Paul Scheerbart
Tarub Bagdads berühmte Köchin
Paul Scheerbart

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Kodama jedoch – der sitzt in Mekka und freut sich anders seines Lebens als der Battany.

Kodama ißt Mekkas beste Rindskeulen auf und trinkt roten Wein dazu – eimerweise.

Dem dicken Geographen ist in Mekka so recht behaglich zu Mute.

In jedem Weinkeller ist der Dicke Stammgast.

Und es gibt sehr viele Weinkeller in Mekka.

Die christlichen und jüdischen Weinwirte sprechen von Kodama mit einer Hochachtung – fast mit derselben, mit der Battany vom griechischen Dionysos spricht.

Der gemütliche Dicke geht auch gern auf Abenteuer aus – denn den ganzen Tag und die ganze Nacht nichts Anderes tun als Trinken, Schlafen und Essen – das geht ja nicht.

Und wenn der große Herr aus Bagdad mit den schönen schwarzen Pluderhosen, mit dem kurzen Sammetrock und dem gelben Turban – mit seinem ganzen schweren Leibe und mit dem glänzenden braunen Mondgesicht auf Abenteuer ausgehen will, so wendet er sich zunächst in die große Moschee, in der einst der Prophet so gern zu weilen beliebte.

In der Moschee befinden sich nämlich stets einige hübsche Mädchen, die vor Liebesgram vergehen möchten. Diese Mädchen liebt der dicke Kodama.

Er mag sie nämlich so gern trösten.

Um das zu können, nimmt er sie mit in den tiefen Weinkeller, der nicht allzuweit ab von der Kaaba liegt.

Und beim Weine müssen ihm die Mädchen alle ihre Liebesgeschichten erzählen – wie sie verführt, verraten, belogen, betrogen und verlassen wurden – Alles ganz genau.

Diese Geschichten sammelt der Dicke.

Bei Allah – das macht ihm Spaß – darüber kann er ordentlich lachen.

Siegelringe und bunte Glasfläschchen sammelt der Dicke auch.

Der versteht's, sich die Zeit zu vertreiben.

Der alte Jakuby sammelt natürlich auf seinen Reisen derartige Nichtigkeiten durchaus nicht – der macht sich nur überall Notizen über die wichtigeren Zustände und Angelegenheiten der Länder und Städte, durch die ihn sein Pfad führt. –

Bereits ist der Alte wieder durch ganz Nordafrika gewandert bis zu den Ruinen von Karthago.

Er hat diesmal verschiedene Kriegszüge mitgemacht – und dabei auch mit großer Unerschrockenheit seine Notizen niedergeschrieben – mitten im Krachen der Damaszenerklingen beim Wiehern der Rosse und beim Fluchen der arabischen Hauptleute, die mit den störrischen Wüstensöhnen Nordafrikas sehr grausam umgingen.

Doch das Blutfließensehen ist der alte Geograph nun müde geworden.

Er segelt mit einem Seeräuberschiff nach Sizilien.

Vorzüglich hat er's verstanden, vor den Seeräubern arm und gebrechlich zu erscheinen.

Jakuby ist ein kühner und gewandter Mann.

Er begibt sich gleich nach Palermo, schließt Freundschaft mit den dort lebenden arabischen Gelehrten, denen er von Bagdad wie von einem Weltwunder erzählt und – beobachtet dann mit seinen neuen Freunden den Ätna-Ausbruch, der stattfand, als die Christen das Jahr 894 schrieben.

Von der Gesellschaft der lauteren Brüder erzählt Jakuby natürlich so viel, daß sich verschiedene seiner Freunde schließlich auch als lautere Brüder betrachten.

Jakuby ist ein ganz vorzüglicher Apostel, wenn auch zuweilen seine Einzelheiten recht lächerlich wirken.

Er weiß immer Alles schnell zu erklären.

Aber was er sagt – ist fast immer falsch – oft reiner Unsinn.

