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Elbenstein erschrak, daß ihm alle Glieder zitterten, und zwar noch weit ärger als in Ariqua bei der Baronne von K. Das Frauenzimmer bemerkte sein Erschrecken, machte ihm deswegen mit einer verliebten und angenehmen Miene ein höfliches Kompliment und sagte:
»Erschrecken Sie nicht, mein Herr! Ich bin kein Gespenst, sondern eine Person, die Fleisch und Beine hat, wie sie sehen und fühlen können.«
Indem sie dieses redete, schlug sie den Schlafrock voneinander und zeigte ihren ganzen bloßen Leib ohne Hemd, welcher sehr zart und weiß schien, auch mit ein paar wohlproportionierten, harten Liebesäpfeln versehen war. Da aber Elbenstein noch immer als ein steinernes Bild stand und weder redete noch sich bewegte, trat das Frauenzimmer näher, ergriff ihn bei der Hand und sagte:
»Kommen Sie, mein Herr! Setzen Sie sich zu mir an diesen Konfekttisch und trinken mir ein Glas Wein zu.«
Elbenstein sah sich also gezwungen, niederzusitzen. Das Frauenzimmer sah ihn beständig mit verliebten Augen und Gebärden an, entblößte auch, da er noch gar nicht reden wollte, zum öfteren nicht nur die Brust, sondern auch den ganzen Leib, ja sie wollte ihn endlich gar embrassieren und küssen. Allein er hielt sie davon mit einer höflichen Manier zurück, öffnete auch endlich seinen Mund und fing dieses an zu reden:
»Ich kann gar nicht begreifen, wie das Schicksal in diesem Hause oder Schlosse, was es sein mag, so wunderbar mit mir spielt. Allein, schöne Dame, ich will Ihnen im voraus sagen, daß ich zu einer unglückseligen Stunde empfangen und geboren bin, denn die Natur hat mich schon im Mutterleibe derjenigen Werkzeuge beraubt, mit welchen andere Mannspersonen dem Frauenzimmer vollkommene Satisfaktion geben können. Überdies sollte auch wohl der allerwollüstigste Kavalier, wenn er sich in meinen jetzigen Umständen befände, hierzu incapable sein. Darum bitte ich Sie, schönste Dame, mir nicht ungütig zu nehmen, daß ich Ihren Liebesappetit nicht stillen kann.«
»Die erstere Entschuldigung«, sagte das Frauenzimmer, »kommt mir als ein Märlein vor, weil Ihr mir jederzeit mehr als zu vigoreux vorgekommen, und die andere wird von sich selbst hinwegfallen, wenn wir erst im Bett beieinander warm geworden sind. Eben dieserwegen bin ich zu Euch gekommen, Euch Eures bisher ausgestandenen Mißvergnügens vergessend zu machen, denn ich glaube sicherlich, daß auch die köstlichsten Traktamente nicht vermögend sind, einen jungen Kavalier zu vergnügen, wenn er keine Liebesarbeit dabei verrichten darf. Bin ich denn etwa gar so häßlich, daß Ihr mich nicht lieben wollt? Ich versichere Euch, daß Ihr meinetwegen keine Gefahr zu besorgen habt, denn ich bin ein lediges Frauenzimmer, die ihren Leib noch niemandem preisgegeben hat, aber in Euch, mein Herr, habe ich mich sterblich verliebt, sobald ich Euch vor wenigen Monaten zum erstenmal gesehen habe. Fürchtet Ihr Euch etwa vor dem alten Herrn, der vorhin bei Euch gewesen ist? Das habt Ihr nicht Ursache, zieht an dem Glöcklein und laßt ihn durch einen Bedienten heraufrufen. Er wird gleich da sein und uns die Erlaubnis geben, daß wir beisammen schlafen dürfen, denn er weiß, daß ich Euch inniglich liebe, und nicht allein dieserwegen, sondern auch, weil er Befehl hat, auf den ausgestandenen Schrecken Euch alles nur ersinnliche Vergnügen in dieser Eurer Einsamkeit zu machen; so sieht er es von Herzen gern, wenn ich Euch des Nachts einen vergnügten Zeitvertreib mache. Laßt ihn rufen, fragt ihn selbst, damit wir uns desto freier und sicherer miteinander ergötzen können.«
Unter diesen letzteren Worten schenkte sie ein Glas Wein ein und trank es auf Elbensteins Gesundheit aus, und dieser tat dergleichen. Da er aber keine Antwort gab, sagte sie:
»Wie, mein Engel! Habt Ihr denn ein Herz von Stein? Und wollt meinen Leib verschmähen? Seht mich doch nur erst noch einmal recht an, befühlt mich und sagt hernach, was für einen Tadel Ihr an mir findet.«
Es war wohl an dem, daß der alte Adam bei Elbenstein aufwachte, jedoch er war so glücklich, denselben zu unterdrücken, entweder weil es ihm ein Ernst, die Lüste des Fleisches nicht mehr auszuüben, oder weil er sich wegen der ausgestandenen Todesangst noch nicht wollüstig genug befand, oder, welches fast am meisten zu glauben, weil er befürchtete, man möchte ihm eine neue Fallbrücke zubereitet haben. Deswegen gab er dem Frauenzimmer zur Antwort:
»Vortreffliches Geschöpf! Ich glaube schwerlich, daß ein schönerer Körper kann gefunden werden als der Ihrige, denn Sie sind ein rechtes Meisterstück der Natur. Ich Elender habe aber die größte Ursache, bei solchen Umständen mich über die Grausamkeit der Natur zu beschweren, daß sie mir nicht auch dasjenige mitgeteilt, was sie doch dem allergeringsten Bauernknecht gegeben. Schönster Engel! Ich wollte ja gern, aber ich kann ja nicht! Deswegen quälen Sie mich doch nicht.«
»Ei!« sagte das Frauenzimmer, nachdem sie noch ein Glas Wein ausgetrunken hatte, »es mag denn sein, wie es sei, ich liebe doch Eure Person; kommt nur mit mir ins Bett, damit ich das Vergnügen habe, Euch zu umarmen und zu küssen, wenn mir gleich der völlige Genuß Eurer Liebe versagt wird.«
»Dieses wäre«, versetzte Elbenstein, »eine vollkommene Tortur für mich, bedenken Sie es selbst, liebenswürdige Dame! Bei einem solchen schönen Bild zu liegen und sich mit demselben nicht divertieren zu können, würde mir dieses nicht tausend Seufzer auspressen? Was wäre Ihnen also mit meiner Qual gedient? Deswegen sein Sie so gütig, begeben sich in Ihrem Zimmer zur Ruhe, weil ich sicher glaube, daß tausend qualifiziertere Kavalier als ich bin sich mein heutiges Glück in diesem Stück wünschen möchten, es also Ihnen, werteste Dame, am Liebesvergnügen nicht ermangeln kann, ich aber muß mein Unglück beklagen.«
»Nein!« sagte sie, »ich muß bei Euch im Bett liegen, kommt nur!«
Hiermit fuhr sie vom Stuhl auf, ließ ihren Schlafrock fallen, stand also nackend und bloß vor Elbensteins Augen, welcher jedoch seinen Arm auf den Tisch stützte und die Hand vor die Augen hielt.
»Ach, Ihr schämt Euch zu sehr, mein Herr!« ließ sich die Verführerin vernehmen, »kommt nur ins Bett und zieht die Gardinen zu.«
Hiermit nahm sie ihren Schlafrock, legte denselben auf einen Stuhl vors Bett, sie aber stieg ganz gemächlich hinein und legte sich zurecht, in Meinung, daß Elbenstein nachfolgen würde.
Allein dieser, welcher den Streich als eine der stärksten Versuchungen des Satans ansah, nahm die Bibel zur Hand und schlug darin etliche Psalmen auf, welche sich auf seinen Zustand wohl schickten. Etwa eine Viertelstunde hatte das Frauenzimmer gelegen, als sie rief:
»Wollt Ihr noch nicht kommen? Mein Engel! Habt Ihr noch nicht ausgebetet? Ihr seid ja doch kein Geistlicher? Und oh, wieviel tausend geistliche Herren sollten ihr Gebet, wer weiß wie lange, unterlassen, wenn sie so gute Gelegenheit zu Pflegung der Liebe hätten.«
»Lassen Sie mich nur immer beten«, replizierte Elbenstein, »schlafen Sie ruhig und gönnen mir die Ehre, daß ich Sie bewache.«
»Oh! Unbarmherziger«, rief die Dame, »ists möglich, daß Ihr so grausam sein könnt, mir nicht einmal das Vergnügen zu gönnen und in meinen Armen zu schlafen?«
»Zürnen Sie nicht mit mir, Schönste«, sagte Elbenstein, »sondern mit der unbarmherzigen Natur, die mich untüchtig zum Liebeswerk gemacht hat.«
Hierzu schwieg das Frauenzimmer still und fing an zu schnauben, so daß Elbenstein nicht wußte, ob es ein wirklicher oder verstellter Schlaf bei ihr war. Er aber blieb auf seinem Stuhl sitzen und las in der Bibel, bis der Tag anbrach, da denn das Frauenzimmer abermals nackend aus dem Bett heraussprang, etlichemal auf und ab spazierte, endlich vor ihn trat und sagte: »Wollt Ihr mich noch nicht lieben?«
»Ich wollte wohl«, gab Elbenstein darauf, »wenn ich nur könnte.« Sie sprach: »So küßt mich doch wenigstens nur einmal.«
»Ich habe es«, erwiderte Elbenstein, »nicht allein verredet, Zeit meines Lebens kein Frauenzimmer zu küssen, weil es doch mir und ihr zu nichts helfen kann, sondern ich will auch in diesem Stück meine Keuschheit bewahren.«
»Oh du Keuschheit über alle Keuschheit«, sagte die Kokette, warf damit ihren Schlafrock über sich, machte ihm ein Kompliment und retirierte sich durch die hinter den Tapeten befindliche Tür in ein anderes Zimmer.
Der sehr ermüdete Elbenstein dankte dem Himmel, daß er ihm diese sehr starke satanische Versuchung so ritterlich überwinden helfen, weil er aber Bedenken trug, sich in das Bett einzuscharren, wo diese Geile gelegen hatte, legte er sich nur unausgezogen im Schlafrock auf die Oberdecke und schlief einige Stunden.
