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15. Dezember. Die Nacht war gut, soweit es ein furchtbar hustender Nachbar und das grollende Schnarchen des asthmatischen Wirtes erlaubte. – Ratten und Mäuse, Eidechsen und Eichhörnchen, mächtige Spinnen nebst winzigen Ameisen, Käfern, Vögeln und Flattertieren in meinem Schlafzimmer zu begrüßen, hatte ich mich gewöhnt, aber – Feldhühner dort zu finden, dachte ich nicht. Ich war daher sehr überrascht, als mir beim Verlassen des Bades heute morgen ein Rebhuhn zwischen die Füße lief.
Auf acht Uhr hatten wir uns den Wagen nach Ambèr, der alten Hauptstadt von Rajputana bestellt. Auf dieser Fahrt sahen wir erst so recht, wie reizend Jaipur liegt, umgeben von Bergen, die, mit Forts gekrönt, von ehemaliger Kraft und Macht erzählen. Die Straße führt durch wahre Kakteenwälder, welche von Resten alter Begräbnisstätten und verfallener Paläste unterbrochen sind, deren feingliederige Kioske ungemein reizend wirken. Zur Seite des Weges huschen Eichhörnchen, Affen und farbige Vögel. Pfauen promenieren gemessenen Schrittes über die Landstraße. Derselben entlang treiben Eingeborene ihre fleißigen, kleinen Eselchen, die beinahe nicht größer als Ziegen, aber bepackt wie Kamele sind.
Im Sattel des Bergrückens liegt Ambèr vor uns. Etwa dreiviertel Stunden vor demselben besteigen wir einen über die Maßen großen Elefanten. Ich hatte mir ein solches Erlebnis seit langem in meiner Phantasie ausgemalt. Schon in Europa lockte mich die Vorstellung eines Elefantenrittes. Aber ach, wie anders war die Wirklichkeit! Bereits als ich mich dem ungeheueren Tiere näherte, dessen Kniekehlen ich kaum erreichte, wurde mir sehr kleinmütig ums Herz. Ich unterdrückte meine Furcht, und als die Treppe an das Ungetüm angelegt war, welches sich zuerst vorsichtig auf seine Knie, dann auf seine Hinterbeine niedergelassen hatte, stieg ich scheinbar kühn hinauf, obwohl ich viel darum gegeben hätte, wäre mir dies »Vergnügen« erspart geblieben. Es half jedoch kein Zaudern, denn es hieß, der Elefant läge nicht gerne in dieser Position, und so eilte ich hinauf, welch ein Sitz! Hart und unbequem, schien er mir auch nicht sicher. Die Bank, auf der die Füße standen, schwang sich an zwei Stricken hin und her; die Eisenstange, welche die beiden Seitenlehnen der Sitzgelegenheit verband, war nicht mehr fest und wackelte in den Angeln – und dazu diese Höhe, diese entsetzliche Höhe! Ich werde nie den Augenblick vergessen, in dem sich der Riese aufrichtete und ich mit einem Gefühl emporfuhr, als flöge ich ins Leere. Der furchtbare Ruck war atemraubend, wie im Krampf saß ich auf dem Schaukelstuhl. Menschen, Kamele und Bäume erschienen mir zwerghaft aus dieser Vogelperspektive. Ich klammerte mich ans Geländer, während Graf Lippe behauptete, seekrank zu werden, und sichtlich erblaßte. Alfred aber fand – wie ich nicht anders glauben kann, aus purer Bosheit – den Zustand herrlich, und forderte mich immerwährend auf, um mich zu sehen.
Jawohl, umsehen! – Krampf war alles an mir: Sitz, Blick und Gedanke. Ich hatte nur einen: »wie kommst du auf die wahnsinnige Idee, einen Elefanten reiten zu wollen«. Diese langsame Bewegung, dieses Wogen und Stoßen (man meint, nicht von der Stelle zu kommen, und doch sind die langen Schritte des gewaltigen Tieres so groß, daß alles hinter ihm zurückbleibt) machte mich so nervös, daß ich am liebsten abgestiegen wäre, hätte ich mich nicht geschämt. Als nun gar der Treiber (Mahout), der dicht hinter dem Ohr des Elefanten sitzt, mit einer Art kurzstieligen Lanze in die Fontanelle, die einzig empfindliche Stelle am Körper des gewaltigen Tieres, stoßen wollte, um es zu einem kleinen Galopp zu animieren, schrie ich verzweifelt auf. Der nebenan sitzende Führer wollte mich über alles, was ich sehen sollte, belehren, aber seine laute, knarrende Stimme, mit der er Unverständliches mit englischem Tonfall dozierte, war unerträglich. – Im Hof des malerisch gelegenen Palastes war ich so glücklich, den Elefanten verlassen zu können, für dessen Benutzung wir zwanzig Rupien erlegen mußten!
