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27. Januar. Mit Sonnenaufgang wird es lebendig. Alle Reisenden stecken neugierig die Köpfe aus den Waggonfenstern, und wir sind sehr überrascht, uns mitten in einer lieblichen Landschaft zu befinden. In weitem Bogen ziehen sich bewaldete Hügelketten hin, zu denen fruchtbare Felder und frische Wiesen den Vordergrund bilden. Weiße Bungalows liegen zerstreut an den grünen Berghängen, hohe, schlanke Palmen stehen die Landstraße entlang. Im Gebüsch sieht man großen Termitenhaufen gleichende Palmhütten der Eingeborenen. Sie haben keine Fenster und sind nur mit einem länglichen Loch als Eingang für Luft und Licht, Mensch und Tier versehen.
Vor meinem Fenster, in angemessener Entfernung, haben sich die mitreisenden Hindus malerisch gelagert, damit beschäftigt, über einem kleinen Feuer ihren Reis abzukochen, nachdem sie vorher an dem naheliegenden Ziehbrunnen Wasser geschöpft und sich einer eingehenden Waschung, sowie einer minutiösen Zahnpflege unterzogen haben. Auch für die umliegenden Hütten wird das Wasser aus diesem Brunnen geholt. Man sieht hier wundervolle Frauengestalten. Nur mit einem langen, anderthalb Meter breiten Tuch umschlungen, lassen sie den Oberkörper frei und zeigen eine herrlich geformte Büste, über die sie verschämt den Schleier ziehen, wenn sie den Blicken eines Europäers begegnen. Mit prachtvoll gerundeten Armen fassen sie die dickbäuchigen Krüge, die sie auf den Hüften aufsetzen oder freischwebend auf dem Kopfe tragen. Dianen gleich, schreiten sie leichtfüßig einher, die schönsten Frauen, die wir bisher in ganz Indien sahen.
In einem Wagen zweiter Klasse und in einem andern dritter Klasse unseres Zuges reist ein Nawab mit seinen Frauen und Dienerinnen nach Madras. Ein theatralisch kostümierter »Hofmarschall« hatte die lebhaften Damen zu beaufsichtigen. Alle nehmen im Stationsgebäude ihr Frühbad, jede führt die Lota (Wassergefäß), welche ihr zum Uebergießen des Körpers dient, mit sich. Weiße, schmächtige Gestalten aus Bengalen oder kräftige Erscheinungen, in rote und blaue Gewänder drapiert, ihre Nasenflügel mit kostbaren Ringen geschmückt, das Gesicht kühn mit Sektenzeichen tätowiert, kommen sie an meinem Fenster vorbei. Meine neugierigen Blicke folgen ihnen. Sie steigen wieder in ihren Wagen ein, wo sie in unordentlichem Durcheinander von Hausrat, Bettzeug und Kochgeschirr sitzen und liegen. Nur eine Frau hat den Wagen nicht verlassen. Durch leichte Schleier verhüllt, ruht ein ungeheuer dickes Wesen, wie ein schwerer, weißer Ballen, umringt von geschäftigen Dienerinnen, in der Ecke des Coupés. Es wird wohl die tyrannische Mutter des jungen Nawabs, die gefürchtete Schwiegermutter sein! Plötzlich geht ein zeterndes Geschrei los. Die Diener springen verzweifelt gestikulierend hin und her, der »Hofmarschall« ringt hilflos die Hände. Aus dem Coupé des »weißen Ballens« fliegt hoch im Bogen ein anmutiges, sechzehnjähriges Mädchen auf den Perron, rollt über den Damm und steht heulend wieder auf. Der Nawab erscheint. Das Mädchen wimmert, eine Unsichtbare schimpft. Der »Hofmarschall« bekommt einige Püffe seines Herrn, das Mädchen muß wieder zum »weißen Ballen« in den Wagen, der Nawab macht eine drohende Bewegung, und alles wird ruhig – bis nach einer Stunde der Streit von neuem beginnt.
Das breakfast nehmen wir im, » refreshmentroom« ein. Es wird an einem höchst sonderbar dekorierten Tisch aufgetragen. Bunte, mittels einer Schablone aus farbigen Reiskörnern auf die Tafel ausgelegte Arabesken sollen wohl die fehlenden Blumengirlanden ersetzen?
Waltair liegt eine halbe Stunde vom Meer entfernt. Es ist mit dem Hafen Vizigapatam durch eine kurze Bahnstrecke verbunden. Um den » trainer« unsern Mitreisenden, nicht zu beleidigen, mußten wir seiner Einladung folgen und den Weg mit ihm zu Wagen zurücklegen. Er bestellte einen Landauer, aber es kam eine Droschke in Gestalt eines zweiräderigen, viereckigen Kastens, in den wir krochen, um höchst unbequem nach Vizigapatam – wie die Hauptstadt des Distriktes gleichen Namens heißt – zu gelangen. Ueber staublose rote Straßen und Plätze – es ist alles Lateritboden, d. h. verwittertes Urgestein – fahren wir nach diesem aufblühenden Hafen der Koromandelküste, welcher Sitz eines apostolischen Vikariats ist. » Bible and bookstores« sieht man an vielen Häusern angezeigt, und wir begegnen wohl einem halben Dutzend Missionarinnen, die durch »Schuten«, welche sie als Hüte tragen, kenntlich sind. Es leben hier verhältnismäßig zahlreiche Europäer.
Die Lage von Vizigapatam ist überraschend schön. Die Stadt zieht sich an erhöhtem Meeresufer hin und senkt sich zu einer ultramarinblauen Bucht hinab, die sich tief ins Land hineindrängt, wie ein breiter, herrlicher Strom wogt das Meer zwischen Palmenhainen, pittoresken Klappenhängen und reich bewaldeten Hügeln, wir besteigen eine große, morsche Barke. Der Boden steht fußtief unter Wasser, das immer ausgeschöpft wird und immer wieder eindringt. Hier hocken wir auf schwankenden Latten mit hochgezogenen Beinen. Langsam werden wir über den schönen Meeresarm nach dem Landsitz eines Nadja gerudert. Eine hohe Mauer umschließt den sich meilenweit über die Berge ausdehnenden fürstlichen Besitz. Mit Zurücklassung unseres Boy und nach Erlegung eines größeren Backhschisch dürfen wir das herrschaftliche Tor passieren. Zwei wohnlich aussehende Bungalows liegen im tiefen Baumschatten, den man sich aber nicht etwa kühl, sondern erstickend heiß und dumpf vorstellen muß. Eine breite, leicht ansteigende Fahrstraße führt durch den Palmenwald. Auf halber Höhe des Hügels steht unter kühn überhängendem Felsen eine mächtige Steinbank. Von hier aus übersieht man Hunderttausende von mächtigen Wedeln schlankstämmiger Riesenpalmen, deren Ertrag an Früchten eine kolossale Rente repräsentiert. Berge von Kokosnüssen liegen aufgehäuft. Wie die Affen klettern die Eingeborenen mit ihren durch einen Strick zusammengehaltenen Füßen, die sich wie eine Klammer um den Stamm legen, an dessen glatter, grauer Rinde auf und ab, oder hocken hoch in den Baumkronen, Vögeln ähnlich. Die Nüsse fallen schwer zu Boden, und wehe jedem, den eine solche Kugel trifft.
