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Die indischen Teppiche sind so weich – der Fuß versinkt darin wie in einer grünen Wiese.
Und Al Battanys Fuß versinkt auch in diesen indischen Teppichen.
Diese Teppiche ruhen aber in dem Palaste eines indischen Nabobs, der in der Nähe von Benares wohnt.
Schon acht Mal hat sich der Mond gerundet – und acht Mal ward er wieder verdunkelt – seit die lauteren Brüder Bagdad verließen.
Die Christen schreiben bereits das Jahr 894.
Die Zeit eilt.
Der Astronom Al Battany ist ganz betäubt von den gewaltigen Eindrücken seiner Reise.
Ihm ist zu Mut, als hätt' er zum ersten Mal das Hochgebirge – oder als hätt' er zum ersten Mal das ewige unermeßliche Meer geschaut.
Indien ist viel reicher, größer und tiefer – als er je gedacht.
Ihn erdrückt fast der Reichtum, der ihn umgibt. Und er fühlt es jetzt erst – wie viel die Araber den Indern verdanken – – – Bagdad wäre ohne Indien nur ein ganz gewöhnliches Wüstendorf. Der Astronom vergißt beinahe vollständig das, was die Araber von den andern, auch höher entwickelten Völkern haben.
Indien wird dem Al Battany zum Paradies.
Und der Blick des Gelehrten wird immer stolzer – ihm ward so viel Ehre zu Teil.
Indische Gelehrte und indische Fürsten haben den großen Astronomen mit einer Ehrfurcht begrüßt, als wenn er als Feldherr Alle besiegt hätte – nicht als käme er als einfacher Mann zum heiligen Ganges.
Battany wäre noch viel glücklicher gewesen, wenn er das schäumende Wasser seiner Eitelkeit mehr eingedämmt hätte...
Aber – er hatte auch zu viel Triumphe gefeiert.
Eine Gesandtschaft aus Peking war sogar gekommen, um Bagdads größten Gelehrten zu begrüßen – vor dem hatte sich ein Dutzend vornehmster Chinesen so schrecklich tief verbeugt.
Die Chinesen teilten dem Battany mit, daß bereits der Kalif von Peking vom Bunde der lauteren Brüder gehört habe und daß Er – der Sohn der Sonne – der gelehrten Gesellschaft die herzlichsten Glückwünsche übersende.
Und die chinesische Gesandtschaft überreichte dem Araber eine mit Edelsteinen besetzte Kassette, in der sich viele kleine Kunstwerke aus Elfenbein, Ebenholz und Perlmutter befanden.
Und die Glückwünsche des Kalifen von Peking hatte Battany sofort mit den Brieftauben, die ihm Osman übergeben, nach Bagdad gesandt; Osman konnte gleichfalls sehr vergnügt sein.
Und wie sich Battany ein wenig heimisch fühlt, speist er zur Nacht bei seinem fürstlichen Freunde mit dreihundert andren Gästen in einem riesengroßen Saale.
Die andren Gäste sind Araber aus Benares, Brahminen und indische Gelehrte.
Ein paar tausend Sklaven bedienen.
Die Zahl der Gerichte ist nicht zu zählen.
Battany ist nun ganz und gar geblendet durch diese fürstliche Pracht.
Er denkt an Saids Abendgesellschaften und muß lächeln.
Nach dem Mahle geht man hinaus auf die hochgelegene Parkterrasse.
Und dort bietet sich den Gästen ein wirklich berückender Anblick dar, der jedes Auge berauschen muß.
Der große Park ist erleuchtet – aber wie!
Tausend und aber tausend bunte Papierampeln glühen und brennen zwischen den Blumen – durch das Grün der Bäume.
Wie Diamanten glühen und brennen die Ampeln – wie Rubine, Saphire, Smaragde.
Der Nabob gibt ein großes Garten- und Lampenfest.
Blumenmädchen – ganz mit bunten Blütenketten umhüllt – wandeln langsam hinter einander mit knisternden Pechfackeln in wohlberechneten Kurven über den Kies der Gartenwege.
Und im Hintergrunde flackern riesige Flammen empor – rote und grüne – bengalische Flammen.
