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Der Schreiber Osman sitzt währenddem im Empfangssaal auf einem großen persischen Teppich mit untergeschlagenen Beinen finster brütend wie ein chinesischer Pagode da. Seine dünnen braunen baumwollenen Beinkleider hängen schlaff um die wulstigen Kniegelenke. Wie eine dicke Tonne steht der breite Fettleib des Schreibers auf dem Teppich. Ein ganz kurzes braunes Jäckchen ohne Ärmel umspannt des Schreibers breite Brust, auf der ein schneeweißes Leinenhemd vorschimmert. Die weiten Ärmel des Hemdes sind auch sehr sauber – der weiße Leinenturban ebenfalls. Das glatte braune Gesicht mit den dicken Pustbacken ist rund und voll. Die kleinen Augen starren auf die roten und blauen Muster des Teppichs, der geheimnisvoll wie ein Sterndeuterbuch aussieht und fast den ganzen Boden bedeckt. Osmans Stirn zeigt dicke Falten.
Der Empfangssaal ist eine offene Halle. Unter den zackig geschwungenen Säulenbogen sieht man den dunkelblauen Himmel mit den Sternen. Durch die offenen Säulenbogen geht es zum fünfeckigen Altan hinaus, auf dem Battany und Jakuby eifrig flüstern. Ein großer Himmelsglobus aus Kupfer thront vorn an der einen Seite des Saales. Hinten in den beiden Ecknischen der mit roten und silbernen Querstreifen bemalten Wände brennt in zwei Kohlenbecken duftiges arabisches Räucherwerk. Die leichten wirbelnden Rauchwolken schweben durch das ganze Gemach in langen bläulichen Fäden dahin. Osman sitzt mitten auf dem Teppich mit der Stirn dem Himmel zu und grübelt...
Neben dem dicken Schreiber Osman rechts auf einem kleinen fünfeckigen Ebenholztische dampft heißer chinesischer Tee in feiner Porzellanschale. Der Schreiber Osman ist kein gewöhnlicher Schreiber, er läßt seine Gehilfen schreiben; er handelt nur mit den Büchern der großen Gelehrten, die ihre Schriften ihm zur Vervielfältigung und Verbreitung übergeben. Der Buchhändler hat schwere geschäftliche Sorgen, er sitzt und rechnet und brütet und nickt dabei zuweilen mit dem dicken Kopf langsam bedächtig wie ein Pagode beim Kalifen von Peking.
Bücherrollen liegen auf dem Teppich kreuz und quer. Dem Globus gegenüber in einer Alabasternische funkelt ein kupfernes Waschbecken – fein getriebene Arbeit; das Gestell besteht aus drei schweren reich verzierten Eisenfüßen, die sich unten auf dem schwarzen Fliesenboden schneckenartig umkrümmen...
Von der zierlichen Decke oben, über die sich geometrische Figuren in blauen und grünen Linien auf goldnem Grunde durcheinander spinnen, hängen an eisernen Ketten bunte maurische Lampen hernieder. Sie beleuchten das braune Fettgesicht des dicken Schreibers und lassen auch eine indische sitzende Götterfigur mitten im Hintergrunde sichtbar werden. Der Götze sitzt aber höher als der Schreiber.......
Im Empfangssaal ist es ganz still. Nur die glühenden Kohlen knistern ein bißchen. Die duftigen blauen Räucherwolken wirbeln zur zierlichen Decke, ziehen in langen Fäden langsam durch die Säulenbogen in die Mondnacht hinaus.
Zu Osman in die Empfangshalle kommen nun mit dem gelehrten Kodama die beiden Dichter Suleiman und Safur. Kodamas wohltönende Stimme wird von Osman schon von fern, als die Drei noch unten auf der Treppe waren, gehört. Kodama ist auch ein Geograph, aber er läßt sich nicht gern so nennen, weil er nicht gern reisen mag... er ist zu dick.
Osman blickt die Kommenden traurig an.
Kodama schmunzelt so recht inniglich vergnügt, er ist fast ebenso dick wie der dicke Schreiber.
Osmans Mondgesicht glänzt, des Geographen Mondgesicht glänzt auch. Dessen gelbseidener Turban ist sehr schön. Ach – Kodamas kurzer schwarzer Sammetrock ist auch sehr schön, und gar seine breiten schwarzseidenen Hosen – die sind die schönsten Pluderhosen in ganz Bagdad.
»Aber Osman, warum bist Du denn so traurig?« ruft der Geograph, und er schüttelt sich vor Lachen, daß ihm die hellen Tränen über die rasierten braunen Wangen rollen.
Osman schweigt, und seine Miene wird noch kummervoller.