»Hör nur dieses!« meint an einem Abend einer seiner neuen Freunde, als wieder ein gewaltiger dunkelroter Feuerstrom wie eine Riesensäule in den Himmel hinaufspritzt, »hör nur dieses, Jakuby! Wo kommt all das Feuer her?«

Und auf diese Frage weiß Jakuby zunächst gar keine Antwort zu finden, zuletzt behauptet er, daß sich im Innern des Kraters Wasserdampf mit Schwefel mische und sich dadurch entzünde...

Diese Behauptung fördert natürlich gleich einen kräftigen gelehrten Zank zu Tage – denn die Gelehrten von Palermo kennen die Stoffe der Erde viel besser als Jakuby.

Der Alte ärgert sich, daß man ihn widerlegt und ganz unverhohlen zu verspotten wagt.

Ja – Jeder hat so sein Leid zu tragen.

Und der feuerspeiende Ätna war doch so berauschend großartig – die Erde zitterte, der Himmel füllte sich mit mächtigen Rauchwolken, glühende Felsen stürzten aus dem Himmel heraus ins Meer und versanken dort mit fürchterlichem Gezisch.

Die Feuersäule des Kraters erleuchtete ganz Sizilien – Funkenasche fiel dabei langsam herunter.

Zum Donner in der Tiefe gesellte sich der Donner in den Lüften, die von grellen Blitzen fortwährend durchzuckt wurden.

Die Rauchwolken verdunkelten zuweilen die Feuersäule – die kam jedoch immer wieder zum Vorschein – was sehr unheimlich wirkte, da sonst nur Blitze die Gegend erhellten.

Jakuby machte sich viele Notizen – er ging dem feuerspeienden Berge so nahe auf den Leib, daß ihn seine Freunde verließen.

Gegen Morgen schlug ein brennender Stein, der blitzschnell zur Erde niederfiel, dem kühnen Gelehrten zwei Finger von der linken Hand ab.

Abu Hanifa, der in einem Dorfe Südarabiens weilte, kam auch mit harten Steinen in nähere Berührung.

Indes – das war freiwillig und schmerzlos.

Der junge Abu Hanifa war nämlich nicht bloß Historiker, er beschäftigte sich auch mit allen andern Wissenschaften – besonders gern mochte er die verschiedenen Steinarten der Wüste untersuchen – deshalb reiste er auch in Süd-Arabien – und kam dort mit harten Steinen in nähere allerdings schmerzlose Berührung. –

Osman ist über diese Sammelei nicht sehr froh, da in Süd-Arabien nur wenig Menschen leben, die für den Weltbund der lauteren Brüder in Frage kommen – von Steinen versteht Osman Nichts.

Der Trunkenbold Hamadany lebt in Byzanz und vertrinkt dort den Rest seines väterlichen Erbteils.

Hamadany zecht in Byzanz immer allein.

Das versteht der ganz vortrefflich.

Er mietet sich abends eine Gondel und läßt sich hinausfahren aufs Meer – aber nicht zu weit fort – so daß er immer noch die große Stadt mit ihren Hügeln und Tempeln sehen kann.

Und wenn er dann so allein in seiner Gondel liegt, dann trinkt er und blickt in die Sterne, in den Mond, aufs Wasser, auf die herrliche Stadt und – und – arbeitet.

Er arbeitet allerdings in eigentümlicher Art.

Er ist ein sonderbarer Geograph.

Er will aus der äußeren Form eines Landes die Schicksale dieses Landes herauslesen.

Die Landschaft sagt ihm Alles.

Die Menschen sagen ihm Nichts – denn die haßt er.

Wenn die Sonne aufgeht, ist Hamadany immer berauscht, und er redet sich ein, daß er in diesem Morgenrausch das mächtige Byzanz besser kennen lerne als alle andern Geographen.