Und neben den Springbrunnen puffen von Zeit zu Zeit mächtige Pulverhaufen in die Luft – die Pulverflammen schlagen blitzschnell – unheimlich – wie Geisterfäuste – in den dunklen Sternenhimmel hinein.
Der Mond steht über den Kuppeln und Türmen von Benares wie eine große Riesenkirsche.
Der funkelnde Glanz der Sterne wird fast verdunkelt von der indischen – Lichtkunst.
Battany und die arabischen Hauptleute sind nun tatsächlich geblendet.
Ein indischer Nabob ist doch zu reich – er kann mehr bieten als Bagdads Kalifenburg.
Ein junger indischer Gelehrter wendet sich jetzt lächelnd an den gefeierten arabischen Gelehrten.
Verschmitzt sieht der gelbe Inder in Battanys braunes Gesicht, dreht immer seinen langen schwarzen Schnurrbart und erklärt umständlich, daß ihm die Bedeutung der ganzen Astronomie sehr unverständlich sei – »denn« – so sagt er zum Schluß – »wir sehen die Sterne doch nur mit unsrem Auge, und mit den Fingern können wir sie nicht greifen. Was wir aber nur mit unsrem Auge sehen, das ist zunächst nur wirklich für unser Auge da – ob's außerhalb unsres Auges was Daseiendes ist, können wir gar nicht wissen. Daß die Sterne da oben große Welten sein sollten, vermag ich daher nicht zu glauben – ich glaube – da oben gibt ein junger Gott seinen Freunden ein Lampenfest – das Fest wird bald zu Ende sein – denn einzelne Sterne verlöschen bereits. Bedenke nur! Für einen jungen Gott sind hunderttausend irdische Nächte – eine einzige himmlische Nacht. Die Wandelsterne sind Blumenmädchen mit Fackeln...«
Der Inder blickt den Battany forschend an – der aber steht so steif da, daß der Araber Einem fast leid tun könnte – er hat ja Nichts verstanden.
Schnurrbartdrehend wendet sich der indische Gelehrte schließlich ab – ärgert sich natürlich nicht wenig, daß er seinen Witz vor einem dummen eingebildeten Araber verschwendete.
Hierauf spricht ein alter Brahmine mit dem Astronomen – – – – – – Der nimmt sich jetzt furchtbar zusammen, er will nicht wieder nachher – vergeblich nach Worten suchen.
Eine wunderbare Musik tönt aus dem erleuchteten Garten in die Sternennacht empor.
Der Brahmine spricht von den Ssabiern, da's bekannt geworden, daß Battany auch ein Ssabier ist – was sein Ansehen sehr erhöht.
Und der Araber kann antworten – er erzählt von Hauran – von Thabit ibn Quorrah und von Tschirsabâl.
Auch andre Brahminen hören zu und sprechen mit.
Man redet bald über die Religion im Allgemeinen.
Die in arabischer Sprache geführte Unterhaltung wird sehr lebhaft.
Ein sehr alter Brahmine, dessen weißer Bart fast bis zur Erde reicht, ist der Meinung, daß die Lehre Mohammeds den großen Religionen nicht beizuzählen sei, da diese Lehre die Aufklärung und die Freigeisterei in gefährlicher Weise fördere – Mohammed habe nur eine Ketzerreligion geschaffen – ihre einfachen, viel zu verständigen Formen seien nicht fürs Volk – das Volk wisse nur mit »vielen« Göttern und mit einem umständlichen Kulte was anzufangen.
Battany staunt und muß dem zustimmen – erklärt dabei, daß man sich in Bagdad um Mohammeds Lehre selbstverständlich sehr wenig kümmere.