Es herrschte in dem durch Anhöhen umschlossenen, dicht mit Palmen bestandenen Hain eine glühende Temperatur; befreit atmeten wir auf, als wir diese indische Sommerfrische verließen und eine sanfte Seebrise uns leise umfächelte. Draußen im Hafen überstürzten sich kleine Wellen und spritzten weißschäumend an den steil aus dem Meere aufstrebenden Felsenriffen empor. Auf einer romantischen Höhe entdeckte ich die grandiose Ruine eines Hindutempels, eine halb verfallene, aber noch im Gebrauch stehende Moschee und eine funkelnagelneue, kleine, christliche Kirche, die keck ihr Türmchen himmelwärts reckt. Ein goldenes Kreuz blitzt siegesbewußt in der Sonne.
In Waltair ist heute Markt. Lebhaftes Treiben herrscht daher auf den eingezäunten, den Handel konzentrierenden Plätzen. Von der Hitze und der Fußpartie durch den Palmenhain erschöpft, lehnen wir halb schlafend in unserm Karren, als wir plötzlich, durch eine monotone Musik aufmerksam gemacht, zu den trüben kleinen Scheiben hinausblicken und im nächsten Augenblick auch schon auf der Straße stehen, um einer höchst merkwürdigen Prozession zu begegnen, die über den großen Platz tanzt. Eine ungeheure, zehn Meter hohe Wand wiegt sich wie ein kolossales Palmblatt vor- und rückwärts, hebt sich auf und nieder. Hinter dieser höchst sonderbaren Fahne folgt mit entsetzlichem Getöse und quäkendem Gesang eine nackte Schar springender Faune, wilde, mit Fuchsschwänzen um die Hüften, rasselndem Schellengeläut um Arme und Fußgelenke, führen unter Leitung eines schwarzen Riesenadams mit gigantischem Schwert Bocksprünge aus, die eine Mischung von übertriebenen polnischen Tanzschritten und dem St. Veitstanz sind. »Halli-Hukh« heißt dieser religiöse Cancan. Den wütend tanzenden Fanatikern folgt unter rotem Baldachin eine prunkhaft gekleidete Greisin. Sie wird von zwei reichgeschmückten Mädchen sorgsam gestützt. Der hochbetagten Alten hängen unter glitzernder Haube weiße Haarsträhnen an dem orangegelb gefärbten Gesicht steif herab; auch die Mädchen haben sich grüngelb geschminkt. Die Musikanten mit Kesselpauken und Flöten sehen uns kommen und, auf einen Backhschisch hoffend, bleiben sie stehen. Jedermann weicht zurück; ich kann diese Wallfahrer, die allem andern, nur keinen Büßern gleichen, photographieren. Mit vielen Fragen und vielem Mißverstehen ergründe ich schließlich so viel, daß sie dem Schutzpatron des Ortes an einem geheimnisvollen Platz im entfernten Dschungel die alljährliche Verehrung dargebracht haben. Ist es ein Holzklotz, ein weißer, ein schwarzer Stein oder ein Baumstumpf, zu dem die Dorfbewohner heute noch pilgern, wie einst Bassu, der Vogelsteller, zu seinem »blauen Stein«, in dem er den Gott Jagannath verehrte, oder ist es irgend eine legendarische Begebenheit aus dem Leben Krischnas, des Feld-, Wald- und Wiesengottes, was die Pilger in einen fernen Hain lockt, um ihm dort zu opfern? – Ich habe den Eindruck, als ob sich hier in Jahrtausenden nur wenig veränderte.
Der trainer, dessen Gäste wir noch immer sind, drängt, nach der Station zurückzukehren. Er ist ein sehr gefälliger Mann. Interessant sind die medizinischen Ansichten des braven Hippologen. Empfahl er mir doch ein unfehlbares Mittel gegen die Seekrankheit mit der Versicherung, daß es seinen Pferden stets geholfen habe.
Um sieben Uhr kam ausnahmsweise der Zug aus Kalkutta pünktlich an. Wir genossen deshalb den Vorzug, mit unsern Waggons einfach angekoppelt zu werden und allein zu bleiben, da der trainer zartfühlend genug war, sich anderweitig zu placieren.
28. Januar. Die Reise verläuft ohne Zwischenfall. Wir erreichen Madras mit geringer Verspätung. Nur die Tatsache, daß wir aus Kalkutta kommen, während zehn Tagen pest- und choleraverdächtig sind und deshalb unter polizeilicher Kontrolle stehen, macht die Fahrt unbequem. An einer Reihe von Stationen müssen wir deshalb die Zunge herausstrecken und den Puls fühlen lassen. In Madras ist unser erster Gang nach dem »Gesundheitsamt«, das in einem Chausseehäuschen untergebracht ist. Hier sitzt ein ernster Mann, der uns von oben bis unten sachkundig betrachtet, die Zertifikate der verschiedenen Quarantänebeamten kontrolliert, unsere Namen notiert und uns huldvollst entläßt.
Mir bleiben einen Tag in Madras und sind diesmal in den Prunkzimmern des Hotels »Connemare« vortrefflich untergebracht.
30. Januar. Nachmittags Abfahrt nach Tutikorin.
31. Januar. Als uns der Boy heute früh den Morgentee an das Coupé brachte, sah er aschfahl und verstört, zehn Jahre gealtert aus. Um den Kopf trug er sein rotes Taschentuch als Haube gewickelt. Man hatte dem armen Kerl seine sämtlichen Habseligkeiten gestohlen, seinen Blechkoffer, seinen Ueberzieher, die Mütze, Kamm, kurz, alles.
Die Leute sitzen in ihren Coupés so eng auf-, über- und untereinander gedrängt, die Beleuchtung ist so mangelhaft, daß die Eingeborenen nicht kontrollieren können, was ein Mitreisender etwa entführt, wenn derselbe nachts aussteigt. Der arme Charley ist sehr unglücklich, aber durchaus überzeugt, nie auch nur das geringste wiederzubekommen. Wir wollen alle möglichen Schritte zur Wiedererlangung seiner Sachen tun, er schüttelt resigniert den Kopf, zuckt die Achseln, macht eine Bewegung mit der Hand ins Weite und sagt: » all gone«.
