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Fremersberg

Zu Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts lebten auf der Burg Rodeck zwei Freiherrn dieses Namens. Obgleich aus zwei Ehen ihres Vaters hervorgegangen, liebten sie einander doch so fest und aufrichtig, als ob die zärtlichen Arme einer Mutter sie der Welt entgegengetragen hätten. Beide waren, wie dies bei Stiefbrüdern selten der Fall zu sein pflegt, einander auffallend ähnlich; sie glichen dem Vater. Beide hatten die Mutter bei der Geburt verloren, und der düstere, nur zu oft zu unmäßiger Strenge aufsteigende Ernst, der sich des zweimal plötzlich verwitweten Vaters bemächtigt, mochte dazu beigetragen haben, die Brüder noch fester miteinander zu verbinden. Wenn aber das Äußere derselben so wenig verschieden war, daß ein oberflächlich blickendes Auge sie hätte verwechseln können, so lief doch ihre Gemütsart in abweichende Bahnen und begegnete sich nur in ihrer wechselseitigen Zuneigung und der Begeisterung für alles Gute und Schöne.

Adelbert, der Ältere, war ernst, schweigsam, fast schwermütig, der warme Strom seines Gefühls floß wie unter einem Schatten von Trauerweiden; während der nur zwei Jahre jüngere Gebhard das Herz auf der Lippe trug und vom Leben nur die Rosenfarben kannte und kennen wollte. Adelbert und Gebhard waren zusammen ausgewachsen und keiner wagte an Trennung zu denken; wie hätte auch der eine leben können ohne des anderen frohen Sinn, und dieser ohne des älteren Bruders beschwichtigenden Ernst, der ihn davor bewahrte, im brausenden Übermut der Jugend sich selbst zu verlieren! Aber das Gefühl, das nur vereinen sollte und doch zu häufig den Keim der Zwietracht säet, die Liebe, trat zwischen die jungen Brüderherzen. Sie sahen bei einem Feste eine junge adelige Fremde, die bei einer benachbarten Familie auf Besuch war, und in beiden entbrannte das Verlangen, sie als Gattin heimzuführen. Von Kindheit auf gewöhnt, jede Regung der Seele sich mitzuteilen, kannte bald jeder des anderen Geheimnis. Eine gewisse darauffolgende Entfremdung trat natürlich ein, doch dauerte sie nur kurze Zeit; freimütig kamen sie überein, ihr Geschick von der unbeschränkten Wahl des Fräuleins abhängig zu machen.

Gebhard war hiebei im Vorteil, denn sein heiterer Mut und seine angeborene Beredsamkeit gewannen ihm ohne Mühe die Schöne, deren Sinn leider oberflächlich und jedem neuen Eindrücke nur zu sehr zugänglich war.

»Sie liebt mich,« jubelte Gebhard, und setzte dann sogleich das unbedachte, frohlockende Wort, das dem anderen so viel Leid und Weh bereiten mußte, bereuend, leise hinzu: »Mein armer Adelbert!«

»Beklage mich nicht,« entgegnete dieser mit milder Trauer, »Gott hat entschieden. Empfange das Recht meiner Erstgeburt und mache Berta glücklich.«

Nach wenig Monden vermählte sich Gebhard, durch den Tod des Vaters und des Bruders Entsagung zugleich Herr von Rodeck geworden, und Adelbert errichtete eine Klause auf dem nicht fern liegenden Fremersberge. In der Strenge eines entbehrungsvollen Eremiterlebens suchte er zu verschmerzen, wenn er auch nicht vergessen konnte. Groß ist die Macht von Zeit und Umgebung; wohl legte sie anfangs nur eine kalte, herbe Asche auf die Glut sehnsuchtsvollen, quälenden Wehes, die des Armen Inneres durchwühlte, aber aus dieser Asche erwuchs ein Friede so ungestört und selig, wie ihn alle Erfüllung unserer weltlichen Wünsche nicht zu gewähren vermag. Das schwergeprüfte Herz erstarkte zu der Kraft, mit unirdischer Verehrung des Wesens zu gedenken, dessen irdischer Besitz ihm versagt geblieben; kein Treubruch an der Bruderliebe wurde damit begangen, wie jedes Auge sich zu einem fernen Sterne emporheben mag, ohne dessen reinen Glanz zu trüben. In seiner Erinnerung lebte Berta hold, unschuldig und vollkommen, das Ideal jeder Tugend, seiner Anbetung unverloren; nichts konnte sie ihm so entreißen. Auch war nach Ablauf weniger Jahre Adelbert der Glücklichere der Brüder. Gebhard erkannte seines schönen Weibes leichten Sinn, als es zu spät war; er hatte geglaubt, sein Eheglück auf Felsengrund erbaut zu haben und sah es in schlammige Untiefen versinken. Durch Bertas schnöde Untreue aus den Hallen seiner Väter vertrieben, suchte er Trost an des Bruders Brust. Adelbert fragte nur, ob Berta lebe, und als Gebhard mit düsterem Ausdruck bejahend das Haupt neigte, schwieg jener, denn er ahnte das Unheil, das er um des eigenen Friedens willen nicht mit Namen nennen hören wollte. Stumm, aber nur noch fester drückte er den beklagenswerten Mann an das treue Herz.

