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Die Sterne verblassen.
Der Wind weht sanft über den Tigris.
Es wird wieder Morgen.
Die Christen feiern in Bagdad – Neujahr und schreiben das Jahr 897.
Die christlichen Weinwirte sind sehr freigebig gewesen – gaben in der letzten Nacht so manchen dicken Weinschlauch zum Besten.
Man darf sich also nicht wundern, daß sich Bagdad an diesem christlichen Neujahrsmorgen in recht gehobener Stimmung befindet.
Abu Hischam, der mit Kodama fast die ganze Nacht Schach gespielt hat, kehrt noch auf der Tigristerrasse ein – da lärmen die Tofailys.
Abu Hanifa und Hamadany sind auch da.
Die Tofailys zanken natürlich.
Sie hassen sich, sie beneiden sich, sie verleumden sich – wie gewöhnlich.
Es ist bekannt geworden, daß der verstorbene Safur das Wort »Tarub« zuletzt als Schimpfwort gebrauchte, daß er das ganze ungebildete Volk »Tarub« nannte.
Das hat sich sehr schnell herumgesprochen.
Und nun gehört die Tarub wieder zu den »berühmtesten« Persönlichkeiten der arabischen Literatur.
Hamadany ist Tarubs Geliebter.
Buchtury und Abu Hanifa machen sich ein Vergnügen daraus, Tarubs Vorzüge in den Schatten zu stellen. –
Abu Hanifa, der jetzt schon einen Ruf als Spötter genießt, weist zunächst mit höhnischem Gesicht auf die Tugenden der Tarub hin, preist ihre Gesundheit, ihren echten Zopf, ihre starken Zähne, ihre Kenntnis der Gemüsearten, ihre Sauberkeit, ihre Arbeitsamkeit, ihre Klatschsucht, ihre Grobheit, ihre einfachen Sitten – und – und Abu Hanifa will sich totlachen.
Schon möchte der Hamadany ärgerlich werden, da kommt jedoch der Abu Hischam und nimmt die Tarub in Schutz.
»Kinder«, erklärt er lachend mit dem Becher edlen Weines in der Hand, »Kinder, was wär' die Welt, wenn wir keine Tarubs hätten? Ihr seid ja sehr feine Köpfe – sehr feine Köpfe – können aber Köpfe ohne Leiber leben? – seht Ihr? Da habt Ihr's! die Tarubs sind die Leiber; die sind auch nötig – grade für Euch! Die Tarub, die ich bekanntlich ebenfalls sehr liebe, ist für die Entwicklung der arabischen Literatur gar nicht so unwichtig gewesen. Wie oft hat uns Bagdads berühmteste Köchin was Gutes gekocht! Kinder! ich glaube, es gäbe unter uns keine Verfeinerung, wenn's keine Tarub gäbe. Tarub lebt unter uns wie'n erzenes Standbild. Ja – Tarub ist das einfache Volk – aber das bleibt und trotzt allen Stürmen – ist das Garnichts? Die feinen Köpfe gehen gewöhnlich entzwei, die Tarubs gehen nicht so leicht entzwei – ist das nicht wahr?«
»Ja!« schreien Alle und lachen – andre Tofailys stehen herum und hören zu. Abu Hischam schwankt – fällt bald nach hinten, bald nach vorn, redet aber ruhig weiter, wie ihn zwei Tofailys festhalten.
»Unsinn!« ruft er laut, »Unsinn ist die dumme Feinheit! Beim Barte des Propheten – die Gesundheit ist doch auch was! Ich trinke auf Tarubs Gesundheit!«
Mit Gejohle klirren die Becher zusammen.
Abu Hanifa schreit heftig:
»Nur die Kranken preisen die Gesundheit! Den Gesunden fällt das nicht ein!«
Doch diese Bemerkung stört den lustigen Philosophen nicht im mindesten, er spricht weiter:
»Meine Freunde! Safur mußte stets einem Idole nachjagen, das gar nicht lebt – also erzählte mir gestern der Prophet Abu Maschar – ich laufe einem Idole nach, das wirklich auf der Erde da ist, dem wir alle nachlaufen sollten. Die Tarub ist mein Idol – das bet ich an. Die Tarub ist das eherne Götzenbild, das wir alle umtanzen sollen – sie ist was Festes – sie steht in unsrer Mitte. Da nun aber Bagdads berühmte Köchin nicht hier ist – so laßt uns ihren Geliebten, den Hamadany, umtanzen!«
Der Philosoph konnte kaum ausreden.
