden endlich erreicht. Diese verödeten Mauern haben einen eigenen Reiz und aus den Trümmern redet zu uns eine ereignisreiche Vergangenheit. Die Natur überkleidet das verfallene Gemäuer mit der üppigsten Vegetation, und ein grüner Schleier überdeckt den Graus der Zerstörung.
Lange war ich in den öden Hallen und Gemächern umhergewandelt, hatte Türme und Zinnen bestiegen und mich an der unvergleichlichen Aussicht geweidet; es zogen Bilder und Erinnerungen aus längst entschlafenen Zeiten hell und lebendig vor meiner Seele vorüber, und Sagen und Chronikbücher entfalteten ihren reichen Inhalt vor meinen Blicken. Schon war die Sonne untergegangen, und ich saß noch immer auf dem Steinsitze an einem der Fenster des Rittersaales und schaute hinaus in den milden Abend, hinab in das dämmerige Tal, ließ meine Blicke schweifen nach dem im letzten Abendschein glühenden Vogesus, oder zu den dunkeln Höhen des Schwarzwaldes, wo eben die Nachtnebel in den seltsamsten, abenteuerlichsten Gestaltungen und Formen aus Schluchten und Klüften aufstiegen und vor der Nachtluft dahinflogen. Da zog plötzlich das Wehen des Abendwindes durch die Saiten der Äolsharfen über meinem Haupte, wie unsichtbare Geisterstimmen hallend durch die stillen Mauern, zuerst in Harmonikatönen, dann in tieferen, langgehaltenen Akkorden, zuletzt mächtig dahinbrausend, wie Orgelklang vom hohen Chorgewölbe des Domes. Und seltsam verschmolz die geisterhafte Musik mit dem Säuseln des Westwindes und mit dem märchenhaften Rauschen in den Zweigen der hohen Buchen draußen, bis sie mich endlich einwiegten in süße Träume.
Als ich wieder daraus erwachte, vernahm ich noch immer Saitenakkorde; aber es waren nicht mehr die Klänge der Äolsharfen, es waren die Töne einer Laute. Doch welche Töne!
Tiefer, endloser Seelenschmerz, wie er quälender keine Menschenbrust zu zerreißen vermag, hallte aus ihnen wider; ohne Worte, doch in leichtverstandenen Weisen, klagten sie das Leid, das Weh eines gebrochenen, liebenden Herzens, dem ein hartes Geschick auch die letzte Blüte des Jugendlebens zerstört hatte, dem die Welt nichts mehr war als ein weites, freudenleeres Grab. Jetzt ertönte auch eine silberhelle Mädchenstimme. Doch nein! nein! es war keine Mädchenstimme: es war die Stimme eines himmlischen Engels, der sein bittres Herzweh ausströmte in sonst nie vernommenen Wunderklängen. Eine verlassene Waise betete in erhebenden Worten zur früh verklärten Mutter, sie rief im tiefsten Kummer zum verlorenen Vater; eine liebende Jungfrau wimmerte in seelenzerreißendem Jammer um den heißgeliebten Freund ihrer Jugend, den man mitleidlos von ihrer Seite gerissen und hinausgestoßen in die Welt, wo er umhergeirrt, bis der Wahnsinn sich seines Schmerzes erbarmte und ihn im tiefen Meeresgrunde sein Grab finden ließ. Das Ende des Gesanges war gefaßter; es sprach ruhige Ergebung aus in ein unabwendbares Geschick, und die bange Ahnung, daß ihrer noch Schwereres warten könne, wenn es dessen gäbe auf Erden.