Kurz vor der Mittagsmahlzeit kam der Alte und fragte, wie er sich befände, und ob er etwas Außerordentliches verlangte? Elbenstein gab zur Antwort:
»Nichts anderes möchte ich verlangen und wünschen, als meine Freiheit, zu meinem Fürsten zu reisen, um demselben zu zeigen, daß ich kein ehrvergessener Deserteur sei.«
»Da wird schon bald Rat dazu werden«, sagte der Alte mit sehr freundlichen Gebärden, »Sie sollen sich nur erst wieder ausfüttern und Ihres Kummers vergessen, damit Sie desto fröhlicher von uns Abschied nehmen können, denn alles, was geschehen, ist mir selbst zum größten Leidwesen geschehen. Aber, a propos«, fuhr der Alte im Reden fort, »mein Herr! Warum sind Sie denn so grausam ekel gewesen und haben das artige Frauenzimmer verschmäht, welches ich gestern abend zu Ihnen kommen lassen? Ich kann Ihnen bei meiner Ehre versichern, daß es keine gemeine Kanaille, sondern ein Kind von vornehmen Eltern ist; sie hat sich schon vor einiger Zeit in Sie verliebt gehabt und mir ihre heftige Liebe anvertraut; weil mir nun von meiner Herrschaft anbefohlen worden, Ihnen, mein Herr, alles erdenkliche Vergnügen in Ihrer Einsamkeit zu machen, so vermeinte ich, mit einem wohlgebildeten Frauenzimmer meine Sache hauptsächlich wohlgemacht zu haben, muß aber von ihr vernehmen, daß sie sehr kaltsinnig von Ihnen traktiert worden. Ei! Gebrauchen Sie sich doch der Gelegenheit, solange Sie noch hier sind, sie soll alle Nacht bei Ihnen bleiben, und haben Sie sich dieserwegen nicht der geringsten Verantwortung zu besorgen, es wird sich auch niemand darüber aufhalten, denn es weiß niemand etwas davon als ich ganz allein.«
»Um Gottes Willen, mein Herr!« widerredete Elbenstein, »verschonen Sie mich mit dergleichen Liebespossen, denn sie sind ganz und gar wider mein Naturell; ein gutes Buch kann mir die Zeit besser passieren als das schönste Frauenzimmer, jedoch habe ich allen geziemenden Respekt vor diesem schönen Geschlecht.«
»Erlauben Sie denn, daß dieses artige Kind«, sagte der alte verzweifelte Fuchs, »diesen Mittag mit Ihnen speisen darf, damit Sie ihr wohlgebildetes Gesicht recht bei Tag sehen, vielleicht gefällt es Ihnen besser als bei Licht.«
»Ich habe hier nichts zu befehlen oder Erlaubnis zu erteilen«, versetzte Elbenstein, »sondern habe, wie mein Herr Selbsten wissen, mit mir umgehen lassen, als man nur immer gewollt.«
»Ei!« sagte der alte Schalk, »die bösen Zeiten sind vorbei, nunmehr müssen Sie sich erst wieder etwas zu Gute tun, ehe Sie von uns reisen. Sorgen Sie für nichts weiter und schlagen allen Kummer aus dem Sinn.«
Hiermit wünschte ihm der Alte gesegnete Mahlzeit und ging seiner Wege. Bald hernach wurden die Speisen durch die Stummen aufgetragen, und eben da sich Elbenstein zu Tische setzen wollte, öffneten sich die Tapeten abermals, durch welche die gestrige la bella Catharina ins Zimmer getreten kam, eine Reverenz à la mode machte und ganz freimütig fragte, ob sie sich bei ihm zu Gaste bitten dürfte? Elbenstein replizierte, wie er sich eine besondere Ehre daraus machte, mit einem schönen Frauenzimmer zu speisen, präsentierte ihr deswegen einen Stuhl und setzte sich gegen sie über, legte ihr auch von allen Gerichten die niedlichsten Bissen vor. Sie charmierte entsetzlich, und Elbenstein fühlte zu verschiedenen Malen den Pfahl, welcher ihm im Fleische stak, doch nahm er sich ernstlich vor, seinen Affekten einen Zaum und Gebiß ins Maul zu legen und sich mit diesem Satansengel im geringsten nicht in Unzucht einzulassen. Unterdessen, da sie so raffiniert war, nicht das geringste von Liebessachen, vielweniger von der Passage der verwichenen Nacht zu erwähnen, sondern nur verschiedene kuriose und lustige Geschichten zu erzählen, so war es Elbenstein so gar nicht zuwider, daß er doch jemanden hatte, mit dem er sprechen konnte, denn mit den Stummen konnte er nicht diskutieren, und den Alten sah er allezeit lieber gehen als kommen.
Nach der Mahlzeit holte diese Sirene eine Gitarre und spielte sehr künstlich darauf, sang auch über zwei Stunden lang viele Arien drein, indem sie eine rühmenswürdige Stimme hatte.
Hierüber empfand Elbenstein einiges Vergnügen, ja er fing fast an zu wünschen, daß er mit diesem artigen Bilde nicht in einem Käfig eingeschlossen, sondern an einem etwas freieren Ort sein möchte. Jedoch wenn er an die Ketten, Brandmale und endlich an das Henkerschwert dachte, verging ihm aller Appetit zum Liebesspiel, weswegen er auch nach wenigen fröhlichen Blicken gleich wieder in eine Tiefsinnigkeit verfiel.
