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Wenn man einen Bewohner ferner, unzivilisierter, einsamer Gegenden plötzlich und unvorbereitet nach Baden-Baden versetzen und ihn dann fragen würde, an welchem Orte er sich zu befinden glaube, so könnte er wohl antworten: »Im Paradiese«; niemals aber möchte es ihm einfallen, zu vermuten, daß unter diesem schönen Himmel, auf diesem schimmernden Erdenfleck Siechtum und Schmerzen weilen und der Genesung entgegenseufzen. Baden-Baden trägt das Aussehen eines Tempels der Freude, um dessen Altäre sich Schönheit und Talent, Reichtum und Macht, Poesie und Prunk zusammenscharen, und seine wohltätigen Quellen scheinen mehr zum Vorwande zu dienen, als der Zweck des Aufenthalts der Badegäste zu sein. Wo das Auge sich hinwendet, lachen ihm Bilder der Fröhlichkeit und des Genusses entgegen, die den grauen Quälgeistern der Sorge und Trübsal in heiterem Übermut den Raum versperren. Es ist, wie wenn überall das Glück seine Zauberdecke ausgebreitet habe, und die Schatten, welche wohl darunter lagern mögen, bleiben dem geblendeten Blick meistens verborgen. Und wie schön ist die Natur Baden-Badens! Wie schön beim Frührot des Morgens, wenn in den Tälern sich luftige Nebelschleier weben, und die Bergspitzen umschlingen, bis Windhauch und Sonnenstrahl sie lösen und zerstreuen; wie schön in der Höhe des Tages, ob der Himmel in feurigem Blau sich wölbe oder gewitterschwere Wolkenmassen sich tief herniedersenken; wie viel schöner noch, wenn der Mond seinen ruhigen Glanz auf die Gegend ausgießt und der mächtigen, ernsten Ruine des alten Schlosses den Silbermantel umwirft, Fels, Wald und Tal in seinen liebenden Blick einhüllt und nur vor dem lauten Modegetriebe, das bei künstlichem Lichtschein sich entfaltet, scheu zurückweicht.
Dieser Reiz der Natur, kaum minder, als der Ruf der heilkräftigen, warmen Quellen Badens, hatte auch einst einen pfälzischen Kurfürsten, dem Rheuma und Gicht schon lange keine Ruhe mehr gelassen, in die gepriesene Badestadt geführt. Natürlich war dieselbe vor ein paar hundert Jahren noch nicht der Sammelplatz aller Erdenherrlichkeiten und die Gasthöfe, gering an Zahl, entbehrten des Luxus und der Verfeinerung, welche heute ihr umfangreiches Innere füllen. Mancher verwöhnte Reisende unserer Zeit würde große Augen machen, wollte man ihm eine Herberge zur Wohnung anweisen, wie diejenige war, in welche sich der sieche Kurfürst verbringen ließ, und doch galt dieselbe damals für das beste und bequemste Gasthaus, dessen sich Baden rühmen konnte. Die Glieder voll Schmerzen, den Geist gedrückt, grollerfüllt gegen die ganze Schar von Ärzten, die ihn gegen teures Honorar mit allen erdenklichen Kuren gepeinigt und doch nicht geheilt hatten, hielt der Kurfürst, in einer Sänfte getragen, seinen Einzug in das besagte Gasthaus. Nur wenige Diener begleiteten ihn, und, obschon er in gesunden Tagen einen fröhlichen, umgänglichen Sinn besessen, so war er durch langes Leiden so mürrisch gemacht, daß er niemanden um sich dulden wollte, als seinen alten Jägermeister, denselben, der den fürstlichen Knaben im Weidwerk unterwiesen, den Jüngling auf allen Streifereien begleitet und nun dem von Krankheit heimgesuchten Manne geraten hatte, einmal alle Apothekertränke zum Teufel zu schicken und die Medizin zu versuchen, die unser Herrgott klar und lustig aus der Erde sprudeln ließ.
Der behäbige Wirt des erwählten Gasthauses wollte vor Freude über den vornehmen Besuch schier aus der Haut fahren und machte bei der Begrüßung tiefere Bücklinge, als sein Leibesumfang es ihm je in seinem Leben gestattete. Er pries mit geläufiger Zunge die Annehmlichkeiten seines Hauses und stellte es dem Kurfürsten vom Giebel bis zum Keller und sich selbst mit Körper und Seele in den Kauf, zur Verfügung. Der hohe Ankömmling begnügte sich jedoch mit den Zimmern, die gerade frei waren und wollte nicht dulden, daß man irgend jemanden seinetwegen störe; er war nur eilig, die Kur zu beginnen.
