Johann Gottfried Schnabel
Der im Irrgarten der Liebe herumtaumelnde Kavalier
Johann Gottfried Schnabel

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Indem er nun durch Padua passieren mußte, führte ihn sein Glücks- oder Unglücksstern eben in das Logis, wohin ihn seine maskierte Amour in Ariqua bestellt und die Woche vor Martini einzutreffen befohlen hatte. Es war ihm noch nicht in die Gedanken kommen, sich um das Zeichen des Gasthofs zu bekümmern wo er logierte; als er aber des Abends abgespeist hatte und eine Bouteille Limonade nebst einer Pfeife Tabak gefordert, sagte ein alter häßlicher Hausknecht zu ihm:

»Mein Herr! Ich weiß ganz gewiß, Sie sind der Kavalier, welcher von einer Dame anhero bestellt worden; ists nicht wahr, daß es in Ariqua geschehen?«

Elbenstein schüttelte den Kopf und sagte, er wisse von nichts. »Leugnen Sie es nicht, mein Herr!« verfolgte der Kerl seine Rede, »denn ich kenne Sie unter Tausenden, ob Sie schon nicht wissen woher. Vertrauen Sie sich mir nur vollkommen, denn ich kann Ihnen versichern, daß die Dame bereits hier wäre, allein sie ist durch eine gewisse Begebenheit zurückgehalten worden; unterdessen wird sie unfehlbar binnen zehn oder zwölf Tagen kommen. Sie aber, mein Herr, können auf sie hier warten und versichert sein, daß Ihnen niemand einige Zehrungskosten abfordern wird, weil ich Ordre habe, für Sie zu bezahlen.«

»Mein Freund!« sagte Elbenstein, »ich bin von einem gewissen Fürsten in besonders wichtigen Affären auf der Reise begriffen, hoffe aber auch, binnen acht oder zehn Tagen wieder zurückzukommen, alsdann wollen wir von dieser Sache weitersprechen.«

»Wohl gut!« sagte der alte verzweifelte Kuppler, »allein haben Sie etwa Lust, mit einem ihrer Landsleute, welcher ein deutscher Kavalier ist, zu sprechen, so können Sie sich noch ein paar Stunden oder solang es Ihnen beliebt die Zeit passieren, denn er möchte auch gern mit jemandem reden, weil ihm die italienische Sprache noch nicht recht geläufig ist.«

Elbenstein befahl dem Kerl, daß er dem deutschen Kavalier sein Kompliment machen und bei demselben vernehmen soll, ob es ihm gelegen wäre, eine Pfeife Tabak mit ihm zu rauchen. Wenige Minuten hernach erschien der Deutsche, und weil es ein Edelmann war, mit dem Elbenstein vor diesem auf einem Gymnasium zugleich studiert, umarmten sie sich recht herzlich und waren beiderseits hocherfreut, daß sie einander so unverhofft in einem fremden Lande antrafen. Sie blieben also beisammen sitzen und erzählten einander ihre Begebenheiten bis um die Mitternachtszeit, da sie denn voneinander Abschied nahmen; jedoch weil der Herr von Thalberg, so nannte sich dieser deutsche Kavalier, Elbenstein gar zu sehr bat, ihm zu Gefallen, weil er gestern erst angekommen, nur einen einzigen Tag in Padua zu verweilen, versprach ihm dieser aus redlicher Freundschaft, seinen Willen zu erfüllen, und hierauf begaben sie sich beiderseits zur Ruhe.

Folgenden Morgen, nachdem sie den Tee miteinander getrunken, spazierten sie aus und besahen sowohl die innere Stadt, als die Burg und deren Fortifikation, da sich denn der Herr von Thalberg nicht wenig über die Größe dieser Stadt verwunderte, zumal er vernahm, daß dieselbe noch eher soll erbaut worden sein als Rom. Hierauf besahen sie den großen Saal des Palastes, welcher der schönste, der in Italien zu finden, ingleichen den Dom, welcher zwar ein uraltes Gebäude und eben nicht von besonderer Struktur, jedoch sehenswürdig ist.

Nach Tisch gingen sie wieder aus und besahen die Kirchen, sonderlich des heiligen Antonii von Lissabon, welche ungemein und voller herrlicher Sachen, vornehmlich die heilige Kapelle, worin ungemein schöne Bildhauer- und Malerarbeit anzutreffen. Weil sich aber unter der Zeit der Tag zu neigen begann, rekommandierte der von Elbenstein dem von Thalberg, sich zur anderen Zeit in der schönen Justinenkirche, worin viele prächtige Monumente, ingleichen auch in den vielen Kunstkammern herumführen zu lassen. Da sie nun abends nach Tisch noch eine Pfeife Tabak miteinander rauchten, beredete Elbenstein den Herrn von Thalberg, daß er mit ihm nach Venedig zu reisen sich gefallen ließe, wie sie denn auch in früher Tageszeit sich auf den Weg begaben und nach kommoden Tagereisen in dieser weltberühmten Stadt anlangten, wo sie ihr Logis im Gasthof, Zum Weißen Pferd genannt, nahmen.

Elbensteins erster Gang war nach den beiden berühmten Kaufleuten Herrn Hopffer und Bachmeyer, welche ihm nicht allein die Gefälligkeit erwiesen, daß sie ihm seinen erst auf Weihnachten fälligen Wechsel gegen einen billigen Rekompens bar bezahlten, sondern auch überdies ihren Priester, der, wie schon gemeldet, in weltlichen Kleidern einherging, kommen ließen, bei welchem Elbenstein gleich des dritten Tages nach seiner Ankunft kommunizierte und sein Herz ungemein erleichtert befand, auch bei dem ernstlichen Vorsatz beharrte, sich zeitlebens nicht wieder in verbotene Liebeshändel einzulassen, sondern hinfort keusch und züchtig zu leben und abzuwarten, bis ihm der Himmel dereinst eine liebenswürdige Gemahlin zuführte.

