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Indes – als nun abermals vier Wochen ins Land gegangen sind, spielt sich wieder in Tarubs Küche was ab.
Die Tarub steht vor dem Herde und starrt ins Feuer – ihr braunes Gesicht ist ganz rot – und ihre schwarzen Augen flackern noch heftiger als die Flammen des Herdfeuers.
Der berühmten Köchin rollen über die geröteten Wangen ein paar große dicke Tränen.
Die harte Tarub ist jetzt ganz weich.
Safur blieb acht volle Wochen fort...
Das war eine lange lange Zeit.
Jetzt aber soll Safur wiederkommen – er hat's geschrieben – noch heute kommt er.
Bei Allah – die Tarub freut sich.
Sie löst sich vor Rührung fast auf.
Sie wäscht sich schon zum fünften Mal Hände und Gesicht, obwohl sie eigentlich den ganzen Tag Nichts tat.
Und sie trocknet sich ab mit einem Handtuch, in das sie einst ein paar Verse hineinstickte – Verse, die ihr lieber Safur ganz besonders für sie gedichtet hatte.
Auf dem Handtuch steht:
»So hell und rein wie Gold und Wein
So ganz voll Glanz
Muß Küche Herd und Alles sein.«
Die Tarub liest das wieder – sehr andächtig, blickt dann in der Küche rum und sieht, ob Alles in Ordnung.
Sie schmunzelt – Alles ist gut.
In den Kruken und Töpfen stecken duftende dunkelrote Rosen.
An die hundert dunkelrote Rosen hat die Tarub in ihrer Küche verteilt.
Die Messingkessel funkeln.
Der rote Ziegelboden blitzt beinah – so sauber ist er gescheuert.
In dem kupfernen Eiskübeln taut das Eis – tropfend.
Der Pumpenschwengel ist mit frischem Lorbeer bekränzt.
Und es will Abend werden.
Tarub dreht sich langsam um und sieht – ihren Dichter endlich wieder.
Stürmisch fällt sie ihm um den Hals – und weint.
Sie weinen Beide zusammen.
Zwischen den Beiden scheint wieder Alles – so gut zu sein – so gut!
Jetzt merkt ihnen Keiner an, daß sie sich mal zankten – daß sie ihn mal kränkte mit Milch und er mal ihre Liebe verschmähen wollte.
Dichter und Köchin sind wieder ganz ein Herz und eine Seele – – –
Wie's dunkel geworden, zündet die Tarub acht kleine Öllämpchen an – zur Erinnerung an die acht Wochen der Trennung.
Na – Safur ist auch gerührt –
Sie essen Beide.
Sie trinken Beide.
Wie's ihnen schmeckt – nein – das ist kaum zu sagen – fast zu schön.
Beide wieder – ein Herz und eine Seele.
Nun geht's an's Erzählen.
Er erzählt ihr Alles.
Und er schildert ihr das Fastenfest.
Die Tarub schauert zusammen – was Fürchterlicheres als »hungern« kennt sie nicht.
Wie Jemand freiwillig hungern kann, vermag sie nicht zu verstehen.
Und als nun Safur von dem großen Oberpriester Tschirsabâl erzählt, wird sein Ton immer heftiger.
»Denk Dir, Tarub«, ruft er zornbebend, »weißt Du, wie mich der Esel nannte?«
»Nein, ich weiß nicht!« erwidert die Tarub.
Doch gleich darauf schreit der Dichter:
»Esel hat er mich genannt – Esel!«
Die Erregung der Beiden ist anitzo nicht von Pappe.
Safur vermag sich garnicht über den frechen Kerl zu beruhigen, der es wagte, den feinsten Kopf von ganz Bagdad, den geistreichsten Dichter der Araber, einen Esel zu schelten.
»Hätt' ich nur meinen alten Dolch gehabt!« sagt leiser der kluge Safur, »ich hätte ihm schon bewiesen, wie man in Bagdad frechen Hunden zu begegnen weiß. Aber der Kerl war ja zwei Köpfe größer als ich. Mit bloßen Händen konnt ich doch Nichts gegen ihn machen.«
»Siehst Du!« versetzt da so recht ernst die Tarub, »warum trinkst Du immer so viel? hättest Du nicht so viel getrunken, so hättest Du damals nicht den Dolch versetzt und hättest Dir Das von diesem alten Priester nicht gefallen lassen brauchen!«
Diese Bemerkung beruhigt den Safur grade nicht – Ermahnungen sind ihm sehr sehr lästig.
Er zieht daher verächtlich lächelnd seinen neuen Dolch hervor, der noch schöner und noch länger ist als der alte.
Den neuen Dolch hat ihm der Battany geschenkt.
Safur schimpft dann auf die Priester im Allgemeinen, während die Tarub den Dolch bewundert.
Er nennt das Fastenfest einen lächerlichen Schwindel, eine große Albernheit, eine Narretei, hinter der Nichts – Garnichts dahinter sei.
Er ist wütend über das Wichtigtun der ssabischen Priester – über ihre albernen Geheimnisse, in denen Alles, was unklar und verschwommen ist, eine Heimstätte fand.
Dem aufgeklärten Bagdader Dichter ist die Religion eigentlich in jeder Form verhaßt.
Er hat eine Abneigung gegen alles Halbverstandene und Verschwommene im Gefühlsleben.
Er will das Gefühlsleben immer ganz klar durchschauen – jede Schwelgerei im Unklaren ist ihm unangenehm.
