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Seit einigen Tagen trieb sich ein Hund im Walde umher. Das war einer von den Vorstehhunden, die Er immer bei sich hatte, wenn Er herauskam. Es gab viel Unruhe, viel Alarm, viel Angst und Flucht durch die Gegenwart dieses Hundes.
Nach und nach jedoch hatten fast alle herausgefunden, daß etwas Seltsames mit diesem Hunde geschehen sein mußte. Man hörte ihn leise vor sich hin jammern, hörte ihn manchmal laut und rührend heulen. Dann wieder war er schweigsam und zog rastlos, mit hängenden Ohren und eingeklemmter Rute durch den Schnee. Verfolgte er jedoch einmal einen Fasan oder einen Hasen, war es lächerlich, wie unbeholfen er sich anstellte.
Das Eichhörnchen wagte es, ihn anzureden. Es kam die gewaltige Buche heruntergesaust, daß der Schnee von den Ästen flockte. Neugierig, mit schräg gehaltenem Köpfchen, schaukelte es auf dem untersten Zweig, setzte sich nicht, sondern stand bereit, jeden Augenblick zum Wipfel emporzuturnen.
»Was ist mit dir?« rief das Eichhörnchen.
Der Hund saß auf seinen Keulen unter dem Baume und weinte leise. Nun schaute er auf.
»Oh, du Gutes«, antwortete er, »ich danke dir so sehr für diese Frage.«
»Du gehörst nicht zu uns«, rief das Eichhörnchen, dreist geworden. »Laß uns in Ruhe!«
»Ich wollte«, gab der Hund zurück, »ich wollte, ich würde zu euch gehören . . . das wäre besser für mich!«
Das Eichhörnchen meinte kurz: »Es ist, wie es ist!«
»Ich laß euch ja in Ruhe«, wimmerte der Hund. »Warum vertraut man mir nicht?«
Das Eichhörnchen begann zu schimpfen: »Man kennt dich und deinesgleichen!«
»Hör mich doch an!« flehte der Hund.
»Ach was!« murrte das Eichhörnchen. »Ich mag nicht!« Es tat einen Satz nach oben, schwenkte die Fahne, blieb eine Sekunde auf einem höheren Zweig sitzen, schaute hinunter und verschwand blitzschnell im Geäst seines Heimatbaums. – Der Hund hatte es nicht leicht.
Aber das Eichhörnchen erzählte diese Unterredung überall.
So wußte auch der Fuchs bald genug von der Sache.
Eines Nachts hatte er eine Wildente erbeutet, hatte sie in das Dickicht geschleppt und wollte Mahlzeit halten. Da knackte es im Gebüsch, da tappten plumpe Schritte heran, und da stand der große, braun und schwarz gefleckte Hund, der so erbärmlich aussah, vor dem Fuchs. Der erwartete ihn geduckt, mit hochgezogenen Lefzen und drohendem Knurren.
»Gib mir das Ding da«, begann der Hund sofort.
»Fang dir selber etwas«, jappte der Fuchs bösartig.
»Ich bin so hungrig«, sagte der Hund sanft.
»Auch ich«, bellte der Fuchs.
»Du bist geschickter als ich«, bekannte der Hund, »du hast schnell wieder etwas anderes!«
Der Fuchs lag platt am Boden; seine eine Vorderpfote hielt er fest auf der Ente. Nun begann er zu höhnen: »Wozu kommst du in den Wald, du Tölpel? Bildest du dir ein, du kannst frei sein wie wir?«
»Ich will nicht frei sein!« rief der Hund mit schmerzlichem Klang in der Stimme. »Frei! Frei!«
Der Fuchs maß ihn verächtlich: »Dein ganzes Leben lang hast du Ihm gedient . . . hast uns an Ihn verraten! Ahnst du denn, was dazu gehört, frei zu sein? Du Narr! Geh wieder zu Ihm!«
Ganz leise wedelte der Hund: »Ich will dein Kamerad werden . . . wir sind doch verwandt!«
»Bleib mir vom Leib mit der Verwandtschaft«, grollte der Fuchs, »noch nie hab' ich von dieser Verwandtschaft etwas anderes gehabt als Unannehmlichkeiten. Und jetzt willst du mir mein Eigentum nehmen!«
Mit steifen Beinen, langsam näherte sich der Hund, den Kopf vorgestreckt, die Rute gerade ausgestreckt und kaum merkbar bebend. Dumpf knurrte er: »Zum letztenmal . . . gibst du das her oder nicht?«
Einen Wischer tat der Fuchs zur Seite. »Gauner!« zischte er. »Feiger Räuber! Ich kämpfe nicht mit dir!«
Die Ente lag unbewacht vor dem Hunde. Der nahm sie gierig auf, schlug seine Zähne in ihre noch warme Brust, hob dann den Kopf und hatte den Mund voll blutiger Federn. Er schüttelte sich und spuckte.