Da aber die Gelder, welche er für seinen Fürsten einzukassieren hatte, nicht sogleich parat waren, sondern ihm angedeutet wurde, wie er sich wenigstens noch sechs bis acht Tage patientieren müßte, ließ er sich auch dieses gefallen, erstattete aber mittlerweile seinen Bericht an den Fürsten durch eine Staffette. Jedoch mittlerweile die Zeit nicht müßig zuzubringen oder im Gasthof allein bei gutem Essen, Trinken und Spielen zu leben, besah er nebst dem Herrn von Thalberg diese weltberühmte und wunderbare Stadt, welche sozusagen nicht recht auf der Erden, sondern wenigstens anderthalb Meilen vom festen Land in Flut und Wellen liegt, indem die Häuser auf zweiundsiebzig Inseln, woraus sie besteht, auf lauter Pfähle von Holz erbaut sind.

Sie hätten sich wohl gern einer Karosse bedient, allein die Straßen sind daselbst sehr eng, weswegen die Karossen nicht zu gebrauchen, deswegen muß man zu Fuß gehen, welches denn auch wohl möglich, da ungefähr vierhundertsechzig Brücken über die Kanäle in der Stadt gezählt werden, unter welchen der vornehmste und schönste der Republik auf dreihunderttausend Dukaten zu stehen kommt. Unsere Kavaliere aber, wenn sie sich durchs Spazierengehen ermüdet, setzten sich in eine Gondel oder wohlaptiertes Schiffchen, deren man in Venedig allein über vierundzwanzigtausend zählen will, und fuhren darauf von einem Ort zum anderen, wo sie nämlich etwas Betrachtenswürdiges anzutreffen wußten, wiewohl in dieser Stadt fast alles betrachtenswürdig zu nennen ist. Als nun beide auf der obgedachten kostbaren Brücke, welche il Ponto Rialto genannt wird, standen, sagte Thalberg zu dem von Elbenstein:

»Es ist schade, daß wir nicht einen guten Freund und Bekannten hier haben, der uns die merkwürdigsten Dinge in dieser weltberühmten Stadt zeigt, denn weil ich sehr curieux bin, dergleichen zu sehen und aufzuschreiben, ließe ich mir kein Geld dauern.«

Kaum hatte er das Wort ausgesprochen, als sich ein feiner reputierlicher Mann vor ihren Augen präsentierte, welcher einen Offiziershabit am Leibe, jedoch nur einen Arm hatte. Dieser redete sie also an:

»Messieurs, ich halte Sie beide für deutsche Kavaliere und habe mich, da ich auch ein geborener Deutscher bin, sehr erfreut, meine Muttersprache so rein von Ihnen reden zu hören. Ich habe der Republik Venedig verschiedene Jahre zur See als Offizier gedient, bin aber endlich so unglücklich gewesen, daß mir ein Arm abgeschossen worden. Mein Vaterland hätte ich gern wieder besucht, allein weil ich keine Mittel daselbst zu suchen habe, so bin ich auch daselbst nichts nutze, sondern danke dem Himmel, daß mir die Republik monatlich soviel Gnadengeld auszahlen läßt, als zu einem reputierlichen Auskommen vonnöten ist. Mir ist in dieser obschon weitläufigen Stadt alles bekannt, was Fremden zum Pläsier gereicht, kann ich Ihnen dienen, so belieben Sie zu befehlen, ich tue es ohne alles Interesse, sondern nur zum Pläsier meiner Herren Landsleute.«

Elbenstein fragte nach seiner Vaterstadt und erfuhr, daß er von Merseburg gebürtig war, weswegen sie diesen nahen Landsmann, weil es eben Zeit zur Mittagsmahlzeit war, mit sich in ihr Quartier nahmen und an seiner Konversation ein besonderes Vergnügen fanden.

Es führte sie derselbe etliche Tage nacheinander in der Stadt herum, und weil er bemerkte, daß der von Thalberg sich ein und anderes Merkwürdige in seine Schreibtafel notierte, sagte er eines abends, da sie in einem Weinhaus beisammen saßen: »Mon Seigneur, wenn Sie so schreibbegierig sind, so belieben Sie zu schreiben, was ich Ihnen diktieren will.«

Als sich nun der von Thalberg bereit dazu fand, diktierte er ihm folgendes in die Feder:

»Daß diese Stadt Venedig eine der berühmtesten in der Welt, ist eine unstreitige Sache: 72 Inseln sind es, worauf sie erbaut ist, und ihr Umfang ist ungefähr acht italienische Meilen. Il Ponto Rialto ist die größte Brücke, welche über den größten Kanal geht, sie hat, wie Sie gesehen haben, nur einen einzigen Schwibbogen von Marmor oder, wie es die Italiener nennen, Pietra bianca, steht auf 6382 Pfählen und hat zu beiden Seiten zwei Reihen allerhand Kaufläden, welche drei Gassen ausmachen; unter derselben aber kann eine Galeere mit aufgespannten Segeln durch den Schwibbogen hindurchfahren.

Die Stadt überhaupt wird eingeteilt in sechs Teile oder Sestieri, nämlich: Castello, S. Marco, Carnareio, S. Paolo, S. Croce und Dorsoduro. Die ersten drei Teile liegen diesseits und die anderen drei jenseits der großen Brücke. Es finden sich in dieser Stadt 53 große und kleine Plätze oder, wie man es anderer Orten nennt, Märkte; darunter ist der größte und berühmteste der St. Markus-Platz, selbiger ist 280 Schritte lang und 110 Schritte breit. Auf diesem Platz pflegen bei gutem Wetter die jungen Nobili di Venetia zuweilen etliche Hundert stark ihren Spaziergang zu halten. Ferner zählt man darin über 150 prächtige Paläste, 70 Kirchen, 39 Mönchsklöster, 28 Frauenklöster, 18 Oratoria, 17 Hospitäler, 115 Türme, 58 öffentliche Brunnen, die aber nicht viel taugen, denn das süße Wasser muß vom Lande in Tonnen herbeigeholt werden, 164 Statuen von Marmor und 23 Statuen von Erz, an welchen allen man sich über die Kunst nicht genug verwundern kann.