Unbeweglich, mit verhaltenem Atem, hatte ich dem wundersamen Gesang gelauscht und spähte verwunderungsvoll nach der Sängerin umher. Indem ich aber so um mich blickte, gewahrte ich mit Beben eine seltsame Veränderung, die mit meiner Umgebung vorgegangen. Es waren nicht mehr die kahlen, zerfallenen Burgtrümmer, die mich umschlossen, es war nicht mehr der gestirnte Abendhimmel, unter dem ich saß; die alten Steinmauern hatten sich wunderbar verjüngt, und ich sah mich in einem geräumigen Saale, dessen ganze Ausstattung aus einer Zeit zu stammen schien, die längst entschwunden war im Strome der Jahrhunderte. Lange jedoch konnte ich meiner Verwunderung nicht nachhängen, denn aus der Fensternische neben mir schritt eine schlanke, zarte Mädchengestalt, die Laute im Arm, und als sich im Vorübergehen ihr Gesicht zu mir wandte – o Himmel! – da blendete mich fast der unendliche Liebreiz, der aus diesem zauberhaften Engelsantlitz mir entgegenstrahlte. Wohl war sie blaß, und tiefer Seelenschmerz sprach unverkennbar aus den sanften Himmelszügen, aber dennoch hatte das bittere Weh ihres Herzens die Rosen ihrer Wangen nicht gänzlich zu bleichen vermocht. In langen Ringellocken wallte das glänzende, blonde Seidenhaar über Schulter und Nacken, und die seidenen Wimpern beschatteten ein Augenpaar so strahlend blau, daß es den Schmelz der Viole beschämen konnte. Der Mund war so fein und zart, die Lippen so duftig, so rosig feucht, daß ein liebendes Wort, von ihnen gesprochen, jeden Erdenschmerz vergessen machen müßte. Im einfachen weißen Gewande schritt sie langsamen, majestätischen Ganges durch den Saal und dem Ausgange zu, der sie auch bald meinen Blicken entzog. Kaum aber war sie entschwunden, als es wie ein Blitz durch meine Seele zuckte, daß dieses Engelsbild niemand anders sein könne als Jakobea, die arme unglückliche Jakobea von Baden!
Wohl aber war die wunderliebliche Jakobea ein unglückliches Fürstenkind, unglücklich, wie es wenige gibt. Von der Wiege an verfolgte sie ein namenloses Mißgeschick. In frühester Jugend verlor sie ihre Mutter, bald darauf ihren Vater; unter Fremden ward sie erzogen. Der reine Liebesbund, den sie mit einem edlen, jungen Manne geknüpft, ward grausam und erbarmungslos getrennt, und die beiden sahen sich nie wieder. Starre, selbstsüchtige Konvenienz schmiedete sie an einen Gatten, dessen Schwester ihre unversöhnliche Feindin ward, und jetzt begann für sie eine Hölle auf Erden. Nicht leicht ward einem schwachen weiblichen Wesen aufgebürdet, was der armen Jakobea zu tragen bestimmt war. Der giftige Haß eines weiblichen Tigers, der sie unablässig und rastlos verfolgte, kannte keine Grenze. Ihr fleckenloser Wandel, ihre hohe Seelenreinheit, vermochten sie nicht gegen die verruchteste Bosheit und Arglist zu schützen, die sie zuletzt erbarmungslos dem Blutgerüst überlieferte, das sie mutig bestieg, denn der Gedanke hielt sie aufrecht, daß im Leben für sie nur Schmach sei, im Tod aber nur Ehre, und daß die ewige Vergelterin zuletzt alles mit strenger, gerechter Hand ausgleiche. Unter dem Beil des Henkers fiel ihr schuldloses Haupt, und aus des rosigen Blutes Dampf stieg die fleckenlose Seele zum Himmel empor.