Nachdem sich nun endlich das Frauenzimmer müdemusiziert, langte sie ein Brettspiel herbei und nötigte Elbenstein, die Dame mit ihr zu ziehen. Sie spielte dieses sinnreiche Spiel sehr wohl, und Elbenstein, der sonst auch gut spielte, hatte viel zu schaffen, ihr dann und wann ein Spiel abzugewinnen. Sie tranken Kaffee dabei und spielten also, bis die Abendmahlzeit aufgetragen wurde, da sie denn abermals miteinander speisten und von lauter indifferenten Sachen diskurierten, wobei Elbenstein bemerkte, daß sie als ein Frauenzimmer einen sehr guten, natürlichen Verstand hatte. Gleich nach der Mahlzeit machte sie ihm stillschweigend ein Kompliment und retirierte sich; Elbenstein war sehr froh, daß sie nur Abschied nahm und nicht wie gestern von Liebespossen zu reden anfing.
Er setzte sich demnach wieder vor sein Buch und war gesonnen, nur noch etwa das Ende einer gewissen Geschichte darin auszulesen, hernach sich beizeiten zur Ruhe zu legen, allein, kaum hatte er die Stummen fortgeschickt, da der Irrgeist im rosenfarbenen Schlafrock wiederkam und eben eine solche Komödie spielte wie die gestrige Nacht. Sie wendete alle Bewegungsmittel an, ihn zu sich ins Bett zu kriegen, allein, er behielt auch in diesem Kampf den Sieg, und sie mußte ihm bei anbrechendem Tage die Walstatt lassen, weil er seine Feinde, die Lüste und Begierde, glücklich aus dem Felde geschlagen.
Am dritten Tag setzte sie ihm noch schärfer zu als vorher, und sonderlich des nachts; bald fiel sie ganz nackend vor ihm auf die Knie, bald weinte sie, und ihr einziges Bitten war dieses, daß er sich nur eine einzige Viertelstunde an ihre Seite legen und sie küssen möchte, ob er gleich sonst nichts bewerkstelligen könnte. Dieser satanische Hauptsturm währte bis zu Anbruch des Tages, indem sie bald ins Bett hinein, bald wieder heraussprang und Elbenstein, der zwar die Augen immer auf sein Buch gerichtet hatte, jedoch nicht wußte, was er las, beständig bombardierte und quälte. Allein, auch diesen Hauptsturm schlug er glücklich ab. Die Unverschämte hing demnach ihren Rock wieder über, sagte weiter nichts als: »Addio, du Barbar! Nun komme ich dir nicht wieder!« und verschwand hinter den Tapeten.
Kaum war sie hinweg, als Elbenstein seine Hände gen Himmel aufhob und Gott inbrünstig anrief, doch nicht zuzugeben, daß dieses lasterhafte Weibsbild noch einmal wieder vor seine Augen kommen möchte. Er dankte dabei dem Höchsten, daß er ihm sattsame Kraft und Stärke verliehen, diesen so oft wiederholten satanischen Versuchungen zu widerstehen, bat um Vergebung wegen der dann und wann aufgestiegenen wollüstigen Gedanken, auch um ferneren kräftigen Schutz und Hilfe. Hierauf legte er sich mit ganz getrostem Herzen aufs Bett und schlief abermals, bis er schon die Sonne im Zimmer sah.
Folgendes Tages wurde er weder von dem Alten noch von jemand anderem inkommodiert, von den Stummen aber mit allem, was er nur verlangen mögen, vollkommen wohl bedient; hierbei nun hatte er gute Muße zu lesen, und er kam in dem großen Historienbuch sehr weit. Abends aber kam der Alte, etwa zwei Stunden vor Mitternacht, jählings in sein Zimmer getreten und sagte:
»Mein Herr! Kommen Sie doch geschwind mit mir, es will Sie jemand sprechen.«
Elbenstein erschrak und gedachte bei sich selbst:
»Nun, was wird dieses für ein neuer Sturm sein?«, stand aber auf und folgte dem Alten, welcher ihn quer über den Saal hinüber bis an die Tür eines Vorgemachs führte, selbige eröffnete und sagte:
»Nun, mein Herr! Gehen Sie geradefort auf die Tür zu, welche Ihnen entgegenstößt, eröffnen Sie selbige nur ohne Bedenken und treten in das Zimmer hinein.«
Elbenstein ging etliche Schritte fort, blieb sodann eine lange Weile stehen und wußte selbst nicht, wie wunderlich ihm zu Mute war, noch was er tun sollte. Jedoch endlich besann er sich und bedachte, weil er doch einmal in fremder Leute Gewalt wäre, müsse er Gehorsam leisten, es käme nun, wie es wolle, mehr könnte es ihn doch nicht kosten als das Leben. Demnach schritt er weiter fort, eröffnete die Tür ohne Anpochen, trat hinein und zog dieselbe hinter sich zu, welche denn von selbst abschloß.
Aber, oh Himmel! Wie wurde ihm zu Mute, als er oben am Tisch ein maskiertes Frauenzimmer sitzen sah, und zwar in eben dem Habit und von eben der Taille, als zu Ariqua in der Margarethen Hause in der zweiten Nacht erschienen war. Er war ganz außer sich selbst, stand als ein steinernes Bild, vergaß dabei auch sogar, der Dame ein Kompliment zu machen, und blieb im Zweifel, ob es die wirkliche damalige maskierte Dame oder das Frauenzimmer wäre, welche ihn nunmehro drei Nächte daher so gewaltig vexiert hatte. Endlich, da die Dame nur die wenigen Worte sprach:
»Tretet doch näher her, mein Herr!«, bemerkte er gleich an der Sprache, daß es nicht die gestrige, sondern die ariquanische wäre. Er machte demnach, da er zugleich seine Mütze abnahm, eine tiefe Reverenz, ging näher hinzu, blieb etwa drei Schritte vor der Maske stehen, machte eine nochmalige Reverenz und bemerkte nunmehr erst, daß die Dame einen entblößten Dolch in der Hand hatte.
