Johann Gottfried Schnabel
Der im Irrgarten der Liebe herumtaumelnde Kavalier
Johann Gottfried Schnabel

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Ungefähr um elf Uhr erschien also die Frau Wachtmeisterin, mit einem Mantel bedeckt. Der Quartiermeister retirierte sich also fort, weswegen sie den Mantel abwarf, Elbenstein umarmte und küßte, hernach, als eine geborene Wallonin, in französischer Sprache sagte:

»Mein Herr Leutnant, ich bemerke, daß es Ihnen an kleinem Geld fehlt, hier bringe ich Ihnen zehn Taler Kleingeld in einem Beutel, freie Zehrung an Speisen und Wein sollen Sie außerdem alle Tage bei mir haben, hierfür bitte mir aber nur Dero genaueste Freundschaft und Liebe aus; denn ich kann nicht leugnen, daß mich auf der Welt nach nichts mehr als nach einem jungen Erben verlangt, welchen ich, wegen der heftigen Liebe, so ich auf Sie geworfen, von niemandem eher als von Ihnen zu erhalten verhoffe.«

Elbenstein war froh, daß er dem Quartiermeister vor seinem Zelt zu warten befohlen; denn durch dieser wohlgebildeten Frau spirituellen Liebesantrag und herzhaften Expressiones, auch durch die negligente, zur Liebe reizende Tracht, in welcher sie vor ihm erschien, wurde er dergestalt konsterniert, daß es, wenn er nicht an die Verabredung mit dem Quartiermeister gedacht, gefährlich um die Haltung seines Gelübdes gehalten haben würde. Solchergestalt aber sagte er zu ihr:

»Madame! Ich bin niemals gewohnt gewesen, unerkenntlich gegen diejenigen zu sein, so Freundschaft für mich hegen, geschweige denn gegen so ein charmantes Frauenzimmer, als Sie sind. Allein, ich bedaure, daß ich mich nicht imstande befinde, Ihrem Verlangen ein Genügen zu leisten, denn da ich mich vor zwei Jahren mit einer gewissen Baronesse verlobt, habe ich ihr, bevor ich in Campagne ging, vermittels der allerteuersten Eidschwüre die Versicherung geben müssen, in meiner Treue und Liebe nicht wandelbar zu sein; deswegen müßte ich die allerschwersten Strafen des Himmels befürchten, wenn ich solche teuren Schwüre leichtsinnigerweise bräche.«

Die Frau Wachtmeisterin wollte zwar hierwider verschiedene Exceptiones machen, da sich aber Elbenstein stellte, als ob ihm unter währendem Trinken etliche Tropfen in die unrechte Kehle gekommen wären, und er dieselben wieder aushusten müßte, kam bald hernach der Quartiermeister, pochte vor dem Zelt, und da ihn Elbenstein hereintreten hieß, rapportierte er folgendes:

»Mein Herr Leutnant, diesen Augenblick läßt der Korporal von N. Kompanie zur Nachricht melden, daß zwei von unseren Leuten, welche vergangene Nacht mit auf Partie gegangen, zurückgeblieben; er wisse aber nicht, ob sie desertiert oder gefangen wären.«

Elbenstein ließ den Quartiermeister ins Zelt kommen und hieß ihn warten, weil er diesenfalls noch weiter mit ihm zu sprechen hätte.

Die Frau Wachtmeisterin vermeinte zwar, es würde dieser bald wieder fortgeschickt werden, da es aber nicht geschah, wurde sie endlich verdrießlich und sagte:

»Nun, mein Herr Leutnant, Sie werden, weil Sie heute mehr zu tun haben, das Geld wohl morgen früh nachzählen, meines Wissens ist es richtig.«

»Nein! Madame!« versetzte Elbenstein, »erweisen Sie mir die Gefälligkeit und nehmen dieses Geld wieder zurück bis morgen nach der Mittagsmahlzeit, die ich bei Ihnen einnehmen werde, sodann wird es sich besser als bei Licht zählen lassen.«

Mit diesem Bescheid mußte sich die lüsterne Frau Wachtmeisterin abfertigen lassen und mit größtem Mißvergnügen nach ihrem Marketenderzelte zurückkehren, in Hoffnung, ihm mit der Zeit den Rummel dennoch zu benehmen und ihr verliebtes Dessin auszuführen.

Hingegen dankte Elbenstein, als er sich vollends recht besann, daß er dieser Versuchung so glücklich entgangen war. Der Quartiermeister erzählte hierauf, daß diese Frau, welche ihren Mann, den Wachtmeister, nunmehr erst vier Jahre hätte, sich in den ersten zwei bis drei Jahren sehr retirée gehalten, so daß man an ihr nicht die geringsten Ausschweifungen verspürt; nachdem ihr aber die Grillen in den Kopf gekommen sein möchten, wie sie einen Mann habe, der ihr nicht einmal ein Kleines fabrizieren könne, wäre sie auf den Gedanken geraten, sich nicht allein an ein und anderen wohlaussehenden Offizieren, sondern auch sogar an verschiedene gemeine Reiter, und zwar bald an diesen bald an jenen, zu attachieren; wie man aber sähe, wollte dennoch nichts fruchten.

