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Eines Nachts klang der Wald von merkwürdigen Lauten. Tief und stark war dieser Ton und ganz kurz. Aufgeregt und erregend. Er kam da und dort aus den dichtesten Dickungen, er erscholl mitten auf den Blößen.
Die jungen Hasen wurden davon alarmiert, denn sie hatten dergleichen nie vorher vernommen. Doch es erschreckte sie fast gar nicht. Sie wußten sogleich, diese Stimmen gehörten zum Wald. Sie fühlten, diese Stimmen waren für sie keine Drohung. Sie verstanden. Diese Stimmen riefen: »Komm!« Sie riefen: »Wo bist du?« Sie riefen: »Sehnsucht!«
Hops und Plana hatten bald entdeckt, wem die Stimmen gehörten.
Der ganze Wald knackste und knackte unter den Schritten der ruhelos gewordenen Hirsche.
Das welke Laub am Boden zeigte knisternd ihr Gehen und Kommen an.
Die feinen Äste im Gebüsch brachen, wenn einer der Könige sich den Weg bahnte.
An die Stämme der Bäume schlugen die Geweihe der Springenden, und das gab immer einen trocken-hellen, freudig-lebendigen Klang.
Die Gefährtinnen dieser Könige streiften umher, junge und ältere. Ganz harmlos gebärdeten sie sich, scheinbar gleichgültig. Als wüßten sie von gar nichts, und als wären sie nur von einem unstillbaren Hunger getrieben. Sie waren jetzt ebenso wie die Hirsche zu jeder Stunde des Tages wie des Nachts in Bewegung. Immer stellten sie sich so, als suchten sie Nahrung. Zupften die Blätter von den Sträuchern, hielten sich lange bei jungen Bäumen, selbst bei großen, strebten mit gereckten Hälsen und hochgehobenen Nasen die niedrigen Äste zu erreichen, rissen daran, so daß die sekundenlang herabgebogenen Zweige mit hörbarem Schnalzen zurückschnellten. Oder sie taten sich im lichten Gehölz nieder und lagen da, bis ein Hirsch sie aufstöberte. Oder sie prellten in grundlosen Flüchten mit Getöse durch den Wald, mitten durchs Dickicht, quer über die Wiesen. Alles geriet davor in Aufruhr und Erschrecken, alles begab sich gleich ihnen auf wilde Flucht. Doch dann zeigte sich's, daß es nichts weiter gewesen war als ein koketter Einfall, eine mutwillige Laune.
Eines Nachts aber, in der Stunde vor Tag und Tau, dröhnte ein gewaltiger Schrei durch die Weite. Der begann mit tiefen, kurzen Stößen, drei-, viermal nacheinander. Brüllendes Stöhnen aus einer Brust, die zu bersten schien. Dann rollte der Schrei hin, dunkel, mächtig, zitterte vor eigener Stärke, kochte vor Leidenschaft.
In der Ferne antworteten andere Hirsche, da und dort. Weit weg. Ebenso tiefe Stimmen. Dann hellere, dünnere, die jedoch bald verstummten.
Hops und Plana saßen eng beisammen an ihren Plätzen nah beim Rande der kleinen Blöße. Sie sahen Brabo, den Majestätischen, durch die Dickung zur Blöße, von der Blöße zur Dickung schreiten. In seiner stolzen, weitausgelegten Krone schimmerten elfenbeinfarben sechzehn helle Zinken, hoben sich glatt und hellblank von den Stangen, die beinahe schwarz waren und dicht besetzt mit großen schwarzen Perlen. Sein gedrungener Hals war schwer bedeckt von zottiger Mähne. Vorgestreckt hielt er ihn, hielt das Haupt vorgestreckt, daß ihm die mächtige Krone schier auf dem Rücken lag. Und während er stöhnend, brüllend röhrte, wurden seine schönen großen, sanften Augen funkelnd wild. Das Blut drang ihm zu Kopf und färbte das Weiße der Augäpfel rot. Wie Gewölk flog ihm der Atem aus dem glühenden Mund, so daß der Donner seiner Stimme auch sichtbar ihm das Haupt umschwebte. Dieser ganze, wunderbar kraftstrotzende, hoheitsvoll anmutige Leib Brabos dampfte in der Morgenkälte vom Feuer des Begehrens.
Brabo hatte fünf Prinzessinnen bei sich, die bebend, entzückt in gespanntem Erwarten umherstanden.
Die Zeit der Liebe war da.
