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17. Dezember. Wir kamen heute morgen nach einer sehr kalten Nachttour mit zwei Stunden Verspätung in Delhi an. Die Abfahrt war mit Schwierigkeiten verbunden gewesen. Alle Coupés des Zuges waren belegt, und hätte ich nicht zufällig die Auseinandersetzung zwischen dem Kondukteur und zwei Herren gehört, die mit Billetten zweiter Klasse in der ersten saßen, wir hätten in Jaipur zurückbleiben müssen. Ich eilte zum Stationsvorstand und bat ihn, mich zu den Herren zu begleiten. Mit bekannter Liebenswürdigkeit nahm er sich unser an und bestimmte die Herren, das Coupé erster mit zwei dritter Klasse zu vertauschen, weil keines zweiter Klasse frei war. Da man in Indien, wenn man ein Coupé »bezieht«, es stets erst von Kulis reinigen läßt und man mit seinem vollständigen Bett und einem Boy reist, so war der Tausch für die Herren nicht so schlimm. Die Räumung ihres Coupés glich übrigens einem Auszug! Was kam da nicht alles heraus! Die Zahl der Stücke grenzte ans Fabelhafte. Man dachte unwillkürlich an den Zauberhut Belachinis, aus dem immer neues, immer noch mehr herausspaziert. – Da flogen auf den Perron: fünf Koffer, drei Hutschachteln, ein kleiner Kochherd, zwei Säbel, vier Flinten, ein Vogelbauer, Körbe, Kisten und Kasten, Staffeleien, Feldstühle und ein rätselhaft eingepacktes Stück, das wohl eine Kanone gewesen sein wird; ein ungeheurer Haufen türmte sich auf. – Es war das schmutzigste Coupé, das wir auf der ganzen Reise bisher gehabt hatten. Und da der Zug im Abgehen begriffen war, hatten wir keine Zeit mehr, dasselbe einer Säuberung zu unterziehen. Wir mußten froh sein, überhaupt Platz gefunden zu haben, weil das Zugpersonal nicht verpflichtet ist, Passagiere mitzunehmen, wenn die Wagen besetzt sind.
Kurz vor Delhi fuhren wir an ausgedehnten Lagern von Elefanten und Kamelen vorbei, liefen dann in einen großen Bahnhof ein und suchten sogleich die Bäder auf. Es stand aber so wenig Wasser zu unserer Verfügung, daß es mit der Reinlichkeit schlimm aussah. Wir frühstückten in einem dem Umbau unterworfenen Wartesaal, wo der Kalk von den Gerüsten ins Essen fiel. Das Breakfast war schlecht und sehr teuer. Wie hier für die Festlichkeiten des Durbars noch alles fertig werden soll, scheint rätselhaft. Es sieht wie nach einer großen Zerstörung aus. Der ganze Bahnhof gleicht einem ungeheuren Warenlager. Die Ballen liegen auf- und durcheinander, und tritt man auf die Straße, so scheint ein Wall von Karren, Wagen, Vehikeln jeder Art, mit den verschiedensten Tieren bespannt, den Weg zu sperren. Es herrscht ein furchtbares Gewühl. Man weiß nicht, zu welchem Wagen das Tier, zu welcher Person die wie wahnsinnig in der Luft herumfuchtelnden Arme gehören. Alles steht, geht und drängt in fußtiefem, gelbem, zähem, kaltem Staub, der Mensch und Vieh in eine schier undurchdringliche Wolke hüllt. Man gewinnt einen keineswegs angenehmen Eindruck und man zaudert, sich in den Wirrwarr zu stürzen. Doch es muß sein.
Wir nehmen einen Wagen und einen Führer, der uns zu einem netten Hotel bringt, wo wir zu unserer Ueberraschung um nur zehn Rupien Unterkunft finden. Ein runder Saal mit Oberlicht und fünf Türen, an denen die Schlösser in »Reparatur« sind, wird uns als Zimmer angewiesen. Zwei kleine Feldbetten verlieren sich in dem kolossalen Raum. – Da heute Freitag ist, der Sonntag der Mohammedaner, begeben wir uns vor allem in die Jumna Mujid, welche die größte Moschee der Welt sein soll. Die breite Treppe, die zum Haupteingang derselben führt, halten Hunderte von Krüppeln, Aussätzige und andere Elende besetzt. Jeder Arme beansprucht hier seinen festen Platz; man sieht streng auf Ordnung, damit keiner höher strebe. Auch die Bettlertreppe hat ihre Rangordnung. – Der Anblick der im Hof der Moschee zur Andacht versammelten tausendköpfigen Menge wirkt imposant. – In der Mitte des Hofes gewahrt man ein für die Waschungen bestimmtes herrliches Steinbassin. Ringsum auf bunten Teppichen liegen die Gläubigen im Gebet. Hell leuchtet die Sonne über diesem farbenprächtigen Bild.