Da nun Elbenstein und der Quartiermeister noch Verschiedenes von dieser Begebenheit gesprochen hatten, stellte sich endlich der erste schläfrig an, der andere nahm gute Nacht und begab sich nach seinem Gezelt.

Ob sich nun Elbenstein auch sogleich zu Bett legte, so wollte doch kein Schlaf in seine Augen kommen; deswegen verdroß ihn, sich vergeblicherweise im Bett herumzuwälzen, stand also auf, nahm sein Schreibzeug und brachte folgende Arie zu Papier:

1.
        Auf, mein Geist, sei wohlgemut,
Wenn Begierden stürmen,
Laß nicht ab, dein Fleisch und Blut
Tapfer zu beschirmen;
Halte dich
Ritterlich,
Laß nicht ab zu kämpfen,
Du wirst sie noch dämpfen.
2.
Laß die Sinne leblos sein,
Fühle ohne Fühlen,
Schließ die geilen Lippen ein,
Vor der Küsse Spielen;
Das Gesicht
Sehe nicht,
Wenn ein schnödes Blicken
Unschuld will bestricken.
3.
Laß die Ohren abgekehrt
Vom Sirenensingen,
Weil, sobald man sie gehört,
Sie uns bald verschlingen;
Ihr Getön,
Klinget schön,
Doch in einer Stunde
Geht man gleich zugrunde.
4.
Ach! Ihr Sinnen, regt euch nicht,
Sonst müßt ich verlieren!
Der Begierden Irrwischlicht
Pflegt nur zu verführen,
Und ihr Glanz
Kann mich ganz
Als ein Blitz verblenden.
Und in Abgrund senden.
5.
Frisch, mein Geist! Dein tapfrer Mut
Hat nun doch gesieget.
Schau, wie lasterlüste Wut
Ganz darniederlieget.
Du hast dich
Ritterlich
Gegen sie verhalten,
Wollust muß erkalten.

Der zweiten Falle, so ihm der Asmodaeus oder der Geist der Unzucht und Hurenteufel gestellt, entging er durch Gottes Gnade folgendermaßen:

Er hatte etliche Tage nach der Aventure mit der Marketenderin den Feldprediger auf sein Ansuchen wegen gewisser Umständen zu seinem Zeltkameraden angenommen und dessen Feldbett neben das seinige schlagen lassen. Nun trug es sich zu, daß besagter Feldprediger zu einem anderen Regiment, um einen Delinquenten zu einem christlichen und seligen Ende zu präparieren, gerufen wurde, weil der Feldprediger des anderen Regiments krank darniederlag, welches dieser auch gern und willig über sich nahm und fortging.

Es mochte aber frühmorgens, etwa um vier Uhr sein, als ein sehr artig angekleidetes Weibsbild zu Elbenstein in das Zelt trat und bat, ihr etwas von ihren guten und delikaten Likören und Konfitüren abzukaufen. Sie erwartete keine Antwort, sondern setzte sich recht frech und ungescheut zu ihm aufs Bett, präsentierte ihm ein Gläschen Persico nebst einem Schälchen voll Konfekt.

Elbenstein, um nicht für einen Schrupper oder kargen Filz angesehen zu werden, akzeptierte solches und trank es aus. Mittlerweile setzte sich das Frauenzimmer zu ihm aufs Bett, reichte ihm noch zwei Gläser und unterstand sich nachher, ihm an demjenigen Ort den Puls zu begreifen, wo derselbe bei Sanguineis am stärksten zu schlagen pflegt, anderer Karessen durch Küsse und dergleichen zu schweigen.

Indem nun dieses eine Person, die nicht schöner hätte gemalt werden können, weil sie von der Natur nicht nur wohl, sondern noch mehr als wohl gebildet worden, so wachten bei Elbenstein sonderlich wegen des eingeschluckten Persico die Lebensgeister (oder besser zu sagen die Hurengedanken) auf einmal wieder auf, und es war an dem, daß der arme Elbenstein in die vom Asmodaeo neu gelegte Schlinge verfallen sollte; denn diese Lais oder Sklavin der Unzucht hatte bereits das Körbchen, worin sie ihre Waren hatte, beiseite gesetzt und war eben im Begriff, sich mit entblößtem Unterleibe zu Elbenstein ins Bett zu legen, als sich von fern des zurückkommenden Feldpredigers Stimme hören ließ, welcher aus dem bekannten Lied »Wer weiß, wie nahe mir mein Ende« eben den Vers anstimmte: »Herr! lehr mich stets, mein End' bedenken.«

Hierdurch wurde die unzüchtige und verdammliche Vollziehung des schändlichen Dessins, wozu schon beider Wille geneigt und bereit war, auf einmal plötzlich unterbrochen; daher die geile Kanaille ihre Waren eiligst auffaßte, jedoch nicht so hurtig fortwischen konnte, daß sie der Feldprediger nicht hätte aus des Leutnants Zelt kommen sehen.

