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Wie der Titel besagt, hat diese Schrift die Darstellung der ärztlichen Zimmergymnastik, d. i. die planmässige Anwendung der freien (ohne Gerät und Unterstützung, daher stets und überall ausführbaren) Gliederbewegung zur Aufgabe. Diese umfasst allerdings nicht das ganze Gebiet der ärztlichen Gymnastik überhaupt; denn für manche Zwecke derselben (z. B. die orthopädischen u. s. w.) sind so besondere Einrichtungen und Bedingungen (Gerätschaften, unausgesetzt unmittelbare ärztliche Leitung u. s. w.) erforderlich, dass sie eben nur in gymnastischen Kursälen möglich sind. Bei alledem liegt aber schon in der Zimmergymnastik so viel Modalität, dass sie bei weitem für die meisten ärztlichen Zwecke ausreichend ist und alle die bisher geschilderten allgemeinen gesundheitlichen Vorteile der Gymnastik vollständig in sich vereinigt. Bedenkt man nun, dass die Benutzung heilgymnastischer Anstalten aus vielerlei Gründen nur den wenigsten Hilfsbedürftigen möglich ist, dass dagegen die Zimmergymnastik. – mag sie nun im Zimmer, in einer Gartenlaube, an einem einsamen Plätzchen in der freien Natur oder sonstwo zu Hause oder auf Reisen vorgenommen werden – weder besonderer Einrichtungen und Gerätschaften, noch der Mitwirkung anderer Personen (wie die schwedische Heilgymnastik) bedarf, sondern unter allen Umständen ganz nach Willkür ausführbar ist, so wird man ihren Wert gewiss gebührend anerkennen. Übrigens gewährt sie auch für diejenigen, welche eine gymnastische Kur in Anstalten durchgeführt haben, in gewiss willkommener Weise die Möglichkeit zur Einrichtung einer entsprechenden Nachkur und zur weiteren Fortführung gewisser gymnastischer Massregeln.
Die summarische Tendenz dieser Schrift besteht also darin:
die für Heilung zahlloser Kränkeleien und Krankheiten, für Körperausbildung, Erhaltung der Gesundheit und Rüstigkeit bis ins hohe Alter anerkannt wichtige individualisierte Körperbewegung den Ärzten, Patienten, bewegungsarmen Personen, Eltern und Erziehern unter allen Umständen zugänglich, leicht verständlich und direkt benutzbar zu machen, kurz: einen jeden zum Bewusstsein der in ihm selbst liegenden Gesundheitsmittel zu bringen.
Um diese einfachen und natürlichen Bewegungsformen als Gesundheitsmittel fürs Leben zu gewinnen, ist es nötig, dass sie in einem abgerundeten Systeme übersichtlich zusammengestellt werden, und zwar eine jede Bewegung in ihrer wesentlichen physiologischen Bedeutung. So nur ist ihr praktischer Nutzen für alle Fälle gesichert, indem die Möglichkeit an die Hand gegeben ist, das für einzelne Zwecke Erforderliche aus dem allgemeinen Systeme auszuheben und planmässig den individuellen Verhältnissen anzupassen. Denn man erreicht sein Ziel nicht dadurch, dass man überhaupt irgend welche Bewegungen und in willkürlicher Weise macht, sondern es kommt darauf an, welche Bewegungen, in welcher Weise, in welcher Dauer und in welcher Häufigkeit man sie macht – kurz, auf die individuell richtige Art und Summe der Bewegung.