»Nunmehr«, dachte Elbenstein, »wird dir dein letztes Brot gebacken sein.«
Die Maske aber fragte: »Kennt Ihr mich?«
»Wie ists möglich, daß ich eine maskierte Person kennen kann?« war Elbensteins Gegenfrage.
»Habt Ihr mich«, sprach die Maske weiter, »in diesem Habit und in dieser Maske sonst nirgends als jetzt hier gesehen?«
»Meines Wissens nicht«, gab dieser zur Antwort.
»Auch nicht zu Ariqua in der Margaretha Behausung?« so fragte sie weiter.
Elbenstein antwortete mit nein!
Hierauf fing sie folgenden Sermon an:
»Verwegener Verräter, es mag endlich gut genug sein, daß du etliche Tage her ungeachtet aller dir angetanen Marter hier in diesem Hause nichts bekennen wollen; allein, warum hast du diese Tugend in deiner vollen Freiheit nicht beobachtet, da dich niemand um unser Liebesgeheimnis befragt hat, du aber dennoch alles ausgeplaudert und mich dergestalt abgemalt hast, daß mich auch in der Maske jedermann erkennen können? Ist das der Dank, du Verräter! für meine getreue Liebe, von welcher ich dir alle ersinnliche Proben gegeben und dir zugeschworen, daß ich dergleichen zärtliche Regungen noch niemals gegen eines Mannes Person empfunden, als gegen dich allein. Dieser Dolch soll dir jetzt den Lohn geben für deine Verräterei, Falschheit und Bosheit. Sage nun selbst, ob du nicht einen weit schmählicheren Tod verdient hast?«
Hier hielt sie etwas inne und wollte Elbenstein erst zur Antwort kommen lassen, welcher sich zu ihren Füßen warf und in größter Gelassenheit also redete:
»Wenn mich Verleumder und falsche Zungen aus dero Gunst und Gnade, ja aus dero Herz gerissen, bin ich meines Lebens ohnedem überdrüssig; der Tod kann mir auch niemals süßer und angenehmer sein, als wenn ich denselben von dero schönen Händen empfange, welche ich seither in Gedanken täglich tausendmal geküßt. Kann ich aber eines einzigen verräterischen Wortes überführt und überzeugt werden, daß ich meinen Schwur wegen der Verschwiegenheit nur mit einem einzigen Wort gebrochen, so schätze ich mich eines solchen Todes unwürdig und spreche mir auf den Fall mein Urteil selbst, daß mir nämlich die Zunge aus dem Hals gerissen, ein Glied nach dem andern mit glühenden Zangen abgeknippen und mein Körper gevierteilt werden sollte.«
Die Maske fiel ihm ins Wort und sagte:
»Habe eine kleine Geduld, ich will dir alsbald Zeugen heraufrufen, die dich überführen sollen. Vorher aber sage mir noch, wie du so leichtsinnig und unerkenntlich sein können, mein Bitten nicht stattfinden zu lassen und mich in Padua zu besuchen, da es doch in der letzten Nacht meine letzte Bitte war und ich dir alle Gelegenheit angewiesen. Allein, die venezianischen Kanaillen haben dir im Kopfe gesteckt, die dir vielleicht besser gefallen als ich, und auch auf dem Rückweg hast du in Padua nicht einmal nach mir gefragt, vielmehr die unbedachtsamsten Reden im Gasthof von einem maskierten Frauenzimmer, worunter du mich gemeint, geführt. Verantworte dich, ungetreuer Verräter.«
Elbenstein gab ganz sanftmütig zur Antwort:
»Auf meiner Reise nach Venedig habe ich mich an dem bestimmten Ort eingefunden, es ist auch ein gewisser Mensch zu mir gekommen, welcher mir Nachricht gegeben, daß die Dame, welche mich zu sprechen verlangte, erst nach zehn Tagen daselbst selbst eintreffen würde; weil ich nun in meines Fürsten nötigen Verrichtungen verschickt, war mir unmöglich, dieselben zu verabsäumen und so viele Tage in Padua stillzuliegen, vielmehr vermeinte ich, binnen der Zeit wieder in Padua zurück zu sein. Habe ich«, redete er weiter, »in Venedig ein Frauenzimmer berührt, so nehme der Himmel heute und nimmermehr meine Seele zu Gnaden an.
Auf der Rückreise, da ich wieder nach Padua gekommen, bin ich die ganze Zeit in den größten Ängsten gewesen, wegen der vielen Gelder meines Fürsten, die ich unter meiner Aufsicht hatte. Ihnen wird selbst am besten bewußt sein, wie es in Padua zuzugehen pflegt; wäre nun nur etwas oder alles weggekommen, so hätte ich ja zum Schelm werden müssen, so aber bin ich nicht vom Platz gekommen, habe auch fast die ganze Zeit über kein Auge zugetan. Ach leider! daß ich für diesmal die Ehre meinem vollkommenen Vergnügen vorziehen müssen.