»Das weiß ich«, erwidert drauf der alte Priester, »ich habe die Erfolge und Mißerfolge der verschiedenen Religionen durch ein langes Leben mit sehr aufmerksamem Auge verfolgt. Die Lehre Christi hat schon viel mehr für sich als die Lehre Mohammeds. Die christlichen Priester haben eben viel mehr gelernt und viel mehr den älteren Religionen entnommen – die christlichen Priester haben nicht den großen Allgott in die Mitte ihrer Lehren gestellt – sie haben auch den Nebengöttern und den tieferen Gedanken der ›älteren‹ Religionen eine Bedeutung eingeräumt. Natürlich – verstanden hat ja kein einziger Christ – die ›älteren‹ Religionen – – – doch – merk's nur! – das schadet nicht allzu viel – die neuen Religionen entstehen immer nur dadurch, daß einzelne Menschen, die das religiöse Feuer in den Adern haben, die ›älteren‹ Religionen mißverstehen. Nur das rücksichtslose Nichtverstehenwollen oder das harmlosere Nichtverstehenkönnen – ist – verwerflich. Mißverständnisse aber – die schaden nicht so sehr. Religionen sind ja nicht dazu da, von den Menschen verstanden zu werden... Und der Erfolg! – Oh, glaube mir! Das Klarverständliche und das Vernünftige – das hat immer nur einen sehr geringen Erfolg. Man darf doch nicht vergessen, daß die Menschen viel viel häufiger unvernünftig und unverständig denken – als vernünftig und verständig. Das Vernünftige ist den Menschen garnicht das Natürliche – das Unvernünftige viel mehr. Warum hat Mani nicht denselben Erfolg wie Christus – warum hat Mazdak nicht denselben Erfolg wie Christus gehabt? Ich glaube – nur weil die Jünger dieser Beiden zu gebildet waren – Christi Jünger hatten ihren Meister viel mehr mißverstanden, sie waren keine klaren Köpfe, weil sie so viel religiöses Feuer in sich hatten. Dieses allein hat ihnen aber nicht den Erfolg verschafft – sondern ihre Fähigkeit, Alles so mißzuverstehen und so unklar zu sagen, daß es dem Fassungsvermögen des gemeinen Volkes nicht fremd erschien – das hat den Jüngern Christi den Erfolg verschafft. Ja – ja – ich weiß das Alles!«
Der Inder streichelt zärtlich seinen langen, weißen, fast die Erde berührenden Bart und lächelt – lächelt – wie ein Greis lächelt.
Al Battany will nun wissen, was die Religion eigentlich will.
Der Alte wird ernst und spricht weiter – wie für sich – so dumpf und so verächtlich:
»Aufklärung willst Du! Aufklärung! Ein echter Schüler Mohammeds bist Du! Ein Mann der aufgeklärten Wissenschaft – ein Feind der Religion! Kennst Du Buddha? – nein, Du kennst ihn nicht. Er war auch ein Ketzer – aber nicht ein so schlimmer Ketzer wie Du. Ich wundre mich, daß Du Dich Ssabier nennst. Die ssabischen Priester haben Dir wohl nur den Eintritt in ihren ersten Vorhof gestattet – wo das Volk verweilen muß. Hör doch, Battany! Das Denken führt doch nie zur vollen Klarheit – führt doch überhaupt nie zur Klarheit – – – wenn Du gründlich denkst, wird Dir das Klarste unklar werden. Du aber denkst nicht gründlich. Das Denken führt nicht zur Klarheit – das war nie so. Aufs Verstandenwerden müssen daher die weisen Priester verzichten – selbstverständlich! Man kann doch höchstens nur – mißverstanden werden. Mit dem Mißverstandensein muß man zufrieden sein. Ja – ja – ich weiß das Alles!«
Der Brahmine murmelt danach unverständliches Zeug und geht fort – die Inder machen ihm Platz und verbeugen sich vor dem Greise – sehr tief verbeugen sie sich.
Battany wird unwillig und will nun von einem Andern wissen, was die Religion eigentlich will.
Wie da die Inder überlegen lächeln!