Nun folgt der Besuch des Forts, in dem der kaiserliche Palast liegt. Die herrlichen Bauten, die ehemals ein Ganzes bildeten, sind kaum mehr zusammenzufinden. Von den Engländern wurden die Höfe ganz mit Glockentürmen, Kasernen und Lagerräumen verbaut, überall stehen Kanonen, häuft sich Kriegsmaterial. Der kaiserliche Palast wurde 1638 von Shah Jehan errichtet, und zwar direkt an der Jumna. Die Aussicht ist wundervoll. Der Divan-i-Khas, die private Audienzhalle, präsentiert sich als einfach ruhiger, von roten Sandsteinsäulen getragener Bau. Dahinter liegt der Divan-i-Am, die öffentliche kaiserliche Audienzhalle, ganz aus weißem Marmor hergestellt, nach drei Seiten offen und mit prächtiger Mosaik an den Wänden geschmückt. Hier stand einst der kostbare Pfauenthron, der drei und eine halbe Million Mark gekostet haben soll, und den Nadi Shah, als er Delhi eroberte (1738), nach Persien entführte. Austin de Bordeaux gilt als der Schöpfer der obigen Bauten. Ihm werden auch viele der andern Architekturwunder Delhis und Agras zugeschrieben. Er war ein Abenteurer und Glücksritter, der, nachdem er durch Fälschung kostbarer Edelsteine europäische Fürsten betrogen hatte, das »Weite« suchen mußte und am Hofe des prachtliebenden Jehan ein Refugium fand.
Alle Räume waren mit Arbeitern überfüllt und man durfte kaum eintreten, da der Boden für die Festlichkeit teilweise bereits mit kostbaren Teppichen bedeckt war. Hier, in der Nähe des Divan-i-Am, befand sich früher der Rang-Mahal, das Frauengemach, mit großen luftigen Badehallen und von herrlichen Gärten umgeben. Es soll der schönste Palast Indiens gewesen sein. Jetzt hat man Baracken auf dem Platz aufgeschlagen; sie lassen nicht ahnen, welch Wunderwerk einst hier stand. – Das schönste im Fort ist die »Moti Mujid«, die weltberühmte Perlmoschee. Sie zeigt Hufeisenform. Der entzückende, grauweiße Marmorbau mit seinen zierlichen Raumverhältnissen und seinen Basreliefs ist 1635 von Aurangzeb, dem Sohne Jehans, errichtet worden.
Wir verlassen das Fort, das in allen Räumen, auf allen Plätzen mit Arbeitern überfüllt ist, und wo noch Gerüste in den Sälen stehen, die zum Empfang der Durbargäste bestimmt sind. Bei unserer weiteren Spazierfahrt sahen wir » Queens Garden«, einen schattigen Park im Innern der Stadt, und die Chandni Chauk, eine schöne, breite, in ihrer Anlage den Berliner Linden ähnliche Straße, mit Läden und großem Verkehr. – Nun gings noch zum Jaintempel. Den letzten Teil des Weges mußten wir zu Fuß zurücklegen. Er führt durch enge, schmutzige Gäßchen, mit malerischen Einblicken in die Häuser, die dunkel und ernst erschienen. Man sieht feine Ornamente an den Toren; auf leichten Säulen ruhen reich geschnitzte Architrave. Der Jaintempel erhebt sich auf einer Plattform. Man steigt mehrere Stufen hinan und steht dann in einem von Säulen getragenen, reich vergoldeten Raum. Auf dem Altare sitzt die große Figur eines Jainidols. Wir wurden mit dem allertiefsten »Salaam« empfangen, die Priester holten ihn vom Erdboden herauf. Als wir aber gingen und sie sich das Trinkgeld besahen, war der Gruß nicht mehr so untertänig.
Nun trieb es uns ins Lager, das die Phantasie aller Engländer in Aufregung versetzt. Das » camp« reicht weit ins Land hinaus und bedeckt gewiß ein paar Quadratmeilen. Der für die Truppen reservierte Teil des Lagers ist natürlich von jenem des Vizekönigs, seiner Gäste und aller andern Besucher des Durbar getrennt. Um die Entwickelung des Zuges zu ermöglichen, liegt die große Audienzhalle (der »Durbar«), in welchem der Vizekönig die Huldigung der indischen Fürsten entgegennimmt, auf freiem Felde. Sie gleicht einem hufeisenförmig aufgebauten Zirkus und ist nur so weit gedeckt, als Sitzplätze angeordnet sind. Hinter der Loge des Vizekönigs, ganz im Hintergrund, auf der höchsten Reihe, hat man eine mit feinem grünen Drahtgitter umzogene, gedeckte, viereckige Abteilung – einen Käfig – für die eingeborenen, vornehmen Frauen angebracht, ähnlich einem großen Fliegenkasten, wie wir ihn in Deutschland zum Aufheben der Speisen benutzen. – Auf dem Wege nach dem camp wogte eine ungeheure Menge in wildem, buntem Durcheinander. Je mehr man sich dem Lager nähert, desto breiter wird die Straße, und um so fremdartiger das Bild. Elegante, mit Kamelen oder Pferden bespannte Viererzüge, malerische Reiter, Ochsen, Zebus, Pferde, Ziegen, Möbelwagen, Maultiere, Hausierer, eine Herde Gänse, die sich im Gewühl verliert, verzweifelte kleine Hirten hinter ihnen herlaufend – ein Wirrwarr von allem Möglichen und Unmöglichen, von Fuhrwerken aller Art, von Kästen, die zum erstenmal auf Räder gesetzt sind; dann inmitten eines aufgestauten Menschenstromes eine Dame mit Schleier und Federhut, die, eingekeilt zwischen einem Milchkarren, Kanonen und einem Trupp Packesel, sich hilflos gebärdet, weil das Vorderpferd ihres Tandems sich ihr zugekehrt hat. Rechts und links Militär, lange Kolonnen von Artillerie, Pionierzüge und Sipoys-Regimenter. Alles ist mit gelbem, zähem Staub bedeckt und in eine dichte Wolke gehüllt, in der wir beinahe ersticken. – Sämtliche Hotels haben im Lager Plätze für Zelte gemietet, die gut eingerichtet sein sollen. Einzelne sind sogar heizbar.