Safur betrachtet das indische Götzenbild. Suleiman wärmt sich die Hände vor dem einen Kohlenbecken. Kodama streichelt den runden kupfernen Himmelsglobus und wendet sich plötzlich ganz ernst zum jungen Safur und sagt sehr wohltönend: »Sieh nur, mein Teurer, hier kannst Du was lernen. So rund wie diese Kugel ist auch unsre Erde – ja! ja! Hast Du denn schon meine kleine Schrift über die Kugelgestalt der Erde zu Ende gelesen? Nein? Ich kann Dir nur raten – lies, was ich da geschrieben. Das könnte Dich auch dichterisch anregen. Glaubst Du nicht, daß der Mensch auch so rund wie eine Kugel werden könnte? Ich sage Dir: möglich ist das. Zum mindesten sollten wir immer bestrebt sein, runder zu werden. Dürfte nicht mein Leib noch schöner aussehen, wenn er noch runder würde? Bist Du auch rund? Nein? Warum nicht?«
Safur lacht laut auf und geht hinaus auf den Altan, wendet sich aber gleich zur Linken und schreitet eilig über die Brücke zum Mittelturm; seinen Freund Abu Maschar, der noch immer oben auf dem Turme wie eine Bildsäule dasteht, will er besuchen.
Indessen – Kodama setzt sich behaglich neben Osman auf den persischen Teppich und fragt den traurigen Schreiber:
»Na, was hast Du denn?«
Kodama bekommt leider keine Antwort.
Battany und Jakuby treten grade – immer noch flüsternd – mit mürrischen Gesichtern in den Empfangssaal. Sie sehen Bagdads dickste Freunde merkwürdig steif auf dem Teppich sitzen. Suleiman wärmt sich noch immer die Hände an dem einen Kohlenbecken.
Man begrüßt sich, indem man schweigend leicht das Haupt nach vorne beugt, was sehr drollig aussieht...
Es ist einen Augenblick wieder still.
Dann jedoch knarren die Treppenstufen, und herein stürmt wie ein Wilder der große Philosoph Abu Hischam.
Malerisch schlottert ihm sein alter Kittel um die dürren Beine, die armenische Pelzmütze sitzt ihm schief auf den lockigen braunen Haaren, sein zottiger Bart zittert ihm, und die großen braunen Augen rollen ihm im Kopfe.
Abu Hischam haut mit der Faust auf den Globus und stampft mit dem rechten Fuß auf den Boden.
Kodama springt empor. Suleiman, Battany und Jakuby kommen erschrocken näher.
»Was ist denn los?« schreit der dicke Kodama.
Doch der Philosoph reckt die Faust zum Himmel auf und fragt heiser: »Wißt Ihr noch Nichts?«
»Ich weiß Alles!« ruft traurig der dicke Schreiber.
Die Andern aber wollen nun wissen, was los ist. Und Abu Hischam erzählt wirr und erregt: »Was wir immer gefürchtet, ist geschehn. Der Kalif Mutadid – dieser Hund – er hat's gewagt – er hat ein neues Gesetz erlassen. Er hat verboten – man höre nur! – Bücher herauszugeben, die einen philosophischen oder politischen Inhalt haben. Das heißt: wir dürfen überhaupt keine Bücher mehr herausgeben. Ist das nicht stark? Weder Philosophisches noch Politisches soll ins Volk dringen – das heißt: wissenschaftliche Bücher sollen nicht mehr geschrieben werden. Was sagt Ihr nun? Er hat's gewagt! Der Hund! Der Hund! Dieses verfluchte Aas!«
Und alle Sechs werden fürchterlich wütend – sie schreien gellend durcheinander.
Battanys Toga fliegt umher wie ein Segel im Sturm. Jakuby fuchtelt mit dem rechten Zeigefinger vor seiner Nase herum. Kodama schlägt sich immerfort mit den Fäusten vor die Brust. Suleiman ringt die Hände. Osman stöhnt.
Der Philosoph Abu Hischam brüllt wie ein Stier, schimpft wie ein Kameltreiber und hält, wie sich der Lärm ein wenig gelegt, eine Rede:
»Freunde!« ruft er, »was ich schon immer empfahl, das empfehle ich jetzt noch einmal – das muß jetzt endlich zur Tat werden. Wir müssen einen Geheimbund gründen und unsre Bücher unter uns herausgeben – nicht fürs Volk. Was haben wir davon, wenn unsre Bücher gekauft und gelesen werden von Leuten, die uns gar nicht verstehen können? Bilden wir lieber endlich eine abgeschlossene gelehrte Gesellschaft, die ihre Bücher nur unter ihren Mitgliedern verteilt. Wir Gelehrte schreiben doch nur für die andren Gelehrten – laßt uns drum einen Bund schließen, wie ich's schon öfters empfohlen habe. Wir brauchen unsre Bücher garnicht öffentlich herauszugeben. Fürs Volk schreiben wir ja doch nicht. Wir versenden unsre Bücher nur an die einzelnen Mitglieder des zu uns gehörenden Gelehrtenbundes und pfeifen dann auf die Gesetze des dummen Mutadid, der besser täte, wenn er in den Wallgräben Bagdads die Schweine hütete.«
Nach dieser unerwarteten Rede springt auch endlich der Schreiber Osman auf, der bis dahin still auf dem persischen Teppich saß und chinesischen Tee trank. Osman erhob sich furchtbar schnell, was so aussah, als wenn ein Gummiball einen Klaps bekommt.