Nachmittags Ankunft in Tutikorin. Nach genauer Paßrevision und Zungeninspektion wird uns freie Durchfahrt gestattet. Die Dienerschaft aber muß eine viertägige Quarantäne durchmachen und wird hierzu nach Madura zurückgesandt. Als die armen, schwarzen Leute dieses Urteil hörten, erblaßten sie und sahen plötzlich ganz verändert aus, geradezu, als lägen sie im Sterben, wir hatten versäumt, dem Halfcast-Doctor einen » tip« zu geben, während ihn ein erfahrener Engländer durch ein reichliches Douceur willfährig machte, und man seinen Diener passieren ließ, von meiner Aya trennte ich mich heute definitiv und, obwohl ich dank ihrer Aufmerksamkeit weder etwas liegen ließ, noch bestohlen wurde, so begrüße ich es doch freudig, den Pavian fortan nicht mehr um mich haben zu müssen. Auch würde ich mich nie wieder bei einer Reise durch Indien mit einer weiblichen Bedienung belasten, die zu behandeln wir Europäer erst lernen müssen. Der Verkehr mit den Boys ist viel bequemer. Die beiden Diener erwarten wir in Colombo. Sie sollen uns in das Innere von Ceylon begleiten. Charley bringt das Gepäck noch auf die » launch«, sorgt väterlich für unser Wohlbefinden und muß dann das Schiff verlassen. Mit ihm fliegt unter Hohngelächter und Fußtritten ein armer Tamile auf die Landungsbrücke zurück. Er hatte sich eingeschmuggelt und beabsichtigte, choleraverdächtig wie er war, als blinder Passagier nach Colombo überzusetzen.
Wegen des Teehandels, dessen Versand durch einen eingeschleppten Cholerafall in Frage gestellt würde, ist man mit der Quarantäne ungemein streng. Zwar kommen in Colombo dauernd einzelne Cholera-Erkrankungen vor, aber sie gelangen kaum an die Oeffentlichkeit. Die Behörden ignorieren die Tatsache. Ueberhaupt ist Ceylon nicht so gesund, wie man im allgemeinen annimmt; es ist nur gesünder als das Festland Indien. Auch in Ceylon leiden die Kolonisten an Malaria und Fieber. Kräftezerstörend wirken diese Krankheiten allerdings erst nach jahrelangem Aufenthalt auf der Insel. Die englischen Beamten haben deshalb hier sowohl, wie in Indien, alle fünf resp. drei Jahre einen längeren Erholungsurlaub.
Unser Schiff, die »Etiopia«, auf der wir die Ueberfahrt nach Colombo machen, ist viel größer und reinlicher als die »Afrika«, wir sind nur sechs Passagiere erster Klasse und dinieren auf Deck. Ich sitze neben dem Kapitän, der ein Feinschmecker zu sein scheint, denn das Dinner ist ganz vorzüglich. Als vis-à-vis habe ich einen stotternden, leider sehr gesprächigen Engländer. Er hat von Kalkutta aus einen »Ausflug« nach Rangun gemacht und erzählt, daß die Stadt überfüllt gewesen sei. Die Reisenden irrten, um Unterkommen bettelnd, verzweifelt von Haus zu Haus durch die Straßen, und mußten schließlich froh sein, gegen täglich dreißig bis vierzig Rupien in einem armseligen Zimmer mit dürftiger Kost Aufnahme zu finden. Außer einem unausgesetzt photographierenden Schotten, befindet sich noch ein ganz junges Bürschchen an Bord, ein knabenhaft aussehender englischer Leutnant, der in »Tritschi«, wie die Engländer Trichinopolis kurzweg nennen, stationiert ist. Er fährt auf drei Tage nach der »Großstadt« Colombo, um sich dort zu amüsieren.
Wir sind seit dreißig Stunden unterwegs. Da die verflossene Nacht sehr schlecht war, bin ich todmüde und begebe mich früh in die Kabine. Sie ist luftig und geräumig, aber die Betten sind hart und kurz. Ich schlafe trotzdem sofort ein, und selbst das Glucksen des Wassers, das durch die offene Luke hereinplätschert und ein Geräusch macht, als schlürfe jemand durch die Kabine, geniert mich nicht.
1. Februar. Als ich gegen Morgen erwache, rollt trotz herrlichem Wetter das Schiff ganz bedeutend infolge der starken Strömungen, die in der »Palkstraße« herrschen, welche das Festland von der Insel Ceylon trennt. Man spricht davon, diese Meerenge zu überbrücken, und hierzu die beiden Inseln Mannar auf ceylonischer und Ramisseran auf indischer Seite, sowie die großen Korallenriffe und Sandbänke zu benutzen, die, abgesehen von der Zeit, in welcher der Monsun herrscht, aus den Wassern ragen. Von den gigantischen Felstrümmern, die hier liegen, geht die Sage, daß sie die Reste jener Brücke seien, die der Affenfürst Hanuman einst seinem Affenheer zu bauen befahl, um Rama – einer Inkarnation Vishnus – den Uebergang nach dem Königreich Lanka zu ermöglichen. Lanka, wie Ceylon im Altertum hieß, wurde nämlich in unvordenklichen Zeiten von dem Riesen Ravanna beherrscht. Er bekriegte Indra, um ihn zu stürzen und sich an seine Stelle zu setzen. Die Klagen der Menschen über des Riesen Tyrannei bestimmten Vishnu, als Rama herabzusteigen und Ravanna zu besiegen. Rama vollbrächte Heldentaten, tötete und unterwarf viele schützende Ungetüme, wofür sich Ravanna dadurch rächte, daß er mit List Ramas Gattin, die schöne Sita, nach Lanka entführte. Nun schwamm Hanuman, der Affenfürst, nach Ceylon und befreite Sita, während Rama über die schnell durch Affen gebaute Brücke folgte. Er tötete den Riesen Ravanna und fand Sita wieder, deren eheliche Treue durch Feuerprobe erwiesen wurde. Er kehrte mit ihr in sein Königreich Asodhja (Oudh) zurück, allwo er noch 11 000 Jahre regierte, um dann seine menschliche Existenz wieder mit der göttlichen zu vertauschen.
Im Volksmund heißt dieser Uebergang Adamsbrücke. Nach mohammedanischer Ueberlieferung wanderte hier einst Adam über das Meer, als er aus dem Paradies vertrieben wurde, das auf Lanka angenommen wird.
Gegen zehn Uhr durchfahren wir eine schaumige Strömung, die sich in weitem Kreise silbern um das schöne Eiland legt. Seit den frühesten Zeiten hat Lanka die Phantasie der Völker beschäftigt, Freunde und Feinde zu friedlichem Handel wie zu kriegerischen Ueberfällen an seine Gestade gelockt. Kein König Indiens konnte sich an Reichtum mit jenem von Lanka messen, der Ruhm seiner kostbaren Edelsteine drang bis an den Hof Alexanders des Großen, und seine Perlen schmückten die Krone einer Kleopatra. Elfenbein, Ebenholz und Gewürze machten die Insel berühmt und neidisch begehrt.
Die Geschichte Ceylons setzt sich aus inneren Kriegen, aus Einfällen südindischer Völkerschaften und wechselnder Fremdherrschaft zusammen. In der »Mahawansa«, d. h. große Genealogie, einer Chronik in Versen, ist die Geschichte Ceylons in Stücken verschiedenen Alters von 600 vor bis 1798 nach Christi Geburt niedergelegt.