Das camp des Vizekönigs sieht sehr einladend aus. Für ihn selbst ist ein großer, weißer Palast erbaut; für seine Gäste sind reine, weiße Zelte aufgeschlagen. Zwischen den Zelten versuchte man kleine Gärten zu schaffen; doch ist man meist dabei stehen geblieben, Steine nebeneinander in den Staub zu legen, die Wege und Beete markieren sollen. Der Staub ist unbeschreiblich. Man sagt, daß, wenn der Vizekönig eintrifft, kein Stäubchen mehr aufwirbeln darf. Mir däucht diese Hoffnung trügerisch und es scheint ganz unmöglich, sie zu realisieren. Es sind zwar große Wasserreservoire vorhanden und das kostbare Naß wird sehr sorgfältig gespart; aber gegen solch ungeheuerliche Staubmassen scheint alles Wasser Indiens unzureichend. – Die Gesundheitsverhältnisse werden als sehr schlecht geschildert. Selbst in den europäischen Lagern sind Pest- und Cholerafälle vorgekommen. Wir werden deshalb nur so lange hierbleiben, bis wir alles Wichtige gesehen haben.
18. Dezember. Vor der Jumna-Moschee ist großer Aufzug. Die hier in Delhi für den Durbar anwesenden Elefanten machen heute ihren Probegang für die große Festprozession durch die Stadt. Sie sind zur Parade herrlich aufgeschirrt. Prachtvolle, goldstrotzende Gehänge und Schabracken bedecken dieselben. Die Reitsitze, die Howdahs, prächtige Aufbaue mit roten, weißen oder gelben Schirmen und Dächern aus Samt, reich mit Goldperlen und Edelsteinen gestickt, glitzern und funkeln im Sonnenschein. Prunkvoll gekleidete Mahouts sitzen auf den mächtigen Tieren und ein Troß von Führern und Dienern in höchster Gala begleitet die einzelnen Elefanten. Ein geradezu glänzendes Bild! Ueber den gewaltigen Kopf des Riesen hängen bis tief auf den Rüssel hinab silberne Schuppenpanzer. Die Zähne leuchten in blendendem Weiß. Feine, wie Inkrustationen wirkende Filigranarbeiten aus Silber oder Gold überziehen die mächtigen Stoßzähne, von denen einzelne mehrarmige Girandolen tragen. Soweit das Auge reicht, gewahren wir Reihen dieser mit Schmuck überladenen kolossalen Dickhäuter. Dazwischen marschiert ein ganz kleines, besonders elegant aufgeschirrtes Tier, das ein Maharadjababy tragen soll. Es werden wohl kaum mehr als dreihundert bis vierhundert Stück Elefanten gewesen sein, sie wirkten aber, als wären es Tausende.
In Delhi gibt es für gewöhnlich keine Elefanten mehr. Wird einer zu den alljährlich stattfindenden Jainprozessionen benötigt, so »verschreibt« man sich das Tier aus Meerut. Die Elefanten, welche zum Durbar hier versammelt wurden, sind die schönsten und größten von ganz Indien. Aus den fernsten Teilen des Landes hat man sie zusammengetrieben, und manche waren wochenlang unterwegs, um Delhi zu erreichen. – Der König von Indor mit Turban und blauer Brille saß in einem Landauer und ließ die Prozession an sich vorüberziehen. Er wollte uns sprechen. Wir mißverstanden seine Wünsche und liefen fort – wie die Wilden – nachdem ich vorher noch schnell »geknipst«, aber nur das ungnädig abgewandte Profil erhascht hatte. Nachträglich ärgerten wir uns über unsere Dummheit. Wir hätten von dieser Bekanntschaft gewiß manchen Vorteil gehabt, und wäre es auch nur der gewesen, einen echten und rechten König kennen gelernt zu haben. Freilich, sehr königlich sah der Herrscher nicht aus, er glich vielmehr einem alten Quacksalber.