Der Fuchs begann zu lachen.
Noch einmal biß der Hund in die Ente, wieder und wieder, in den Rücken, in den Hals, in die Flügel. Schließlich ließ er von ihr ab.
»Nie werd' ich das können«, seufzte er, »nie hab' ich so etwas getan, hab' es nie tun dürfen . . .«
»Und du willst frei sein?« spottete der Fuchs.
Dem Hund wurde übel. Der Geschmack des rohen Fleisches zog ihm den Magen zusammen. Die Flaumfedern, die ihm noch am Gaumen und am Schlund klebten, reizten ihn zum Erbrechen. Er setzte sich und ließ die Zunge hängen. Er war ganz hilflos.
Vorsichtig kroch der Fuchs heran. »Du erlaubst wohl«, sagte er spöttisch und fing an, die Ente zu verzehren. Geschickt, bedächtig, mit Genuß.
Dem Hund tropfte der Speichel von der Zunge, während er neidisch zuschaute. »Das muß ich noch lernen«, schnappte er, schwach vor Hunger und Übelkeit, »das werde ich noch lernen!«
»Aber«, der Fuchs sah ihn an, »du hast doch genug von uns umgebracht . . .«
»Ja«, gestand der Hund. »Genug . . . Hasen, Fasane, Rebhühner, sogar Rehe . . .«
»Nun?« Der Fuchs staunte.
»Oh, die waren alle schon schwerverwundet, ich hab' ihnen dann nur den Garaus gemacht.«
»Und hast du nie ein wenig von ihnen gekostet?«
»Nie!« Der Hund hielt den Kopf steil. »Nie war ich so pflichtvergessen«, sagte er mit Überzeugung.
Der Fuchs blinzelte zu ihm hinüber: »Und bist noch stolz darauf?«
Abweisend entgegnete der Hund: »Das verstehst du nicht.«
Ganz offen lachte der Fuchs. »Nein! Das verstehe ich nicht! Immer nur für Ihn sich abplagen, immer nur für Ihn die andern verfolgen, verraten, töten, immer nur für Ihn . . . nein! Ich bin nicht dumm genug, das zu verstehen!«
Beide schwiegen. Nach einer Weile fing der Fuchs wieder an: »Wovon ernährst du dich eigentlich?« Er war nun mit der Ente fertig, war satt, leckte sich die Schnauze, war in behaglicher Stimmung und neugierig.
Zögernd und beschämt erklärte der Hund: »Ich kann nur Gekochtes essen. Ich hab' mein Lebtag nur Gekochtes zu essen bekommen . . . und ich bin jetzt alt . . .«
»Was ist das, Gekochtes?« wünschte der Fuchs zu wissen.
Der Hund versuchte die Sache auseinanderzusetzen: »Fleisch . . . das Er am Feuer brät oder siedet . . . in Töpfen.« Er schämte sich mehr und mehr.
Kopfschüttelnd meinte der Fuchs: »Feuer . . . braten . . . sieden . . . Töpfe . . . hab' niemals davon gehört . . . kann mir nichts dabei denken!«
Der Hund sprang auf. »Jetzt will ich allein sein! Im Walde, wie du! Frei! Frei!« Er war wie rasend. »Ich glaube nicht mehr an Ihn! Ich weiß jetzt, daß Er schlecht ist . . .« Plötzlich jammerte er gramdurchwühlt: »Trotzdem! Trotzdem . . . ich liebe Ihn! Ich liebe Ihn!«
»Warum bist du dann fort von Ihm, wenn du Ihn so liebst?« erkundigte sich der Fuchs.
»Weil Er grausam zu mir geworden ist!« Alle Klage brach nun aus. Der Hund erzählte, und dabei wurde ihm das Herz schwer, doch je mehr er von seinem Herzeleid sprach, desto stärker wuchs auch die Empörung in ihm. »Ich heiße Jago. Das ist ein Name, den Er mir gegeben hat. Oh, Er war gut zu mir, Er war zärtlich . . . ich hab' bei Ihm sein dürfen, in Seinen Stuben . . .«
»Was sind das, Stuben?« forschte der Fuchs.