Das Schloß Ambèr beherrscht seiner hohen Lage wegen die ganze Gegend, und dieses herrlichen Blickes halber darf der Ausflug nicht versäumt werden. Vorn Hofe aus steigen wir eine steile Treppe hinan und befinden uns dann in einer säulengetragenen Halle mit prachtvoller Fernsicht. Gerade gegenüber liegt das »berühmte Tor«, das auf uns aber keinen bedeutenden Eindruck machte. Im Palast selbst befinden sich unzählige Gemächer und Empfangsräume. Einzelne sind durch wie in Filigran gearbeitete Marmorfenster getrennt, hinter denen die Frauen den Festlichkeiten beiwohnen. Den Stolz des Führers bildeten die mit Spiegelstückchen eingelegten wände eines Zimmers. Er bewegte seine Hände hin und her und als sie sich millionenmal wiederspiegelten, erschien ihm das höchst seltsam und bewunderungswürdig. Ueberall wurden uns die Spiegel als besondere Kostbarkeiten gezeigt.
Der Palast ist ein Labyrinth, und wir mußten ihn in seiner ganzen Weitläufigkeit vom Keller, wo die Frauenbäder liegen, angefangen, bis hinauf zu den obersten Stockwerken treppauf, treppab durchklettern. In der höchsten Etage überraschte uns ein Garten mit großen, schattigen Bäumen und duftenden Orangen. Dann wurden wir durch das fensterlose Privateßzimmer eines seit langem höchst selig schlummernden Maharadja geführt, das aber viel mehr einem lochähnlichen Gefängnis als einem »Speisezimmer« gleicht.
Jetzt betraten wir die Zenanas, die Frauengemächer. Durch Marmor und Stuckfenster, deren feine Arbeit uns entzückt, blicken wir auf den mit alten Baumen bepflanzten Hof hinab, wo im Schatten unsere Elefanten zwischen Eseln, Pferden und farbenprächtig drapierten Hindus standen. Als ganz besonderen Genuß erachten es die indischen Frauen, durch bunte Gläser in die Welt schauen zu dürfen, und das Zimmer, welches die schönste Aussicht bot, hatte rote, gelbe und grüne Fensterscheiben, aber so klein, daß man daran den Wert des Glases ermessen konnte. In allen Frauengemächern liegen auf dem Boden dicke Steppdecken ausgebreitet, die, mit Teppichen belegt, ihre Sitzgelegenheit abgeben.
Nach endlosen, ermüdenden Kreuz- und Quergängen – im Tempel der Durga war eben der blutdürstigen Göttin die übliche Ziege geopfert worden – kamen wir schließlich wieder auf den weiten Platz, wo unser Elefant wartete, und jene des Maharadja, die bereits Toilette gemacht hatten, herumstanden oder langsam auf und ab spazierten. In den Ställen des Schlosses stehen siebzig außergewöhnlich große Exemplare, die sich einer besonders sorgfältigen Pflege erfreuen. Alltäglich nehmen sie im nahen Teich ein Bad, um erst mit Schruppern abgebürstet, dann vom Kopf bis zum Schweifende mit Ruß geschwärzt und darauf von einem eigens hierzu angestellten »Künstler« mit weißer Farbe stilvoll bemalt zu werden. So liebevoll geschminkt, beginnen sie ihre Tagespflichten. – Hier oben trafen wir unsere »deutschen Prinzen« aus Mount Abu wieder, die ohne jeden Jagderfolg geblieben waren, da sie sich nicht weit genug in die ungesunden, fieberschwangeren Dschungel hinein gewagt hatten.
Unser Elefant war durch den Führer vorausgeschickt worden, weil wir vorzogen, den steilsten Teil des Berges zu Fuß hinab zu gehen. Auf der Chaussee angekommen, bestiegen Alfred, ich und der Führer das Ungeheuer, während Graf Lippe einen nochmaligen Ritt verschmähte.
