Paul Scheerbart
Tarub Bagdads berühmte Köchin
Paul Scheerbart

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Das neunte Kapitel.

Wie nun wiederum der Morgen graute, stand der Dichter Safur am Tigris und starrte nach Osten.

Berauscht sah der Dichter Safur nicht aus – aber – ein wenig verwüstet und ein wenig verkommen; das dünne Gewand war seltsamer Weise nicht zerrissen – ganz war's geblieben – indessen – schrecklich schmutzig war's geworden – Blut, Wein, Milch, Staub, Blumensaft und Straßenpfützen hatten die braun und blau gestreifte Baumwolle höchst unregelmäßig gemustert.

Und Safur starrt – halb blöde, halb verträumt – nach Osten. Da wird's über den breiten spiegelhellen Wassern des Tigris immer bunter.

Die Sonne geht auf.

Langsam hebt sich die brennendrote Scheibe aus den Fluten des Tigris raus.

Und der Tigris glänzt jetzt auch brennendrot.

Safur starrt in die heiße Farbenpracht und sieht plötzlich über der roten Sonne in den glühenden Wolken ein schwarzes Gesicht – das schwarze Dschinnengesicht, das er bei der Sareppa sah, als ihm dort die Beduinen von den Schrecken der Wüste berichteten...

Purpurne und goldene Wolken umrahmen wunderlich das schwarze Gesicht, das nun die großen blauen Augen weit aufreißt.

Der Blick der Dschinne ist furchtbar.

Safur taumelt zurück.

Dabei bemerkt er aber, daß rechts von der Sonne noch zwei Dschinnengesichter vorkommen und links von der Sonne gleichfalls.

Die neuen Gesichter sind etwas zur Seite gelehnt, daß alle fünf Gesichter wie ein Kranz die Sonne einschließen.

Und die Gesichter sehen ganz gleich aus.

Ihre blaßbläulichen schmalen Lippen öffnen sich ein wenig und zeigen weiße fest zusammengepreßte kleine Zähne.

Safur traut kaum seinen Augen, blickt in den höher gelegenen Himmel hinauf –

Doch da beginnt er zu zittern, dort höher oben zeigt sich ein zweiter Gesichterkranz; die Gesichter sind nur viel größer und viel schrecklicher.

Und über dem zweiten zeigt sich ein dritter Gesichterkranz – der ist noch größer – fast noch einmal so groß.

Der ganze Himmel füllt sich mit schwarzen Dschinnengesichtern, die langsam aus dem dunklen Himmelsblau herauskommen und auf den Safur zuzustreben scheinen.

Ganz oben am Himmel sind die Gesichter riesengroß – die schwarzen Haare flattern wild um die schwarzen Ohren und um die schwarzen Stirnen – – doch so wie die Haare an dem einen Gesichte flattern – genau so flattern sie auch an dem andern.

Und den Dichter packt die Angst. Ihm schlottern die Knie. Er sieht plötzlich Nichts mehr. Ihm wird schwindlig, und er bricht bewußtlos zusammen.

Nach einer Weile hört er dann ein gellendes Pfeifen, als wenn ein schneller Wind vorübersause. Gleichzeitig wird vor seinen Augen Alles rot...

Der Dichter will die Augen öffnen, kann's aber nicht – er glaubt, er sei blind geworden.

Er ringt die Hände und schreit.

Dadurch kommt er wieder zu sich, seine Augen öffnen sich, und – Bagdad mit dem Tigris liegt vor ihm. Drüben am Ufer erhebt sich der Garten des reichen Battany.

Safur befindet sich auf einer Anhöhe und kann weit herumblicken.

Der Himmel ist tiefblau.

Die schwarzen Gesichter sind fort.

Safur aber hat die Gesichter nicht vergessen, er springt auf, blickt sich scheu um und rennt wie ein Rasender nach Battanys Landhaus.

Er klopft dort heftig an die kleine Gartentür – und die wird auch gleich geöffnet – der Hausmeister öffnet selbst – kriegt jedoch beim Anblick des Dichters ein so erschrockenes Gesicht, daß das seine dem der großen Dschinne nicht unähnlich sieht.

Der Hausmeister hört garnicht mehr, was der Dichter sagt, läßt ihn hinein und geht mit großen Schritten davon – zu seinem Herrn.

Battany steht in seinem – Harem – und – grübelt.

Seine Frauen liegen in prächtigen bunten Seidengewändern auf den Teppichen und langweilen sich.