Was das Geschwätz von der Maske anbelangt, so rief mich ein paduanischer Kavalier ans Fenster und sagte zu mir: ›Mein Herr! Ich bitte sie um aller Heiligen willen! Betrachten Sie einmal das schändliche Gesicht, so daherspaziert kommt.‹ Ich mußte über seine Reden lachen und bekannte selbst, daß ich fast in meinem ganzen Leben kein Frauenzimmer mit einem häßlicheren Gesichte gesehen hätte, wobei ich aus Scherz sagte: ›Wenn dieses Frauenzimmer auf den anstehenden Karneval nach Venedig reisen will, darf sie nur andere Kleider, aber keine Maske mitnehmen, denn ihr Gesicht sieht ohnedem einer Maske ähnlicher als einem ordentlichen Gesicht. ‹ Dieses ist es alles«, beschloß Elbenstein seine Rede, »was ich gesündigt habe.«
»Es ist noch nicht alles«, erwiderte die Dame. »Steh auf, Ungetreuer, und setze dich in jenen Stuhl.«
Elbenstein sprach:
»Da ich sterben soll, bitte ich mir noch die einzige Gnade aus, daß ich zu Dero Füßen sterben darf.«
Sie:
»Steh auf, sage ich, und setze dich auf jenen Stuhl.«
»Nein, ich bitte«, sagte Elbenstein, »daß mein Blut zum Angedenken meiner Treue und Liebe an Dero Kleider spritzen möge.«
»Steh auf!« sagte sie zum drittenmal, »und setze dich auf jenen Stuhl, sonst wird augenblicklich Mannschaft da sein.«
Indem sie nun dieses mit einer ganz veränderten, wunderlichen Stimme vorbrachte, hielt Elbenstein fürs ratsamste, Gehorsam zu leisten; er stand demnach auf und setzte sich jenseits des Tisches in einen Lehnstuhl.
Die Dame stand gleichfalls auf, ließ ihren goldbrokatenen Oberschlafrock fallen und stand da in einem weißen atlassenen Nachtkleid, behielt aber den Dolch beständig in der Hand, weswegen Elbenstein nicht anderes vermeinte, als daß sie sich nur deswegen commode machte, ihm den letzten Stoß desto nachdrücklicher beizubringen; er wandte demnach seine Augen auf den Boden, faltete die Hände und betete einige Sterbegebete, die er noch im frischen Gedächtnis hatte.
Ehe er sichs aber versah, warf sich die Dame, welche ihre Maske abgelegt hatte und sich ihm in bloßem Angesicht zeigte, zu seinen Füßen und redete ihn also an:
»O teure, allergetreueste Seele, es wird zwar wohl das erstemal in deinem Leben sein, daß sich eine geborene Prinzessin zu deinen Füßen wirft, allein die Schuldigkeit befiehlt es, weil mich das Verhängnis nunmehr zu deiner Sklavin gemacht hat. Nicht du, sondern ich bin des Todes schuldig, nimm hin diesen Dolch und durchbohre meine tyrannische Brust.«
Unter welchen Worten sie Elbenstein den Dolch über seine gefalteten Hände legte und ihre ganze Brust entblößte, Elbenstein aber saß als ein steinern Bild und wußte fast gar nicht, wie ihm geschah.
»Ich, ich bin die Furie gewesen, die dich teils aus Eifersucht, teils aus allzuheftigen Liebesbegierden so grausam hat martern lassen. Räche deinen Hohn an mir, denn ich habe es verdient, und ob ich gleich seit unserer zweiten Zusammenkunft in Ariqua mich von dir schwanger befinde, so ist doch mein Leib nicht einmal würdig, diese Frucht zu tragen, weil ich mit deren Vater so grausam und unbarmherzig umgegangen bin. Einen einzigen Kuß von deinen Lippen vergönne mir noch zum Labsal mit ins Reich der Toten zu nehmen, hernach durchstich mein barbarisches Herz.«
Elbenstein hatte kaum noch so viel Vernunft, daß er den Dolch auf ein in der anderen Ecke stehendes Faulbett schleuderte und die Dame, welche ihren Mund nach dem seinigen erhob, umarmte und küßte. Als ihm aber ihre Gesichtsbildung, welche ein Ausbund aller Schönheiten war, nur auf wenige Blicke in die Augen gefallen und er das in ihrer allerschönsten Brust verschlossene bange Herz auf seiner Brust klopfend fühlte, wurde er auf einmal plötzlich dergestalt weichherzig, daß er Kopf und Arme zurücksinken ließ und in eine wirkliche Ohnmacht verfiel, welche doch von keiner langen Dauer war, indem ihm die Dame zum öfteren eine Salvolatile vor die Nase hielt und unablässig küßte; welches letztere Cordial für diesmal wohl die beste Operation tun mochte.
So hatte sie ihren Arm um seinen Hals geschlagen, bald hielt sie ihm das Salz vor, bald küßte sie seinen Mund, Wangen und Augen, bis endlich Elbenstein seine Augen wieder öffnete, da er denn mit schwacher Stimme sprach:
»Nun lassen Sie mich sterben, meine Göttin! Es geschieht mit Freuden und Vergnügen, weil ich mich wieder in Dero Gnade aufgenommen sehe; wie könnte es möglich sein, daß ich jemals einen sanfteren und süßeren Tod zu gewarten hätte.«
»Stirbst du, meine andere Seele!« sagte die Dame, »so überlebe ich dich keine Minute, sondern stoße mir doch selbst einen Dolch in die Brust.«
Indem sie dieses redete, benetzte sie Elbensteins Wangen mit ihren heißen Tränen, woraus dieser endlich ihre vollkommene Liebe und die Bereuung des Vergangenen schloß, weswegen denn in seinem Herzen alle angetane Marter auf einmal vergeben und sozusagen fast ganz vergessen war.