Schon nächsten Tages unternahm er es, in dem Wasser der siedend aus der Erde entspringenden Quellen fleißig zu baden; dabei genoß er einfache und geregelte Mahlzeiten und ließ sich bei schönem Wetter in einer offenen Sänfte ins Freie tragen, die Weiche, erquickende Luft in vollen Zügen einzuatmen und das Auge an der Lieblichkeit der Gegend zu erfreuen. Diese Lebensweise bewirkte Wunder: schon nach Verlauf von kaum zwei Wochen kamen neue Kraft und Gelenkigkeit in die gelähmten Glieder, der Appetit stärkte sich, im Kopf wirbelte es wieder von lustigen Gedanken. Wie erschien dem Genesenden die Welt so ganz anders, als er, auf seines treuen Beraters Arme gestützt, zum erstenmal auf seinen eigenen Füßen einen Spaziergang machen konnte! Wie freute er sich, den Seinigen so gute Botschaft senden und für das Wohl seiner Untertanen mit erneuter Rührigkeit sorgen zu können! Denn wie willig auch der Geist sein möge, an der Maschine des Körpers darf nichts wackelig sein, wenn jener Rechtes vollbringen soll. Das wußte der Kurfürst, und da er ein dankbares, frommes Herz besaß, so faßte er, es dem Himmel zu vergelten, daß er Genesung gefunden, der guten Vorsätze gar viele, die auch, nebenbei gesagt, nicht bloß Vorsätze blieben.
Leutselig plauderte er wieder mit seinen Untergebenen und auch mit dem Wirte, obschon dieser sichtlich gewaltige Mühe hatte, seinen Mißmut darüber zu verbergen, daß sein fürstlicher Kostgänger so rasch gesundete und daher wohl nicht lange mehr bei ihm verweilen würde. Wenig ahnte es ihn, wie schnell er den einträglichen Gast verlieren sollte.
Eine laue, stille Sommernacht hatte sich zur Erde hinabgesenkt. Leise streute sie die Schlafkörner in die Augen der müden Sterblichen und brachte Freud und Leid zu gleicher Ruhe. Im Hause des dicken Gastwirts erloschen allmählich die Lichter und dieser legte sich, zufrieden mit der Einnahme des Tages, friedlich an die Seite seiner nicht minder beleibten, nicht minder alternden Gattin. Auch in den verschiedenen angrenzenden Zimmern ward's nach und nach still. In Numero drei hörte der liebekranke Dichter, dem's eine holde Grafentochter angetan, auf zu seufzen; in Numero vier schliefen die beiden jungen Schwestern über traulichem Geplauder von neuen Kleidern und neuen Eroberungen ein; in Numero fünf schnarchte schon längst deren alte Tante, die ihnen mütterlichen Schutz gewährte, und in Numero sechs, obgleich da zuletzt, verstummte die unharmonische Stimme einer schöneren Hälfte, mit der sie dem gottlosen Ehegespons in regelrechter Gardinenpredigt seine Sünden und Missetaten zu Gewissen geführt.
Auch der Kurfürst war gleich andern unfürstlichen Menschenkindern eingeschlafen, doch war er der erste, der wieder erwachte. Ein schwaches Morgengrauen stahl sich durch das offene Fenster, er wollte sehen, wie viel Uhr es sei und versuchte, sich sachte nach der andern Seite zu wenden. Aber o Wunder! unwillkürlich fuhr er rasch im Bett herum und wußte gar nicht, wie ihm geschah, da er nicht den geringsten Schmerz verspürt. Hatte er denn von Siechtum und Gebrechen nur geträumt? Um seiner Sache gewiß zu sein, stand er auf; noch immer empfand er das wohlige Behagen kraftvoller Gesundheit. Es fehlte nicht viel und er hätte eine Pirouette getanzt! Das tat er nun gerade nicht, aber ein anderer, kaum minder ausgelassener Gedanke kam ihm in den Sinn. Wie wär's, wenn er, der bei Sonnenschein in einer Sänfte angekommen, bei Sternenschimmer zu Pferde sich entfernte? Dem raschen Einfall folgte die rasche Tat. Er weckte den im Nebengemach schlafenden Diener, befahl ihm, das beste Pferd zu satteln und kleidete sich, während dieser Befehl ausgeführt ward, an.
Dem Wirte träumte eben von langen Rechnungen und blinkenden Goldstücken; da weckte ihn verworrenes Geräusch. Er machte die Augen auf und spitzte die Ohren – er glaubte Huftritte zu vernehmen. Dies klang verdächtig und hurtig kugelte er von seinem Lager, seiner getreuen Hälfte das Beispiel gebend.
Er öffnete das Fenster und was gewahrte er? Der Kurfürst stand bei seinem schmuck gezäumten und ungeduldig den Kopf aufwerfenden Rosse; mit einem Fuß war er im Bügel, bereit, sich hinaufzuschwingen. Bei dem Geräusch des sich öffnenden Fensters sah er auf und erblickte das verblüffte Gesicht seines Wirtes, das in der Schlafmütze sich nicht gerade reizender ausnahm.
Der Kurfürst winkte wie zum Abschiede mit der Hand und rief lachend:
»Wie bald reit' ich doch!«
Dann trabte er lustig durch das von dem Stallknecht hastig aufgerissene Tor.
Von diesem Ausruf des durch Badens Heilquellen so schnell von seinem Leiden Befreiten erhielt das noch heute bestehende Gasthaus »Zum Baldreit« seinen Namen. Dem Kurfürsten aber kann rühmlichst nachgesagt werden, daß er voll Freude über seine wunderbare Genesung willig die Rechnung bezahlte, die ihm der Wirt, um sich für den zu schnellen Verlust seines hohen Gastes zu entschädigen, mit doppelter Kreide ausgestellt hatte.