Der herzogliche Palast auf dem St. Markus-Platz ist wohl das schönste Gebäude in der Stadt, er ist viereckig. Das obere Stockwerk bewohnt der Doge oder Herzog; bei demselben werden die Staatscollegia gehalten, im untersten aber wird die Justiz administriert. An der einen Ecke dieses Platzes liegt die Kirche St. Marco und an der andern die Kirche St. Geminiano, zu beiden Seiten aber stehen die Prokuratorhäuser, die von Marmor aufgeführt sind und unten große Schwibbogen haben. Auf den St. Markus-Kirchturm steigt man auf einer Treppe ohne Stufen, und von dieser Kirche wird man zu dem Schatz geführt, welcher ungemein kostbar ist. Die Bibliothek, welche sehr stark, ist in dem einen Prokuratorhaus gerade gegen den Palast St. Marco über. Das Kloster St. Johannis und Pauli ist das schönste, das Kloster St. Georgii aber das reichste. In eben diesem Kloster, und zwar in dem Tafelgemach, finden sich unter den Schildereien oder Gemälden die zwei vornehmsten und bewundernswürdigsten Stücke, welche der Künstler Marco Titiano verfertigt hat; das eine stellt vor die Hochzeit zu Kana in Galiläa und das andere das Bildnis Petri des Märtyrers.

Unter den Kirchen sind wohl die schönsten die St. Redemptore und Madonna di Salute. Die haben ihren Ursprung von einem Gelübde, welches der venezianische Rat zu Pestzeiten getan. Jedoch die St. Markus-Kirche gibt diesen beiden wenig oder nichts nach.

Am Ende der Stadt, nah am Meer, liegt das Arsenal, welches seinesgleichen in Europa nicht haben soll, man findet so viel Gewehre drinnen, daß auf den Fall in größter Geschwindigkeit 20 000 Mann zu Fuß und 25 000 Mann zu Pferd damit bewaffnet werden können. So liegen auch beständig 2000 Kanonen parat, die zu Wasser und zu Land können gebraucht werden, anderer zum Krieg und Seewesen benötigten Dinge zu geschweigen. Es arbeiten alle Tage 1500 bis 2000 Menschen darin, die Unterhaltung dieses Arsenals aber soll der Republik alljährlich über fünf Tonnen Goldes kosten. Die Schiffe werden allhier im voraus gebaut und hernach in das salzige Seewasser stückweise versenkt, worin sie desto dauerhafter werden. Man erzählt, daß der große Rat einstmals in diesem Arsenal einen König traktiert habe, da denn in seiner Gegenwart ein ganz neues Schiff gebaut worden, und zwar haben die Bauleute den Anfang gemacht, als der König zur Tafel gesessen, da er aber abgespeist und aufgestanden, habe das Schiff schon vor seinen Augen auf dem Meer herumgesegelt. Zu einer anderen Zeit hat man eben dergleichen Kunststück mit einer Kanone praktiziert, indem dieselbe in größter Geschwindigkeit gegossen, auch noch abgefeuert worden, ehe der vornehme Gast von der Tafel aufgestanden. Kurz! Dieses Arsenal ist mit Recht ein Wunderwerk der Welt zu nennen, ringsherum ist es mit hohen Mauern, außerhalb aber mit dem Meer umgeben. Am Portal dieses Arsenals zeigt sich mit großen goldenen Buchstaben die Überschrift:

Felix est Civitas, que Tempore Pacis de Bella cogitat.
Glückselig ist die Stadt, welche zu Friedenszeit an den Krieg gedenkt.

Eines von den Hauptstücken, welche in diesem Arsenal aufbehalten und verwahrt werden, ist der Bucentaurus oder dasjenige Schiff, auf welchem der Doge alle Himmelfahrtstage in das Adriatische Meer segelt und sich mit demselben vermählt. Es ist von der Größe einer Galezza, auswendig vergoldet und inwendig mit karmesinrotem Samt beschlagen; auf beiden Seiten sind vergoldete Sessel und auf dem Oberdeck ein Thron, auf welchem der Herzog zwischen den Gesandten und Senatoren sitzt. Auf dem Unterdeck sind achtundzwanzig Ruder, jedes mit sechs Mann besetzt, man sieht aber von diesen Leuten nichts, als daß sich die Ruder bewegen. Auf dem Vorderteil steht das Bildnis der Gerechtigkeit, stark vergoldet mit Schwert und Waage in den Händen. Wenn der Doge den kostbaren Ring ins Meer wirft, spricht er:

»De sponsamus te nobis mare, in signum veri perpetuique Dominii.
Meer! Wir vermählen uns mit dir zum Zeichen einer wahrhaften und immerwährenden Herrschaft über dich.«

»Dieser Gebrauch«, sagte hier der einhändige Offizier, »ist mir jederzeit sehr lächerlich vorgekommen, ich kann aber nicht eigentlich sagen, woher er seinen Ursprung hat.«

»Das will ich Ihnen sagen, mein Herr!« versetzte Elbenstein. »Die Herren Venezianer geben vor, es habe sie der Papst Alexander III. im Jahr 1174 mit der Herrschaft über das Adriatische Meer belehnt, und dieses ist eben das fatale Jahr, da der Papst den Kaiser Fridericum Barbarossam, als er ihm die Füße küssen wollen, auf den Hals getreten und die davidischen Worte dabei gesprochen:

›Auf Löwen und Ottern wirst du gehen etc.‹

Allein, ich glaube, es wird nun wohl nimmermehr wieder geschehen, daß ein römischer Kaiser Seiner Päpstlichen Heiligkeit die Füße küßt, geschweige denn sich von derselben auf den Hals treten läßt.«

Indem Elbenstein weiter fortreden wollte, stand ein alter, jedoch wohl ansehnlicher und ehrwürdiger Mann von seinem Tischchen, wobei er bisher ganz allein gesessen und ein Gläschen Wein getrunken hatte, auf, trat vor den Tisch, woran die Kavaliere mit dem Offizier saßen, und sagte:

»Meine Herren nehmen mir nicht ungütig, daß ich mich in Ihren Diskurs meliere, ich bin zwar ein geborener Savoyarde, habe aber nunmehr schon seit etlichen vierzig Jahren, da ich mich acht Jahre lang auf deutschen Universitäten aufgehalten, auch fast ganz Deutschland durchreist bin, die deutsche Sprache nach meiner Mundart ziemlich sprechen lernen, bin auch noch jetzt im Stande, einen deutschen Brief so gut als einen italienischen zu schreiben, denn weil die deutsche Nation mir ungemein angenehm und liebreich vorkommen, habe ich auch ihre Sprache beibehalten und mir das größte Vergnügen gemacht, wenn ich hierzulande habe mit deutschen Herren in Gesellschaft kommen können. Was aber Ihren letzteren Diskurs anbelangt, so will ich Ihnen, so es beliebig, eine gründliche Nachricht erteilen, weil ich Sie in einigen Stücken irrig befinde; denn ungeachtet ich Sie für Protestanten halte, ich aber Katholik bin, so bin ich doch hauptsächlich in den Sachen, welche in die Historie einschlagen, ganz unparteiisch.«

Elbenstein und Thalberg hatten einen besonderen Gefallen an der Visage, Höflichkeit und Anrede dieses alten Mannes, nötigten ihn demnach, zwischen sich zu setzen, tranken ihm erst ein paar Gläser Wein zu, hernach baten sie ihn, daß er ihnen doch diese Historie aus dem Grund erzählen möchte. Demnach fing der Alte also zu reden an:

»Es ist an dem, die Herren Venezianer geben vor, daß der Papst Alexander III., weil sie ihm, in dem damaligen scharfen Krieg wider den Kaiser Fridericum Barbarossam beigestanden und des Kaisers Sohn Otto auf dem Meere gefangengenommen hätten, ihnen zur Vergeltung die Oberherrschaft über das Adriatische Meer zugestanden und zum Zeichen derselben verordnet habe, daß sich der Herzog durch Einwerfung eines goldenen Ringes mit diesem Meer vermählen solle; welches auch noch bis jetzt am Himmelfahrtstag geschieht. Allein diese Donation wird freilich von den meisten in Zweifel gezogen, weil es eine pure Fabel ist, daß des Kaisers Sohn Otto auf dem Meer gefangen worden.

Papst Julius II. fragte einstmals den venezianischen Gesandten Donati, wo denn die Republik die Bulle hätte, die Alexander III. gegeben, gab damit zu verstehen, daß die Sache sehr zweifelhaft sei, allein der listige und verschlagene Gesandte gab zur Antwort, Ihro Päpstliche Heiligkeit möchten nur das Diploma Constantini Magni nachschlagen lassen, so würde sich die Bulle Alexandri III. auf der anderen Seite finden. Unterdessen bleibt doch alles, wie es ist, und es wird sich so leicht wohl niemand finden, der dem Dogen die Spazierfahrt verwehrt, den auswärtigen Potenzen hilft und schadet sie nichts.

Was aber nun die Fabel anbelangt, daß der Papst Alexander dem Kaiser Friedrich, da er selbigem die Füße küssen wollen, auf den Hals solle getreten und Davids Worte, die meine Herren vorhin erwähnt, gebraucht haben, und als der Kaiser geantwortet: ›Nicht Dir, sondern Petro‹, der Papst noch besser getreten und gesagt haben soll: ›Auch mir, auch Petro‹, ist ein unbegründeter, ausgestäupter alter Schlendrian, von welchem verschiedene protestantische Geschichtsschreiber und Geistliche viel Wesens gemacht, um dadurch denen Päpsten ihren Hochmut vorzuwerfen und selbige bei ihren einfältigen Glaubensgenossen verhaßt zu machen. Diese Fabel aber ist deswegen eine Fabel und unbegründete Sache:

1. Weil kein einziger Geschichtsschreiber von allen, die zur selbigen Zeit gelebt, hiervon Meldung tut.

Hergegen 2. melden alle die glaubhaftesten Geschichtsschreiber selbiger Zeiten, daß der Kaiser und der Papst einander gegenseitig alle ersinnliche Ehre erwiesen und jener von diesem das Osculum Pacis oder den Friedenskuß empfangen, ihm die rechte Hand gelassen; andere Ehren- und Höflichkeitsbezeugungen zu geschweigen.

3. Wird diese Legende zweifelhaft gemacht durch die von den damaligen Geschichtsschreibern so sehr belobte Demut des Papstes Alexandri, sowohl als die gerühmte Großmütigkeit des Kaisers Friderici, welcher nicht einmal das Wort Beneficium dulden können.

4. Wer sollte wohl glauben, daß da so viele deutsche Reichsfürsten, und zwar von den allervornehmsten Häusern, bei und neben dem Kaiser gewesen, daß sie des Papstes Hochmut und ihres Kaisers Niederträchtigkeit hätten mit gelassenen Augen ansehen können.

5. Widerstreitet dieser Legende der solenne Einzug zu Venedig und der vorher gemachte Friede.

6. Was das Gemälde anbelangt, welches noch gezeigt wird, so kann solches wohl von einem losen Vogel und Feind des Kaisers verfertigt worden sein, es gibt aber keinen mehreren und besseren Beweisgrund, als ein anderer satirischer Kupferstich oder Gemälde.