Durch das wirrste Gestrüpp jedoch schlich Zebo, behutsam, ängstlich und trotzdem eigensinnig, getrieben von Sehnsucht. Er war schmächtiger als der riesenhafte Brabo; er hatte keine so stattliche Mähne, und seine Krone trug nur acht weiße Spitzen.
Er war jung.
Bis zum Saum der Blöße schlich er heran. Ganz nahe. Dort draußen standen die Prinzessinnen, und Brabo behütete sie alle fünf eifersüchtig.
Zebo schlich leise wie eine Katze; so heimlich, so lautlos, so achtsam und wachsam wie ein Fuchs konnte er sein. Jetzt stand er, vom Gitter der spärlich belaubten, hohen Sträucher gedeckt, und spähte hinaus.
Dort, ja dort war die schöne Astalba, dort, bei den andern. Die kümmerten ihn nicht. Mochte Brabo sie behalten! Nur die Eine, die Herrliche, die Ersehnte. Nur sie . . .!
Astalba schien Zebo zu erwarten.
Wie von ungefähr löste sie sich aus der Schar, und wie von ungefähr strich sie am Gebüsch vorbei, dort, wo Zebo stand.
Brabo hatte eben den Rücken gekehrt. Sein Schrei donnerte zur andern Seite.
»Komm!« flüsterte Zebo. »Komm, Geliebte . . . ich warte . . . komm!« – Und Astalba schlüpfte zu ihm.
Hops und Plana hörten sie miteinander reden. Hastig, in drängender Eile und Erregung.
»Fliehen wir!« bat Zebo.
»Ich trau' mich nicht . . .« zögerte Astalba.
»Nur ein paar Schritte, leise . . . dann so rasch wir können!« beschwor er sie.
Sie blieb unentschlossen: »Es wird mißlingen . . .«
»Liebst du mich nicht?« bettelte Zebo.
»Kannst du fragen?« antwortete Astalba schnell.
»Dann komm! Komm mit mir!«
»Ich habe Angst . . .« Damit brach ihr Gespräch ab.
Denn Brabo hatte sich inzwischen gewendet; hatte die kleine reizende Prinzessin sogleich vermißt und schrie furchtbar auf: »Wo ist Astalba?«
Er war von Sinnen, doch er wußte, daß nun kein Augenblick zu verlieren war.
Beständig dröhnte sein Schrei: »Wo ist sie? Wo?« Er umraste die vier übriggebliebenen Prinzessinnen. Er schlug sie mit den Stangen seiner Krone, daß sie sich im Rudel eng beisammenhielten.
Da sah er, wie Astalba zum Vorschein kam. Harmlos, unschuldig, als hätte sie sich nur gerade zum Zeitvertreib ein wenig Bewegung gemacht.
Er kannte das! Oh, wie gut kannte er die Weiber und ihre Mätzchen!
Voll Wut brüllte er auf und warf sich ins Gebüsch. »Wer ist da?« Immerfort rief er mit Zorn in der Stimme: »Wer wagt das? Wer ist da?«
Auf dem Grund seines Herzens war dennoch eine winzige Hoffnung, niemand werde da sein, und Astalbas Treue werde sich erweisen. Aber schon beim ersten Sprung empfing er im Gesträuch Zebos Witterung. Und gleich darauf hörte er den Nebenbuhler, der sich sacht entfernen wollte. Ein wütender Knurrlaut entfuhr Brabo. Das Buschwerk knickte, rauschte und brach unter dem Sturm seines Angriffs.
Da, ganz nahe vor sich, erblickte er die Spiegelseite des Gegners.
Gegner? War das ein Gegner? Dieses Nichts! Dieser Schwächling! Ein Dieb war das! Ein gemeiner Dieb!
Aber Zebo vernahm kaum den Sturm, der hinter ihm angebraust kam, da gab er das leise Schleichen auch schon auf und entwich mit Krachen und Prasseln in hohen, windschnellen Fluchten.
Mag der dort laufen! Jetzt heißt es die Weiber nicht allein lassen! Zurück! – Er wandte sich und strebte keuchend der schmalen Blöße zu.
»Wenn der wiederkehrt, der diebische Schwächling!« dachte er. »Einmal krieg' ich ihn doch, und dann . . .«
Angeregt, mit dem Gefühl des Überwinders trat er zu den Prinzessinnen. Triumphierend hallte sein Schrei und verklang in heißer Zärtlichkeit.