Es bot derselbe zwar Elbenstein einen guten Morgen, fragte aber auch zugleich mit einem sehr ernsthaften Gesicht, was denn die Erzhure, die Regimentshenkerin bei ihm im Gezelte gemacht hätte; Elbenstein erschrak ungemein, als er den Charakter dieser Schönen erfuhr, war aber so aufrichtig und bekannte dem Feldprediger alles haarklein. Worauf der Feldprediger sagte:

»Gott Lob und Dank, daß ich noch zu rechter Zeit die Vollbringung solcher Schandtat verhindert habe, allein, dem allen ohngeachtet, mein werter Herr Leutnant, hat Er doch den langmütigen Gott mit Seinem unzüchtigen Willen und Begierden vorsätzlicherweise beleidigt und sich wider seine Gebote schwerlich versündigt. Ach, Er bereue demnach seine Sünden herzlich und schmerzlich und danke daneben der unermeßlichen göttlichen Barmherzigkeit für die unverdiente Gnade, die Ihn vor dem wirklichen Fall so treulich behütet hat, wofür ich selbst dem allmächtigen Gott, der den Tod des Sünders nicht begehrt, inbrünstigen und demütigsten Dank abstatte, daß er mich, seinen armen und geringsten Diener, gewürdigt hat, ein Instrument zu sein, welches diese Schandtat verhindert hat.« Elbenstein gingen solchergestalt die Augen über, der Feldprediger aber, nachdem er seine Reue als das erste Stück der Buße bemerkt, tröstete und stärkte ihn ferner zur ernstlichen Buße und Bekehrung, prägte ihm den wahren Glauben ein, wodurch er allein die Vergebung seiner groben Sünden erlangen könnte, hierauf betete er ihm ein kräftiges Gebet aus dem Herzen und legte sich hernach, weil er die ganze Nacht gewacht, zur Ruhe, indem die Exekution erst auf den folgenden Tag angesetzt war.

Elbenstein aber stand, sobald sich die Sonne blicken ließ, auf und spazierte in eine hinter dem Lager befindliche dünne, jedoch sehr angenehme Böschung, wo er die bei sich habende Bibel aufschlug und sogleich die Flucht Lots aus Sodom in die Augen bekam.

Diese Geschichte und was ihm vor wenigen Stunden passiert war, vereinigte er miteinander, und er hatte seine Spekulationen und Meditationen darüber; endlich schrieb er folgende Strophen in seine Schreibtafel, welche eine Arie oder Ode bedeuten sollen.

Man hat selbige, bona fide, bloß wegen einiger guten Pensées die Stelle an diesem gehörigen Orte eben nicht streitigmachen wollen, ungeachtet gar sehr wider die reine Poesie darin gestrauchelt ist. Sie lauten aber also:

1.
              Eile meine Seele, eil
Aus dem Sodom schnöder Lüste,
Sonsten findest du kein Heil
Oder Mittel, das dich friste
Vor dem ewig herben Tod,
Den Dir Gottes Zorn androht.
2.
In Buß, Reu und Glauben lauf!
Schau, was für ein schrecklichs Wetter
Über dich sich türmet auf;
Eile, hier ist kein Erretter,
Dein Verweil'n und Stillestehn,
Macht dich sonst zugrunde gehn.
3.
Aber sieh, daß deine Flucht
Sich'rer mög' als Lots geschehen:
Wer auf Erden Rettung sucht
Kann dem Falle nicht entgehen;
Und ein geiler Stärkungstrank
Macht die Seele sterbekrank.
4.
Ich weiß beßre Sicherheit
Für dich, o du arme Seele!
Christus hält für dich bereit
Seiner heil'gen Wunden Höhle.
Da wird dir sein Blut ein Wein,
Der dich ewig stärket fein.
5.
Lauf hin mit getrostem Mut,
Meid ein sündliches Umsehen;
Dieser Erden Pracht und Glut
Muß in Dampf und Glut aufgehen:
Wer zu Christi Schutz sich hält
Acht' kein Zoar dieser Welt.

Es ist unstreitig, daß die Poesie nicht viel taugt, unterdessen aber sind doch die Gedanken gut gewesen; er ging auch in seiner Andacht weiter und genoß des anderen Tags darauf, nach herzlicher und bußfertiger Bereuung seiner vielen und schweren Sünden das heilige Abendmahl.

Sobald aber die Armee in die Winterquartiere einrückte, reiste er heraus nach U., ließ sich daselbst, wie schon gedacht, mit seiner liebsten Baronne von L.* ordentlich kopulieren, von da führte er sie nach Hause zu seinen Eltern, woselbst er bis Fastnacht mit ihr verblieb.

Als aber die Zeit zum Marsch herbeikam, nahm er von seiner liebsten, nunmehr schwangeren Gemahlin Abschied, welcher denn auf allen Seiten traurig und betrübt genug war, jedoch die Renommée instigierte ihn, sich nicht länger aufzuhalten, zumal da ihm sein Obristleutnant, dessen Kompanie er kommandierte, durch einen Expressen Ordre zusendet, daß er nicht säumen sollte, sich auf seinem Platz zu finden, weil allem Vermuten nach, wie es denn auch geschah, die Kompanie frühzeitiger als sonst würde eröffnet werden, zumal da Seine Majestät von Großbritannien derselben dieses Jahr in eigener, hoher Person beiwohnen würden.