Zum Tiffin waren wir wieder zu Hause. Monotone Musik begleitete das Essen – auf einer einzigen Saite spielte ein Mann: »Heil dir im Siegerkranz«. – Das Hotel schließt einen kleinen Hof ein, den ein Säulengang umgibt, auf welchen alle Zimmer des Parterre münden. In diesem Hof produzierten sich nach dem Tiffin lärmende Akrobaten. Abgerichtete Papageien zeigten ihre Geschicklichkeit, und ein Zigeuner aus Südindien führte ungemein gewandt Taschenspielerkünste aus, obgleich er taschenlos, d. h. nahezu nackt war. Ein dreistes Mungo griff eine Cobra herzhaft an, und es war aufregend zu sehen, wie die Schlange des Taschenspielers plötzlich lebendige Junge bekam, die ebenso schnell verschwanden, wie sie gekommen waren. Später besuchten wir die »Albert-Hall«, in der das alle Gebiete der Kunst und Industrie umfassende Landesmuseum untergebracht ist. Das pomphaft in Marmor und Gold ausgeführte glanzvolle Gebäude liegt im Ram-neras, dem großen, durch den Maharadja geschaffenen öffentlichen Park, auf dessen Erhaltung der Fürst jährlich 70 000 Rupien verwendet. In der Nähe werden prachtvolle Tiger in großen Käfigen gehalten. Sie sind erst kurze Zeit gefangen und noch ganz im Besitz ihrer ursprünglichen Wildheit. Unter ihnen befinden sich ein Paar Königstiger, sogenannte men-killers, von denen man genau die Zahl ihrer Menschenopfer zu kennen behauptet.
Heute kamen Baron und Baronin Gemmingen an. Baron Gemmingen spricht nicht gerne englisch, er wettert lieber auf gut deutsch und versetzt die Eingeborenen hierdurch in geradezu tödlichen Schrecken. So auch diesen Abend, als wir uns zusammen zu den »Noatschmädchen« – den Tänzerinnen und Freudenmädchen, der Hindus – begaben. Wir fuhren in zwei Wagen; während wir das flottere Gespann hatten, besaßen Baron Gemmigens den ehrgeizigeren Kutscher. Dieser trieb seine Pferde sogleich zu einem scharfen Trab an, der bald in tollen Galopp ausartete, was unsern Rosselenker nicht gleichgültig ließ und ihn zum nämlichen Tempo veranlaßte. Ein wildes Wettrennen begann. Ich hörte Baron Gemmingen Halt gebieten, sah ihn voll Erregung mit dem Stock um den Kopf des Kutschers fuchteln! Dies war das Zeichen zu noch tollerer Fahrt. Der Mann hatte die Bewegung mißverstanden, peitschte mit allen Kräften auf die Pferde los, glaubte uns vorkommen zu sollen, statt zu halten. Die Straße wurde abschüssig, die Geschwindigkeit der Fahrt nahm rasend zu, ich rufe »halten«, Alfred schreit: »Ruhe«, Graf Lippe schweigt. Der Führer reißt unserm Kutscher die Zügel aus der Hand und bringt das Gespann zum Stehen. Baron Gemmingen hatte den seinigen am Kragen gefaßt, eine Sprache, die der Mann verstand, und anhielt. – Wir wechselten die Plätze, die Baronin setzte sich zu uns, und Alfred zu Baron Gemmingen. Aber des Barons Gemüt hatte sich noch nicht beruhigt, zornig drohte er wieder mit dem Stock, und der Kutscher mußte wohl glauben, daß ein neues Strafgericht über ihn losbrechen werde, denn nun geschah etwas Außerordentliches: Der Bock war plötzlich leer – der Kutscher verschwunden – er saß unten auf der Deichsel und unsichtbar, unerreichbar für Gemmingens züchtigenden Arm, hieb er von da unten auf die Gäule ein. Von neuem ging eine wilde Hetze los. – Sprachlos steht der Baron vor dem leeren Sitz. – Glücklicherweise waren wir dem Ziel unserer Fahrt ganz nahe. Es ist ein Wunder, daß nichts passierte, denn bei dem schlechten Geschirr der Pferde und der Baufälligkeit des Wagens war jedes Unglück möglich.