7. Ist diese Fabel ausgepeitscht, weil selbige bei gescheiten Protestanten selbst keinen Glauben mehr findet. Hiervon schreibt gar schön Christ. Adam Rupertus, ehemaliger Professor Historiarum zu Altdorf in seinem herausgegebenen Commentario a synopsin Besoldi, auch andere deutsche Gelehrte mehr.«

Hiermit endigte der unbekannte alte Mann seine Erzählung, stand auf, nahm das Licht von seinem Tisch und bat, die Herren möchten nicht ungütig nehmen, daß er nach seiner Schlafkammer eilte, weil er eine ordentliche Lebensart zu führen gewohnt wäre. Ob er nun gleich sehr gebeten wurde, noch ein Stündchen zu bleiben, so wollte er sich doch nicht länger aufhalten lassen, tat aber dennoch ein Glas Wein auf geruhige Nacht Bescheid.

Mittlerweile zog Thalberg zwei venezianische Dukaten aus seiner Ficke, drückte sie dem Alten in die Hand, weil er ihn für einen Mann ansah, der vielleicht nicht viel übrig haben möchte; bat anbei, für diesmal mit diesem kleinen Geschenk vorliebzunehmen, morgen früh aber so gütig zu sein und in ihrem Logis, welches er ihm bezeichnete, bei ihnen einzusprechen, damit sie noch ein mehreres von seinen gelehrten Diskursen profitieren und weiter bekannt miteinander werden könnten.

Der Alte versprach, solches zu tun, wenn es seine Geschäfte zuließen, bedankte sich mit einer lächelnden Miene sehr höflich und freundlich für das Präsent, wünschte ihnen eine geruhsame Nacht und marschierte ab. Bald hernach verfügten sich Elbenstein und Thalberg auch in ihr ordentliches Logis und nahmen den einhändigen Offizier mit sich dahin.

Weil es schon ziemlich spät, legte sich ein jeder in ein besonderes Bett zur Ruhe, standen jedoch morgens ganz früh auf und tranken den Tee miteinander, da denn der curieuse Herr von Thalberg den Offizier bat, ihnen noch ein und anderes von venezianischen Merkwürdigkeiten zu erzählen. Da nun dieser sehr gesprächig war, so fing er also zu reden an:

»Die Regierungsform bei dieser Republik ist aristokratisch, denn es hat niemand Anteil an der Regierung als die sogenannten Nobili di Venetia. Diese Herrn von Adel werden füglich in sechs Klassen abgeteilt; in der ersten Klasse sind die sogenannten zwölf Apostel, das sind die alten zwölf Familien, die im Jahr 709 den ersten Herzog erwählt haben; in der anderen Klasse stehen, die im Jahre 800 die Fundation der Abtei S. Georgii unterschrieben haben; in der dritten Klasse stehen die Familien, so im Jahre 1296 ihre Namen in das sogenannte goldene Buch eingeschrieben haben; in der vierten Klasse stehen die neuen Geschlechter, die der Republik in dem blutigen Krieg mit Genua große Geldsummen vorgeschossen hatten und deswegen im Jahre 1385 in den Adelsstand erhoben wurden; in der fünften Klasse stehen die letzten Geschlechter, welche im Candischen Kriege im Jahr 1646 den Adel für 100 000 venezianische Dukaten gekauft haben. Es waren achtzig Familien, die vorher Kaufmannschaft, auch wohl gar nur Handwerke getrieben hatten; in der sechsten Klasse sind endlich alle auswärtigen Standespersonen, welche von der Republik ehrenhalber unter ihren Adel sind aufgenommen worden.

Wer nun aus einer solchen Familie geboren ist und das 25. Jahr seines Alters zurückgelegt hat, der ist allhier ein Ratsherr, er mag nun was gelernt haben oder nicht. Demnach ist leicht zu erachten, daß die Zahl der Ratsherren nicht immer einerlei, sondern steigend und fallend ist, wie sie denn auch niemals alle beisammen sind, sondern es halten sich viele in den Provinzen als Provisores auf. Wenigstens aber sind ihrer zweitausend und etliche Hundert.«

»Nun, das passiert für ein Ratskollegium«, sagte hier Thalberg, »denn man spricht im gemeinen Sprichwort: ›Aus vielen Köpfen ist gut raten‹. Aus diesen aber wird unfehlbar auch der Herzog oder Doge erwählt werden;«

»Allerdings!« fuhr der Offizier zu reden fort. »Es geht aber die Wahl eines Dogen hier also zu: Sobald der letztverstorbene beerdigt ist, so kommen alle Nobili, die über dreißig Jahre alt sind, in dem Palazzo di St. Marco zusammen. Allda werden erst fünf sogenannte Correctores erwählt, welche die Artikel aufsetzen, worüber der künftige Doge schwören muß. Darauf greifen alle anwesenden Nobili in ein silbernes Gefäß, welches fast wie eine Urne oder Totenkrug aussieht und mit silbernen, auch dreißig goldenen Kugeln angefüllt ist. Diejenigen, welche die goldenen ergreifen, werfen neun davon unter vierundzwanzig silberne und losen hernach von neuem. Die nun die neun goldenen Kugeln bekommen, erwählen wieder vierzig andere, die doch insgesamt von unterschiedenen Familien sein müssen, und die zuvor gedachten neun können sich selbst wieder mit in diese vierzig wählen. Dieselben losen wieder auf die zuvorgedachte Art, daß nur zwölf übrigbleiben. Von diesen zwölf erwählt der erste ihrer drei und von den übrigen elf ein jeder zwei, daß also zusammen fünfundzwanzig herauskommen. Diese werden wieder durchs Los bis auf neun heruntergebracht, welche abermals fünfundvierzig andere und also ein jeder fünf ernennt. Das Los vermindert hernach die Zahl dieser letzten bis auf elf und diese wählen endlich einundvierzig, welche, nachdem sie vorher durch den Staatsrat konfirmiert worden, die eigentliche Electores oder Erwähler des Dogen sind und wenigstens mit fünfundzwanzig Stimmen den Dogen erwählen. Als Kandidaten werden vornehmlich zwei oder drei Personen von Distinktion aus der Noblesse und der Zahl der Procuratoren von St. Marco, die sich um die Republik sonderlich verdient gemacht, im Vorschlag gebracht.