Demnach erfolgte sein Aufbruch unter vielen Tränen, er aber mußte Tag und Nacht par posto, zuweilen fahrend, zuweilen auch reitend gehen, bis er das bereits abmarschierte Regiment, wozu er gehörte, endlich einholte und bei Löwen antraf.

In dieser Campagne bekam der Marquis de Cronvall wegen vorgehabten Meuchelmordes an höchstgedachtem König von England seinen verdienten Lohn, indem derselbige, nicht weit von Notre Dame de Lambeck, bei der spanischen Artillerie gevierteilt wurde.

Nach diesem folgte den 3. August selbigen Jahres das hitzige Treffen bei Steenkirchen zwischen dem König Wilhelm und dem französischen Marschall von Luxemburg (den, woran man doch aus christlicher Liebe zweifelt, der Teufel geholt haben soll).

Sichere Nachrichten meldeten damals, daß auf beiden Seiten zweiundzwanzigtausend Mann geblieben; der Spion aber, welcher das Dessein der Alliierten, nämlich das französische Lager zu attachieren, dem General Duc de Luxemburg verraten, ward gleich den Tag nach dieser unglücklichen Aktion, ohne viele Weitläufigkeiten früh um fünf Uhr an einen Baum geknüpft.

Nach diesen ging die holländische Armee in Flandern, wo sie solange stehenblieb, bis man die Winterquartiere reguliert hatte. Weil nun das Regiment, bei welchem Elbenstein Leutnant war, wiederum an den Rheinstrom marschieren sollte, auch die Armee bereits zu kantonieren begann, so bekam er Urlaub, voraus und sodann nach seiner Heimat zu reisen, wo er zu Ende des Oktobers anlangte.

Anstatt aber seine herzallerliebste Gemahlin gesund und vergnügt zu embrassieren, mußte er bei seiner Heimkunft die betrübte und höchstschmerzliche Nachricht hören, daß schon im verwichenen August Mutter und Kind das Zeitliche mit dem Ewigen verwechselt hätten, und zwar das Kind vierzehn Tage eher als die Mutter.

Nunmehr kam Elbenstein erst in den Kopf, daß es seiner Sünden Schuld wäre, einen so kostbaren Schatz eingebüßt zu haben, deswegen sank er, noch ehe er seines Herrn Vaters Haus erreichen konnte, in eine Ohnmacht, mußte also hineingetragen werden.

Er blieb über zwei Stunden in solchem gefährlichen Zustand, sobald er sich aber wieder besann, beklagte er mit bitteren Tränen und ängstlichem Händeringen seinen schmerzlichen Verlust, ließ sich auch nachher den Gram, Kummer und Traurigkeit dergestalt einnehmen, daß an seiner Wiederaufkunft billig zu zweifeln war.

Demnach sahen sich seine Eltern gemüßigt, etliche wohlgeübte und exemplarische Geistliche herbeizurufen, welche dem trostlosen Elbenstein aus Gottes Wort zusprachen und zugleich vorstellten, daß durch eine solche heidnische Traurigkeit der Allmächtige zum höchsten beleidigt würde. Alldieweil er nun ein Mensch war, der sowohl in geistlichen als politischen Schriften wohlerfahren, so geschah es, daß, da er Wudrians Kreuzschule zu lesen bekam, er sich allmählich in Gottes unerforschlichen Willen zu schicken und sich demselben in rechtschaffener Christen geziemender Geduld gänzlich zu ergeben lernte.

Er wollte zwar wieder zum Regiment und dem Kriege weiter nachfolgen, allein, seine Eltern (und sonderlich der Vater) lagen ihm sehr an und stellten vor, wie er diese Krankheit, einen Morbum Chronicum, der Medicorum Urteil nach nicht würde überstehen und der Gebrauch aller Medikamente bloß eine Cura palliativa wäre; er, der Älteste, müßte nach seinem tödlichen Hintritt sich nicht allein der hinterlassenen Güter, sondern auch der alten, schwachen Mutter und des jüngeren Bruders annehmen, und weil er den mittelsten Sohn als Kapitän in Ungarn eingebüßt, so würde er wenig Segen haben, wenn er wider der Eltern Willen die Kriegsdienste kontinuieren wollte, und was dergleichen mehr war.

Wie nun einer seiner Vettern, der Obristleutnant war, mit einstimmte, mußte endlich der unglückliche Elbenstein versprechen, die Kriegsdienste zu quittieren, doch ward ihm freigelassen, sich in der Nähe an einem fürstlichen Hofe zu engagieren, da es sich dann einige Wochen hernach fügte, daß ihm sein Vetter, der Baron von W.*, schrieb, was maßen er einige Zeit daher bei der Herzogin von N. N.* als Kammerjunker in Diensten gestanden, nunmehr aber in anderweitige Bestallung als Hofmeister bei dem Herzog zu N.* gelangen würde. Weil er nun seiner gnädigsten Herzogin versprochen, einen anderen Kavalier an seine Stelle zu schaffen, welchen sie sowohl in Verschickungen als in ihren anderen Angelegenheiten wohl gebrauchen könnte, so hätte er den von Elbenstein vorgeschlagen, welchen Vorschlag sich auch Ihro Durchlaucht gnädigst gefallen lassen und ihm Befehl erteilt hätte, an ihn zu schreiben, daß er sich ehestens zu P. einfinden und seine Station antreten sollte.