Eine Perserin spielt eintönig auf einem langen Saiteninstrument, das mit blitzenden Diamanten verziert ist.

Eine kleine Ägypterin schlägt dazu ein paar glockenförmige Zymbeln von Zeit zu Zeit leise an einander.

Grün schillernde Fliegen summen durch das große Gemach.

Die Frauen wehren mit ihren Fächern die Fliegen von sich ab.

In großen kupfernen Eiskübeln taut laut tropfend das Eis.

Oben an den bunt bemalten Holzwänden bewegen sich leise kleine Sonnenlichter, die durch die großen zierlich geschnitzten Windlöcher sich hineinstehlen in den großen stillen Harem des reichen Al Battany, dessen Frauen sich immer langweilen.

Der Harem ist ganz mit großen Granatbäumen umgeben, damit's nicht zu heiß wird in den üppigen Gemächern.

Und der Hausmeister kommt an.

Er stürzt seinem Herrn zu Füßen.

Die Frauen richten sich auf.

Der Hausmeister sagt ängstlich:

»O Herr, der Dichter Safur ist da. Aber ich glaube, er ist wahnsinnig geworden.«

Die Frauen schreien.

Battany läßt sich in seiner Sänfte in den Garten tragen.

Zwei schwarze Sklaven halten von hinten hoch über Battanys indischer Goldmütze einen großen roten Sonnenschirm.

Sehr langsam wird Battany getragen.

In seinem Landhause geht Alles langsam zu; laufen darf dort Niemand – auch die Sklaven dürfen nicht laufen.

In seinem kleinen, leicht gebauten Bücherkioske will der Astronom den Dichter empfangen.

Safur kommt rasch durch die Olivenallee näher.

Der Bücherkiosk liegt da so ruhig wie eine Krone auf einer kostbaren Stickerei.

Die kostbare Stickerei besteht hier aus ganz kurz geschornen grünen Rasen, die von bunten Schnörkeln zierlich durchzogen sind.

Die Schnörkel – teilweise indische Buchstaben – werden von kleinen Tulpen gebildet.

Es wurden aber nur drei verschieden gefärbte Tulpenarten verwandt.

Die einen sind rotlila, die andern weißgelb und die dritten graublau.

Diese drei Farben heben sich wunderbar vom dunklen Rasengrün ab.

Und da, wo auf dem Grünen keine Tulpen wachsen – da sitzen rote, blau und grün, gelb und schwarz, weiß und grau gefleckte Papageien fürchterlich steif auf glattgeschnittenen dünnen Holzästen, die alle mit weißem Silber beschlagen sind.

Die bunten Papageien machen einen – so gelehrten Eindruck – scheinen alle sehr belesen – sehr belesen – denn sie sind ja vor dem Bücherkioske angekettet.

Sehr saubre orangefarbige nicht gemusterte Fliesenwege durchziehen in weichen Linien die kurzgeschorenen Rasen, auf denen die Tulpen blühen und die Papageien angekettet sind.

Riesige Bananen umschließen im genau abgezirkelten Kreise das glatte peinlich saubre Gartenkunststück.

Und hierhin stürmt mit raschen Schritten der wilde Dichter Safur.

Oh! Oh! Wie Battany zusammenschrickt!

Der riecht gleich, was los ist.

Säuferwahnsinn hat den Dichter gepackt – Säuferwahnsinn!

Die Sklaven müssen sich entfernen.

Battany und Safur wandeln zusammen über die orangefarbigen, nicht gemusterten Fliesenwege – doch nur dort, wo das weit ausladende Dach des Bücherkioskes noch Schatten spendet.

Safur erzählt wütend von der Tarub und von der Dschinne – wild durcheinander.

Battany hört nur, daß Safur Tag und Nacht und wieder Tag und Nacht und wieder Tag und Nacht getrunken und sich schließlich mit seiner Tarub erzürnte.

Der reiche Astronom ist daher auch sehr erzürnt, wirft dem leichtsinnigen Dichter seinen höchst lüderlichen Lebenswandel vor und sagt ihm am Ende:

»Mein lieber Safur! Mit Dir ist wirklich Nichts mehr anzufangen. Du kannst das Trinken nicht mehr lassen. Du wirst noch ganz und gar verkommen. Ich verstehe Dich nicht. Du kannst nie aufhören. Du bist eben ein Gewohnheitssäufer geworden. Kannst Du Dich denn nicht daran gewöhnen, mit den Andern nach Hause zu gehen? Mußt Du immer so lange trinken, bis Du im Rinnstein liegst? Du hast das doch gar nicht nötig!«

Dem Safur brummt der Kopf, ihm zittern die Glieder, Battanys laute Stimme ist ihm schrecklich...