Nach der alten Tradition landete der indische Abenteurer Wijeyo (spr. Widscheyo) 543 v. Chr., von dem Südwestmonsun verschlagen, auf Lanka. Er und seine Gefolgschaft kamen aus dem Gangestal von Lâla in dem Distrikt Maghadha (spr. Magadscha), heute Behar in Indien. Es waren Arier, die auf der Insel nichtarische Stämme vorfanden, als deren letzte Nachkommen, die heute noch in den Wäldern lebenden Wäddas bezeichnet werden. Die eingewanderten Inder verbanden sich mit den Weibern der Ureinwohner, woraus das Mischvolk der Singhalesen entstanden sein soll, das sich auch die Sprache der Maghadhaleute, das »Pali«, aneignete.
Im dritten Jahrhundert begannen die Ueberfälle der Damilos, dravidischer Horden aus dem südindischen Festland. (»Damilos« heißt auf Pali »Dravida«, in Sanskrit »Tamil« oder »Malabar«.) Die Raub- und Eroberungszüge wiederholten sich periodisch. Die Tamilen verwüsteten das Land, beherrschten es, verloren es wieder, trieben die singhalesischen Könige in die Berge, und so vergingen Jahrhunderte unter blutigen Kämpfen, Siegen und Niederlagen auf beiden Seiten.
Im Jahre 1000 n. Chr. war die Uebermacht der Tamilen im Norden der Insel so angewachsen, daß die einheimischen singhalesischen Fürsten alles Ansehen verloren. Da, mitten aus dem Verfall, erhob sich das singhalesische Reich noch einmal unter Prakrama Bahu zu Blüte, Macht und Glanz. Eine Renaissance im vollen Sinne des Wortes! Doch nur kurze Zeit währte das erneute Aufblühen des Landes, das Prakrama Bahu durch ungeheure Wasseranlagen zu größter Fruchtbarkeit gesteigert hatte. Die Tamilen wiederholten in kurzen Zeitabständen ihre energischen Ueberfälle von neuem, die singhalesischen Fürsten mußten immer wieder in die Berge flüchten, um sich endlich ganz in den Süden des Landes zurückzuziehen. Die Hauptstadt des Reiches, ursprünglich das hochberühmte Anuradhapura (spr. Anuradschapura), wurde von hier nach vielen verschiedenen, immer südlicher liegenden Orten verlegt, und schließlich (1410) wurde Cotta, in der Nähe von Colombo, zur Residenz gewählt.
Etwa hundert Jahre später (1505) waren es die Portugiesen unter Don Almeida, die vom Sturm an die Küste Ceylons verschlagen, Vorteil aus diesem halb aufgelösten, ohnmächtigen Reiche zogen. Das durch ein grausames Aussaugungssystem und entsetzliche religiöse Verfolgungen seitens der Portugiesen zur Verzweiflung gebrachte Volk sah in der Landung des holländischen Generals Spielberg (1603) Rettung und Hilfe. Der General war eigentlich nur gekommen, um Handelsbeziehungen anzuknüpfen, wurde aber von dem durch die Fremden nach Kandy verjagten König zu einem Schutz- und Trutzbündnis gegen die Unterdrücker veranlaßt. Die Holländer blieben die Herren der Insel, richteten aber ihr Augenmerk vor allem darauf, den Handelsverkehr zu beherrschen, und ließen im übrigen die Eingeborenen gewähren. Dem milden und energielosen Regiment der Holländer machte 1796 die »ostindische Kompagnie« ein Ende. »Srivikrama Rajasiah«, der letzte singhalesische König, wurde, nachdem er unter der englischen Garnison in Kandy ein gräßliches Blutbad angerichtet hatte, 1815 gefangen genommen, abgesetzt und in Indien interniert. 1832 erklärten die Briten die englische Oberhoheit über die Insel, womit für sie eine Zeit gesunden Emporblühens begann.
Unter einem weichen Dunstschleier liegt Ceylon, das vielumstrittene »Selandiv« aus »Tausend und einer Nacht«. Colombo, von einem Palmengürtel umgeben, wird sichtbar. Langsam fahren wir in den Hafen ein, dessen ganze Länge durch einen hohen starken Steindamm, dem » breakwater«, gegen die Stürme und Wellen des Ozeans gesichert ist. In der Mitte der » jetty« (des Hafens) ragt auf hohen Pfählen eine gedeckte Holzhalle ins Wasser hinein. Hier legt der Kahn an, der uns von der »Etiopia« herübergebracht hat.
Wir betreten das Land, und ein wunderbar warmes Empfinden beschleicht uns. Sollten wir doch hier endlich Nachrichten von zu Hause erhalten, die nicht zwei Monate alt waren! Nachdem wir unsere Briefschaften bei Konsul Freudenberg und Th. Cook in Empfang genommen haben, eilen wir, das »Fort«, d. h. das am Hafen gelegene europäische Stadtviertel zu verlassen, um unsere Briefe in Ruhe im Hotel zu genießen.
Dasselbe phantastische Bild überrascht uns am Eingang und in der Halle des Hotels »Galle Face«, wie vor drei Monaten. Am Tor steht in dunkelblauer Uniform barfuß ein Polizist mit roter Mütze und rotem Gürtel. Einen Peitschenstock in der schwarzen Rechten, hält er unter den Kulis und herumstehenden Eingeborenen Ordnung. Ein »Bhikkus« – buddhistischer Bettelmönch – in gelber Toga, den Fächer in der Hand, umschleicht das äußere Gitter. In den Hallen hin und her eilen reichgekleidete »Moormen«, wie die Araber heißen, die unter portugiesischer Herrschaft mit Waffengewalt eindrangen und den Handel des Ostens an sich rissen. Spitzenhändlerinnen aus Galle haben kunstvolle Gewebe vor sich ausgebreitet und kauern auf dem Boden. Ein Wahrsager mit gelbem Hut winkt mir verschmitzt zu und deutet auf einen matten Spiegel und ein altes Buch. Ein indischer Gaukler hockt auf der Erde und läßt seinen Mangobaum aus einem Häufchen Sand sprießen. Zahlreiche Fremde sitzen erschöpft in den Singapurstühlen, schlürfen einen kalten » drink«, den ihnen ein weiß drapierter Singhalese mit schlangenartiger Grazie reicht, oder sie blicken müde über die Balustrade gelehnt auf das Kunststück des wachsenden Mangobaumes. Staunenswert ist mir diese Hexerei niemals erschienen, obwohl ich es nicht zu sagen wüßte, woher der nackte Mann seinen immer größer werdenden Baum bekommt. Der Mangokern, der ungefähr die Größe einer Dattel hat, wird in ein Sandhäufchen gesteckt und mit einem Tuch bedeckt. Nach einigen geheimnisvollen Zeichen und Zaubersprüchen gießt der Gaukler ein wenig Wasser auf den Sand und greift hierzu mit beiden Händen unter das Tuch. Natürlich weiß man, daß er jetzt den Zweig in den Kern steckt, woher er aber den Zweig nimmt, der schließlich zu zwanzig Zentimetern Höhe wächst, ist, wenn er nicht in dem deckenden Tüchlein verborgen liegt, kaum zu ergründen, auch nicht, woher er das Ei nimmt, das er sich aus einer Hautfalte dreht, oder woher das Wasser kommt, das er literweise ausspuckt, oder der Rauch und das Feuer, das aus seinem Munde qualmt und flammt.