»Ich lebe«, sagte Elbenstein, indem er sie auf seinen Schoß nahm, »solange mich meine Göttin leben läßt, und sterbe ohne Murren, sobald sie es befiehlt.«
»Nein, mein Kind«, versetzte sie, »laß uns alle beide leben und uns vollkommen vergnügen, wir haben gute Zeit dazu, denn mein alter Gemahl, welcher sich einbildet, daß ich von ihm schwanger sei, hat eine Tour nach Spanien getan, wird auch binnen Jahr und Tag schwerlich zurückkommen; bei deinem Fürsten aber habe ich durch die dritte Hand wegen deines Renommees alles wohl veranstaltet. Deswegen du vor nichts besorgt sein darfst, denn alle deine Sachen hat er wohl verwahren lassen und wartet auf deine Wiederkunft, allein, er kann immer noch ein wenig warten; unterdessen soll dir, mein Leben, aller Schaden von mir vielfältig ersetzt werden.«
»Ach!«sagte Elbenstein, »Sie sind gar zu gnädig, ich bin mit dem Vergnügen zufrieden, und wer so glücklich ist als ich, kann immerhin alles im Stich lassen und sich zum Lande hinausbetteln.«
»Ach du kleiner Schmeichler!« sagte die Dame, indem sie ihm zugleich einen derben Kuß gab, »komm und folge mir in das Nebenzimmer, daß wir ein Glas Wein und einige andere Stärkungen zu uns nehmen können.«
Elbenstein folgte ihr nach noch vielen gegebenen Küssen in das Nebenzimmer, das nicht halb so groß als dieses war und worin ein Tresor mit Wein und Konfekt stand.
Es war dasselbe mit so vielen Wachslichtern erleuchtet, daß es so hell als am Tag darin war, weswegen er desto füglicher die bewunderungswürdige Gesichtsbildung der Dame betrachten konnte, wobei er in seinem eigenen Herzen bekennen mußte, daß er noch niemals dergleichen Wunderbild in natura, wohl aber als Kunststück der Maler gesehen. Er konnte seine Augen fast nicht davon hinwegbringen, denn es wurde nichts gesprochen, weil beide die Mäuler voll hatten; endlich aber kam die Dame zu ihm, fiel ihm um den Hals und sagte:
»Mein Leben! Du bist in Wahrheit noch böse auf mich, weil du kein Auge von mir verwendest und doch so ernsthaft dazu aussiehst.«
»Diese Ernsthaftigkeit«, gab Elbenstein zur Antwort, »welche ich etwa in tiefen Gedanken angenommen, stammt in Wahrheit von keiner Bosheit, sondern von einer besonderen Verwunderung her.«
»Worüber verwunderst du dich denn, mein Liebster;« sagte die Dame, worauf Elbenstein antwortete:
»Über nichts mehr, als über dero unvergleichlich schöne Gesichtsbildung, dergleichen mir wahrhaftig Zeit meines Lebens noch niemals vor die Augen gekommen ist.«
»Sage ichs nicht«, widerredete die Dame, »daß du ein kleiner Schmeichler und Herzensdieb bist; aber mir hat doch auch zeitlebens kein Gesicht besser gefallen als das deinige.«
Weil sie nun eben nach Aussprechung dieser Worte eine kleine Makrone in den Mund steckte, bat sich Elbenstein dieselbe aus ihrem Munde in seinen Mund aus, worin sie ihm zwar willfahrte, jedoch dieselbe augenblicklich wieder auf die Art zurückforderte, mit dem Versprechen, ihm sodann noch mehr zu geben. Es passierte also eine artige Fresserei, und mit dem Wein ging es eben nicht anders zu, indem immer eins ums andere dem anderen ein Maulvoll gab, bis sie sich alle beide fast begeistert hatten. Oh, was für ein törichtes Ding ist es doch um die Liebe! Die Dame stand endlich auf und ging etwas spazieren im Zimmer herum, weswegen Elbenstein aus Complaisance auch aufstand und neben ihr herspazierte, allein es währte nicht lange, so wurde sie des Spazierens wieder überdrüssig und nötigte ihn, sich bei ihr auf ein Faulbettchen niederzulassen.
Er gehorsamte, und da ging das Herzen und Küssen von frischem an, weil auch das weiße, atlassene Kleid so frevel war, sich vorne von selbst zu öffenen und das Brustpositiv bloßzustellen, als konnte Elbenstein unmöglich unterlassen, selbiges zu bespielen und zu küssen, hernach aber eine tiefere und gründlichere Untersuchung anzustellen, weswegen die Dame zurücksank und ihm ein kleines Präludium spielen ließ, hernach aber sagte:
»Mein Erzengel! Ich bitte mir ein bequemeres Lager und nur ein einziges Hauptkaresschen aus, weil wegen des bisherigen Chagrins ein mehreres unserer Gesundheit nicht zuträglich sein möchte, indem wir alle beide entkräftet sind.«
Elbenstein half ihr zu einem bequemeren Lager, allein, es blieb bei dem einzigen Hauptkaresschen nicht, sondern es wurde mit beider Bewilligung ein zweifaches Da Capo daraus. Worauf die Dame sprach:
»Mein Engel! Auf diesmal bin ich vollkommen vergnügt, auch sehr müde. Morgen Mittag wirst du mit mir speisen, nachher werden wir noch viel miteinander zu sprechen haben. Vorerst aber, weil es ohnedem bald Tag sein wird, nimm ein Licht und begib dich wieder nach deinem Zimmer.«
Elbenstein war sogleich bereit zu gehorsamen, allein, er mußte dennoch vorher noch etliche hundert Küsse zollen, und endlich wurde auf beiden Seiten geruhige Nacht gewünscht. Sie blieb auf dem Ruhebett liegen, er aber begab sich des vorigen Weges zurück in sein Zimmer, ohne einigen Menschen unterwegs zu sehen; weil er nun daselbst alles, was er brauchte, parat fand, hielt er für unnötig, die Klingel zu rühren, sondern zog sich bald aus und begab sich zu Bett.