Wir warteten nicht, bis sich der Aufzug in Bewegung setzte, denn man hätte in dem sich aufballenden Staub doch nichts gesehen, sondern fuhren weiter nach dem Kutub Minar. Man verläßt Delhi durch das südliche Tor. Die Landstraße führt über eine weite Ebene mit vielen Ruinen, Befestigungen, Gräbern, Tempeln und Palästen, welche Erinnerungsbilder einer großen Zeit voll Kampf, Mord und Verschwörung vor uns aufrollen. An den Ruinen von Ferozabad und Indrapat (dem äußerlich besser erhaltenen, innerlich aber ganz verfallenen »alten Fort« mit seiner aus dem Jahre 1500 stammenden Moschee Killa Kona) vorüber gelangt man zu dem Grabdenkmal des Nizam-ud-din (Naizamudin), dieser Perle der Grabmäler, mit seinen herrlich gearbeiteten, ganz durchbrochenen Marmorwänden und Türen und vorzüglich ausgeführten Marmorreliefs. – Nizam-ud-din-Auliya war ein höchst sonderbarer Heiliger. Er soll der Gründer jener Mörderkaste oder Sekte der Thugs gewesen sein, deren Gottesverehrung in Erwürgung von Mitmenschen besteht, und die ihrer Göttin Bhowani (einer der vielen Namen der Kali) vor jedem Raub- und Mordzug ein Gelöbnis hinsichtlich der Zahl der Menschen, die gewürgt werden sollen, ablegen. Die Engländer haben den Greuel, der früher Entsetzen über ganz Indien verbreitete, abgestellt, doch kommen noch immer vereinzelte Mordtaten vor, die wohl auf diese Sekte zurückzuführen sind.
Außer dem »heiligen« Nizam-ud-din liegt hier noch der Dichter Amir Kusrau (1310) begraben. Er war der Liebling von vier sich folgenden Herrschern auf dem Throne Delhis und so berühmt, daß sogar die Dichter Persiens ihn aufsuchten. Seine Lieder werden noch heute gesungen. Als Auszeichnung erhielt er den Namen Tuti-i-Hind, »der Papagei von Hindostan«, ein nach unsern Begriffen nicht gerade schmeichelhaft klingendes Epitheton. – Auch Mirza Jehangier, der Sohn von Akbar, hat hier seine Grabstätte. Seine Nachkommen, fünfzig Männer und Frauen, bewachen das Heiligtum. – In der Nähe dieser Gräber befindet sich ein großer marmorner Trog, in den die dem Heiligen bestimmten Opfergaben, wie Reis, Milch, Zucker usw., geschüttet werden. Murray erzählt, daß, als er an dem Grabe Kusraus weilte, die berühmteste Tänzerin von Delhi mit ihrer Mutter erschienen sei, um dem Dichter ihre Devotion darzubringen. Die Noatschmädchen sind nämlich nicht nur Tänzerinnen, sondern auch Sängerinnen, während die das Mädchen begleitenden Musikanten einen großen eisernen Topf mit Opferspenden herbeibrachten, habe sie sich – erzählt Murray weiter – in goldene Gewänder gehüllt und lange vor dem Grabe des Dichters getanzt, dann etwas kürzere Zeit vor dem des heiligen Nizam-ud-din. Nach dem Tanze wurde der Inhalt des Topfes, der einstweilen, um das Opfer anzudeuten, in dem Marmortrog gestanden, unter jene, die sich im Dienste der Totenstätte befinden – die Nachkommen des Mirza Jehan resp. Akbars, verteilt.
Verläßt man den Hof der Grabstätte, so windet man sich durch ganz enge Gäßchen zwischen verfallenen Häusern hin zum heiligen Tank, in dem niemand ertrinken kann, weil Nizam-ud-din ihn angelegt und gefeit hat. Deshalb springen die Leute wohl auch so kaltblütig von der fünfzig Fuß hohen Mauer ins Wasser hinab. Wir schritten auf derselben den Tank entlang, um den malerischen Garten mit Ruinen und überhängenden Bäumen zu besuchen. Da jedoch die Zeit drängte, eilten wir bald zum Wagen zurück.
Trotz mancher anziehenden Ruinen, mit denen die Gegend übersät ist, halten wir erst wieder an dem Grabe Humayuns. Das große, prachtvolle Monument, das die Witwe Humayuns ihrem Gatten 1555 errichtete, ist ein achteckiger, roter, von einer Marmorkuppel gekrönter und mit einfachen, ruhigen Ornamenten geschmückter Sandsteinbau, der auf einer ungeheuren Plattform ruht. Derselbe diente als Vorbild zum Plane des Taj Mahal, doch wurde dieser noch sehr vertieft und veredelt. – Ich fand hier meine Vermutung bestätigt, daß die Gräber der Männer und Frauen unfehlbar voneinander zu unterscheiden sind. Auf jeden Grabstein hat man eine Kibla – Nachbildung der äußeren Umrisse der Kaaba – in den Deckel eingehauen. Bei den Gräbern der Weiber wird stets in die größere Kibla eine kleinere hineingemeißelt, während auf den Sarkophagen der Männer ein länglicher, eckiger Stab deren Stelle vertritt. – Der Blick von Humayuns Grabmal ist höchst interessant. Man übersieht die ganze mit Bäumen besetzte weite Ebene, auf der einst Alt-Delhi stand. Fünfundvierzig Quadratmeilen wurden von den verschiedenen Eroberern, die das alte Delhi zerstörten, überbaut, um es auf anderer Stelle neu zu gründen. Heute ist alles ein ungeheures Ruinenfeld. – Hier geriet »im Jahre der mutiny« (Revolutionsjahr 1857) der Kaiser Indiens, der achtzigjährige Greis Bahadur Shah mit seinen Söhnen auf der Flucht in Gefangenschaft. Erstere wurden getötet, der Herrscher aber in die Verbannung nach Rangun geschickt, wo er 1862 als letzter des ruhmreichen Geschlechtes der Barbariden starb. Während der mutiny war Delhi der Schauplatz entsetzlicher Greueltaten. Wochenlang dauerte das Bombardement und brachte furchtbaren Schrecken über die Stadt; schließlich fiel dieselbe infolge allgemeinen Sturmangriffes in die Hände der Engländer. Grausige Erinnerungen haften an jenen Tagen.