2. Februar. Noch drei Tage fehlen an der Quarantäne, die uns der Aufenthalt in Kalkutta auferlegt hat. Da die Boys aber erst am fünften Februar uns von Madura folgen werden, so verbringen wir diese Zeit der »Ueberwachung« hier in Colombo und stellen uns alltäglich im Gesundheitsamt pflichtschuldigst vor. Die Zimmer, die wir diesmal im Hotel »Galle Face« bewohnen, gewähren einen herrlichen Ausblick aufs Meer, und Palmenzweige reichen durchs Fenster herein.
3. Februar. In früher, kühler Morgenstunde fahren wir mit einem Landauer – nicht per Bahn – was billiger und kürzer, aber weniger reizvoll wäre, nach »Mount Lawinia«, dem ehemaligen Sommerpalais des Gouverneurs von Ceylon, das jetzt in ein Hotel umgewandelt ist. Auf dem »Galle Face«, dem Exerzier- und Sportplatz Colombos, vor unserm Hotel, ist es schon lebendig. Die Herren und Damen der europäischen Kolonie machen sich die für ihre Gesundheit nötige Bewegung, welche der übrige Tag mit seiner erdrückenden Hitze nicht erlaubt. In den Straßen, die man sich wie durch einen unendlichen Märchengarten führend, vorstellen muß, wimmelt es von herbeiziehenden Eingeborenen. Kulis balancieren ihre Last an langen Stangen (»Pingos«), während die Frauen fast alles auf dem Kopfe tragen und noch ein nacktes Baby auf der Hüfte reiten lassen. Die besser situierten Kasten fahren in einem »Hackery« zur Stadt. Es ist ein leichter Karren, mit einem Zebusöchslein bespannt, dem das Leitseil durch die Nüstern gezogen ist, und das ausdauernd läuft – wenn es will. Große Lastwagen mit einer tunnelförmigen Bedachung aus geflochtenen Palmblattstreifen, deren oberer Teil, um das Eindringen der Sonne zu verhüten, verlängert ist, bringen Früchte, Gemüse und ganze Familien herein. Grimmig dreinschauende Büffel sind vorgespannt. Amüsant ist es, dem Leben in den Buden und vor denselben zuzusehen. Mit einem winzigen Vogelflügel reinigt die Frau behutsam ihren Laden, während ein Mann mit großen Palmblattbesen unter viel Kraftaufwand, seinen Viktualienstand fegt, und dadurch die Auslage von Reis, Tabak und getrockneten Fischen mit einer Lage Staub bedeckt. An dieser Art Buden hängt meist, wie eine getrocknete Schlange, ein langer, brauner Schlauch vom Schattendach herab. Es ist die allgemeine Pfeife, an welcher der Aermste und Niedrigste für einen Cent ein paar Züge tun darf. Töpfer, Schmiede, Korbflechter, Schreiner usw. sitzen vor ihren Läden und verrichten die Arbeit in unbeschränkter Oeffentlichkeit und Nacktheit. Der Barbier rasiert auf offener Straße. Auffallend ist es, wie ruhig und behaglich sich die Menge bewegt. Da gibt es kein Stoßen, kein Drängen! Langsam und gemächlich wird gehandelt und gewandelt.
Allmählich verschwinden die Buden, und wir kommen hinaus, wo die schöneren Bungalows lauschig versteckt in dunkeln Gärten liegen, eingezäunt von blühenden Hibiskusbüschen, deren schneeweiße, rosenähnliche Blüten sich durch die Glut der Sonne bis zum Abend röten. Ueber diesen zauberhaften Zaun hinweg ragen die hellgrünen Riesenblätter der Bananen mit den glänzend gelb gefärbten enormen Fruchtbüscheln, sowie das tiefdunkle Blatt des majestätischen Brotbaumes. Dichte Kokosplantagen engen den Weg ein. Eine geheimnisvolle, beängstigende Dämmerung, eine feuchte Glut beklemmt die Brust und öffnet alle Poren. An einer Weggabelung steht eine mächtige Banyane. Ihre zu Stämmen gewordenen Luftwurzeln bilden Lauben und Gänge. Zwischen dem Geäst erblickt man das türkisblaue Meer. Wir biegen nun in eine Avenue ein, die durch graziös sich zueinander neigende Palmen gebildet ist. Durch all diese grüne Farbenpracht führen rote, glatte Pfade. Wir fühlen uns wie im Paradies. Ich finde keinen andern Vergleich, und warm genug ist es auch, um dem verwöhntesten Adam Genüge zu tun.
Hoch und luftig gebaut, liegt schneeweiß das Hotel »Mount-Lawinia« auf einem ins Meer springenden Felsen, dessen abfallende Seiten mit grünen Matten bewachsen sind. Violette Blumen, die Landlotosblume »Bitamburi« des Singhalesen, wuchern in üppiger Fülle. Wie unsere Winde, nur viel größer, sieht die dekorative Blüte aus. Zu unsern Füßen bricht sich glitzernd an kahlen Riffen, die sich im seichten Ufer weit in das Meer hinauslagern, die weißschäumende Brandung. Sie spritzt über die gelben Felsen hinweg, auf denen die Eingeborenen mit ihren Fischgeräten hocken, und verläuft als schwaches Wellengekräusel in den sandigen Buchten, die rechts und links vom Hotel liegen und entzückende Badeplätze bilden, Hier finden auch die rohgezimmerten Kuno es der Eingeborenen vor den Stürmen Zuflucht. Diese » outriggers« (»Auslegerboote«), die außer auf Ceylon sich nur noch bei den Malaien finden, sind zwölf bis zwanzig Fuß lange, ausgehöhlte Baumstämme mit ein paar Querbalken als Sitzen. Auf der einen Seite des Kahnes ist eine Stange von der Länge des Bootes durch zwei gebogene Arme mit ihm verbunden. Die Ausleger schwimmen auf dem Wasser und verhindern das Umkippen des Bootes. Oft sieht man die Eingeborenen behende wie Affen hinausklettern, um, auf den Auslegern hockend, dem die Segel gefährlich blähenden Winde das Gleichgewicht zu halten.