Wir fuhren durch das Tor in die Stadt, die trotz der vielgerühmten Gasbeleuchtung nicht heller als andere mit Petroleum oder Oel beleuchtete Städte ist. Gleich hinter demselben hielten wir an einem finsteren Platz mit dunkeln Bäumen und noch dunkleren Flecken darauf. In die Nacht vordringend, stolperten wir über Zebuochsen, strauchelten über Undefinierbares, und standen nach einigem Tasten vor einem geöffneten Tore, das in neue Dunkelheit führte. Nun tappten wir uns durch einen engen Hof, wo auf einer schmalen, steilen Treppe ohne Geländer eine trübe Laterne brannte. Diese halsbrecherische Leiter hinaufsteigend, befanden wir uns abermals im Finstern. Aber da wir einen Ausblick auf beleuchtete Straßen hatten, glaubten wir uns auf dem Dach irgend eines Hauses. Schatten schlichen lautlos an uns vorbei, und wir hatten das Gefühl, in einer Räuberhöhle gefangen zu sein, deren Pforte sich hinter uns für immer geschlossen. Sehr erfreut waren wir deshalb durch das Erscheinen unseres in einen gesteppten, blumigen Rock gekleideten Führers, welcher, mit einem langen Stock bewaffnet, uns mit grinsendem Lächeln aufforderte, ihm zu folgen, wir schritten in die Nacht weiter und kamen über einen schmalen Dachweg in eine offene Halle, in der ein paar rauchende Petroleumlampen sehr übeln Geruch verbreiteten. An dem äußersten Ende dieses »Tanzsaales« waren vier Stühle und ein kleines Sofa aufgestellt, auf das wir uns zaudernd niederließen. Hexenartige Figuren huschten über den mit weißen Laken überspannten Fußboden, jedes Stäubchen vorsichtig entfernend, als ob die Sylphiden darüber straucheln könnten. Ein halbnacktes, altes Weib hockte in einer dunkeln Ecke. Das Gespenst war die Mutter der Tänzerinnen. Sie kauerte regungslos im Winkel; nur das lauernd auf uns gerichtete Auge verriet Leben, denn ihr fiel das Geld zu, das wir für den Tanz zu zahlen hatten. Am andern Ende des sogenannten Saales, uns gegenüber, saß die Musik – zwei Streichinstrumente, eine große und zwei kleine Trommeln – auf ihren »Fersen«. Die größere Trommel wurde von einem Manne geschlagen, von dem man den Eindruck hatte, daß er sich in eine Trance zu pauken trachte, so verzehrend gierig, nach einem unsichtbaren Ziele blickend, brannten seine schwarzen, glänzenden, runden Augen, mit solch krampfhafter Hast bearbeitete er sein Instrument. Die Musik war voll vernichtender Eintönigkeit und legte sich seltsam auf die Nerven.
Sie ist von der unserigen ganz verschieden. Gleiches gilt von den Instrumenten. Unsere Tonleiter hat zwölf Halbtöne in der Oktave, diejenige des Hindu dagegen zweiundzwanzig Vierteltöne. Seine endlosen Weisen klingen für unser Ohr unrein, weil die leise Begleitung zu denselben Grundtöne in den reinen Intervallen, den Quinten, Quarten und Terzen bringt, zu welchen die Vierteltöne der Seiteninstrumente unerträgliche Disharmonien schaffen. Diese Melodien haben jene Motive, mit denen der Hindu eine vollständig feststehende Idee verbindet, und sie zu verwechseln oder zu einer unrichtigen Tageszeit zu spielen, würde für vollständig unmusikalisch gelten. Die Instrumente sind vielartig: Pauken, Trommeln, Gong, Oboen, Harmonikas mit Klangbrettchen aus trockenem Holz. Die Ausdrucksmittel wären somit sehr mannigfaltige. Indessen bringen die Leute nur immer einen Wirrwarr von schrillen Tönen hervor.