Elf Meilen vom heutigen Delhi entfernt erhebt sich der Kutub Minar, der Mittelpunkt des alten Dilli, aus dem Jahre 1052 nach Chr. Geburt. Er gleicht einer Siegessäule, doch soll er von Ray Pithora gebaut sein, damit seine Tochter die Jumna erblicken könne. Er ist zweihundertundvierzig Fuß hoch, hat fünf Stockwerke, um die jedesmal ein Balkon führt. Der Turm wird von Spruchbändern umwunden und läuft spitz zu. An der Basis siebenundvierzig Fuß breit, zeigt er am Scheitel einen Umfang von neun Fuß. Die unteren Stockwerke sind von rotem Sandstein, die beiden oberen mit weißen Marmoreinlagen geschmückt. Ob wir es mit einem Bauwerk der Hindus oder der Mohammedaner zu tun haben, darüber bestehen Zweifel. Von einem Erdbeben (1829) wurde der Turm schwer beschädigt. Man restaurierte ihn zwar, aber ohne alles Verständnis. Die Aussicht von der Spitze desselben wird sehr gerühmt. Eine Wendeltreppe von dreihundertundfünfundsiebzig Stufen führt hinab. Wir begnügten uns mit den einhundertundsechzig Stufen bis zum ersten Stockwerk und schon das schien uns eine große Leistung zu sein. – Die Hitze während der Mittagsstunden ist unerträglich. Abends und gar bei Nacht kühlt sich dagegen die Temperatur empfindlich ab und gibt leicht zu Erkältungen Anlaß.
Neben dem Kutub Minar liegt die Moschee von Kutbul Islam (1191), die selbst als Ruine noch Staunen erregt. Wenn sie auch lange nicht die Ausdehnung von andern Moscheen besitzt, so gilt sie doch als unvergleichlich durch die wundervollen Verhältnisse, in denen die riesenhaften Tore ausgeführt sind. Die Wände bedecken schöne Blumenornamente. Gegenüber dem Haupteingang ragt im Moscheenhof das merkwürdigste Altertum von ganz Indien empor, die berühmte »eiserne Säule«, ein großer, zweiundzwanzig Fuß hoher Nagel aus einem Stück, der deshalb so bemerkenswert ist, weil er aus massivem Eisen besteht, während z. B. die Buddhafiguren aus Kupfer und Messing, innen hohl und aus Stücken zusammengesetzt sind. Die Säule wurde von dem Begründer der Tomar-Dynastie, Anang Pal, 319 nach Christi Geburt errichtet. Auf der Westseite steht in Sanskrit ihre Geschichte. – Mit dieser Säule verbindet sich eine seltsame unschöne Sitte, Aberglaube oder Spiel, wie man es nennen will. Die Führer erzählen, daß, wenn die jungen Eingeborenen ihr zwanzigstes Jahr erreicht haben, sie, um die Tugend ihrer Mutter zu beweisen, sich an die Säule lehnen und diese so nach hinten umspannen, daß sich die Fingerspitzen berühren. Gelingt es, so ist die Ehre der Mutter gerettet. – Ein abscheulicher Scherz, der so recht deutlich die geringe Achtung beweist, welche die Frau in Indien genießt.
Abseits in der Ecke der großen Einfassungsmauer, welche all diese Gebäude umgibt, liegt das aus rotem Sandstein aufgeführte Grabmal von Altamsh (gest. 1235), das älteste Mausoleum von ganz Indien. Die Wände sind mit schön geschnittenen Koransprüchen bedeckt. In der Mitte der westlichen Seitenwand gewahrt man eine Kibla, die den Ort bezeichnet, wohin man sich zum Gebete wendet. Am unteren Teil der einen Seitenwand finden sich einige Linien in kufischer Schrift, auf die wir besonders aufmerksam gemacht wurden. Diese Schrift hat ihren Namen von der ältesten Kalifen-Residenz Kufa, die 637 gegründet wurde und war die älteste arabische Schriftform, die erst im zehnten Jahrhundert durch bequemere Lautzeichen ersetzt wurde. – In der Nähe des » resthouse«, in dem die Gendarmerie stationiert ist, befindet sich ein tiefer Brunnen, » jumping well« genannt. Von einer sechzig Fuß hohen Mauer springen Männer mit ausgespreizten Beinen in die Tiefe. Niemand außer diesen Leuten wagt den Sprung oder wird von diesen »Professionellen« hinzugelassen, die von dem Backhschisch, den ihnen dies Schaustück einträgt, leben. Bis zum letzten Winter fuhr alljährlich ein Engländer aus Kalkutta hierher, ließ zwanzig Leute in den Brunnen springen, zahlte und reiste wieder nach Kalkutta zurück. Jetzt ist der arme Narr tot.