Hops kehrte sich zu Plana: »Schauen wir, daß wir fortkommen von hier!«
Plana schnellte die Löffel hoch: »Warum denn?«
»Man weiß nicht, was einem geschehen kann«, meinte Hops. Seine Löffel hingen schlaff zu beiden Seiten des Halses nieder. Sein hübscher Schnurrbart fieberte unruhig. Hops sah besorgt aus.
Aber Plana war aufgeräumt. »Was soll denn geschehen?« fragte sie übermütig und saß kerzengerade, mit hochgestellten Löffeln.
Hops blinzelte zu ihr hinüber und fand sie entzückend. Dieser kleinen Plana gegenüber wurde er in letzter Zeit fast willenlos; das begann er zu merken. Er fügte sich drein, und es tat ihm wohl, sich seiner Freundin zu fügen. Nur in allen Dingen der Wachsamkeit suchte er seinen Willen zu behaupten.
»Sie sind so gewaltig«, fing er nach kurzem Schweigen an, »so gewaltig sind sie, diese Könige, und sie sind ganz rasend! Es ist gefährlich . . .«
»Aber nein!« Plana war heiter und beschwichtigte ihn. »Sie achten gar nicht auf uns.«
Hops faltete die Löffel bedenklich auf seinem Rücken: »Es kann . . . ohne ihre Absicht . . .«
»Nein, nein!« rief Plana, »Bleiben wir . . . nur ein bißchen noch . . . ich bin so neugierig . . .«
»Wenn's dann nur nicht zu spät ist«, warnte Hops. Zum erstenmal entschied er nicht allein und nicht sofort. Zum erstenmal zwang er die Freundin nicht, ihm zu folgen, indem er einfach zu laufen begann. Er staunte über sich selbst.
»Wie soll's denn zu spät sein?« widerlegte ihn Plana. »Wir passen scharf auf. Wir sind so klein und so flink. Und du bist so . . .«
Ein dröhnender Schrei riß ihre Rede ab. Das war hinter ihnen. Das war ein anderer König, war nicht Brabo. Und dieser andere stand vielen Anzeichen nach nicht sehr fern. Kaum ein paar hundert Sprünge.
Die zwei Hasen duckten sich flach zu Boden.
Noch einmal brach dieser Schrei aus, rollte nach vier, fünf furchtbar brüllenden Anfangsstößen, furchtbar, wie das Freiwerden ungeheuren Entschlusses, herüber.
Brabo warf das gekrönte Haupt hochauf; stand wie aus Erz. Seine fünf Gefährtinnen reckten alarmiert und treulos die Hälse. Da antwortete Brabo der Herausforderung. Seine Stimme hatte ebensolche Macht wie die des unsichtbaren Feindes. »Nur heran!«
»Schweig und geh!« donnerte die Entgegnung.
Brabo wütete: »Hier steh' ich und warte!«
Der andere schrie: »Warte nicht! Rette dein Leben!«
Ein paar ungeduldige, ganz kleine Zornschritte stampfte Brabo. Dann entröchelte sich's seiner Brust: »Rette du das deinige, Feigling!«
»Prahler! Elender Prahler!« tobte die Antwort. Ganz nahe.
Brabo wußte: Jetzt galt's. Er hatte viele solche Kämpfe bestanden, und er hatte immer gesiegt. Deshalb besaß er nun Jahr für Jahr die Herrschaft. Deshalb besaß er das Recht, seine Gefährtinnen zu wählen. Jahr für Jahr. Keiner hier im Walde war je imstande gewesen, ihm dieses Recht zu entreißen. Keiner von allen, die es immer wieder versucht hatten. Er stand und hörte den schnaubenden Atem des andern, hörte das Brechen im Geäst, das Rauschen des Kommenden, vernahm den hellen, kurzen Klang, mit dem das Geweih des andern gegen die Zweige und Baumstämme schlug.
Endlich trat dieser andere heraus. Stürmisch zuerst, heftig hervorbrechend. Dann, beim Anblick des Gegners, langsam und drohend.
Brabo erkannte ihn sogleich. Das war Pasto, den er vor zwei, drei Jahren abgekämpft hatte, und der mit einer Rißwunde am Halse so eilig geflohen war. Brabo sah in der dicken Mähne Pastos den langen, lichten Streifen jener Narbe von damals. Er sah, daß Pastos Krone sehr hoch war, wenn auch nicht so breit ausladend wie die seinige. Und er sah, daß diese Krone zehn blitzendweiße, lange Enden trug.