Draußen aber auf dem Korridor ließen sich jetzt schwere Männerschritte mit Sporngeklirr vernehmen, die immer näher und näher ertönten. Jetzt trat rasch eine hohe, fast riesige Mannesgestalt durch die Eingangstüre, vom Kopf bis zu Füßen in Eisen verkappt. Ein geschlossener, von Reiherfedern überwogter Helm verhüllte das Haupt; ein schwerer Stahlpanzer umschloß die breite Brust, indes von den Hüften bis zu den Knien ein dichtes Eisengeflecht herabhing; durch ein ähnliches waren auch die Vorderarme geschützt, sowie Schulter und Nacken durch Schienen und Halsberge gedeckt. Das Zeichen des goldenen Vließes schmückte die Eisenbrust, und die Rechte hielt ein gewaltiges Schlachtschwert. So schritt der Gepanzerte vor bis in die Mitte des Gemaches, wo er stehen blieb und mit der schweren Eisenfaust das Visier aufschlug, daß jetzt darunter ein tiefgefurchtes, düster blickendes Greisenantlitz sichtbar ward, welches von schwarzen, stark mit grau untermischten Locken umschattet war. Hier warf er plötzlich den Stahlhandschuh zur Erde hin und rief mit einer Donnerstimme:
»Hört es alle, die ihr hier versammelt seid, Fürsten und Edle! Ich klage die Ritter Kunz von Altenburg und Wolf von Hohenrod des Frauenraubes an, und fordere sie zum Kampfe auf Leben und Tod. Weil ich, kaiserlichen Befehlen gehorsam, ihnen, die des Mordes und des Straßenraubes überwiesen, ihre Burgen gebrochen, und sie schwer für ihre Untaten gezüchtigt, haben sie aus freventlicher Rachsucht und mit heimtückischer List mir meine treue Hausfrau geraubt und halten sie in schmählicher Gefangenschaft. Wenn meine Anklage falsch ist, so möge mir der Allmächtige seine Barmherzigkeit versagen in meiner letzten Stunde, und ich im ritterlichen Kampfe unterliegen. Wohlan! wer wagt's von euch, ihr Schurken, zuerst mit mir in die Schranken zu treten! Du, Wolf von Hohenrod? Gib acht und wehr' dich deines Lebens!«
Mit diesen Worten erhob die kräftige Gestalt das gewaltige Schlachtschwert von riesiger Wucht, schwang es leicht wie eine Feder in raschen Kreisen um sein Haupt, und begann dann gewichtige Hiebe loszuschlagen wie auf einen bewaffneten Gegner. Da diese aber auf keinen Widerstand trafen, so durchsauste das Schwert nur zischend die Luft; der wilde Fechter schritt immer vorwärts und bald zertrümmerten seine Streiche da und dort ein Zimmergerät, daß es krachend und knatternd in Stücke ging. Noch heftiger schien dies seine Wut anzufachen, denn immer dichter und schwerer fielen seine Streiche, und durch die Helmritzen vernahm man dumpfe unverständliche Worte. Wild rannte er dabei im Saale umher von einer Ecke zur andern, daß klirrend die Fenster in Scherben zerstoben, und selbst vom Holzgetäfel des Saales schwere Späne umherflogen. Endlich schien seine Wut nachzulassen oder seine Kraft war gänzlich erschöpft; seine Arme sanken schlaff an seinen Seiten herab, und rasselnd fiel das Schwert zu Boden. Noch einmal rafft' er sich auf, riß mit beiden Händen sich den Stahlhelm vom Haupte herab und schleuderte ihn gegen einen Fensterpfeiler; seufzte dann stöhnend aus innerster Brust tief auf, und dröhnend im dumpfen Klange der Rüstung stürzte die Riesengestalt zusammen, lang ausgestreckt am Boden liegend, die bleichen, gefurchten Züge krampfhaft verzerrt.
Und wieder öffnete sich die Eingangstüre, und herein schritt die wunderliebliche Frauengestalt, deren zauberisches Antlitz vor wenig Augenblicken meine Bewunderung erregt, deren holder Gesang mein Ohr entzückt hatte, – und an ihrer Hand ein stattlicher Jüngling in blühender Jugendfülle. Ein ungewöhnlicher Ernst lag in seinen Zügen, aber sein Auge flammte in schwärmerischer Glut; um seine Schultern hing der Purpurmantel, und seine Brust zierte das rote Zeichen der Kreuzritter.
Langsam und leise näherten sich beide der hingestreckten Rittergestalt und knieten bei ihr nieder; dann falteten sie fromm die Hände zum brünstigen Gebet und ihre Augen hoben sich empor, als wollten ihre Blicke hinaufdringen, wo der Unsichtbare thront über den Sternen. Nach einer Weile stand der Jüngling wieder auf, näherte sich dem Haupt des Liegenden und drückte ihm sanft die starren Augen zu; die Jungfrau beugte das rosige Lockenhaupt nieder und hauchte einen leisen Kuß auf die bleiche Stirne. Da legte sich das krampfhaft verzogene Antlitz des Gewaffneten in milde Falten, und als jetzt ferner Chorgesang sich vernehmen ließ, überflog seine Züge ein verklärtes, seliges Lächeln. Deutlicher und lauter schallten die schauerlichen Töne des dumpfen Grabgesanges De profundis, und in den Saal trat in langer Reihe eine Schar weißgekleideter Mönche, die Häupter gänzlich verhüllt. In der Mitte des Saales hielten sie und öffneten den Kreis, wo denn alsbald eine Bahre sichtbar ward, die sie auf den Boden gesetzt hatten. Vier von ihnen traten zu dem Toten, hoben ihn auf die Bahre und diese auf ihre Schultern und schritten dem Ausgange zu. Auch die beiden Betenden hatten sich erhoben und traten den Trägern voran, während die übrigen Mönche folgten, und rasch war der ganze Zug geordnet und in Bewegung, worauf alsbald wieder ein ernster Grabgesang in langgehaltenen Tönen anhob, und als sie hinausschritten durch die Türe in die finstere Vorhalle, vernahm ich deutlich die Worte:
Ruhe sei dem Lebensmüden,
Dem von Leidenschaft durchglühten!