Das Dack Bungalow beim Kutub Minar wird ganz vorzüglich gehalten. Es liegt malerisch unter schattigen Bäumen, mit dem Blick auf die Ruinen und einen großen Platz, auf dem allerlei Fahrgelegenheiten, elegante Gäriks, zweiräderige Omnibusse und europäische Wagen stehen. Das hier servierte Tiffin war ausgezeichnet. Drei stille ernste Männer bedienten uns, die auf jedes Lob ein » Thank you« erwiderten und, mit feierlicher Bewegung sich verbeugend, die Hand auf die Stirne legten; Salaam. Wir bekamen eine ganze Hammelskeule, die endlich einmal warm war, wir durften sie sogar selbst zerlegen und so viel davon essen, als wir wollten, und genossen zum erstenmal frische Butter, seit wir Europa verlassen hatten. – Die Heimfahrt führte uns noch an einigen Moscheen vorbei. Doch besuchten wir sie nicht, sondern gaben uns ganz dem Schauen und Genießen des Lebens und Treibens auf der Landstraße hin.
Heute morgen, als wir Delhi verließen, war die ganze Gegend durch große Mengen von Militär, das zu einem Manöver ausrückte, besetzt und belebt gewesen. Von allen Seiten kamen uns Kolonnen Infanterie und Artillerie entgegen, sich, uns und die Gegend in dichten, fürchterlichen Staub hüllend. Die Artillerie war mit kräftigen Maultieren bespannt. Die englische Bemannung bestand aus prachtvollen Gestalten, die in tadelloser Montur staken, vorzügliche Schuhe trugen und ganz ausgezeichnet aussahen. Der Artillerie folgte der Train, zahllose Munitions- und Furagewagen. Herden von Ochsen, Ziegen, Truthühnern, Enten und Gänsen weideten auf den Feldern herum. – Jetzt auf unserer Heimfahrt fanden wir alle Lager, in denen die Leute über Mittag gerastet hatten, im Abbruch begriffen. Offiziere saßen an kleinen, weiß gedeckten Tischen, ihr frugales Mahl einnehmend, in der Abendsonne. Pferde und Wagen standen bepackt, Kamele wurden schwer beladen, andere trabten bereits an uns vorbei, und eines dieser ausdauernden Tiere, die bis zum letzten Atemzuge ihren Dienst tun, um dann umzufallen und zu sterben, lag, hoch mit Brennholz belastet, tot im Straßengraben – in den wir, wenn auch nicht tot, so doch mit gebrochener Wagenachse, nahezu gesunken wären. Das Rad unseres alten Wagens hatte sich gelockert, und so hingen wir völlig auf der Seite. Wir stiegen aus. Drei Männer wälzten sich im Staub, um das Unglück gutzumachen. Nur durch Alfreds Hilfe, der die unbeholfenen, im Staube kriechenden Kulis mit vernünftigem Rat leitete, gelang es, den Schaden wieder zu reparieren.
Ich sitze unterdessen auf der Mauer eines alten Grabmals und genieße die Abendlandschaft. Ein blaßblauer Himmel wölbt sich über endlose, rötliche Felder, die mühsam bestellt werden. Welch eine anstrengende Arbeit ist es, die Furchen für die Saat herzustellen! Zwei Männer arbeiten mit einem Holzrechen ohne Zinken. Der eine zieht am Stiel desselben hin, der andere hat einen Strick um den unteren Teil des Rechens gewunden, und zieht her. Mit großer Mühe und schwerer Arbeit teilen und bewässern sie die steinharte und trockene Erde. In mäßigen Entfernungen voneinander sind kleine Hügel aufgeworfen, in denen tief unten die Zisterne liegt. Zwei Ochsen fördern das Wasser herauf.
Unser Wagen stand wieder auf vier Rädern. Es war mit Stricken geholfen worden, aber wir konnten nur ganz langsam und im Schritt fahren, wollten wir nicht riskieren, in diesem unbeschreiblich furchtbaren Staub zu einer Fußwanderung gezwungen zu werden, wir kamen am » Aschoka pillar« vorbei, der uns keinen besonderen Eindruck machte und wohl nur für Indianisten größeres Interesse bietet. Es ist ein Sandstein-Monolith, ursprünglich rot, durch das Alter (die Säule soll zweitausend Jahre alt sein), jetzt völlig grau geworden. Die Inschrift rührt von dem berühmten buddhistischen König Aschoka her. Sie ist in »Pali« abgefaßt und enthält das Verbot, sich das Leben zu nehmen. (Pali ist die heilige Sprache der Buddhisten, eine jüngere Schwestersprache des Sanskrit. Buddha lehrte in derselben und alle heiligen Bücher sind in ihr geschrieben.)