Ein üppiger, tiefgrüner Palmenwald faßt die lieblichen Buchten ein. Ueberall lagern im erquickenden Schatten, um kleine Feuer gruppiert, Singhalesen, die ihr »Bat« – ihren Reis – kochen. Nach vollendeter Mahlzeit gehen sie leichtfüßig in luftig flatternden Gewändern mit bestrickender Grazie durch den Hain zum nahen Tempel. Dieser ist ein merkwürdig kleines Haus mit einem Giebeldach. Der an das Tor gelehnte Hüter des Heiligtums ist viel zu groß für die reich verschnörkelte Fassade, deren Verzierungen wie von einem Zuckerbäcker gespritzt erscheinen.
Wir nahmen in dem gut ventilierten Speisesaal des Hotels das köstliche Frühstück ein. Frische Fische und Krustentiere wurden uns serviert, und wir schwelgten im Genuß, einmal wieder Gerichte zu essen, die so, wie man es erwartete, ja, noch viel besser schmeckten. Wir waren von Mount-Lawinia, das ein unvergleichlich anmutiges und erfrischendes Rekonvaleszentenheim ist, derart entzückt, daß wir beschlossen, vor unserer Abreise nach Europa hier noch ein paar Tage zu verweilen.
4. Februar. Der heutige Tag ist den Einkäufen geweiht. Um der Hitze der Mittagsglut zu entgehen, trete ich schon frühzeitig vors Hotel. In langer Reihe stehen die Rickshaws, die kleinen, aus Japan eingeführten Menschenfuhrwerke da. Die Kulis, die das Zugtier ersetzen, sind prachtvolle, mehr oder weniger bekleidete Bronzegestalten. Ich wähle mir immer den am wenigsten Drapierten aus. Nicht nur, daß es ein Genuß ist, das Arbeiten der schwarzen Muskeln zu beobachten, ich fühle mich einem völlig »Luftbekleideten« gegenüber auch weniger schuldig und bilde mir ein, meine Last würde leichter, je weniger er mit Gewändern behangen ist. Sobald mich die Kulis erblicken, stürzen ein Dutzend mit ihrem Wägelchen auf mich zu. Ich wähle einen prachtvollen Tamilen, besteige die Rickshaw, in der man völlig frei sitzt, und fort geht es im raschen Trabe. Ich will nach dem » Slave Island«, wie das Stadtviertel heißt, wo ich mir in einem bekannten Laden ein paar Singapurstühle für die Heimfahrt bestellen möchte. Der Portier gibt dem Kuli die Direktive. Er nickt verständnisvoll und kennt natürlich den Stadtteil ganz genau, wohin ich gebracht werden will. Ich fahre und fahre, ein Rinnlein nach dem andern bildet sich auf dem schwarzen Rücken, um zu einem silbernen Bächlein zusammenzufließen. Der Kuli bleibt stehen, wischt sich den Schweiß ab, blickt mich mißtrauisch an und setzt sich wieder in Lauf. Weiter und weiter geht die Fahrt, ich begreife es nicht, denn der Laden sollte nicht allzu fern sein. Ich lasse halten, und stehe hilflos in einem entlegenen Stadtteil. So oft ich einen »gutgewandeten« Singhalesen sehe, bitte ich um Auskunft. Liebenswürdig, wie sie sind, suchen mich die Eingeborenen zu verstehen, einer oder der andere gibt dann auch wohl dem Kuli eine Richtung an, und er fährt wieder davon, aber wohin, das wissen die Götter. Zu dem Laden gelange ich nicht. Verzweifelt klopfe ich dem Kuli mit meinem Schirm auf den Rücken, spreche und winke »Konsul Frudenberg«, denn jeder versteht das und weiß, wo das deutsche Konsulat ist. Ich selbst sogar wußte in der dortigen Straße wieder Bescheid. Die Kulis sagen zu allem »Ja«, was man sie fragt, aber wissen nichts. Sie kennen kaum die Namen der Hauptstraßen und Gebäude, und fahren einfach darauf los; die Zeit wird ja bezahlt. Ich jage vorbei an buddhistischen, an Hindutempeln und an mohammedanischen Moscheen, welche aber neben jenen, die wir in Indien sahen, unbedeutend sind und komme durch das »Pettah«, das Eingeborenenviertel, mit seinen von Parsen gehaltenen Läden, in denen europäische Waren feilgeboten werden. Geldwechsler sitzen auf Matten in der Straße, mitten in einem Haufen Kupfer und Silber. Wie überall, treffe ich auch hier wieder unzählige mit Lepra und Elephantiasis behaftete Kranke, Krüppel und Bettler an. Nach endlosem Traben bringt mich mein zweibeiniger Esel schließlich zum deutschen Konsulat. Ihm gegenüber finde ich, in dem Laden des ehrenwerten Mr. Silva, der als besonders ehrlich gerühmt wird und wundervolle Steine hat, Graf Lippe und Alfred damit beschäftigt, um Steine, Schmuck, geschnitzte Elefanten, Korbwaren und allerhand Zierat zu handeln.
Ratnapura, ein Ort in den Bergen von Kandy, ist die Hauptquelle für Edelsteine. Unter diesen sind die Rubine die wertvollsten. Außerdem werden dort Katzenaugen, Sternsaphire, grüne, blaue und weiße Saphire gefunden, ebenso Turmaline, die jetzt sehr in Mode sind, in allen Farben. Aber besonders hoch geschätzt ist der grüne »Chrysopras«, beliebt auch der gelbe Topas und viele Arten der Karneole. Amethyste, die hier verkauft werden, sollen meist aus Deutschland stammen. Charakteristisch für Ceylon ist der Mondstein, eine besondere Gattung Feldspat. Die blauen und opalschillernden Exemplare sind die wertvollsten. Ich kaufte für sechzig Rupien eine Handvoll Steine, die in Deutschland das Dreifache kosten würden. Leider sind sie alle schlecht geschliffen, und selbst die dunkeln Saphire sind deshalb stumpf und glanzlos. Wir besuchten noch eine Anzahl Läden, in denen wir alles fanden, was wir in Indien an den verschiedensten Orten gesehen hatten. Auch was in Rangun, Siam und Japan produziert wird, findet sich in Colombo beisammen.