In Erwägung nun, daß er nicht gar so weit von seinen Eltern käme und alle Woche von ihrem Zustand Nachricht erhalten könnte, akzeptierte er mit derselben Bewilligung diese Funktion, schrieb auch sogleich an den Baron von W.* wieder zurück, daß er erst bei der ihm anvertrauten Stabskompanie abdanken, nachher aber, aufs längste in vierzehn Tagen oder drei Wochen sich bei Ihro Hochfürstlichen Durchlaucht untertänigst einfinden wollte.

Es trachteten zwar seine anderen Freunde, zweifelsohne auf Veranlassung seiner Eltern, ihn zu einer anderweitigen Heirat zu persuadieren; allein, die Wunde wegen des Verlusts seiner so lieb gewesenen Gemahlin war noch zu frisch, weswegen sie, da sie sahen, daß sie ihn mit dergleichen Vorträgen nur bekümmerten, endlich davon stillschwiegen.

Nachdem er nun seinen Abschied vom Regiment, und zwar zum großen Verdruß seines Obristleutnants, welcher ihn ungern verlor, bekommen hatte, versäumte er keine Zeit, sondern ging par posto nach P. Er langte daselbst glücklich an und ward sowohl von der durchlauchten Herzogin als Dero Frau Mutter wegen seiner ihnen anständigen Gestalt und Konduite sehr gnädig empfangen, zumal sie ihm nicht allein ihre Hofhaltung, sondern auch die Korrespondenz mit etlichen großen Ministerien am kaiserlichen Hof anvertrauen konnte.

In währender Zeit, da die Herzogin fast wöchentlich, ja täglich Visiten von hohen Standespersonen bekam, konnte es unmöglich anders sein, als daß sich unter so vielen schönen Gesichtern doch wenigstens eines, wo nicht mehrere, befanden, welches capable war, Elbenstein zu charmieren und seine verliebten Blicke zu rekompensieren.

Die erste Intrige spann sich also an:

Es wurde die durchlauchte Herzogin eines Tages von dem OBG. traktiert, an der Tafel kam Elbenstein neben der Gräfin von W.* zu sitzen, bei welcher er sich durch allerhand insinuante Diskurse dergestalt einzuschmeicheln wußte, daß sie, um diesmal allen Verdacht zu vermeiden, ihn auf den folgenden Tag in die Karmeliterkirche auf der K. S. beschied; daselbst nahmen sie Abrede, den morgigen Tag in ihrer Frau Muhme Palais, weil selbige eben in das warme Bad gereist, zusammenzukommen. Elbenstein war so unachtsam nicht, daß er die abgeredete Stunde sollte vergessen haben, sondern er wartete mit größter Attention darauf, wurde auch von der schönen Gräfin mit einer anmutigen und liebreizenden Miene empfangen.

Sie spielte, als er kam, eben auf der Laute und hatte ein kleines Arienbuch bei sich liegen, weswegen Elbenstein die Neugier antrieb, selbiges zu perlustrieren; indem er nun akkurat neunundfünfzig Arien, Oden und dergleichen darin fand, bat er sich die Erlaubnis aus, das Schock vollzumachen und eine Arie nach einer bekannten Melodie hineinzuschreiben.

Da nun die Gräfin versicherte, daß ihr dieses zum besonderen Pläsier gereichen würde, zeichnete er folgende Verse ex tempore hinein:

1.
                Ein hartes Verhängnis hat mich jetzt betroffen,
Es heißet mich lieben und dennoch nicht hoffen;
Unendliches Quälen bleibt, glaub ich, der Lohn,
Den ich für mein Lieben einst trage davon.
2.
Doch ob auch mein Lieben ganz abgeschmackt scheinet,
So bin ichs zu lassen doch gar nicht gemeinet;
Dieweil mir der Himmel noch diesen Trost gibt?
Sei stille im Lieben, bleib immer betrübt.
3.
Mein brennendes Herz, das eilet zum Grabe,
Dieweil ich die Hoffnung zum Tröste nicht habe.
Wer kann mir das nachtun, der schreibe sich ein:
Ohn' Hoffnung im Lieben beständig zu sein.

Ob nun schon mancher Poet diese daktylischen Reime durchzuhecheln Ursache gehabt hätte, so war dennoch die Gräfin vollkommen wohl damit zufrieden. Sie sah ihn, nachdem sie selbige durchlesen, recht liebreizend an, drückte ihm die Hand und sagte:

»Ein solcher Amant, der ohne Hoffnung beständig sein kann, muß nicht ohne Hoffnung gelassen werden; seien Sie nur beständig, mein werter Elbenstein, und hoffen zugleich, so werden Sie nicht fehlen.«

Er ergriff der Gräfin schöne Hand und küßte dieselbe, sprach dabei:

»Hierdurch will ich versuchen, wieviel ich hoffen darf.«

Die Gräfin antwortete:

»Wer mein Herz zu eigen hat, kann alles hoffen.«

Unter diesen Worten legte sie ihren Kopf als ganz unachtsam an Elbensteins Brust. Dieser küßte erst ihre charmanten blauen Augen und sagte dabei:

»Ihr allerschönsten Augen! Euch beschwöre ich, mich nicht zu verraten wegen dessen, was ihr sehen werdet.«

Hierauf machte er sich an die korallenroten Lippen und küßte dieselben mehr als hundertmal.