Durch die Stadt fahrend, trafen wir an einem Brunnen eine ungeheure Volksansammlung. Auf dem Brunnenrand stand ein Mann in schwarzem Talar. Es war ein Temperenzler, der eine große Rede hielt. Der Führer erklärte uns, daß dieser Mann rate, nur Milch zu trinken. Es war sehr amüsant, das Verhalten der Leute während der Rede zu beobachten. Es lag in ihren Zwischenrufen derselbe Hohn in Ton und Bewegung, wie bei unsern Arbeitern, wollte man ihnen das Biertrinken verbieten. Aus dem Führer ließ sich nichts näheres herausbringen, aber mir schien, als richte sich die Predigt gegen das Opiumrauchen.
Graf Lippe fährt gleich nach der Rückkehr von unserm Ausflug auf die Bahn und reist allein nach Lahore und Peshawar. Wir machen noch einen Spaziergang durch die überfüllten Straßen der Stadt. Wir wollen Postkarten kaufen. Unser Führer führt uns in einen Elfenbeinladen unter der Vorspiegelung, daß es dort solche gäbe, was natürlich nicht der Fall war. Es ist geradezu bewunderungswürdig, mit welcher Geduld, Ruhe und Eindringlichkeit so ein Verkäufer alles zeigt, immer wieder versichernd, man brauche nichts zu kaufen, man solle nur ansehen, und erst wütend feurige Augen macht, wenn er sich überzeugt, daß all seine Ueberredungskunst umsonst, daß seiner »Unwiderstehlichkeit«, an die er fest glaubt, widerstanden wird, daß man keine Elfenbeinmalereien – hinsichtlich deren Delhi übrigens berühmt ist –, sondern Postkarten kaufen will.
Durch den Staub stampften wir zum Hotel zurück und begegneten Baron Gemmingens, die morgens angekommen waren. Abends ging ich gleich nach Tisch zu Bett. Es fröstelte mich, da es im Hause sehr kalt war. Gerade, als ob wir dem Aequator zunächst wären, standen alle Türen kreuzweise offen, und es zog unerträglich. Unser Führer sowie der Kellner des Hotels baten beide um Zeugnisse. Die Leute legen einen ungeheuren Wert auf von Europäern ausgesprochenes Lob und besitzen Bücher, in denen sie die » characters« sorgfältig sammeln. Wenn man aber weiß, unter welchen Bedingungen und Verhältnissen die Zeugnisse ausgestellt werden – man sieht die Leute kaum ein paar Stunden – dürfen solche Schriftstücke nicht als Grundlage für ein längeres Engagement dienen.
Ich bin froh, daß wir Delhi, das übrigens 193 600 Einwohner hat und seit 1804 unter englischer Oberhoheit steht, morgen verlassen. Es ist eine unsympathische Stadt. Der furchtbare, gelbe, klebrige Staub hat jeden andern Eindruck getilgt. Staub und Delhi werden in meiner Erinnerung unzertrennlich bleiben.
19. Dezember. Vorsichtshalber fahren wir eine Stunde vor Abgang des mailtrains nach Agra zum Bahnhof, wo wir zu unserer Ueberraschung hören, daß der Zug in der Tat eine Stunde vor der planmäßigen Zeit abgeht. – Nichts ist schwieriger, als sich Auskunft über Abgang oder Ankunft eines Zuges zu verschaffen. Während der Fahrt weiß kein Bahnbediensteter weiter Bescheid als den Namen der nächsten Station und ihre Entfernung, die Kursbücher aber gleichen wirklich Geduldspielen. Einzig dagegen sind in ihrer hilfsbereiten Liebenswürdigkeit die » stationmasters«. Man steht ruhig auf dem Bahnhofe, sieht sich vielleicht ein wenig um. Gleich ist der Beamte zur Seite, und frägt höflich » oh, can I be of any use to you?« Und hat man dann wirklich einen Wunsch geäußert, so ruht er nicht, bis derselbe erfüllt und alles aufs bequemste geordnet ist. Vor Abfahrt des Zuges kommt der Stationsvorsteher dann noch ans Coupé, um sich zu verabschieden.
Hier in Delhi war es allerdings nicht ganz so, aber wie sieht es auch auf diesem Bahnhof aus? Es herrscht da eine Konfusion, wie etwa bei eben erklärtem Belagerungszustand, jeder flieht, wer Beine hat. Hier freilich strömt alles zu. Der Extrazug des Nizam von Haiderabad hält auf dem Bahnhof, hemmt und verlegt den Verkehr. Der Maharadja verweigert nämlich das Verlassen seines Salonwagens, weil er den Empfang, den er beanspruchen zu dürfen glaubte, in Delhi nicht gefunden hat. Er verlangt zum Zeichen seiner Ankunft einundzwanzig Kanonenschüsse, und ehe diese nicht gefallen, soll keine Macht der Welt ihn bewegen, sein Coupé zu verlassen. Die Regierung muß nachgeben und schießen. Was aber dieser wie eine Mauer dastehende Wagenpark für eine Stauung und Unordnung hervorrief, kann sich nur der vorstellen, der Delhis Bahnhof gesehen. Die Züge konnten nicht ein, nicht ausfahren, gingen ganz willkürlich ab, wenn gerade das Geleise frei war, und wir durften von Glück sagen, daß wir befördert wurden. Turmhoch lagen Waren, Koffer und Kisten auf den Perrons und Gleisen durcheinander aufgestapelt. Alles schien herrenloses Gut, man wand und zwängte sich zwischen Mauern von Gepäck und Möbelstücken hindurch, und daß wir unsere acht Kulis auf dem Wege vom Wartesaal zu dem am andern Ende der Welt stehenden Zug nicht verloren, ist ein Wunder.