Beide Hirsche waren in dieser Stunde freilich blind und taub für alles andere. Wäre Er jetzt dagewesen, Er hätte alle beide sehr leicht auf das grüne Bett hinstrecken können. Gegeneinander jedoch waren beide nun aufs äußerste gesammelt. Ihre Raserei war zu einem Gipfel gestiegen, auf welchem sie der Ruhe beinahe ähnlich, auf welchem sie scharfsichtig, voll Bewußtsein und voll der feinsten Überlegung wurde.
Pasto griff an, wollte seine Waffen dem andern in die Weichen rennen, doch seine geduckte Stirne traf hart auf Brabos vorgestreckte Stirne. Es gab einen dumpfen, knackenden Laut. Dann standen die beiden, Haupt an Haupt gepreßt, ein paar Sekunden scheinbar bewegungslos. Aber ein Beben lief kaum merkbar durch ihre Leiber, während jeder die ganze Kraft, die er hatte, in den Nacken, in die Stirne versammelte.
Aufmerksam, in höchster Spannung sahen die Prinzessinnen den beiden Kämpfenden zu und traten, selbst erregt, von einem Bein aufs andere, ohne einen rechten Schritt zu tun.
Gespannt und gebannt betrachteten Hops und Plana das wilde Schauspiel. Sie nahmen gar nicht einmal wahr, daß Zebo leise wieder heranschlich und wie vorher am Saume des Gebüsches lauerte. Sie achteten nicht darauf, daß Astalba plötzlich den Kopf hochwarf und lauschte und dann ganz langsam, mit geheuchelter Unschuld, dem Dickicht mehr und mehr sich näherte.
Brabo und Pasto ließen gleichzeitig voneinander ab, vollführten gleichzeitig eine Wendung, die nach der Flanke des andern zielte, und stießen in gleichzeitig vollbrachter Parade noch einmal Stirn an Stirn zusammen. Noch heftiger, noch wütender als vorher.
»Jetzt!« flüsterte Zebo durch das Netz der Blätter. »Jetzt oder nie!« Es klang lauter als früher, erregter, hoffnungsreicher. Niemand hörte ihn außer Astalba. Sie stand und zögerte.
»Komm jetzt!« drängte er, »komm rasch! Und wir sind frei!«
Astalba rührte ihre Beine, unentschlossen, doch von Sehnsucht schon getrieben.
»Geliebte! Schnell!« flehte Zebo. »Wir werden glücklich sein!«
Da warf Astalba einen kurzen Blick zu den beiden hochgemuten Ringern hinüber, zog ein Gesicht, darin Falschheit und Freude sich mengten, und verschwand in der Dickung.
Das gab ein kleines Rauschen, kaum vernehmlich. Aber Brabo hatte es doch gehört, denn alle seine Sinne waren nun fabelhaft wach. »Sie entflieht mir«, dachte er. Eine Blutwelle der Eifersucht schoß in ihm auf. »Sie will entfliehen! Sie will treulos werden!« Siedender Zorn verbrühte ihn schmerzhaft. »Ich hol' sie zurück!« raste er. »Ich hol' sie schon! Erst nur den Schurken da erledigen! Erst nur den da niederschleudern!«
Zurückweichen! Angreifen! Zurückweichen! Angreifen! Brabo hatte Fassung und Geduld verloren. Immer wieder suchte er die Flanke des Feindes, die Brust, die Schulter, strebte danach ihn zu unterfangen, ihm den Bauch zu zerreißen, und traf immer wieder Pastos felsenharte Stirne. Immer wieder schlugen die Kronen der beiden zusammen, mit hellem trockenem Klang. Einmal tönte ein sonderbarer knackender Laut. Etwas Weißes blitzte vor Brabos Augen, ein Ruck durchfuhr ihn und ein Schauer der Entmutigung. Da war ihm unter Pastos mächtigem Anprall ein Zacken der Krone abgesplittert. Er hatte jedoch keine Zeit, sich zu besinnen, und er hatte die Seelenkraft nicht mehr dazu.
Er hörte lautes Rauschen und Brechen, das sich entfernte. Er wußte, das war Astalba, die ihm verlorenging, die mit ihrem jungen Geliebten entsprang. Aber was bedeutete ihm jetzt noch Astalba? Nur geringe Reste der Eifersucht, des Schmerzes, des beleidigten Besitzerrechts brachte er jetzt auf, im Sturm des Gefechts. Jetzt rang er hier um die Herrschaft, die er so lange behauptet hatte. Jetzt stritt er um seine stolze Existenz, um die eigene Majestät, ohne die er nicht mehr leben konnte. Jetzt kämpfte er um die Liebe. Keineswegs um die Liebe zu irgendeinem Mädchen, mochte es nun Astalba oder sonstwie heißen. Es ging um die Liebe überhaupt, es ging um alles!