Nach langem verheißungsvollen Warten, nach vielem geschäftigen hin und her und allerhand Beratungen trat die erste Tänzerin endlich auf. Es war eine dicke, sinnlich wirkende Person, die einmal schön gewesen sein muß, jedoch mit ihren zweiundzwanzig Jahren den Herrn alt, mir nur ein wenig verblüht, aber sehr sympathisch schien. Die zweite Tänzerin, welche, während die erste sich produzierte, neben dem phantastischen Trommelschläger kauerte, war jünger und dünner, in Wort und Blick feuriger als die ältere, aber auch eine leidenschaftlichere Betelkauerin als diese. Gegenüber solch braunrotem Mund mit schwarzroten Zähnen, mußten alle Wünsche ersterben, ehe sie gehegt. Das Kostüm der beiden Noatschmädchen war überraschend und ganz anders, als wir es erwartet: Schwere, faltenreiche Röcke, auf rotem Grund kostbar gestickt, reichen bis zu den Knöcheln hinab, die mit dicken Goldreifen und glitzerndem Gehäng geschmückt sind. Die Röcke zeigen eine Faltenfülle, im Vergleich, mit welcher die Dachauer Tracht glatt und ärmlich wirkt. – Wenn die Tänzerinnen, wie zum Beispiel beim Pfauentanz, zwei Zipfel ihres Kleides emporheben und über den Kopf Zusammenhalten, hiermit gleichsam das Pfauenrad nachahmend, so scheint dieser Rock das Vorbild zu dem unserer Serpentintänzerinnen geliefert zu haben, nur daß das Noatschmädchen in ihm wie in Ketten geschmiedet liegt und jede Bewegung bloß langsam und bedächtig ausführen kann.
Der Oberkörper ist in ein rotes, langes Tuch gehüllt, unter dem das Mädchen ein reich mit Edelsteinen und Gold gesticktes Jäckchen trägt. Dieses Tuch wird in den verschiedenen Tänzen bald als Schleier, bald als Shawl geschwungen, umgeschlungen und verschlungen, und findet ganz besonders beim Schlangentanz wirkungsvolle Verwendung. Auf dem Kopf tragen die Tänzerinnen reichen Zierat, Filigranarbeit aus Gold mit Perlen und hängenden bunten Steinen, die ihnen wie Fransen über die Stirne fallen, was ungemein zierlich und reizvoll aussieht. Der Schmuck, den sie zur Schau stellen, soll vom Maharadja stammen, dem man nachsagt, daß er für Pferde und Frauen besonderes Interesse zeige. Bei den verschiedenen Tänzen wechseln die Mädchen ihre Kopfbedeckung und die goldenen Hauben, die sie gelegentlich aufsetzten, wirkten geradezu königlich. – Höchst phantastisch sah es aus, als die beiden Tänzerinnen sich plötzlich einander gegenüber niederließen und in den farbigen, glitzernden, überreichen Falten ihres sich hochaufwölbenden Rockes bis an den Hals verschwanden, so daß nur noch der strahlende Goldkranz, der wie Staubfäden um ihre Stirne flimmerte, und ein paar leuchtende Augensterne wie aus üppigem Blumenkelch hervorglänzten. Es war der Blumentanz.
Die vorgeführten Tänze erschienen ungemein charakteristisch und ausdrucksvoll; man verstand sogleich ihren tieferen Sinn, obwohl dies Schreiten, Vor- und Rückwärtsbeugen kaum ein Tanz genannt werden kann. Wir hatten auf diesem Gebiet noch nie ähnliches gesehen. Man wird dabei an die Figuren der Gopuras in ihren erstaunlichen Verrenkungen, ihrem Verdrehen der Hände, Finger, Arme, Füße und Zehen erinnert. Als Knalleffekt gilt es, wenn zwei Tänzerinnen, sich bei den Händen fassend, im Kreise umherwirbeln. Stolz blicken sie dann ob dieser Kunst und Kraftleistung um sich und sinken von der Anstrengung, diese zentnerschweren Röcke zum Fluge gebracht zu haben, erschöpft in eine Ecke.
Alfred betrachtete diese »Abendunterhaltung« als einen großen »Reinfall« und beklagte die nach der Teilung der Gesamtsumme (achtundvierzig Rupien) auf ihn entfallenden Kosten. Er hatte sinnbetörende Schönheit, liebliche Unwiderstehlichkeit erwartet und sah sich nun bitter enttäuscht, die Tänzerinnen nicht so jung, schön und reizend zu finden, wie er es in einem »Wunderlande« vorausgesetzt. Gelangweilt wandte er sich ab und begab sich in die treubewährten Arme seines lieben alten Freundes Morpheus, der ihm wahrscheinlich zum Dank die Schönen des Münchener Balletts als begehrenswerte Huldinnen vorgaukelte. – De gustibus non est disputandum. – Wir fühlten uns durch die enervierende Musik und die monotonen Tanzbewegungen, welche mit dem schrillen Gesang abwechselten, wie auf den Kopf geschlagen. – Da es auch spät geworden war, erhoben wir uns. Vorsichtig kletterten wir die Treppen wieder herunter und waren froh, das abenteuerliche Lusthaus, die verfallene Spelunke zu verlassen.