Morgens flutet gewöhnlich ein weiches rötliches Licht über die alte Stadt; ihre Tempel sind umhüllt von weichen Nebeln, die in zarten matten Farben – hellblauen, rosafarbigen und gelblichen leuchten. –

Dem Hamadany kommt Byzanz des Morgens wie ein verlockendes Märchenland vor, in dem Wunderlampen brennen und verwünschte Prinzen wohnen – feine Feenpaläste ringsum.

Indes – der große Philosoph Abu Hischam wanderte zu Fuß durch ganz Persien.

Als er aber nach Samarkand gekommen, blieb er in Samarkand viel länger, als er's nötig hatte.

In Samarkand traf er nämlich gute alte Jugendfreunde, und die tranken sehr gern.

Da nun Abu Hischam eine lustige Gesellschaft über Alles liebte – so blieb er in dieser lustigen Gesellschaft.

Die Stadt gehörte ja seit mehr als sechzig Jahren den Arabern, und es fehlte da an Nichts.

Namentlich an einer Sache war kein Mangel – an Wein fehlte es nicht.

Und die Frauen von Samarkand fühlten sich sehr verlassen, da alle Männer beim Weine Weib und Kind in rücksichtsloser Weise vergaßen.

So durfte man sich nicht wundern, daß Abu Hischam allabendlich seine Zecherei durch einen Gesang einleitete, der in Samarkand seit Jahr und Tag bis zur Erschöpfung gesungen wurde – in den jeder Mann mit Begeisterung einstimmte, sobald er Wein vor sich hatte.

Es war »der freie Rundgesang« von Samarkand, den Abu Hischam so sehr liebte – so sehr, daß er niemals trinken konnte, wenn er diesen freien Rundgesang nicht beim ersten Becher gesungen – die Strophen gingen nämlich also:

»Wohl dem, der frei von Weib und Kindern
Sein Leben froh vertrinken kann –
Der muß der Menschheit Leiden lindern –
Der ist ein guter freier Mann –
Der lebt im Sturm und Sonnenschein
Gemütlich in den Tag hinein –
Der hat verjubelt alle Pein
Und darf auf Erden selig sein.«

Der dicke Osman hörte davon glücklicher Weise Nichts – sonst wäre er sehr böse gewesen.

Im Mondtempel zu Hauran wird jedoch ein Brief des Thabit ibn Quorrah abgegeben.

Der Brief, der in Bagdad in der Kalifenburg geschrieben ist, hat folgenden Wortlaut:

Meine heißgeliebten Freunde!

Ihr denkt schlecht von mir und glaubt, ich möchte Euch schaden. Das will ich aber nicht. Ich will Euch nur warnen. Die Priester im Mondtempel zu Hauran haben nicht mehr dieselbe Macht wie einst, als unsre Vorfahren noch in Babylon lebten. Babylon zerfiel, und unsre Zeiten sind andre. Vor ein paar hundert Jahren durften sich Haurans Priester noch anders schützen als jetzt. Wie der römische Kalif Caracalla nach Hauran wollte, haben ihn Haurans Priester in der Wüste ermordet. Heute dürfen Haurans Priester nicht mehr morden – vergeßt das nicht! In Bagdad ist man mißtrauisch. Hütet Euch drum vor neuen Freunden! Hütet Euch vor den lauteren Brüdern! Der Dichter Safur weilt in Ägypten. Er gehört auch zu den lauteren Brüdern. Warnt die Ägypter! Warnt die Ägypter! Safur ist neugierig und schwatzt gern.

Mit den glühenden Küssen der Freundschaft.

Thabit ibn Quorrah

Die sieben Priester der Ssabier sind bestürzt – Tschirsabâl besonders.

Man spricht aber nicht weiter über den Brief, sondern sendet Boten nach Ägypten, die den Safur suchen und beobachten sollen.

Und dann gehen die Priester wieder an ihre Arbeit – sie bereiten ein großes Fest vor, bei dem im Tempel ein Schauspiel vorgeführt werden soll – eins mit Falltüren, verdeckten Lichtern und verdeckten Spiegeln – mit Geistern und Wundertaten – mit Tod und Schrecken – mit Donner und Blitz.