Es wird dieses System zunächst allen solchen chronischen Kranken willkommen sein, denen die ärztliche Vorschrift überhaupt körperliche Bewegung – bisher ein ganz unbestimmter, tausenderlei Verlegenheiten mit sich führender Begriff – zur Pflicht macht. So z. B. wird dadurch auch allen denjenigen, welche Trink- oder Badekuren – sei es zu Hause oder an Kurorten – gebrauchen, ein gewiss erwünschtes Mittel geboten, die zweckdienliche Körperbewegung in vollkommnerer, allseitiger, spezifisch angemessener und leichterer Weise, als dies ausserdem möglich, sich zu verschaffen. Bei allen solchen methodischen Kuren gehört bekanntlich eine entsprechende, regelmässige, oft auch eine kräftig durchgreifende Körperbewegung zu den wesentlichsten Heilbedingungen. Das bisherige, fast einzige Mittel, das Gehen, ist zwar ohne Zweifel nicht anders als heilsam zu nennen, besonders insofern es mit dem anhaltenden Genusse der freien Luft verbunden ist, und wo es in angenehmen, dem Auge und Gemüte Abwechselung und Erfrischung gewährenden Gegenden geschehen kann. Allein, nächstdem dass diese Bewegung an sich schon viel zu einseitig und daher für die zu ärztlichen Zwecken notwendige planmässige Besonderheit und Berechnung nur bedingt geeignet ist, wird sie überdies auch noch gar zu oft durch anhaltend unfreundliche Witterung oder auch zu grosse Hitze in ihrer Regelmässigkeit unterbrochen, oder ist den durch die Art ihres Leidens am Gehen behinderten Patienten unmöglich gemacht. Es bietet daher der gymnastische Weg für alle diese Fälle sicherlich das zuverlässigste Mittel, regelmässig und zwar auf die vollkommenste individuell entsprechende Weise dem Kurzwecke, insoweit er auf Körperbewegung beruht, nachzukommen. Ich meine daher, dass selbst auch alle diejenigen, welchen der körperliche Zustand und die äusseren Verhältnisse das methodische Gehen gestatten, wohl thun werden, dessenungeachtet eine gewisse gymnastische Aufgabe täglich zu erfüllen und dann immer noch so viel Zeit auf das einfache Gehen oder andere Bewegung zu verwenden, als ihrem Zustande irgend zuträglich ist. Es kommt noch dazu, dass gerade an Kurorten, wo doch in der Regel viel gleichartige Krankheitsfälle zusammentreffen, den Patienten die Gelegenheit leichter als irgendwo anders geboten ist, sich in zusammenpassenden gymnastischen Gruppen zu vereinigen, wodurch die Sache noch ein zweckdienliches geselliges und gemütlich ansprechendes Element erhält. Auch für die ärztliche Leitung solcher Kuren werden jene Schwierigkeiten und Verlegenheiten, welche eben daraus erwachsen, dass immer eine ununterbrochen regelmässige und dabei allen den verschiedenen Verhältnissen anzupassende Bewegung möglich gemacht werden soll, so auf die leichteste und entsprechendste Weise gehoben.
Um das dieser Schrift vorgesteckte Ziel so vollständig wie möglich zu erreichen, habe ich mich bestrebt, von den erdenklichen ärztlich-gymnastischen Bewegungsformen alle diejenigen übersichtlich zusammenzustellen, welche eben, unabhängig von Einrichtungen und Bedingungen, dem Zwecke entsprechend unter allen Umständen ausführbar sind. Die Bewegungen sind anatomisch-systematisch geordnet, erstrecken sich in ihrer Gesamtheit auf die gliederbewegenden Muskeln des ganzen Körpers und bilden somit die Grundformen, aus denen alle die tausenderlei Bewegungen des gewöhnlichen Lebens (die Zweckbewegungen) sich zusammensetzen. Durch dieses System wird jedermann in den Stand gesetzt, alle die wichtigen Vorteile für die Gesundheit mit leichter Mühe vereinigt, d. h. in allseitigem Umfange, zu gewinnen, welche den verschiedenen Gattungen der körperlich arbeitenden Menschenklasse vermöge ihrer Berufsthätigkeit zu gute kommen, und welche, obschon bei jeder einzelnen Berufsart den Bewegungen immer noch der Vorzug jener gymnastischen Allseitigkeit abgeht, doch schon genügend sind, um einen grossen Teil anderer, gesundheitsstörender Einflüsse, denen die arbeitende Klasse durch ihre sonstigen Lebensverhältnisse ausgesetzt ist, zu überwinden. Man kann sich auf andere Weise wohl dieselbe Summe ermüdender Bewegung, nicht aber eine ähnliche, allseitig den Körper durchbildende, alle Funktionen belebende Freiheit der Beweglichkeit und nicht die Erfüllung spezieller ärztlicher Zwecke verschaffen. Daher bieten diese Bewegungen zugleich als einen nicht unwillkommenen Nebengewinn einen höheren Grad körperlicher Ausbildung, Geschmeidigkeit, Kraft, Gewandtheit und Ausdauer für gewöhnliche praktische Zwecke (mithin auch die wesentliche Grundlage für jede andere Gymnastik, für militärische Ausbildung, rationelle Tanzkunst u. s. w.) und bei beharrlicher Fortsetzung zuverlässig eine längere Erhaltung der körperlichen Rüstigkeit bis hinauf zu den höchsten Altersstufen. Jene ganze rückgängige Veränderung, die man das Altern nennt, wird dadurch hinausgerückt, die Vollkraft der organischen Verjüngung, mithin das Leben auf seiner Höhe möglichst lange erhalten. Die systematische Zimmergymnastik ist, vermöge ihrer überall möglichen Ausführbarkeit und Anpasslichkeit, das geeignetste Mittel, um jene unentbehrliche Harmonie des höheren Kulturlebens (vgl. S. 4) herzustellen, und ist daher durch keine andere der gewöhnlichen Bewegungsarten vollständig zu ersetzen. Deshalb ist sie auch selbst denen, welchen es nicht an der nötigen Summe täglicher Bewegung fehlt, immer noch (in etwas verringertem Massstabe) zu empfehlen, damit die volle Freiheit einer allseitigen Gliederbewegung, der volle naturgemässe Bewegungsumfang aller einzelnen Glieder, auf die Dauer erhalten werde. Wie wichtig diese Allseitigkeit und das dadurch entwickelte Muskelbewusstsein nicht nur für praktische Lebenszwecke, sondern auch als Gewinn an Vollkraft, Rüstigkeit und Lebensdauer ist, wird wohl erst in Zukunft allgemeiner erkannt werden.