Doch ein sehr fein gekleideter Inder, der dem Gespräch bisher schweigend zugehört, antwortet dem Battany folgendermaßen:
»Gelehrter Freund! Ich verstehe Deine Neugierde. Laß mich Dir antworten! Du wirst mich ja ebenfalls nur mißverstehen – doch vielleicht sag' ich Dir, was Dir näher kommt! Ich bin kein Priester und denke daher anders. Bist Du nicht der Meinung, daß die gebildetsten Menschen der Erde grade in Folge ihrer Bildung schließlich eine übergroße Empfindlichkeit in sich zur Ausbildung kommen lassen? Oh, ja – ja! Und wenn sich diese Empfindlichkeit steigert, wird sie zur größten Qual – erzeugt einen Zustand, der immer unerträglicher wird und zuletzt nach entsetzlichen Beängstigungen, grauenhaften Träumen und wilden Wutausbrüchen – einen Abscheu vor dem Leben gebiert. Oh, ja – ja! Um die Empfindlichkeit und die darauf folgenden Qualen zu vernichten – dazu sind die Religionen da – das wollen die Religionen den Gebildeten sein – wir haben sie drum auch nötig. Dem Volke soll aber die Religion nur ein Mittel sein, das von ganz gemeinen Leiden erlöst – die Religion für's Volk kann daher aussehen, wie sie will – sie darf sich nur nicht so trocken wie die Lehre Mohammeds geben. Jedes Mittel zur Vernichtung der durch die verfeinerte Bildung erzeugten Seelenqual – gehört ins Gebiet der Religion. Ob man betet oder dichtet, ob man Tempel baut oder Bilder meißelt – das ist im Grunde ziemlich gleich – doch – es ist schlimm – Du verstehst mich wohl auch nicht – nein?«
Battany schüttelt betrübt den Kopf.
Er – der große Astronom – steht plötzlich vor so vielen neuen Rätseln und Fragen, daß er fast heftig werden möchte.
Als wenn's nicht am Sternenhimmel genug der Rätsel gäbe.
Er sagt daher sehr kurz, daß er durchaus nicht geneigt sei, alle Rätsel der Erde aufzulösen – er klammre sich zunächst nur an die für ihn begreifbaren Dinge – die ferner liegende »größere« Rätselwelt müsse für ihn noch unsichtbar bleiben – er wolle sich nicht verwirren lassen.
Währenddem tanzen aber dicht unter der Terrasse hundert der schönsten Bajaderen den langsam bewegten Schneckentanz.
Die Bajaderen sind ganz nackt.
Ihre gelben, wunderbar schlanken Glieder biegen sich in entzückenden Kurven, roter Fackelschein macht sie bunt.
Die Blumenmädchen stehen mit ihren Fackeln im Kreise rum und beleuchten den Tanz.
Battany ist ganz starr.
Der Tanz ist berauschend.
Wein wird herumgereicht.
Ein Sufy setzt dem arabischen Astronomen auseinander, wie viele Millionen von Käfern und Schmetterlingen bei solchem Lampenfest einen qualvollen Tod finden – wie viele kleine feine Flügel dabei verbrannt werden.
»Ein ewiges Sterben«, meint der Sufy, »geht durch die Natur. Der Tod ist überall da. Und man wird nur geboren, um qualvoll leidend den Tod zu finden – man stirbt eigentlich vom ersten Augenblick seiner Geburt an. Deshalb sollen wir keine Kinder zeugen, die Frauen nie berühren. Das Heiligste, was wir tun können, ist das, was die Menschen, die's nicht kennen, das Unnatürliche nennen – während dieses Unnatürliche doch grade den feiner entwickelten Menschen als Pflicht von der leidenden Natur auferlegt wird. Hier hast Du den Kernpunkt aller Religionen. Erinnre Dich nur an die Ssabier!«
Battany hört nicht hin.
Er ist berauscht von den Bajaderen, die verwirren ihn.
Und in ganz außerordentlicher Erregung wandelt er, nachdem der Tanz vorüber, mit den andern Gästen des indischen Nabobs zu dem Schauspielhause, in dem ein Schauspiel von dem feingekleideten Inder aufgeführt wird, der so fein von der Empfindlichkeit und der Qual aller Gebildeten zu sprechen wußte – und den Battany auch nicht verstand...
Den Gästen wird mit Riesenfächern kühle Luft zugewedelt.
Ein Festzug bewegt sich zum Schauspielhause hin – prächtige dicke Elefanten schreiten würdevoll voran.
Und die goldenen und silbernen Gewänder der Inder glitzern im Fackelschein.
Die Waffen der Araber glitzern ebenfalls.
Ein fürstlicher Kleiderprunk macht sich protzig breit.
Die Blumenmädchen leuchten mit ihren Fackeln.
Die Sängerinnen singen.
Der Vollmond steht am Himmel in trüben Dunstwolken dicht über Benares, in dem die Pest wütet, der stündlich Hunderte von Menschen zum Opfer fallen.
Der heilige Ganges fließt langsam und träge auch an den Gärten des großen Nabobs vorbei, in dessen Reich die Pest nicht eindringt.