Abends waren wir zu einem Deutschen eingeladen. Dekolletiert, ohne Hut und Mantel, fuhr ich in einer Rickshaw nach dem Bungalow. Der durch die Fahrt erzeugte Luftzug erfrischte höchst wohltuend. Unser Gastgeber, Herr K., ein weitgereister Mann, kennt alle fünf Weltteile, hat Afrika durchquert, und ist dabei mit Löwen und Tigern handgemein geworden. Hier in Colombo führt er einen heißen Kampf gegen Schlangen. Mit kräftiger Faust erwürgt er allmorgendlich in der Badewanne seiner Frau eine Cobra di Capello, während er abends die Cobra di Manila auf dem Schreibtisch seiner Gattin erschlägt. Es war eine sehr interessante Bekanntschaft. Der Mann hat viel gesehen und viel erlebt. Er versteht äußerst anregend zu erzählen, und die Lust am Fabulieren gestaltet seine Erlebnisse besonders reizvoll. Vor zwei Jahren hat er sich mit einer jungen, hübschen Frau sehr glücklich verheiratet. Augenblicklich aber befindet sich das Ehepaar in einer recht mißlichen Lage. Sie leben anscheinend in einem von bösen Geistern heimgesuchten Hause. Jede Unternehmung der Familie wird durch geheimnisvolle Mächte bedroht, und ihre Gesundheit durch unerforschliche Einflüsse untergraben. Das waren mir natürlich sehr erstaunliche Verhältnisse. Es überlief mich ein Gruseln, als ich das tiefer als die Straße und unter finsteren Bäumen liegende Bungalow betrat. Ein Geisterhauch wehte mir entgegen, was ja auch ganz selbstverständlich war, denn eben hatte sich wieder der verstorbene Hausbesitzer manifestiert, und durch seine unsichtbare Nähe die junge Frau in einen Zustand körperlicher Schwäche versetzt, der es ihr beinahe unmöglich machte, uns zu empfangen. Jede Freude, jede Abwechslung sucht der verblichene Unhold seiner Mieterin zu verderben. Blaß und erschöpft, halb ohnmächtig, liegt das arme Frauchen auf einem Sofa, und flößt uns tiefstes Mitleid ein. Schaudernd vor all den Möglichkeiten, die in diesem unheimlichen Gespensterhaus zu erwarten stehen, ergreife ich ihre kalte, schlaff herab hängende Hand und sage, »aber liebe, gnädige Frau, warum verlassen Sie denn nicht dieses gräßliche Haus?« »Ach«, erwidert sie, »wir haben auf fünf Jahre gemietet, auch finden wir gar kein anderes Bungalow, das groß genug wäre, um unsere europäischen Möbel unterzubringen, und die großen Sammlungen von Schlangen, Totenköpfen und Gerippen aufzustellen.«
Der Polter- und Spukgeist ist ein durch Verbrechen belasteter Geizhals, der mit allen Fibern an seinem irdischen Besitze hängt. Vor einiger Zeit steigerte sich der Spektakel im Hause in unerträglicher Weise. Der Geist lief unsichtbar, aber furchtbar lärmend, durch die Zimmer, stöhnte vor den Türen, rief bald die Frau, bald den Mann beim Namen, riß den Hausherrn sogar aus seinem Bett, und legte sich als großes schwarzes Ungeheuer hinein, kurz, das konnte kein Mensch aushalten. Die Gatten entschlossen sich deshalb, ihre Zuflucht zu der Polizei zu nehmen. Sieben barfüßige Stützen der Ordnung und Sicherheit werden in dem Hause verteilt. Da plötzlich, nach vielem Klopfen und Trampeln, ertönt des Nachts ein furchtbares Krachen, und zwei lange Risse klaffen durch den Plafond. Ueber dem Teil der Zimmerdecke, unter der wir sitzen, befindet sich ein licht- und luftloser kleiner Speicher, der nur mittels einer Leiter vom Speisesaal aus erreichbar ist. Der Hausherr verlangt, daß die Schutzwache diesen Raum inspiziere und ergründe, wer dort oben sein Wesen treibe. Die Leiter wird angelegt, der Polizist steigt hinauf, schiebt die Latten zurück und starrt kreidebleich in das finstere Loch. Die Haare (die er nicht hat) stehen ihm zu Berge, er richtet sich steif in die Höhe und stürzt wie leblos zu Boden. Keine Versprechungen konnten ihn veranlassen, jemals zu sagen, was er Grauenvolles gesehen. Es blieb ein ewiges Geheimnis. Die Schutzwache verließ das Haus, der Geist nicht. Die Frau erkrankte, ihr Leben hing wochenlang an einem Faden. Sie konnte nicht leben und nicht sterben. Als letzte Hilfe wurde der Rat der Eingeborenen befolgt. Man ließ ein paar buddhistische Priester kommen, die das Haus und den Garten »besprachen«, und rings um das Anwesen einen Draht spannten, an dem farbige, kleine Wimpel befestigt wurden. So, von Gebetsfähnchen umfaßt, schien das Haus vom Geiste und allen bösen Einflüssen befreit, die hierzulande wegen der vielfach getriebenen »schwarzen Magie« die Atmosphäre erfüllen, und als »Elementel« die Menschen, die sich ihnen nicht ergeben, beunruhigen. Jetzt genas die junge Frau, und konnte in die Berge reisen. Nach einigen Wochen kam sie gesund zurück. Leider hielt das Wohlbefinden nur wenige Tage an. Der Monsun mit seinen entsetzlichen Stürmen setzte ein, und während eines furchtbaren Gewitters zerriß Sturm und Regen die Zauberkette, die schützend um das Haus gezogen war. Die Fähnchen flatterten nach allen Winden auseinander. Der Durchgang war wieder frei, und der polternde Geizhals hielt mit erneuter Kraft seinen Einzug. Er durchstampft das Haus, wirft die junge Frau aufs Krankenlager, läßt das Baby nicht gedeihen und rauft sich nächtlicher Weile mit dem Hausherrn herum. Ich saß wie gelähmt. Die Lampen brannten trübe. Die Portieren bewegten sich geisterhaft, und ich erwartete mit Unruhe und – Neugier, was sich noch ereignen werde. Aber leider geschah heute ausnahmsweise nichts. Das Wetter war nämlich umgeschlagen, und da fühlen sich auch die Geister meistens angegriffen.
Um diese Jahreszeit sollte das Wetter allerdings trocken und beständig sein. Doch die Gewitter und die Regenschauer dauern fort. Binnen kurzem entsteht eine sintflutartige Ueberschwemmung, die in der nächsten Viertelstunde bereits wieder auftrocknet, aber in der heißen Luft eine Feuchtigkeit hinterläßt, welche die Wirkung eines Dampfbades auf den Körper ausübt.
Unser Gastgeber bedauerte sehr, daß wir ihn nicht vor unserer Reise nach dem Festland Indien besucht hatten, denn er würde uns alsdann bei einem ihm befreundeten »Mahatma« Zutritt verschafft haben. Es ist dies ein 168jähriger Mann, der das Aussehen eines 22jährigen Jünglings zeigt. Die Großeltern der jetzigen Generation erinnern sich, diesen 168jährigen in ihrer Jugend schon gekannt zu haben, und schwören, daß er damals, wie heute, ein Jüngling gewesen sei. Es ist schade, daß wir die Gelegenheit versäumt haben, ein so merkwürdiges Phänomen zu beobachten, obwohl uns der Anblick kaum davon überzeugt hätte, daß der Jüngling wirklich ein uralter Greis sei. Als Entschädigung für die versäumte Gelegenheit, jenen Wundermenschen zu sehen, versprach uns der Gastfreund einen Besuch bei einem Hellseher zu vermitteln, der sein »Licht«, wie er das zweite Gesicht nennt, überallhin senden kann, wohin man es wünscht. Dieser » fortuneteller« ist als Arzt und Berater von den Eingeborenen belagert; Tag und Nacht warten sie vor seiner Türe, um eingelassen zu werden, und wir müssen uns gleich morgen für den Februar anmelden.