Wer zum Dogen erwählt wird, darf diese Würde bei Konfiskation seiner Güter und Bann seiner Person nicht ausschlagen. Er bleibt es aber nicht, wie zu Genua, nur auf zwei Jahre, sondern alle seine Lebtage, hat auch nicht Macht, diese Würde niederzulegen, jedoch hat die Republik Macht, sofern er sich nicht wohl aufführt, ihn abzusetzen.

Des Dogen Einkommen ist schlecht und beläuft sich jährlich nicht höher als Zwölftausend Ducati d'Argento, welche derselbe aus der Grundzinse des deutschen Hauses und der den deutschen Kaufleuten erteilten Privilegien zieht, weswegen man mehrenteils lauter reiche Herren zu dieser Würde erwählt, denen mehr an der Ehre als an den Revenüen gelegen.

Des Dogen Kleidung ist gewöhnlich so beschaffen: Auf dem Haupt trägt er eine Maschine, ich weiß nicht, ob ich selbige eine Krone oder eine Mütze nennen soll; oben ist dieselbe wie ein Horn gebogen und wird deswegen il Corno genannt. Über den Achseln aber trägt er einen Habit oder Ornat von Pelz mit Hermelinen, fast auf die Art wie der Kurfürstliche in Deutschland.

Stirbt ein Doge, so wird er auf Kosten der Republik prächtig zur Erde bestattet, jedoch nicht eher, als bis vorher alle seine Aktionen wohl untersucht, vor allen Dingen aber alle seine Schulden von dessen Erben bezahlt worden. Die Senatoren erscheinen bei dessen Beerdigung in roten Kleidern, um anzuzeigen, daß die Republik unsterblich sei. Es geschieht gar selten, daß das Interregnum über acht Tage währt, und binnen selbiger Zeit dependiert das meiste von den Staatsräten, der Senat aber, wie auch die anderen Collegia, bleiben indessen ausgesetzt.

Sonst ist zu remarkieren, daß die allgemeinen Gesetze und Verordnungen im Namen des Dogen publiziert, auch Schreiben auswärtiger Mächte an ihn adressiert, desgleichen die Kreditivschreiben in seinem Namen ausgefertigt werden, doch unterschreibt er sie nicht, sondern ein Staatssekretarius. Er antwortet den fremden Gesandten im Namen der Republik in terminis generalibus. Es werden unter seinem Namen alle Münzen geprägt, und führt er den Titel Serenissimo oder Durchlauchtigster. Alle Beneficia von der St. Markus-Kirche hat er zu vergeben, worunter sich ordentlicherweise sechsundzwanzig Kanonikate befinden und das sogenannte Primoceriat oder Dekanat. Es erkennt auch diese Kirche keine andere als des Dogen Jurisdiktion, daher derselbe gleich nach seiner Wahl von dieser Kirche Besitz nimmt, und zwar mit besonderen Solennitäten. Wahrhaftig, des venezianischen Dogen Staat ist königlich und ungemein prächtig, aber bei all solcher Pracht ist er nichts anderes als ein wirklicher Untertan der Republik, und in vielen Stücken ist er noch übler dran als der geringste Senator. Denn in Staatssachen darf er aus eigener Macht und Gewalt ohne Vorbewußt des Rats nichts unternehmen, und in den Collegiis, worin er präsidiert, hat er nicht mehr als zwei Vota. Die von auswärtigen Mächten an ihn geschriebenen Briefe darf er weder erbrechen noch für sich beantworten, und alle seine Dinge muß er mit der größten Behutsamkeit traktieren, wofern er nicht große Verantwortung haben will; den Augenblick, da er erwählt worden, müssen seine Kinder, Brüder und Anverwandten alle öffentlichen Ämter niederlegen, und solange seine Regierung währt, dürfen sie sich keine Hoffnung zu einer Charge machen.

Er darf ohne spezielle Erlaubnis des Rats nicht einen Augenblick aus der Stadt reisen, daher man im gemeinen Sprichwort zu sagen pflegt: ›Der venezianische Doge ist bei Solennitäten ein König; bei Beratschlagungen ein bloßer Ratsherr; in seinem Hause und in der Stadt aber ein Gefangener‹.«

»Ei!« sagte hier der Herr von Thalberg, »so will ich lieber ein deutscher Landjunker bleiben, als ein Doge zu Venedig werden.«

»Ich selbst halte dafür«, versetzte Elbenstein, »daß man dabei vergnügter lebt. Allein, mein Herr!« sprach er zum Offizier, »wie ist es denn mit den Ratskollegien beschaffen?«

»Deren sind«, gab dieser zur Antwort, »vornehmlich fünf. Das erste und vornehmste ist la Signoria; nebst dem Herzog oder Dogen befinden sich darin sechs Staatsräte, welche alle Jahre abgewechselt werden und jederzeit in roten Röcken erscheinen müssen. Das zweite ist der große Rat oder Il Consiglio grande, worin alle Nobili Sitz und Stimme haben, daher es zum öfteren aus mehr als tausend Personen besteht, und eben in diesem Collegio geschieht die Wahl eines neuen Dogen. Das dritte ist Consiglio del pregadi oder der etwas engere Rat, welcher aus ungefähr dreihundert Nobili oder venezianischen Edelleuten besteht. Diesen hält man für die Seele der Republik. Das vierte Kollegium heißt Il Consiglio proprio, darin sitzen die sogenannten Savii Grandi, welche, wenn man die Signoria ausrechnet, sechsundzwanzig Personen ausmachen, und hier wird den Gesandten auswärtiger Mächte Audienz erteilt. Das fünfte wird genannt Il Collegio delli Dieci, dieses besteht aus zehn Männern, welche das höchste peinliche Gericht hegen, vor welchem auch der Herzog in Person erscheinen müßte, wenn er von jemandem verklagt würde. Hier ist für einen Verbrecher oder schuldig Befundenen kein Pardon zu erwarten, denn man kann von diesem Collegio an niemanden anderes als an unseren Herrn Gott appellieren, weswegen sich der Himmel allein dessen erbarmen kann, wer dahin zitiert wird.