Der Hund redete darüber weg. »Aber seit der andere da ist«, stöhnte er, »der Junge, seit Er den Treff hat, ist Er verwandelt! Nur Treff wird jetzt gestreichelt! Mich stößt Er mit dem Fuße weg! Nur Treff darf jetzt bei Ihm sein, ich muß draußen in der Kälte schlafen! Wenn dieser niederträchtige Treff über mich herfällt und ich mich gegen ihn wehren will, kriege ich Prügel! Nur ich! Ich hab' diese Qualen, diese Schmerzen nicht ausgehalten! Ich halte sie nicht aus! Es ist zu arg, zu arg!« Er richtete seine verzweifelten Augen auf den Fuchs. »Warum? Warum? Weil ich jetzt alt bin, weil Treff jung ist?«
Der Fuchs war aufgestanden und kam näher: »Alles, was du erzählst, ist mir so fremd. Kein Wort verstehe ich. Was sind das – Prügel?«
Stotternd gab ihm der Hund Auskunft.
Die Augen des Fuchses blitzten. »Und du springst Ihm nicht an die Gurgel . . .?«
Jago war entsetzt. »Ihm? Ihm?« rief er. »Wie kann man so etwas nur denken? Weißt du nicht, daß Er allmächtig ist?«
Langsam ging der Fuchs rund um Jago herum und beschnupperte ihn sorgfältig. »Du riechst fremd«, sagte er ruhig, »fremd und schlecht! Du bist anders als wir. Wer einmal Prügel bekommen, wer Prügel als etwas Selbstverständliches geduldet hat, der wird niemals frei!«
»Ich dulde sie ja gar nicht mehr!« jaulte der Hund. »Ich bin Ihm doch davongelaufen!«
»Kehr heim zu ihm!« rief der Fuchs. »Kehr heim! Du kannst unter freien Geschöpfen nicht leben!«
Der Hund raffte sich zusammen: »O du! Du beneidest mich nur . . . weil ich bei Ihm war.«
»Da irrst du dich«, antwortete der Fuchs. »Wenn ich dich nicht so sehr verachten würde, müßte ich dich bedauern.«
Er drehte sich weg und ging. Der Hund fuhr hinter ihm drein und wollte ihn packen. Doch der Fuchs schlug ihm die buschige Lunte ins Gesicht, stieß ein höhnisch wildes Kreischen aus und entschlüpfte.
Fassungslos stand der Hund, rieb dann Gesicht und Schnauze im Schnee, schüttelte sich und murmelte: »Es wird gelingen! Es muß gelingen!«
Sogleich begann er nach irgendeiner Beute zu stöbern. Der nagende Hunger peitschte ihn. Dazu ein letztes Aufflammen von Trotz.
Es waren Hops und Plana, die er aus ihrem Lager scheuchte.
Als sie ihn kommen hörten, laut keuchend, mit scharrenden Schritten, flüsterte Hops: »Der ist nicht gefährlich! Bei dem ist die Flucht nur ein Spiel!«
So war es auch. Die beiden Hasen stoben auseinander, nach entgegengesetzten Richtungen. Jago drehte sich im Kreise. Dann verfolgte er Plana, die Haken schlug, daß ihm schwindlig wurde. Er gab Plana auf und setzte Hops nach, der ihn geradezu herausgefordert hatte, von Plana zu lassen. Aber den Kniffen, auf die Hops sich verstand, war Jago nicht gewachsen. Nach einer Weile fühlte er sich völlig ermattet. Die Hasen waren verschwunden.
Der Hund blieb allein.
Er dachte an seinen Herrn. Mit einer Sehnsucht, die wie bohrender Schmerz in ihm tobte, mit Vorwürfen gegen den Herrn, die aber keine Beschwichtigung boten, sondern die Sehnsucht nur noch steigerten.
Er dachte an alle die freien Geschöpfe hier im Walde, die ihn verachteten. Er hatte versucht, ihr Kamerad zu werden, aber das war nur seine obdachlose Kränkung, die danach begehrte.
Wildes Heimweh zerriß ihn.
»Was soll ich noch auf dieser Welt?« brach er aus. Und sein Klagen drang einsam durch die Stille der Nacht.