Der Dichter Safur klettert während dieser Zeit auf eine große ägyptische Pyramide, die nicht weitab von Kairo wie eine Riesenburg daliegt, von deren Spitze aus Safur in die große afrikanische Wüste hineinschauen kann.

Safur hat toll gelebt und alles Mögliche mitgemacht.

Er genoß das Leben in vollen Zügen – aber nicht so wie Kodama – anders – mit der steten Sucht, den einzelnen Genuß zu verfeinern.

Er betete mit schwärmerischen ägyptischen Heiden die Engel an, die in den Pyramiden wohnen sollten.

Nachts wurden die Engel angebetet.

Er lebte mit diesen Ägyptern fast immer zusammen, denn er wollte von ihnen wissen, ob er nicht mal die Engel der Pyramiden mit eigenen Augen schauen könnte – so wie man seine Mitmenschen mit eigenen Augen schaut.

Er unterhielt sich mit den Ägyptern nur von der Geisterwelt.

Und die Ägypter machten dem Dichter klar, daß die Geister nur in den uralten Denkmälern der Vorzeit hausen könnten – in den alten großen Pyramiden.

» Einen Geist«, sagten die Ägypter, »kannst Du allerdings mit eigenen Augen schauen – der Geist ist aber versteinert – die große Sphinx – die kannst Du schauen mit Deinen Augen und anbeten.«

Und mit weisen Ägyptern und mit vielem Volk geht Safur in einer Mondnacht hinaus zur Sphinx und betet die Sphinx an.

Die Andächtigen liegen vor der großen Sphinx auf den Knien.

Fackeln und Lagerfeuer flackern ringsum zum Himmel auf.

Safur genießt den großen Augenblick in tollster Verzückung, er starrt in das riesenhaft in den Sternenhimmel hinaufragende Sphinxhaupt mit glühender Inbrunst hinein.

Und er betet die Sphinx an – lange – länger als die Andern – sieht Nichts von den Prozessionen – hört Nichts von den Gesängen der Priester, die in stiller Mondnacht heimlich hier ihren – Götzendienst verrichten.

Safur betet und genießt seine Seligkeit wie feurigen Wein, ihm ist, als könne er sich dem überirdischen Wesen körperlich nähern.

Er will die Sphinx umarmen – denn er will den Genuß – immer wieder den Genuß – den höchsten – jeden!

Er sagt sich:

»Wozu wollen die Menschen mehr als den Genuß? Wozu? Immer wollen sie drüber hinaus, und sie können doch nicht – ich auch nicht – darum lieb ich die Sphinx! ich liebe die große Sphinx, als wär' sie ein Weib – auch wenn sie noch viel größer wäre – ich säh' in ihr das Weib doch!«

Und Safur breitet die Arme aus und starrt in das steinerne Antlitz, in dem alle Rätsel der Welt ihre Spuren hinterließen.

Und Safur sieht plötzlich – wie der Sphinx zwei schwarze riesige Flügel wachsen – wie sie davon fliegt – hinweg – in den Himmel hinein.

Und Safur schreit auf, denn er hat plötzlich das Gesicht der Sphinx – anders gesehen – – – – die Sphinx ist seine Dschinne – die Dschinne, die er zuerst bei der Sareppa sah.

Dem Dichter schwindet das Bewußtsein.

Als er wieder erwacht, liegt die riesige Sphinx so ruhig da wie vor tausend Jahren – rührt sich nicht.

Aber die Sphinx ist nun doch dem Dichter eine steinerne Dschinne geworden – das große Wüstenweib, dessen Leib zusammenwuchs und eins ward mit dem Löwen, auf dem das Wüstenweib einst als wilde Dschinne durch die Wüste ritt – durch die heiße große Wüste.

Die Lagerfeuer flammen flackernd höher, als erwachten auch sie wieder.

Safur betet an – das Weib, das er lieben kann – das er lieben will – das er lieben muß – – die große steinerne Dschinne – seine Dschinne.


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