Dieses Zehnmännergericht hält gewaltig viele Spione, erfahren deswegen nicht nur alles, was in der Stadt passiert, sondern auch was hie und da etwa in Kompanie geredet wird. Sonst ist hier zwar auch ein Inquisitionstribunal, worin der päpstliche Nuntius, der Patriarch von Venedig und der Pater Inquisitor sitzen, allein es ist hier mit der Inquisition bei weiten nicht so scharf als in Spanien und anderen Orten; den jetzt gemeldeten drei geistlichen Herren sind noch drei Ratsherren an die Seite gesetzt, ohne deren Consens nichts darf beschlossen werden, wie man sich denn hier, den äußerlichen Schein ausgenommen, überhaupt nicht viel aus der Religion macht.

Unterdessen finden sich unter den venezianischen Geistlichen viel vortreffliche Oratores, und nach geendigtem Karneval werden die geistreichsten und beweglichsten Bußpredigten gehalten; nur über das sechste Gebot wird eben nicht sonderlich geeifert und viel Wunderns wegen dessen Übertretung gemacht, sondern wenn jemand gegen seinen Beichtvater seine Übertretung desfalls bekennt, gibt derselbe mehrenteils zur Antwort: ›Bagatelle! Bagatelle! Kleinigkeiten! Kleinigkeiten!‹ Was den Karneval anbelangt, so geht es um selbige Zeit wohl in der ganzen Welt nirgends lustiger zu als hier, und hat man wohl eher dreißigtausend und mehr Fremde gezählt, welche sich der Karnevalslustbarkeiten teilhaftig gemacht; denn weil einem jeden erlaubt ist, sich zu maskieren, so ist er in solchem Habit sozusagen semper frei und darf von niemandem angetastet werden, hingegen darf eine Maske auch kein tödliches Gewehr bei sich führen. Wenn ich nun rechne, daß jeder Fremde durch die Bank, vom Vornehmsten bis zum Geringsten, zum wenigsten hundert Dukaten verzehrt, so mache solches eine Summa von drei Millionen aus. In dem Palast Ridotto stehen zur selben Zeit tags und nachts zehn Zimmer offen für diejenigen, welche Lust haben, à a Basette oder andere Spiele zu spielen. Die Opern und Komödien sind unvergleichlich und locken viele Personen an sich. Auf dem St. Markus-Platz trifft man zum öfteren mehr als fünfzigtausend Menschen an, welche den Marktschreiern, Seiltänzern, Gaukelspielern und Wahrsagern zusehen.

Man hat mir einmal folgende zwei lächerlichen Historien erzählt, an deren Wahrheit ich aber selbst zu zweifeln nicht geringe Ursache habe. Es wäre nämlich ein solcher Seiltänzer von dem höchsten Turme auf einem Seil heruntergefahren und zu Fuß wieder hinaufspaziert. Er wäre bald zurückgekommen und mit einem Schubkarren voller Steine auf dem Seil auf- und niedergefahren. Endlich habe er sich zu Pferde gesetzt, sei auf dem Seil hinauf geritten und im vollen Galopp wieder heruntergekommen.«

»Das lasse ich«, sagte hier Elbenstein, nachdem er sich über diese Geschichte sattgelacht, »für ein perfektes Kunststück oder für ein perfektes Märchen passieren.«

»Das ist noch nichts«, sagte der Offizier, »meine Herren lassen sich noch eines erzählen: Einstmals hat ein Gaukler auf diesem Platz einen Knäuel Bindfaden oder Segelgarn in die Luft geworfen und ist an dem Faden bis über die Wolken hinaufgeklettert. Darauf ist eines von seinen Beinen heruntergefallen, hernach das andere Bein, bald darauf ein Arm und wieder ein Arm, dann der Kopf und endlich der Rumpf. Diese Stücke haben alle auf dem Platz eine ziemliche Weite voneinandergelegen: Im Augenblick aber sind sie wieder zusammengefahren, der Gaukler ist aufgesprungen und hat sich frisch, fröhlich und gesund vor aller Zuschauer Augen dargestellt.«

»Ei, ei!« sagte Thalberg mit heftigem Lachen, »das ist zu künstlich, jedoch kann ich mir die Sache in meinen Gedanken ebensogut vorstellen, als ob ich dabei gewesen wäre und es alles mit meinen Augen angesehen hätte.«

»Gut!« sagte Elbenstein, der nicht weniger lachte, »diese zweite Geschichte will ich mir selbst notieren, denn wenn ich wieder zurück in mein Vaterland komme, so kann ich nur damit allein manchen Deutschen in erstaunende Verwunderung setzen. Nun aber, mein Herr, wieder auf ernsthafte Sachen zu kommen, ich habe bemerkt, daß einige Nobili di Venetia eine goldene Kette mit einer großen Medaille tragen; was soll das anzeigen?«

»Mein Herr!« gab der Offizier darauf, »das sind die Ritter von St. Marco. Ich will Ihnen sagen, wo derselbe Orden herkommt. Gewiß kann ich zwar nicht melden, womit es der heilige Theodorus, welches sonst der Venezianer Patron war, bei ihnen versehen hat, daß sie ihn Anno 828 absetzten und sich in den Schutz des heiligen Evangelisten Marci begaben, dessen Körper eben damals in Ägypten war gefunden und nach Venedig gebracht worden. Unterdessen mußte der heilige Theodorus zurücktreten, dem heiligen Marco aber wurde zu Ehren eine neue, vortreffliche Kirche gebaut, welche nachgerade immer kostbarer ausgebaut und ausgeziert worden, bis sie in den Stand geraten, worin man sie jetzt sieht, denn ihre neun Prokuratoren, deren jeder jährlich hunderttausend Dukaten Revenüen für seine Person hat, geben wohl Achtung darauf, daß keine Kanckergespinste darin gefunden werden. Überdies stifteten die Herren Venezianer dem heiligen Marco zu Ehren einen neuen Ritterorden.