In des Paradieses Auen
Wird er klarer, heller schauen,
Wo sich wieder ihm vereinen
Die vorangegangnen Seinen.
Jetzt ward es mir mit einem Male klarer vor der Seele; ich erkannte die Bedeutung des Auftritts, von dem ich eben Zeuge gewesen, und unwillkürlich rief ich mit lauter Stimme:
»Ja, ja, dir sei Ruhe, süße, heilige Ruhe, du ritterlicher Held! du edler Sprössling mit dem liebeflammenden Herzen, dem nach einem tatenreichen, vielbewegten Leben der Schmerz beim Hinscheiden einer tugendsamen, heißgeliebten Gattin die Sinne verwirrte und Blitze des Wahnsinns das Gehirn durchzuckten, daß es nimmer helle ward vor deiner Seele, bis ihr das ewige Licht aufging. Drückte dir doch ein herrlicher Sproß deines Hauses die müden Augen zu, der einst in schöner, jugendlicher Begeisterung vom fürstlichen Throne herabstieg und den Wanderstab ergriff, um mit glühender Beredsamkeit das Kreuz zu predigen, die Siegespalme der Heiligen zu erringen, und hauchte dir die engelgleiche Jakobea, die vielgeprüfte Dulderin, den Kuß der Todesweihe auf die erkaltete Stirne!«
Aber seltsam hallte das Echo meiner Worte in dem öden Gemache von den kahlen Wänden und der hohen Decke wider, und allenthalben, in der Höhe und in der Tiefe, in meiner Nähe und draußen vor den Türen, in den Gängen und vor den Fenstern wurden wundersame Töne und Stimmen wach, zuerst leise, dann lauter und lauter, wilder und tobender; eine Windsbraut erhob sich draußen und pfeifend und heulend durchstrich der Sturm das alte Gebäude, daß es bebte in seinen Grundfesten, zuletzt aber sah ich den Boden des Saales bersten und durch die breite klaffende Spalte konnte der Blick hinabdringen in die unterirdischen Hallen, die sich unter der alten Burg weit hinziehen; hohe, mächtige Gewölbe von gewaltigen Steinpfeilern getragen und von einem seltsamen Lichte durchstrahlt. So weit aber auch das Auge reichte, glänzte ihm eine endlose Masse ungeheuern Reichtums entgegen, der hier aufgeschichtet ruhte. Berge von Gold und Silber lagen in ununterbrochener Reihe nebeneinander, abwechselnd aus gemünztem Golde, gediegenem Metall oder kostbarem Geschmeide bestehend. Dazwischen aber wandelte eine hohe, weiße Frauengestalt langsamen, feierlichen Schrittes einher. Bei der weiten Entfernung vermochte ich nichts zu unterscheiden als die Farbe ihrer Gewänder; doch sie kam näher und näher, und ich erblickte jetzt den langen, schwarzumsäumten Schleier, der von ihrem Haupte rückwärts herabwallte; jetzt die schleppenden Gewänder, jetzt den schweren Schlüsselbund an ihrer Seite, die schwarze Rose an ihrer Brust und die wunderlich geformte Rute in ihrer Hand. Endlich sah ich in ihr Antlitz, und mein Herz erstarrte bei dem unheimlichen Strahl dieser gräßlichen Augen, beim Anblick dieser entsetzlichen Züge, daß mir das Blut in den Adern zu Eis erstarrte. Nichts weniger waren sie als unschön, aber unbeweglich, starr, empfindungslos; eisige Kälte war der einzige Ausdruck darin, und diese mußte jedem menschlichen Wesen das Gebein durchschaudern bis ins innerste Mark.