»Ihr habt ja kein Geld!« schreit der Schreiber, »wollt Ihr Eure Bücher verschenken?«
Und es entsteht ein neuer Lärm – der ist noch wüster als der erste. Jakuby bemüht sich vergeblich, das Gespräch auf die bevorstehende Mondfinsternis, die gar nicht erscheinen will, zu lenken.
Schließlich reden Alle zugleich, sie schreien die Worte mit versengendem Glutblick einander zu. Niemand versteht, was sie so heftig sagen...
Safur aber oben auf dem Mittelturm schwärmt dem großen Sterndeuter Abu Maschar von Himmelsgeistern und herrlichen Huris, von den alten Göttern und von den alten Gespenstern begeistert etwas vor – er sagt: »Wenn ich so im tiefen unendlichen Blau die strahlenden Himmelsblüten schaue, dann fühlt sich meine Seele oft so mächtig bewegt, und ich träume mir dann da oben eine Welt zusammen, in der Götter hausen, übermenschliche Wesen, die noch viel feiner empfinden können als die besten Dichter der Erde. Oh, Abu Maschar, muß es nicht dort oben in den freien Weltallüften viel wundervoller sein als hier bei uns?«
Abu Maschar erwidert mit ganz leiser Stimme:
»Kein Ort der Erde ist wirklich schöner als der andre. Wir können überall glücklich sein. Die Zustände sind überall gleich gut und gleich schlecht, wie man gerade sagen will. Und in andren Welten kann's eigentlich auch nicht anders sein. Sieh, Safur, das ist eigentlich das Geheimnis meiner Prophetengabe, daß ich nirgendwo und auch nirgendwann einen besseren Zustand vermute als den, welchen ich grad' in den einzelnen Augenblicken meines Lebens empfinde. Die Zukunft ist für uns kein verschlossenes Buch. Zu allen Zeiten war es im Grunde genau so gut und genau so schlecht um die Menschen bestellt als zu unsrer Zeit hier in Bagdad. Daß ich fest daran glaube, die Welt wird weder besser noch schlechter, eine wirklich wesentliche Weiterentwicklung der Menschen gibt es garnicht – dieser Glaube hält mich grade, macht mich sicher, stolz, fest und bewußt – das macht mich zum Propheten.... wie mich die Gelehrten in der Moschee spöttisch nennen. Ja, Safur, ich bin ein Prophet; wenn ich in die Sterne schaue, so sehe ich die Zukunft – – – unsre Welt ist eben so wenig veränderlich wie der Sternenhimmel. Scheinbar nur bietet sich uns ein ewiger Wechsel dar. Die Zukunft wird ebenso aussehen wie die Gegenwart. Dieses Wort vergiß nicht, Safur! Was ich sonst noch prophezeie, ist im Grunde leerer bedeutungsloser Scherz. Die Welt bleibt – wie sie ist. Werde so ruhig wie dieser Sternenhimmel und hoffe nicht auf andre oder bessere Zeiten.«
Ein duftender Blütenwind weht durch Abu Maschars weißes Beduinengewand. Safur schaut mit trunkenen Blicken zum schwarzen Saturn... Der Dichter versteht den Propheten.
Der Lärm in der Empfangshalle dringt jetzt schwächer zum Mittelturm empor.
Ruhig steht der Halbmond – glänzend – ohne jeden Schatten über der alten Sternwarte, die einst der gebildete Kalif Mamun für seine Himmelsfreunde erbauen ließ.
Safur und Abu Maschar schauen schweigend in die Sterne, die verblassen, da der Mond zu hell ist.
Doch jetzt klopft es leise.
Ein schwarzer Sklave steigt langsam die letzten Stufen der Treppe hinauf und sagt ganz behutsam, um nicht zu stören:
»Der Herr Battany will auf'm Boot im Tigris hin- und herfahren – läßt bitten, mitzukommen.«
»Eine Kahnfahrt?« ruft Safur.
»Was gibt die Veranlassung?« fragt Abu Maschar.
»Der Mond scheint dem Herrn Battany zu hell«, erwidert ernst der schwarze Sklave.
Die beiden Freunde schauen sich an und – lächeln. Schmunzelnd folgen sie dem Schwarzen, der hurtig die Treppe hinunterstolpert.
Unten zügeln die beiden Mongolen ihre schäumenden Rosse.
Die Sklaven rennen treppauf und treppab.
Alles ist in Bewegung – auf der Sternwarte.
Der Halbmond steht ruhig am Himmel – und glänzt.