Im Augenblick als wir abfahren sollten – es dauerte dann noch fünfunddreißig Minuten – fehlte Gemmingens Boy mit den Koffern. Die Aufregung war grenzenlos. Ich wäre in Delhi geblieben. Mein Gepäck hätte ich in dieser beispiellosen Unordnung nicht zurückgelassen, aber Baron Gemmingen wollte lieber Hab und Gut preisgeben, als einen Tag länger in dem staubigen Neste bleiben. Als der Diener nicht kam, schob der Baron die verdutzte Aya wieder aus dem Coupé und während ihr die Baronin die Weisung erteilte, den Boy zu suchen und mit dem Gepäck nachzukommen, löste sich ihr Gatte neue Billetts, denn der Boy hatte auch diese in Verwahrung, da sie zum Aufgeben des Gepäcks erforderlich sind. Der wohl einen halben Kilometer lange Zug setzte sich mit schneckenähnlicher Langsamkeit in Bewegung. Alle Augenblicke hielt er erschöpft auf freiem Felde an, und seine Geschwindigkeit wurde immer geringer.
Wir haben nur unsere Aya bei uns, die gestern Abend im Hotel wieder einen ungeheuren Heiterkeitserfolg erzielte, als sie würdevoll meine Wärmflasche, wie eine Reichsinsignie vor sich hertragend, mit ihrem kühn über die Schultern geschlungenen Schal, dem anmutig enthüllten Nabel, dekolletiertem Hals, die Füße in Gummischuhen, herablassend lächelnd und siegesbewußt durch den Speisesaal schlappte. Ein wieherndes Gelächter aller Anwesenden war ihr Triumph, und sie meinte glückstrahlend » aya very nice! gentlemen very nice!« – Unsern Boy hatten wir mit den Effekten direkt von Jaipur nach Agra geschickt, weil wir es nicht wagten, bei der immensen Gepäckabfertigung die Koffer ohne Aufsicht der Bahn anzuvertrauen. Das »Tiffin« nahmen wir in einer ganz netten Station ein, gerieten aber irrtümlicherweise an den Halfcast-Tisch, an dem wir als Eurasier zu essen bekamen und als Europäer zahlen mußten. In der Restauration ( refreshmentroom) standen zwei Tische, eine lange, gut gedeckte, dicht besetzte Tafel und in der Ecke ein runder, leerer Tisch, an dem wir mit einem bräunlich aussehenden, europäisch gekleideten Herrn Platz nahmen, den wir frugen, was wir für die Mahlzeit zu zahlen hätten. Er gab uns den Preis von einer Rupie drei Annas à Kuvert an. Als wir später jedoch die Nota verlangten, begriffen wir unsern Fehler.
Trotz Bitten und Befehlen konnten wir die Speisen nicht bekommen, welche den Offizieren und Engländern an der Haupttafel serviert wurden. Wir saßen eben an verkehrter Stelle und mußten es mit ansehen, wie uns verlockender Schinken, dampfender Plumpudding – das beste Essen, das wir bisher im Indierland gesehen – rücksichtslos an der Nase vorbeigetragen wurden. Wir hatten unsere »Kaste« aufgegeben, und mußten darunter leiden. Europäer, Eurasier und Eingeborene, sind durch unübersteigbare Hindernisse getrennt. Sogar auf den Perrons der Bahnhöfe haben sie ihre eigenen Bänke, in den Eisenbahnzügen ihre eigenen Coupés, auf denen es immer genau vermerkt steht, wer gerade auf dieser Bank oder in diesem Coupé sitzen darf. Abends acht Uhr, als der Zug wieder einmal auf unbestimmte Zeit an einem größeren Ort hielt, nahmen wir unser Dinner ein unter Zusicherung des Kondukteurs, daß er uns vor Abgang des Zuges, der weit außerhalb der Station stand, holen wolle, was sonst natürlich nie geschieht, denn es wird überhaupt nicht abgerufen, sondern es heißt » help your self«. Die Verwaltung kümmert sich in keiner Weise darum, ob die Reisenden mitkommen oder nicht. Mit der Beleuchtung nehmen es die Bediensteten auch nicht genau. Heute abend z. B. fuhren wir von sechs bis acht Uhr in einem absolut stockfinsteren Zug, und alles Schreien nach Licht hatte nur die Versicherung zur Folge, daß wir an der nächsten Station solches bekommen würden – aber diese nächste Station war immer wieder die nächste, und so blieb es andauernd finster.