Theresia, so war der verliebten Gräfin Taufname, ließ solches unter einer verstellten Unempfindlichkeit geschehen, endlich aber nahm die Liebe und Erkenntlichkeit dergestalt überhand, daß sie das Empfangene mehr als gedoppelt restituierte, weshalb Elbenstein wegen wichtiger Verrichtungen höchst vergnügt von ihr schied, nachdem sie die Abrede miteinander genommen, daß, sooft sie miteinander in Gesellschaft kämen, sich durch ein unvermerktes Zeichen ihre beständige Liebe zu erkennen geben wollten.

Dieses Zeichen bestand darin, daß Theresia ein Bukett Blumen an ihrer Brust, Elbenstein aber, nach damaliger Bändermode, in seinen Ärmeln oder Manschetten rosenfarbene Bänder tragen wollte. Theresia pflegte demnach oftmals den Blumenstrauß, als ob sie daran riechen wollte, an den Mund zu drücken, und Elbenstein im Gegenteil stellte sich zum öfteren, als ob ihm die Manschettenbänder zu lose worden wären, befestigte sie deswegen mit Hilfe des Mundes und küßte zugleich das Band, welches der Theresia Leibfarbe war.

Solchergestalt führten beide ihr geheimes Liebesverständnis miteinander fort. Allein, dieses Geheimnis wurde bald entdeckt, denn als sie einmal an drei Tagen miteinander zusammenzukommen keine Gelegenheit finden können, gab die Gräfin, welche der Herzogin Palais gegenüber wohnte, Elbenstein ein Zeichen, zur Vesperzeit in obgedachtes Karmeliterkloster zu kommen. Der Herzogin Fräulein aber, eine geborene von C.*, die ebenfalls ein Auge auf Elbenstein haben mochte, wurde solches gewahr, wollte demnach gern wissen, was solches bedeutete und wem das Winken gegolten; demnach stellt sie sich in der kleinen Prinzessin Zimmer an ein Fenster, aus welchem sie alle in selbige Kirche gehende Leute observieren konnte. Solchergestalt, da Elbenstein als ein Protestant sogar allzusehr nach der Karmeliterkirche zueilte, sie das ganze Geheimnis erriet, indem sie urteilen konnte, daß keine besondere Andacht, sondern vielmehr der reizende Gehorsam der vorausgegangenen Gräfin ihn dahin gezogen.

Es fehlte bei der Abendtafel keineswegs an allerhand Stichelreden, welche sich aber Elbenstein gar nicht zuzog; jedoch da das Fräulein von C.* ihm einen Becher Wein auf Gesundheit der Gräfin Theresia zutrank, wurde er im Gesichte blutrot, und ungeachtet er seine Liebe zu derselben verbergen suchte, wurde nachher doch alles völlig verraten.

Demnach mußten sich beide Verliebten etwas genauer in acht nehmen, und weil sie nicht persönlich zusammenkommen konnten, so wurde ihr Liebeswerk durch Briefe traktiert. Diese trug hin und her des Generals und Kommandanten zu P., Grafen von T.* Zuckerbäckerin, womit denn beiderseits einiges Labsal geschafft wurde.

Ob sie aber nicht zuweilen einander dennoch insgeheim gesprochen, solches kann man nicht für gewiß sagen. Inzwischen dauerte dieses Vergnügen nicht länger als ein Vierteljahr, denn Elbenstein bekam Briefe, aufs schleunigste zu seinem Herrn Vater zu kommen, deswegen bat er bei der Herzogin auf vier Wochen Urlaub, welchen er auch erhielt. Da aber mittlerweile seine durchlauchte Herzogin sich mit dem Fürsten von N.* in ein Eheverlöbnis eingelassen und das Beilager mit nächsten geschehen sollte, hergegen Elbensteins Eltern ihm nicht gestatten wollten, ferner bei Hofe zu bleiben, aus Beisorge, daß er etwa wegen der Religion Anstoß haben möchte, so resolvierte er sich, seine Demission schriftlich zu suchen, erhielt auch dieselbe nebst seiner rückständigen Besoldung und einem besonderen Gnadengeschenk.

Die holdselige Gräfin Theresia wechselte zwar über ein halbes Jahr Briefe mit ihm par Adresse des Traiteurs S.* zu D. Als sie sich aber nicht entschließen wollte, ihre Gelder nach N. zu verwenden, im Gegenteil prätendierte, sein väterliches Gut zu verkaufen und das dafür bekommene Kaufgeld entweder in B. oder C. wieder anzuwenden, verloschen diese Liebesflammen beiden auf einmal.