Es war vor vielen, vielen Jahrhunderten, lange bevor die Markgrafen von Baden in den Besitz der Burg gekommen, da hauste auf Hohenbaden als Burgherrin Frau Berta aus dem uralten Geschlechte der Grafen von Rosenberg. Sie war von großer, wundersamer Schönheit, aber in ihrem Herzen lebte nur ein Gefühl, ihre Seele kannte nur eine Leidenschaft – einen unersättlichen Durst nach Gold und Schätzen; eine grenzenlose Habsucht, wie sie nur selten eines Menschen Sinn zu erfassen und ihn so in den Abgrund zu stürzen vermag. Die unselige Leidenschaft verblendete sie so, daß sie sich höllischen Künsten ergab, und mit Zaubergerte und Teufelsspuk vertrauter ward als mit Psalterbuch und Spindel. Ihr Gatte starb früh und hinterließ ihr zwei blühende Kinder. Aber der Gelddurst hatte im Herzen der Witwe alle Mutterliebe erstickt, und sie sah die lieben Kleinen nur mit neidischen Augen an, denn sie gedachte bei ihrem Anblick nur daran, wie bald die Zeit kommen werde, wo sie ihnen das Vatererbe abtreten müsse. Und schwarze, finstere Gedanken stiegen im Herzen der unnatürlichen Mutter auf, und je länger, desto vertrauter ward sie mit ihnen, und ihre bösen Künste reichten ihr die Mittel, sie ins Werk zu setzen. In schwarzer Mitternacht braute sie einen gräßlichen Höllentrank, und ihre Hand bebte nicht zurück, als sie ihn den schuldlosen Opfern ihrer Leidenschaft reichte. Beide hauchten in derselben Stunde ihren letzten Seufzer aus. In das Herz der Mörderin kam aber keine Reue; in schrecklicher Verstocktheit fuhr sie fort, ihrer Habsucht zu fröhnen und Schätze zu sammeln und aufzuhäufen, nicht achtend des Fluches, der daran klebte, nicht der Verwünschungen ihrer Untertanen, die sie drückte und plagte Tag und Nacht ohne Unterlaß. Aber auch ihr letztes Stündlein kam, und als sie erschien vor dem ewigen Richter im Dunkeln, ward ihren Sünden und Verbrechen ein furchtbarer Urteilsspruch. Es ward ihr aufgegeben, die Schätze und Reichtümer, die sie auf so gräßliche Weise zusammengebracht, und um derentwillen sie Gott und den Himmel verleugnet, ruhelos fort und fort zu hüten, bis sie gehoben würden von der reinen Hand einer unentweihten Jungfrau, die, geboren in der Christnacht, den ersten Schlaf ihres Lebens in einer Wiege getan, aus einem Ahorn gezimmert, dessen Zweige einst die Gräber eines Friedhofes beschatten würde; und einmal nur in jedem Jahrhundert war die Hebung gestattet.
Ja diese unselige Frau Berta, diese furchtbare Zauberin war es, der ich in das entsetzliche Antlitz sah, deren kalte stechende Blicke aus den Flammenaugen ich jetzt nicht länger zu ertragen vermochte. Ich wollte mich wegwenden von der nächtlichen Erscheinung, aber sie schwang ihre Zaubergerte in magischen Kreisen, und ihr Mund sprach unheimliche Zauberformeln, die mich festbannten – nein! die mich hinzogen zu ihr; immer kürzer ward der Zwischenraum, der mich von ihr trennte, schon fühlte ich das schauerliche Grabeswehen ihrer Nähe – da wich plötzlich der Boden unter meinen Füßen, und ich sank unaufhaltsam hinab in eine endlose Tiefe, bis ein ziemlich unsanfter Stoß mich – erweckte, und alles war nur ein Traum gewesen, dessen Lebhaftigkeit mich langsam von meinem Sitze auf den Boden herabgleiten hatte lassen, und die harten Steinplatten führten mich eben nicht sehr freundlich aus der Traumwelt in die Wirklichkeit zurück.
Als ich aufsah, strahlte der Nachthimmel über mir in tiefster Bläue mit seinen Myriaden flimmernder Sternenwelten, und des Mondes Silberlicht leuchtete mir den Weg hinab zu der Bäderstadt durch die Schatten des Waldes hindurch.
Hippolyt Schreiber.