Ueber die Perlenfischerei, die gerade jetzt beginnt, und bis Anfang April dauerte, erzählte der Hausherr sehr interessant. Sie muß ein höchst merkwürdiges Schauspiel bieten. Die nächst der Adamsbrücke gelegene Bai von Condachchi, in welcher die bedeutendsten Perlenbänke liegen, ist während der kommenden sechs Wochen der Tummelplatz von Tausenden beutelustiger Abenteurer. Das Geschäft wird in der Weise betrieben, daß die Perlenbänke, nachdem sie durch einen sachverständigen Regierungsbeamten auf ihre Reife untersucht worden sind, versteigert, und den Meistbietenden zugesprochen werden. Zur vollkommenen Reife muß die Muschel im Durchschnitt sieben Jahre alt sein. Bleibt sie zu lange liegen, so wächst die Perle derart an, daß sie dem Tiere beschwerlich fällt, weshalb es die Schalen öffnet und sie ausstößt. Deshalb ist auch die Fischerei an den verschiedenen Bänken genau reguliert. Zur geeigneten Zeit versammeln sich sämtliche Kähne, Boote und Fahrzeuge der Küste und der zunächstliegenden Inseln, um sich an die Pächter der Perlenbänke zu verdingen.
Allabendlich um zehn Uhr erdröhnt ein Kanonenschuß als Zeichen zur Abfahrt. Sämtliche Kähne stechen unter dem günstigen Landwind zur gleichen Zeit in See und kommen mittags mit dem Seewind wieder von den Perlenbänken zurück. In jedem Kahn sitzen zwanzig Leute mit einem Oberbootsmann. Die Hälfte dieser Mannschaft rudert und ist den Tauchern behilflich, aus denen die andere Hälfte besteht, von frühester Kindheit an sind die Leute an das Tauchen gewöhnt, werden darauf trainiert und lassen sich kühn vierundzwanzig bis vierzig Fuß tief ins Meer hinab, nur durch die Furcht vor den Haien in Unruhe und Angst versetzt. Bei Sonnenaufgang beginnt das Fischen. Um das Hinuntersinken des Tauchers zu beschleunigen, ist in jedem Boot für eine Anzahl pyramidal geformter Steine gesorgt, durch deren dünneres Ende ein Loch gebohrt und ein Seil hindurchgezogen ist. Wenn sich der Taucher anschickt, in die Tiefe zu gehen, ergreift er mit der Zehe des rechten Fußes das Seil, an dem der Stein befestigt ist, während er mit der Zehe des linken Fußes einen Netzsack festhält. Darauf erfaßt er mit der rechten Hand ein anderes Seil, das mit einem Bootsmann in Verbindung steht, hält sich mit der linken die Nasenlöcher zu und springt hinab. Unten auf dem Meeresgrund hängt er sich das Netz schnell um den Hals und sammelt in aller Eile so viele Muscheln als er kann, zieht am Seil, das er in der rechten Hand hält, und wird dann von den Kameraden heraufgezogen. Der Stein bleibt unten liegen und wird später hinaufgewunden. Das Tauchen ist mit großer Anstrengung verbunden, und es dringt oft noch nachträglich Blut aus Nase, Mund und Ohren. Trotzdem macht ein Mann vierzig bis fünfzig Sprünge täglich, und bringt jedesmal etwa hundert Muscheln mit herauf. Die »Lubbahs«, die auf der Insel Manaar wohnen, gelten als die vorzüglichsten Taucher. Sie bleiben bis zu vier Minuten unter dem Wasser, vergebens hat man versucht, die Eingeborenen mit Taucherapparaten zu versehen; sie halten sich lieber einfach die Nase zu, um kein Wasser zu schlucken.
Die sämtlichen zusammengeströmten Eingeborenen und Europäer – es sollen auch Offiziere darunter sein – beteiligten sich mit erheblichen Summen an der hier eingeführten Form, Perlen billig durch eine Art Lotteriespiel zu gewinnen. Man kauft eine Quantität uneröffneter Muscheln, die in Krüge gefüllt sind, und überläßt es dem Glück, was man darin findet. Jeder Besitzer einer Anzahl Muscheln legt diese auf Matten in zwei Fuß tiefe Löcher, bewacht sie sorgfältig, bis die Tiere verwest sind, und er die Schalen ohne Anstrengung öffnen kann, was ungemein wichtig ist, da bei gewaltsamem Erbrechen die Perle leicht beschädigt wird. Der Gestank, der auf diesen Leichenplätzen herrscht, soll ganz furchtbar sein, und erst der Südwestmonsun reinigt mit seinen Stürmen die verpestete und ungesunde Luft. Die Perlen, die hier gefischt werden, sind weiß, und gelten bei den Eingeborenen für weniger kostbar als jene gelblichen, die man an der persischen Küste findet. Der Zug der Gewinnlustigen nach Condachchi hat bereits begonnen, und deshalb ist die Gefahr einer ausbrechenden Choleraepidemie doppelt gefürchtet. Bricht die Krankheit aus, so ist das Perlengeschäft für das laufende Jahr verdorben, da dann der Verkehr sofort geschlossen wird.
Die arme blonde Hausherrin konnte sich von ihrer Ohnmacht noch immer nicht erholen. Bleich und schweigsam saß sie am Tisch, dessen liebevolles Arrangement mit Blumen und grünen Gewinden uns heimatlich anmutete. Um elf Uhr verließen wir das Gespensterhaus, das uns in erster Linie sehr ungesund erschien, und eine viel natürlichere Erklärung für die nervösen Zustände der jungen Frau bot, als der bösartige Poltergeist. Der Bau ist ganz besonders jenem Winde ausgesetzt, den man hier » longshore« (Landwind) zu nennen pflegt. Er bläst von Norden her, fegt über die Sümpfe und den Dschungel hin, und bringt aus Südindien Miasmen und Fieber. Während der Periode des » longshore« fühlen sich sogar die Eingeborenen krank, die Kulis sterben, das Vieh, vornehmlich Pferde und Esel, siechen dahin. Die Europäer leiden aber ganz besonders unter ihm. Es ist ein kalter Wind, der in einem großen Gegensatz zu der furchtbaren Hitze der Sonne steht. Tritt man z. B. aus dem schützenden Wald ins Freie, so fröstelt man, während man zugleich in Schweiß gebadet ist. Als außerordentlich gefährlich gilt es, während der Dauer dieses Windes die Fenster nach jener Seite offen stehen zu lassen, von welcher er herweht. Aber wer kann hierzulande mit geschlossenen Fenstern existieren, wo freies Atmen einzig in der Zugluft möglich ist?