Eh er sich's versah, war Hamadany umringt, und – man tanzte um ihn rum.
Das sah sehr drollig aus.
Der Lärm schallte über den Tigris der aufgehenden Morgensonne entgegen.
Wie sich die Aufregung ein bißchen gelegt hat, geht Hamadany fort – zu seiner Tarub.
»Heut Abend also bei Dschemil!« ruft er noch lachend den Andern zu.
Der Schneider Dschemil ist jetzt auch berühmt – und wie!
Die Tarub weinte viel – das zog den Hamadany an – er wollte sie trösten – und so kamen sie zusammen.
Hamadany betrinkt sich gar nicht mehr – um seine berühmte Köchin nicht an den Safur zu erinnern.
Über den Karawanenplatz, der im Frühlicht so farbenfrisch aufleuchtet wie ein Haufen bunter Edelsteine, reitet der Prinz Ali – mit großem Gefolge – er will auf den Sklavenmarkt.
Die jungen Araber, die betrunken nach Hause wanken, begrüßen den Prinzen in sehr eigenartiger Weise – sie stehen, während er vorbeireitet, auf einem Beine, was ihnen natürlich nicht leichtfällt.
Diese Begrüßungsart entspricht einem besonderen Wunsche des Prinzen.
Den Fremden ist es jedoch verboten, den Prinzen auf einem Beine zu begrüßen.
Der Ali hat noch immer die merkwürdigsten Einfälle.
Es liegt in der Zeit eine gewisse Sucht nach auffälligen Geschichten. Jeder will bemerkt und »berühmt« werden. Dabei belacht zu werden – gilt nicht als Schande – im Gegenteil!
Der Prinz ärgert sich drum auch garnicht, als er auf dem Sklavenmarkte mit einem Spottliede empfangen wird, das ihm hauptsächlich die Frauen gern zu hören geben, da er seiner ungewöhnlichen Neigungen wegen ebenfalls »berühmt« ist.
Das sehr harmlos klingende Spottlied geht also:
»Prinz Ali ist ein Mann!
Prinz Ali ist ein Mann,
Der wunderschön regieren kann,
Man seh ihn sich nur länger an!
Prinz Ali ist ein Mann!«
Diese nicht grade geistreichen Verse haben zum Ruhme des Prinzen sehr viel beigetragen – er hört sie deshalb zuweilen mit größtem Wohlgefallen.
Sein Bruder, der Prinz Abdallah, der durch seine eigenen Gedichte berühmt werden will, ist ordentlich neidisch auf dieses Spottlied – auf ihn hat man noch keins gemacht.
Die Zeit leidet an Ruhmsucht.
Abu Hanifa sagt Jedem, dem was fehlt:
»Mensch sei vergnügt! Wenn man nur ›berühmt‹ ist – dann ist Alles gut!«
Unzählige Araber murmeln ihm nach:
»Wenn man nur berühmt ist!«
Drollige Zeit!
Von dem Kalifen hört man nicht mehr viel. Man weiß garnicht mehr, »wer« eigentlich an der Regierung ist – fragt auch nicht danach.
Sehr viele religiöse Sekten werden gegründet.
Der nichtswürdige Dichter Al Rumy, ein Anführer der Tofailys, hat auch eine neue Religion gegründet – deren Kultus sich um Wettlaufen, Faustkämpfe und Ringkämpfe dreht.
Al Rumy hält die Leibesübungen für die besten Erlösungsmittel und preist die in sehr marktschreierischer Weise an – bei den Tofailys erzielt er einen ungeheuren Erfolg.
Die Tofailys verbesserten durch Al Rumys Religion die Aufnahmefähigkeit ihres Magens.
Osman beschäftigt an die hundert Schreiber.
Die lauteren Brüder schreiben ja nicht allzu viel – dafür schreiben aber die Tofailys um so mehr – besonders Dschinnengedichte werden von den letzteren geschrieben.