Nachher fügte sichs, daß Elbensteins Herr Vater im Herbst des 1693sten Jahres das Zeitliche mit dem Ewigen verwechselte, weswegen er sich genötigt sah, in seinem Vaterland zu heiraten. Es wurden ihm demnach von seinen Freunden allerhand Partien vorgeschlagen, unter welchen ein mit besonderer Schönheit und Klugheit begabtes Fräulein des Geschlechtes von M.* war; allein, es zwangen ihn triftige Raisons, sich bei derselben nicht zu engagieren. Er verehelichte sich demnach Anno 1694 mit einem Fräulein von D.*, welche aber nach elf Monaten im Kindbett starb und das Kind, welches ihm nachher, da es erwachsen war, viel Bekümmernis verursachte, am Leben blieb. Der arme Elbenstein sah sich nunmehr zum anderenmal in dem betrübten Witwerstand, hatte die ganze Last der schweren Haushaltung allein auf dem Hals, weswegen er sich denn zum drittenmal vermählte, und zwar mit einem Fräulein des Geschlechtes NB.*, mit welcher er verschiedene und meistenteils ganz wohlgeratene Kinder erzeugte.

Als er nun in die zehn Jahre auf seinen Gütern im Privatstande und ohne Herrendienste gelebt, bekam er von einem gewissen Reichsfürsten Vokation, bei welchem er etliche Jahre in ansehnlichen Hofdiensten verharrte.

Wie aber die Sünden der Jugend von dem gerechten Gott nicht ungestraft bleiben, also mußte Elbenstein nunmehr an sich auch erfahren, daß nichts Gutes unvergolten und nichts Böses ungestraft bliebe, indem er allmählich durch viele schwere kostbare Prozesse, Kriegstrubel, sonderlich die schwedische Invasion, ferner durch etliche Jahre nacheinander fortdauernden Mißwachs, Falliment seiner Debitoren und dergleichen mehr in große Schulden und Abfall seines Vermögens geriet. Der Gram und Kummer, welchen er deswegen einnahm, brachte ihn dergestalt von Kräften, daß er schwachheitshalber seine Funktion nicht mehr verrichten konnte, sondern sich genötigt sah, seine Charge zu resignieren und sich auf sein Gut zu begeben, in der Hoffnung, durch gute Menage sich wiederum empor und aus den Schulden zu bringen.

Allein, es war für ihn weder Glück noch Stern, sondern alle seine Projekte, sie mochten noch so vernünftig und klug ausgesonnen sein, gingen den Krebsgang, so daß er fast seinen gänzlichen Ruin vor Augen sah.

Dergleichen Unglücksfälle entkräfteten ihn nun binnen zwölf Jahren dermaßen, daß er sozusagen alt und grau vor der Zeit wurde, indem er öfters mit einem schlechten Gericht Kohl oder anderem Zugemüse nebst einem leichten Trunk Covent vorliebnehmen mußte, wenn er sich nur noch einigermaßen seinem gehabten Charakter gemäß aufführen wollte.

In solchen trübseligen Zeiten und kümmerlichem Zustand ließ sich eines Abends, da es entsetzlich stark regnete, ein Kavalier bei ihm melden und ihn wegen der besonderen Freundschaft, so sie in der Jugend miteinander gepflogen, bloß allein um ein Nachtquartier ansprechen, indem er in dem kleinen Schenkhaus, welches bereits mit Fuhr- und anderen Leuten angefüllt wäre, nicht wohl unterkommen könnte, sonst aber wolle er dem Herrn von Elbenstein keine Ungelegenheit verursachen. Elbenstein erfreute sich demnach recht herzlich, einen alten Bekannten anzutreffen, und zwar um soviel mehr, weil ihm seine Zinsleute vor ein paar Tagen etliche Scheffel Hafer und anderes Getreide eingebracht; auch waren ihm von einem benachbarten Edelmann, der seine Klepperjagd gehalten, drei Hasen und etliche schöne Stücke Flügelwerk zum Geschenk geschickt worden, also kam ihm dieser gute Freund recht à propos, dieses mitzugenießen.

Demnach fragte er den Bedienten nach seines Herrn Geschlechtsnamen, allein der Bediente sagte:

»Ihro Gnaden werden mir nicht ungnädig nehmen, wenn ich hierin nicht gehorsamen kann, weil mir solches von meinem Herrn expresse verboten worden, indem er die Lust gern haben will, zu erfahren, ob er von Ihro Gnaden wird erkannt werden, da sie einander in so vielen Jahren nicht gesehen haben.«

Solchergestalt wurde nun Elbenstein noch zehnmal neugieriger, zu wissen, wer sein Gast sein würde, als vorher, fertigte aber den Bedienten sogleich ab und ließ zurücksagen:

Weil ihm der Zuspruch honetter Kavaliere jederzeit sehr angenehm, so müsse ihm die gütige Visite eines alten Freundes um soviel mehr vergnügend sein; er bäte demnach, sich in dem schlimmen Wetter nicht länger zu verweilen, sondern nur mit seinen Leuten und Pferden frei einzusprechen und mit bei jetzigen Umständen möglichstem Akkommodement gütigst vorliebzunehmen.