Das Stadttor war bis auf ein kleines Loch, das eine Tür bedeutete, geschlossen. Eben, als wir durchkrabbelten, erhob sich wie durch Zaubermacht eine jammervolle Gestalt vom Boden. Sie war gleichsam aus dem Nichts herausgewachsen, streckte bettelnd einen hageren Arm nach uns und versank dann wieder spurlos in den Staub.
16. Dezember. Das war eine schöne Ueberraschung! Als ich heute morgen in einem Anflug von Ordnungssinn unsere Kleider, die seit Colombo feucht und muffig in den Koffern lagen, sonnen und lüften wollte, übersah ich, daß unser Hotel nicht bloß aus Parterre und Dach besteht, sondern daß unter dem Dach noch Leute wohnen, die auch – baden. Eben hatte ich die Kleider fein säuberlich zum Trocknen in der Sonne ausgebreitet, da sehe ich Tropfen fallen, höre Rauschen, ergreife meine Kleider – und schon geht ein gußartiger Platzregen nieder. Ich stehe erstarrt. – Oben war die Badewanne, wie es hier üblich, einfach umgestülpt worden und das Wasser mußte sich seinen Ausweg selbst suchen.
Gelegentlich unserer heutigen Fahrt durch die Stadt, die eine halbe Stunde vom Hotel entfernt liegt, begegneten wir einem Hochzeitszug mit lärmender Musik und einer Menge Noatschmädchen, welche im Palast verschwanden. – Auf einem schattigen Platz sahen wir einen Jagdleoparden, der schleichenden Schrittes das Lager seines Wärters umkreiste. Der Jagdleopard oder Gepard (in Indien nennt man ihn Tschitah) ist ein ungemein liebenswürdiges, zutrauliches Tier und läßt sich leicht abrichten. Die Jäger nehmen ihn auf die Gazellenjagd »behaubt« (d. h. seine Augen bedeckt eine Kappe) hinter sich aufs Pferd oder führen ihn auf einem zweirädrigen Karren mit und nähern sich so einem Rudel Gazellen. Angesichts des Wildes »enthauben« sie ihn und machen ihn durch Zeichen auf die Gazellen aufmerksam. Sein Jagdeifer erwacht; zierlich, ungesehen, ungehört schleicht er sich auf seinen Samtpfoten an und reißt ein Stück zu Boden, um ihm das Blut auszusaugen. Jetzt tritt der Jäger hinzu, löst den Tschitah von seiner Beute und füllt das Blut der Gazelle, das der Leopard als Lohn erhält, in ein Gefäß.
Heute kamen wir auch durch die breite Straße, in der die Färber ihr Geschäft treiben und beobachteten, wie die gemusterten Gewänder der Eingeborenen behandelt werden. Die Stoffe werden nach einem Muster in kleine Knötchen, je nach der Zahl der Farbe, die das Muster verlangt, tiefer oder flacher abgebunden, in verschiedene Farben getaucht und zuletzt in diejenige, welche den Grundton abgeben soll. Dann entfernt man von den Knötchen die Fäden, welche das Durchdringen der aufeinanderfolgenden Farben verhindert haben, und so entstehen runde Punkte mit verschiedenfarbigen Ringen, die in ein bestimmtes Muster gebunden waren, nun aufgelöst, einen sehr hübschen fassonierten Schleierstoff liefern, der durch die hunderttausend kleinen Fältchen wie gekreppt aussieht. – Eine unbeschreiblich mühevolle Arbeit.
Es sah ganz festlich in diesen Straßen aus, denn damit die einfarbigen Schleier in gleichmäßigem Tone trocknen, werden die langen Streifen an jedem Ende von einer Person gefaßt, auf und ab, hin und her geschwungen und straßenweit flatternd im Winde spazieren getragen. So zieht groß und klein durch die bunte Menge mit diesen leuchtenden gelben und roten Streifen, wie mit farbigen Bändern das wogende Bild lustig umwindend.
Heute abend um 11 Uhr reisen wir und Graf Lippe nach Delhi. Frau v. R. ist mit dem erkrankten Herrn Federer schon gestern nach Agra vorausgefahren. Baron Gemmingens reisen übermorgen und wir treffen sie in Delhi wieder. Den Weihnachtsabend wollen wir gemeinsam in Agra verbringen.