Buchtury hat auch ein langes Gedicht geschrieben – in dem kommt eine Dschinne vor, die so viel ißt und danach so dick und schwer wird, daß sie schließlich ihrem Hengst das Rückgrat zerbricht – –
Abu Hanifa schreibt über die Omijaden.
Kodama schreibt Vorreden zu den Werken der älteren arabischen Literatur.
Der alte Suleiman ist so gut wie verschollen – er soll in Kufa leben. Er verschwand, als sich die Sailóndula in den Tigris stürzte und – ertrank.
Jakuby klettert in den Ruinen von Persepolis umher und gedenkt, nach Nord-China zu pilgern – unermüdlich ist der alte Herr.
Die Sareppa hat's Genick gebrochen.
Die Abla ist krank.
Said ist auch gestorben.
Die arabische Literatur versammelt sich jetzt beim Schneider Dschemil.
Es geht dort allerdings ein bißchen gemischt zu.
Battany und Osman besuchen den Schneider nicht, die haben sich zurückgezogen.
Osman gibt zuweilen einem ganz erlesenen Kreise von Gelehrten ein fürstliches Abendessen – mag jedoch die meisten lauteren Brüder nicht zu oft bei sich sehen.
Aus der Gesellschaft der lauteren Brüder ist jetzt wirklich ein abgeschlossener Geheimbund geworden.
Und zu diesem Geheimbunde gehören diejenigen, die einst den Bund gründeten, zum großen Teile nicht mehr.
Die Inder und die Ägypter, die bei Al Battany ständig zu Gaste sind, haben sich ganz und gar des Bundes bemächtigt.
Die Bundesangelegenheiten werden sämtlich in den Gärten des reichen Al Battany erörtert – Osman wird immer seltener zu Rate gezogen – an die andern Araber denkt man garnicht.
Bei den Indern hat sich beinahe eine Feindschaft gegen das Arabertum ausgebildet, und öfters zog man in gehässigen Ausdrücken gegen den armen Safur los, in dem man das Urbild des Arabers sehen wollte, der an seiner Genußgier zu Grunde gehen mußte.
Als Osman den Toten mal in Schutz nahm, ihn besonders als Dichter sehr herausstrich und schließlich sagte: »Seine Tollheit war eine ganz ernste Tollheit – er hatte Vieles in sich, was ihn sehr berühmt gemacht haben würde« – da ward der kühne Schreiber fast garnicht mehr von Battany eingeladen.
Daß Safur ein echter Araber vom Scheitel bis zum Zeh war – daran zweifelte natürlich im Volk und unter den Tofailys kein Mensch – bei Battany wurde ihm das aber zum Vorwurf gemacht – – was glücklicher Weise nicht allgemein bekannt geworden ist – – sonst wär's dem Battany noch schlecht ergangen – –
Safurs Einfluß auf die Tofailys war recht groß – die waren im Jahre 897 sämtlich große Feinschmecker geworden – und viele von ihnen schrieben Dschinnengedichte.....
Nicht immer das Beste kommt an die Oberfläche.
Die Sternwarte ist fast verödet.
Abu Maschar steht zwar noch immer auf dem Mittelturm und rechnet – sonst ist es aber ganz still – die Mongolen reiten unten nicht mehr herum – Battany hat sich eine neue Sternwarte in seinem Garten erbaut.
Der Prophet steht auf seinem Mittelturm wie ein Gespenst – auch an dem christlichen Neujahrsmorgen.
Wie das Spottlied auf den Ali vom nahen Sklavenmarkt herüberhallt, murmelt der Prophet lächelnd:
»Aha, Ali kommt!«
Und der Prophet rechnet weiter.
Später sagt er seufzend:
»Ach! Ali kommt immer! Auch die Lächerlichkeit ist unsterblich. Und da behaupten die Menschen noch, daß sich die Welt entwickle. Nein – die entwickelt sich nicht. Die Welt wird nach tausend Jahren genau so klug und genau so dumm sein – wie sie's heute ist.«
Und der Prophet achtet nicht drauf, daß die Sonne allmählich höher und höher steigt und heißer wird –
Der Prophet rechnet wieder – rechnet.
Ende.