Er lehnt sich in längeren Reden gegen die Unklarheit und gegen das Verwaschene auf – sodaß der Tarub, die natürlich Nichts von Alledem versteht, die Geschichte schon langweilig zu werden beginnt – was sie ihm denn auch gleich ein bißchen zu verstehen gibt.
Na – das gefällt ihm wieder nicht – nein – das verwundet ihn sogar – er ist verletzt und verstummt –
Eine ganze Masse von Empfindungen stürmt auf ihn ein – sodaß er garnicht weiß, was Alles erregend auf ihn einwirkt.
Er hat eine aus sehr vielen Empfindungen zusammengesetzte Stimmung, die er nicht klar durchschauen kann.
Daß er trotz seiner langen Rede über das Ungebildete im Unklaren, wieder mal selber nicht klar sehen kann und sich demnach auch ungebildet vorkommt – das ärgert ihn noch mehr.
Er merkt, daß er sich mit der Verdammung der verschwommenen und verwaschenen Empfindungen eigentlich selber ins Fleisch schnitt.
»Eigentlich«, sagt er daher still zu sich, »ist es ein bißchen unsinnig, die Empfindungen, die wir nicht gleich ganz scharf zu durchschauen und zu zergliedern vermögen, zu verdammen. Bei den Priestern zu Hauran spielen sicherlich sehr viele geschlechtliche Geschichten mit, ohne daß sich die Andächtigen bewußt werden, daß sie in ihrem andächtigen Getue hauptsächlich wieder vom Geschlechtstriebe bewegt werden, dessen unerbittliches protzenhaftes Sichbreitmachen sie grade vernichten wollen. Aber – so unklar die Empfindungen der Andächtigen auch sein mögen – die Empfindungen sind doch sehr stark. Ja – ich muß sogar zugeben, daß alle klar zu zergliedernden Stimmungen nie eine so große Kraft besitzen – fast gar keine Kraft dagegen besitzen. Die kräftig auf uns einwirkenden, die überwältigenden Empfindungen sind niemals klar zu durchschauen. Die Verdammung des Unklaren schließt auch eine Verdammung der großen, mächtigen Stimmungen in sich – – – Und das geht denn doch nicht – – – Das Große darf man nicht verdammen. Ob das Große durch Mitwirkung geschlechtlicher oder halbkranker Geschichten entsteht – oder nur durch große edelgenannte Geschichten entsteht – das ist ja ganz gleich.«
»Was ist gleich?« fragt nun gereizt die Tarub, die nur Safurs letzte fünf Worte vernommen, da der Dichter das Übrige nicht laut ausgesprochen hatte.
Und ihre Frage bringt ihn aus dem Text.
Zum dritten Mal wirkt die Tarub unangenehm auf ihn – an einem Abend drei Mal unangenehm – es ist unerhört.
Und er schaut sein Weib an – nicht freundlich, aber doch forschend – aufmerksam.
So gern möcht' er wissen, was ihm eigentlich an seiner Köchin so unangenehm ist, wieder 'ne unklare Sache!
Doch bald nickt er mit dem Kopfe.
Er weiß.
Ihr fehlt die geistige Regsamkeit, die Fähigkeit, etwas Geistiges, Gedankliches zu verstehen – ihr fehlt, was nach seiner Meinung allen Weibern fehlt.
Der Geist fehlt seiner Tarub – darum ist sie ihm unangenehm.
Darum kann er sie nicht lieben, wie er sie lieben möchte.
Er empfindet plötzlich ganz klar, daß er ein Weib überhaupt nicht lieben könnte.
Die Weiber reizen ihn nur zum Lachen oder zur Wollust – zur Liebe nie.
Das ist grade keine sehr erquickliche Erkenntnis.
Er denkt wieder an die Dschinne, die ihm an jenem Morgen über der Morgensonne erschien.
Und er sehnt sich nach Liebe.
Und nun wird die Tarub noch wieder zärtlich.
Manche Augenblicke der Lust sind doch sehr merkwürdig – sehr merkwürdig.
Safur kommt sich später noch unklarer vor – muß erst weinen über sich und dann wieder lachen.
Die Tarub merkt von seinen Gemütsbewegungen Nichts – glaubt, ihm sei nicht wohl.
Er aber – er – der große Dichter – ihm fällt plötzlich ein, daß er ja noch in Tarubs Küche weilt, in der dunkelrote Rosen duften und acht Öllämpchen brennen.
Und in der Küche gibt's ja noch so viel zu essen.
Und drum will er wieder essen –
Drob freut sich Bagdads berühmte Köchin – sie gibt ihm eine große Aalpastete und Wein aus Bassora.
Er ißt und trinkt.
Er zerschneidet die Pastete mit dem Dolch, steckt die Dolchspitze immer in ein kleines Stück und führt's so zierlich zum Munde.
Die Tarub sieht ihm freundlich zu.
Er denkt an die großen unklaren Stimmungen, die so eng verbunden sind mit Leid und Liebe – mit allen möglichen ewigen Qualen – mit den Qualen der Empfindlichkeit.
Aber die Empfindlichkeit kommt vom vielen Empfindenwollen.
Safur denkt an alles Dieses – und kaut.
Und beim Kauen werden ihm seine Gedanken verworren.
Er will schließlich seine Gedanken los sein.
Er trinkt und kaut – kaut Aalpastete – kaut – kaut.