Kleinlaut versetzt der Dichter:

»Sieh mal, Battany, Du hast nicht das durchzumachen, was ich durchzumachen habe. Glaubst Du, es sei so leicht, mit einem Weibe auszukommen, von dem man abhängt. Du weißt – wenn ich die Tarub nicht hätte – könnt' ich nicht mehr leben. Zum Betteln bin ich zu stolz. Aber wenn ich's recht bedenke, müßt ich auch zu stolz sein, bei dieser Tarub zu leben. Ich kann mit der Tarub nur dann weiter leben, wenn ich ihr Herr bin und sie meine Sklavin ist. Kannst Du nicht, Battany, diesem Said die Tarub abkaufen – – – und – und mir schenken? Tu's doch! Sei mein Freund!«

Battany lächelt verächtlich.

Er setzt dem Safur dann, ohne auf seinen Vorschlag einzugehen, auseinander, daß er des Abends eine große Tigrisfahrt unternehmen möchte. Der Said, die Abla und die Sailóndula und auch die Tarub sollen mitkommen.

Battany will zwischen Safur und Tarub vermitteln.

Dem Safur schmerzt der Kopf.

Ihm ist Alles recht.

Innerlich ist ihm ganz klar, warum er trank.

Daß er von der Tarub so ganz und gar abhängt – das hat ihn nach seiner Meinung zum Säufer gemacht.

Also denkt der Dichter gewöhnlich, wenn er seinen Dolch versetzt und viel zu viel getrunken hat.

Er pflegt dann auch seinen Freunden vorzuwerfen, daß sie sein Verhältnis zur Tarub nur deshalb für ganz gut hielten, damit er nicht seinen lieben Freunden zur Last zu fallen brauche.

Diese Vorwürfe spricht der Dichter, der immer sehr vorsichtig ist, natürlich nicht laut aus.

Und Safur soll baden.

Er tut's – in Battanys wunderbarem Teiche, der in einem kleinen Talkessel liegt.

In dem Teiche blühen blaue Lotosblumen.

Die großen Lotosblätter schwimmen auf dem Teiche wie riesige Topfdeckel.

Die Sklaven reinigen des Dichters Kleid.

Und nach dem Bade wird der Dichter von den Sklaven mit wohlriechenden Ölen gesalbt.

Die Baumwolle reinigen die Sklaven mit wohlriechender Seife.

Safurn wird ein bißchen besser.

Er bekommt auch was zu essen.

Und dann steigt er in eine Sänfte und wird sanft mit Battany aus dem Garten raus – zum Said und zu seiner Tarub getragen.

Unter den beiden roten Sonnenschirmen, die groß, rund und steif sind, wird die Haut der beiden Männer auf den Sänften auch ganz rot.

In Battanys Harem wird's wieder lebhafter: der Hausmeister muß erzählen – von Safur und von der alten Dschellabany.

Die Frauen sind schrecklich neugierig.

Und dann baden die Frauen in demselben Teiche, in dem Safur badete – wo die blauen Lotosblumen blühen und die großen Lotosblätter herumschwimmen.

Die Frauen baden unter hellgelben und hellblauen seidenen Sonnenschirmen – die Schirme sind riesig groß.

Und die nasse Haut der gelben Inderinnen spiegelt das Grün der Lotosblätter und auch die blauen und gelben Töne der Sonnenschirme, daß die Haut so bunt schillert – wie entzückende Perlmutterschalen.

Wunderbarer noch spielen die verschiedenen Lichtfarben auf den Leibern der weißen Armenierinnen.

Und die Leiber der schwarzen Frauen werden ebenfalls ganz bunt.

Doch – Battanys üppige Haremsfrauen langweilen sich auch im Bade – sie sehen die Farbenpracht der Lichtspiele nicht auf ihrer schön gepflegten Haut.

Und wie die nassen Glieder der Frauen müde unter den blauen und gelben Sonnenschirmen am Ufer liegen – im Grase – da spielen die Lichtfarben noch viel großartiger auf den prächtigen üppigen Leibern, die sich räkeln mit Arm und Bein – – – dadurch werden die Glieder noch immer reizvoller – unbeschreiblich!


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