Sie standen wieder Stirn an Stirn. Ruckend, drängend, die Häupter tiefer und tiefer gesenkt. Ihr Atem schnaubte laut. Ihre Augen traten groß hervor, blutunterlaufen und feuersprühend.
Brabo fühlte, daß er nicht mehr standzuhalten vermochte. Er fühlte, wie er zurückwich. Zurückweichen mußte! Gezwungen durch die Kraft des andern, die der seinigen überlegen war. Unsägliches Staunen breitete sich in ihm aus, wühlende Kränkung erwachte in ihm und drohte, ihn zu schwächen. Verzweifelt wollte er ein rascheres Anrennen versuchen, ein gewaltiges Zustoßen. Es war nicht möglich, daß er besiegt wurde. Nicht möglich, daß der andere ihn zwang, den Platz zu verlassen, ihn, Brabo!
Aber ehe er noch wußte, was geschah und wie das geschah, war Pasto ihm in die Seite gefahren. Während Brabo ziellos vor sich hinsah, Nebel um die Augen und Taumel im Hirn, riß ihm ein mächtiger Hieb die Mähne klaffend auf, ein zweiter Hieb zerschlug ihm die Schulter. Er ging ins Knie und spürte, wie der rote Schweiß ihm warm das Bein hinunterlief.
Nun packte ihn tobende Angst, die er bis jetzt nie gekannt hatte. Alles versank in dem Sturzbach seiner Angst: Stolz, Herrschaftsgefühl, alles. Nur fort! Nur Rettung! Das trug ihn jetzt, das half ihm, sich aufzuraffen, das ließ ihn dem neuen mörderischen Angriff Pastos entwischen. Das machte ihn fähig, trotz der argen Schmerzen, die ihm Hals und Schulter überfieberten, zu flüchten. Mit solcher Sturmeseile sprang er dem nahen Dickicht zu, so hoheitsvoll und in so männlicher Anmut, als wäre er unverletzt, frisch und wohlgelaunt. Nur sein Antlitz, das von Entsetzen verzerrte, nur seine Augen, die gramerfüllten, durfte man nicht sehen. Ein paar Schritte hörte er den Verfolger hinter sich. Dann aber vernahm er den donnernden Triumphschrei des andern, der von nun an Herrscher blieb.
Brabo war kein Gebieter mehr.
Erniedrigt, beschämt und gedemütigt wankte er durch das Gestrüpp. Dort, wo es am undurchdringlichsten sich schloß, sank er schwer zu Boden. Wundfieber kam, stieg an und schüttelte ihn. Schmerzhafter als das Fieber schüttelte ihn die Empfindung des Entmachteten. Gleich dunklen Träumen zog das Erinnern an seine Glanzzeit durch seine Seele. Wie er der Erste, der Allgewaltige gewesen, weit in der Runde des Waldes, wie er sich seine Prinzessinnen gewählt, sie zu Königinnen geadelt hatte. Wie jeder, der ihm die Herrschaft streitig machen wollte, in die Flucht gejagt oder niedergestreckt wurde. Wie dann alle ehrfürchtig vor ihm zurückwichen. Vorbei! Selbst der Platz, an dem er eben noch, ein Herrscher, gestanden, selbst sein fürstliches Wohlgefallen an der kleinen widerspenstigen Astalba schienen ihm nun ferne und vorbei.
Jetzt war er alt. Vor einer halben Stunde hatte er das noch nicht gewußt. Er begriff es auch jetzt noch immer nicht. Aber es blieb trotzdem kein Zweifel: er war alt. Er wird die Welt, wird die Liebe, die ihn vertrieben, die ihn ausgestoßen hatte, nicht mehr lieben, niemals mehr lieben dürfen. Und er wird einsam sein.
Als Hops und Plana ganz leise an Brabos Lager vorüberhuschten, verhielt Plana nach einer kurzen Strecke, um zu fragen: »Hast du bemerkt, daß seine Augen voll Tränen sind?«
Hops lief weiter. »Nein!« sagte er schnell und lief.
Er wollte nicht darüber reden, er war zu sehr erschüttert.