Er betete zwar sein Abendgebet, allein sehr verwirrt, denn es fielen ihm immer die Fragen ein:
»Hältst du noch fest an deiner Frömmigkeit? Ist das deine Buße und deine Bekehrung? Oder wälzt sich die Sau nach der Schwemme wieder in den Kot und frißt der Hund weiter, was er gespeihet hat? Kennst du nicht den geraden Weg zum Tod und zur Hölle zu? Geht dirs anders als dem Doktor Faust, der, als er die Fesseln des Teufels schon fast gänzlich von sich geworfen, dennoch vermittels der schönen Helena sich selbige wiederum aufs neue anlegen ließ und endlich vom Teufel geholt wurde? Geschieht's ja nicht, daß der Teufel deinen Körper holt und zerreißt, daß die Gedärme auf den Bäumen hängen bleiben, wird's doch wohl genug sein, wenn er deine Seele bekommt, denn der Leib wird sodann sein Logis ohnedem nirgends anders als im höllischen Schwefelpfuhl bekommen.«
Diese Gedanken waren sehr gut, allein, nachdem er darüber eingeschlafen war, machte ihm der Satan ganz andere Gaukelspiele vor, die, ob sie gleich im Manuskript umständlich beschrieben sind, man doch herzusetzen Bedenken trägt. Kurz zu sagen, Elbensteins Gottesfurcht, Buße und Bekehrung wurden zum bloßen Schattenspiel, alles ausgestandene Unglück wurden nach und nach in gänzliche Vergeßlichkeit gestellt, und es prädominierte nichts bei ihm als die Wollust. Denn frühmorgens, da er aufstand, verrichtete er zwar ein leichtes Gebet in den Wind, bekümmerte sich aber bisheriger Art nach gar nicht um die Bibel, sondern setzte sich nieder und schrieb folgende Arie aufs Papier; ob er dieselbe selbst verfertigt, oder ob er sie von Olims Zeiten her in Gedanken behalten, kann man nicht so wohl sagen, als daß er sie seinem besonderen Trost und Aufrichtung gebraucht haben mag. Weil aber diese Arie in der wenigsten Leser Händen sein möchte, findet man für billig, dieselbe von Wort zu Wort herzusetzen:
1. | |
Mein Herze hat der Freiheit Gold verloren, Ich muß hinfort der Liebe dienstbar sein. Kaum da mein Mund die Dienstbarkeit verschworen, So reißt ein Blick den schwachen Vorsatz ein. Verhängnis, Glück und Zeit, ihr Meister aller Sachen, Sagt, was wird endlich noch der Himmel aus mir machen? |
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2. | |
Ein Fisch, der sich vom Angel losgerissen, Eilt nicht sofort dem falschen Köder nach. Ein Schiffsmann wird den Strand zu meiden wissen, Wo ihm zuvor sein Schiff und Mast zerbrach; Und ich, ich Törichter, bleib' an Charybdis hangen, Da schon mein Liebesschiff der Scyllen war entgangen. |
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3. | |
Doch, ach! Wer kann die Hand zurückeziehen, Wenn Venus uns beut ihren Nektar an; Für Menschenwitz ist dies ein schwer Bemühen, Weil niemand hier als Engel leben kann. Ein Mund mag noch soviel von Zucht und Keuschheit sprechen, Es wird ein schön Gesicht ihm bald den Vorsatz brechen. |
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4. | |
Ließ Davids Hand nicht Harf' und Psalter liegen, Da Bathseba sein Herze setzt' in Brand? Und Simsons Faust verlernete zu siegen, Als Delila ihn mit der Liebe band. Selbst Salomonis Witz und Weisheit ging verloren, Als ihn die Weiberlieb' schrieb in die Zahl der Toren. |
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5. | |
Kann Venus nun so starken Nektar schenken, Der Helden stürzt und Fürsten taumeln lehrt: Was Wunder denn, wenn sie mit Zaubertränken Mein Herze hat auf einmal so betört. Ich wag es noch einmal, und fehl' ich denn auch heute, So ist mein Fehler doch ein Fehler großer Leute. |
»O schöne Gedanken! O herrlicher Einfall! Ei vortreffliche Parodie auf die bisher mit inbrünstiger Andacht gelesenen Büß-, Bet-, Dank- und Lobpsalmen Davids.« So bellte der Hund in Elbensteins Gewissen, und er war wirklich im Begriff, das Blatt, worauf er diese Arie geschrieben hatte, wieder zu zerreißen, als eben jemand an die Stubentür pochte; da er nun dieselbe eröffnete, sah er die zwei Stummen als seine Bedienten, welche eine ziemlich große Kiste hereintrugen und ihm den in einen Brief versiegelten Schlüssel dazu einlieferten.