Von nun an lebten zwei Eremiten statt einem in der Klause des Fremersberges; die als Knaben und Jünglinge unzertrennbar gewesen, fanden als vom Schicksal getroffene Männer Trost in der Abgeschiedenheit ihres Beisammenseins. Jahre rauschten vorüber, der Schnee des Alters legte sich auf ihre Häupter und ihre Einsamkeit wurde nur unterbrochen, wenn ein verirrter Wanderer obdachsuchend bei ihnen einsprach oder ein armes leidendes Menschenherz den Balsam der Religion begehrte.

Um diese Zeit, etwa 1450, lag Markgraf Jakob von Baden fleißig dem Zeitvertreibe des Weidwerkes ob und da er ein raschblütiger, mutiger Herr war, so kümmerte er sich weniger darum, sein Gefolge stets in seiner unmittelbaren Nähe zu haben. Er spürte dem Wilde nach, wo es ihm beliebte und nicht, wo sein Oberjägermeister es für zweckmäßig hielt. Dafür mußte er es sich aber auch gefallen lassen, manchmal den rechten Weg zu verlieren und in der Irre herumsuchen zu müssen.

Einmal erging es ihm dabei schlimmer als je. Der Hirsch, dem er nachsetzte, hätte ebensogut ein verhextes Tier sein können, so unbegreiflich verschwand und wurde es wieder sichtbar; und wenn man den Gerüchten über all das Zauberwerk, von dem der Fremersberg einst der Schauplatz gewesen sein soll, Glauben schenken wollte, so mochte es wohl damit nicht ganz richtig zugegangen sein. Genug, der Markgraf setzte mit seinem Rosse über Felsblöcke, Hecken und Gräben, ohne den Hirsch zu erreichen, aber auch ohne auf einmal zu wissen, wo er sich befand. Die Dunkelheit brach ein und er hatte keine Ahnung, in welcher Richtung er sein Gefolge aufsuchen sollte. Irrlichter tanzten aus Sümpfen auf, knorrige Äste schlangen sich gnomenhaft vor ihm ineinander und sperrten den Weg; der kalte Nachtwind trieb Regengewölk zusammen und seine Rüden, die ihm auf dem unheimlichen Pfade Gesellschaft leisteten, bellten bald erschreckt, bald heulten sie kläglich, denn Tiere sehen mehr als Menschen und mancher tolle Hexenspuk mag an ihnen vorbeigegaukelt sein. Dem Markgrafen ward's doch bang ums Herz und ein kurzes, kräftiges Stoßgebet stieg von seinen Lippen zum umdüsterten Himmel auf. Da sah er plötzlich Fackelschein den Weg erhellen, von Hoffnung neu belebt, stieß er noch einmal laut ins Horn, und in der nächsten Sekunde gewahrte er zwei ehrwürdige Einsiedler neben sich.

Es waren die Brüder von Rodeck, die das Hundegebell und der Hörnerklang herbeigeführt hatten.

Sie leiteten den Verirrten in ihre Klause, erfrischten ihn mit einfacher Kost und kühlem Trank, so gut sie beides bieten konnten, gaben ihm ein reinliches Strohlager zur Nachtruhe, führten ihm am nächsten Morgen auf sein Verlangen das neugestärkte Roß vor und entließen ihn dann mit ihrem Segen.

Markgraf Jakob hatte sich nicht zu erkennen gegeben, aber Erfrischung und Ruhe hatten ihm behagt, wie nie an seiner fürstlichen Tafel und hinter den Damastgardinen seines weichen Bettes. Er vergaß auch nicht, wie mancher, der aus Gefahr errettet es tut, die ausgestandene Angst, sondern beschloß, ein Denkmal der Dankbarkeit für himmlischen und menschlichen Beistand zu stiften. An der Stelle der Einsiedelei ward auf seinen Befehl ein stattliches Kloster erbaut, welches die Regel des Franziskanerordens annahm. Adelbert und Gebhard wurden dessen erste Mönche. Es bestand bis um das Jahr 1800, zu welcher Zeit es aufgehoben wurde, nachdem die Brüderschaft ausgestorben war. Später wurde das Gebäude abgetragen. Das aus dem Material errichtete Gasthaus war noch lange, bis es in Privatbesitz überging, das Ruheziel der vielen, welche, namentlich von Baden-Baden aus, den südwestlich gelegenen Fremersberg seiner schönen Aussicht in das Rheintal wegen bestiegen.

Auf der Stelle, den einst der Hochaltar eingenommen, ließ der höchstselige Großherzog Leopold von Baden in fürstlicher Pietät ein steinernes Kreuz errichten, das nebst der Inschrift, die sein Entstehen bezeichnet, die Worte trägt:

»Der Verehrer der Sagenwelt möge hiebei der Brüder Rodeck gedenken, denen das Kreuz wie vielen, die gelitten, den von der Welt zerstörten Frieden wiedergab.«


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