Die Ritter tragen auf der Brust eine goldene Kette, woran eine große goldene Medaille hängt, auf deren einer Seite steht ein geflügelter Löwe, der in der rechten Klaue ein bloßes Schwert, in der linken aber ein offenes Buch hält, darin die Worte zu lesen: PAX TIBI MARCE! EVANGELISTA MEVS. Auf der anderen Seite ist der Name des regierenden Dogen, oder auch manchmal sein Bildnis, da er kniend eine Fahne aus der Hand des heiligen Marci empfängt. Ich kann nicht unterlassen, bei Gelegenheit des geflügelten Löwen noch ein Schirlentzgen zu erzählen:

Es wurde einstmals ein Venezianer von einem Deutschen gefragt, wo doch der der Löwe die zwei Flügel müsse herbekommen haben? Der Venezianer gab zur Antwort: Der Löwe wäre aus dem Lande gebürtig, wo die Adler zwei Köpfe hätten. Ein Franzose fragte: Warum doch wohl der Löwe das Buch anderen vorhielte und nicht selbst darin läse; Dem gab ein Deutscher zur Antwort: Der Löwe begehrte nicht, gelehrter zu sein als seine Prinzipale. Heutigen Tages beehren die Herren Venezianer nicht allein ihre Landsleute, sondern auch Fremde, und vornehmlich gelehrte Leute, mit diesem Ordenszeichen und werden die Ritter, welche von dem gesamten Rat geschlagen werden, höher geachtet, als die der Doge für sich allein kreirt. Sie genießen auch eine jährliche Pension. Hierbei aber muß ich bekennen, daß mir ihre Ordensregeln nicht so gar genau bekannt sind.«

»So halten doch«, fragte Elbenstein, »die Herren Venezianer auch etwas auf die Gelehrten? Ich habe immer gemeint, daß sie sich mehr um die Handelschaft als um die Gelehrten bekümmerten.«

»Nein! Ich versichere Ihm«, gab der Offizier darauf, »daß sie sehr viel fait von Gelehrten machen, wovon das Exempel des Poeten Actii Sanazarii eine Bekräftigung gibt, welcher, da er vor bereits zweihundert Jahren sechs lateinische Zeilen Verse auf die Republik Venedig gemacht, für jede Zeile hundert, andere wollen gar sagen tausend Dukaten zum Gratial bekommen.«

»Ich habe davon gehört«, sagte Thalberg, »allein, die Verse sind mir unbekannt.«

»Ich will«, versetzte der Offizier, »sie Ihnen vorbeten:

Viderat Adriacis VENETAM Neptunus in undis,
Stare urbem, et tati panere jura salo.
Nunc mihi Tarpejas quamtum vis, Jupiter, arces,
Obijce et illa tui Moenia Martis, ait:
Si Pelago Tiberim praefers, urbem aspice utramvis,
ILLAM Homines dicas, HANC posuisse Deos.

Ein berühmter Poet hat diese in folgende zierliche deutsche Verse gebracht:

NEPTUNUS stand und sah die Stadt VENEDIG an,
Die sich Beherrscherin des Meeres nennen kann;
Da sprach er: JUPITER! Warum erhebst du doch
Dein Capitolium am Tiberstrom so hoch?
Man sieht nur Menschenwerk, wenn man dein ROM beschaut,
VENEDIG aber ist von Göttern aufgebaut.

Jedoch was ists mehr, reiche Leute können ja auch wohl reichliche Geschenke austeilen, denn ungeachtet die Republik an Landschaften ein merkliches verloren, ihr auch von anderen Nationen in der Handelschaft nach Ostindien sehr viele Vorteile abgezwackt worden, so rechnet man doch, da sie sonst mehr als königliche Einkünfte gehabt, daß sie noch jetzt jährlich mehr als zehn bis fünfzehn Millionen Dukaten einzunehmen habe. Die Kriegsmacht ist nicht gering, denn allein zu Friedenszeiten werden etliche zwanzigtausend Mann und ungefähr vierzig Schiffe vom Rang gehalten, ohne die Fregatten und Galeeren. Haben sie aber Krieg, so können sie in kurzer Zeit soviel Mannschaft auf die Beine und soviel Schiffe in die See schaffen, als sie nötig erachten, denn solange ihr Arsenal und die Bank in Venedig im guten Stand bleiben, ist kein Mangel an etwas zu besorgen.

Die Seemacht wird allemal von einem Nobile di Venetia kommandiert, welcher den Charakter Capitaneo Grande führt. Das Kriegsvolk zu Lande aber kommandiert mehrenteils ein Ausländer, der Mareschallo di Campo tituliert wird. Unter allen anderen Nationen nehmen sie gern Deutsche in ihre Kriegsdienste, bezahlen dieselben zwar raisonable, gehen aber mit ihrem Blut nicht gar sparsam um, sondern wenn dieselben auf die Schlachtbank sind geliefert worden, sprechen die Herren Venezianer: ›Sono pagati. Sind sie doch bezahlt.‹«


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