Es währte demnach nur noch eine kurze Zeit, da sich der Gast einstellte; Elbenstein ging demselben bis vor seine Hoftür entgegen, kaum aber war dieser vom Pferd gestiegen und hatte sein Gesicht blicken lassen, als ihn Elbenstein im Moment für den Herrn von A.* erkannte.

Dieser Herr von A.*, welcher nur ungefähr ein Jahr jünger als Elbenstein, war von der zartesten Kindheit an mit Elbenstein zugleich aufgezogen worden, indem des Herrn von A.* Herr Vater sehr frühzeitig gestorben war, der alte Herr von Elbenstein aber als Vormund diesen jungen Herrn von A.* zu sich genommen hatte und, als ob es sein eigenes Kind wäre, mit unter den seinigen erziehen ließ. Dieser nun und unser Elbenstein hatten sich wegen Gleichheit der Jahre und des Temperaments jederzeit vor allen anderen am besten miteinander vertragen können und sich fast niemals veruneinigt, auch immer für einen Mann gestanden, wenn sie von den anderen attackiert worden.

Demnach war die Freude jetzt bei Elbenstein ungemein groß, da sie in ihrem fünfzehnten oder sechzehnten Jahr voneinandergekommen und seit der Zeit sich nicht wiedergesehen, auch wenig Nachricht voneinander erhalten hatten.

Beide Herren umarmten und küßten sich recht brüderlich, worauf der Herr von A.* von Elbenstein in sein bestes Zimmer geführt und hernach etwas alleingelassen wurde, um seine Bequemlichkeit zu gebrauchen. Nachher wurde die Abendmahlzeit aufgetragen, und ob selbige gleich eben nicht kostbar war, sondern nur aus einer guten Eiersuppe, ein paar gekochten Hühnern und aus einem rohen Schinken bestand, so erzeigte sich doch der Gast sehr vergnügt dabei und bat Elbenstein, der sich wegen schlechter Bewirtung zum öfteren entschuldigen wollte, inständig, hiervon nichts zu gedenken, indem er bei dem Pläsier, ihn zu sehen und mit ihm zu sprechen, gar gerne mit einem bloßen Butterbrot, einem Trunk Bier und Pfeife Tabak vorliebnehmen wolle.

Mit Wein war Elbenstein nicht versehen, doch konnte er einen herrlichen Trunk Bier in seinem Dorf haben; sobald sie demnach die Abendmahlzeit mit gutem Appetit eingenommen, blieben sie beide ganz allein beisammen, da denn Elbenstein dem Herrn von A.* die Hauptstücke seines Lebenslaufs nebst seinen bis hierher gehabten Fatalitäten ziemlich ausführlich erzählte.

Wie aber unter solchem Gespräch die Mitternachtsstunde bereits verstrichen, wollte Elbenstein seinen Gast nicht länger von der Ruhe abhalten, nahm deswegen, nachdem derselbe auf inständiges Bitten endlich versprochen, morgenden Tages noch bei ihm zu bleiben, auf diesmal gute Nacht und begab sich gleichfalls zur Ruhe.

Am folgenden Morgen beim Tee erzählte Elbenstein vollends den Rest seiner Begebenheiten und machte den Schluß damit: Wie er wohl erkenne, und sich in seinem Gewissen überzeugt befände, daß alle seine gehabten Unglücksfälle gerechte Strafen des Himmels wären, die er mit seiner zuweilen recht unbändigen Lebensart wohl, ja noch weit mehr, verdient, weswegen er sich auch von Tag zu Tag besser in seinen jetzigen pauvren Zustand schicken lernte, anbei den Himmel inbrünstig anflehte, daß er nach den zeitlichen Strafen seiner von dort in der Ewigkeit schonen möchte.

Nachdem nun der Herr von A.* sein herzliches Mitleiden gegen Elbenstein bezeigt und gewünscht, daß, da dem Himmel es eine sehr schlechte Sache wäre, den Reichen arm und den Armen reich zu machen, er auch Elbensteins Zustand bald in einen vergnügteren und fröhlicheren verwandeln möchte.

»Allein, mein werter Herr Bruder«, fuhr der Herr von A.* gegen Elbenstein fort, »sonst pflegt man zu sagen: Solamen miseris socios habuisse malorum. Ich kann Euch versichern, daß unser beiderseitiger Zustand sehr wenig voneinander unterschieden ist; mein einziges Glück ist, daß ich mit meiner Gemahlin keine Kinder habe, sonst würde ich noch weit miserabler leben müssen. Ich habe aber nur vor weniger Zeit erst auch angefangen, Betrachtungen anzustellen, daß dergleichen Kalamitäten, welche mir seit wenigen Jahren her begegnet, gerechte Züchtigungen und Strafen des Himmels sein müssen.«

Elbenstein erseufzte hierüber sehr tief; weil sie eben zur Mittagsmahlzeit abgerufen wurden, versprach der Herr von A.* nachher, weil sie wegen des starken Regens doch nicht aus dem Zimmer kommen und ein wenig spazierengehen könnten, Elbenstein zur Revanche auch die Hauptstücke von seinen Begebenheiten zu erzählen.


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