Es muss im allgemeinen als ratsam erachtet werden, dass überall da, wo spezielle Heilzwecke auf gymnastischem Wege erzielt werden sollen, eine vorherige Besprechung mit dem behandelnden Arzte über die Auswahl und die etwaigen individuellen Modifikationen der Bewegungen stattfindet und von Zeit zu Zeit wiederholt wird. Die gegenwärtige Schrift soll daher zunächst dem Arzte ein passendes Mittel zur diesfälligen Verständigung mit seinem Patienten, dem letzteren den nötigen sicheren Anhalt für die richtige Ausführung der Verordnungen bieten. Übrigens ist bei Abfassung und Einrichtung derselben soviel wie möglich darauf Rücksicht genommen, dass schon summarische Andeutungen von Seiten des Arztes genügen, um jeden mit dem individuell passendsten Wege leicht vertraut zu machen. Da, wo nicht gerade ein bestimmt ausgesprochener spezieller Heilzweck, sondern nur ein vorbeugender, allgemeiner Gesundheitszweck vorliegt (hygienische Gymnastik), und wo nicht Ausnahmsverhältnisse (wie örtliche organische Gebrechen u. dergl.) obwalten, wird es nicht einmal einer weiteren ärztlichen Anleitung bedürfen. Vermittelst dieser schriftlichen Anleitung wird jedem, selbst dem bedrängtesten Geschäftsmanne – der (wie die Stubengelehrten, Bureaubeamten, Kontoristen und alle mit bewegungsloser Berufsthätigkeit) in der Regel einer derartigen Lebensanfrischung am nötigsten bedarf – Gelegenheit geboten, dem Bedürfnisse körperlicher Bewegung zu entsprechen. Und es geschieht dies, wenn täglich nur ein- oder zweimal ein Viertel- bis höchstens ein halbes Stündchen auf methodische Gymnastik verwendet wird, schon in vollständigerer Weise, als durch täglich mehrstündiges Spazierengehen. Am unentbehrlichsten dürfte daher die Zimmergymnastik allen bewegungsarmen Personen während der ganzen unfreundlichen Jahreszeit sein, wo sich eben durch die anhaltende Bewegungslosigkeit so vielfache Krankheitskeime im Organismus aufzuspeichern pflegen, die dann früher oder später zu ausgebildeten Krankheiten heranwuchern. Selbst der Unglückliche, dem durch Lähmung oder Verlust einzelner Gliedmassen oder durch Blindheit die Möglichkeit geraubt ist, sich die für seine allgemeine Gesundheit so notwendige gewöhnliche Bewegung zu schaffen, wird – wenn er auch auf seinen Sitz oder sein Lager gebannt ist – darin ein Mittel finden, mit seinen beweglich gebliebenen Gliedmassen die eben noch ausführbaren Bewegungen zu vollbringen und so die Nachteile gänzlicher Bewegungslosigkeit von sich fern zu halten. S. am Schlusse dieser Schrift: Verzeichnis No. 11. Dasselbe ist der Fall überhaupt bei allen, die durch körperliche oder sonstige Verhältnisse an das Zimmer gefesselt sind, den Mangel der Bewegung aber zu ihrem grössten Nachteile empfinden. Wie viele Tausende giebt es in der Frauenwelt der höheren Stände, die, ohne vielleicht ernstlich krank zu sein, doch fast immer siechen und kränkeln, die aber gesund sein würden, wenn sie regelmässige und entsprechende Bewegung sich verschaffen könnten. Die Hausärzte dringen zwar auf Bewegung, allein immer und immer wieder scheitert selbst der beste Wille an den tausenderlei, meist wirklich unbesiegbaren Hindernissen, die sich einer konsequenten Ausführung der derartigen, bisher allenfalls ergreifbaren Massregeln hier noch zahlreicher entgegenstellen, als in der Männerwelt,
Für alle diese Fälle einem allgemein vorhandenen Bedürfnisse abzuhelfen ist der Zweck dieser Schrift und ihr Plan möglichst darauf berechnet.
Zur möglichsten Erleichterung des Verständnisses, sowohl für Arzt als Patienten, ist der Beschreibung jeder einzelnen Bewegungsform die Andeutung der wesentlichsten speziellen Heilwirkung und Anwendung hinzugefügt. Es wird dies genügen, um bei der individualisierenden Bestimmung des Verfahrens in jedem einzelnen Falle einen sicheren Anhalt zu gewähren.