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Eine Geschichte aus den Volsker Bergen.
Es gibt kaum schlechtere Wege in ganz Italien als die in den Volsker Bergen mit ihren gelben scharfkantigen Kalksteinen. Und wer sich nicht mit durchaus dauerhaften Wanderschuhen versehen hat, dem kann es bei einer Durchstreifung des schönen Berglandes recht jämmerlich ergehen.
Das musste auch ich im vorigen Herbst erfahren.
Ich hatte mich hoch oben in dem kleinen Städtchen Cori festgesetzt und durchwanderte und durchsuchte von dort aus planmässig das ganze Gebirge bis hinab nach Terracina. Das ist unbeschreiblich genussreich. Allerwärts stösst man auf interessante antike Reste – Cori selbst besitzt einen herrlichen Herkules-Tempel – und ringsum bieten sich einem fortwährend die reizvollsten Landschaftsbilder dar. Dabei ein Volk von köstlicher Ursprünglichkeit; bei aller Armut und Verkommenheit doch stolz und kühn, heisswallenden Herzens und darum allerdings auch nicht selten gewalttätig. Wer es aber nimmt, wie es ist, der kann sehr bald gut Freund mit ihm werden. Auch ich hatte in kurzer Zeit allerlei freundschaftliche Beziehungen angeknüpft, besonders mit einem Schuster, den ich immer und immer wieder aufsuchen musste, weil meine Schuhe nach jedem grösseren Ausflug der Reparatur bedurften.
Da gab es denn jedesmal, wenn ich die Invaliden brachte, einen kleinen Schwatz, dem ich auch immer gern ein Viertelstündchen widmete; war doch der Alte ein durchaus origineller Kauz, der seine eigenen Gedanken über Menschen und Dinge hatte. Hierbei traten wir uns unvermerkt freundschaftlich naher.
Eines Tages trug ich abermals mein Päckchen unter dem Arm – ich war auf dem Monte Lupone gewesen – als mich ein Hochzeitszug, der von der Pfarrkirche San Pietro feierlich herkam, veranlasste, etwas stehen zu bleiben.
Ich hatte schon verschiedenemal von dieser Hochzeit reden hören, und immer war dabei mit einer gewissen Erregung von der stolzen Gaëtana und dem schönen Antonio gesprochen worden; da ich aber bisher weder sie noch ihn zu Gesicht bekommen hatte, so war ich von dem lebhaften Interesse, das ganz Cori offenbar an dem Paare nahm, nicht weiter berührt worden. Jetzt aber, als der Hochzeitszug unmittelbar an mir vorüberkam, konnte ich doch nicht umhin, meine Schritte einzuhalten und mir das Brautpaar einmal anzusehen.
Und in der Tat, es konnte sich sehen lassen!
Eigentlich hätte man sie schön und ihn stolz nennen müssen; so hatte ich wenigstens den Eindruck, denn sie zeigte ein wundervolles Ebenmass der Glieder und ein Antlitz so fein geschnitten wie das eines Götterbildes. Man trifft deren noch manche in den Volsker Bergen, aber in solcher Vollendung bis auf das fein geschwungene Kinn herab war mir doch noch keins begegnet. Dabei hielt sie die Augen beständig niedergeschlagen, was ihr ein sehr reizvolles bräutliches Ansehen verlieh.
Doch auch er war ein stattlicher Mann, nur etwas hager und ohne die Frische der Jugend. Auf seiner Stirn und um den Mund lagen einige tiefe Falten, die ihn wohl einige Jahre älter erscheinen Hessen, als er wirklich war. Eine etwas gelbe Gesichtsfarbe gab ihm ein gewisses leidendes Ansehen. Auch er hatte die Augen meist zu Boden gerichtet, doch hin und wieder sah er auf, bald nach rechts, bald nach links, und dann hatte sein Blick etwas nervös Unruhiges.
»Erst seit einer Woche ist er wieder hier«, sagte eine alte Frau zu mir, die neben mir stand und wohl das Bedürfnis hatte, sich etwas auszusprechen, »Es hat ihn doch« –
Mehr verstand ich nicht, da sich eben noch einige Mädchen lebhaft zwischen uns drängten.
Als der Zug vorüber war, hätte ich die Alte wohl gern noch etwas ausgefragt, aber sie war nicht mehr zu sehen, und so setzte ich meinen Weg fort.
Zu meiner Verwunderung fand ich den Meister Filippo nicht, wie sonst, vor seinem Hause auf dem Schemel bei der Arbeit sitzen. War ihm etwas zugestossen?
Ich trat in die Tür seines Stübchens. Da stand er, aber in einer ganz seltsamen Position. Er hielt ein grosses Dolchmesser in der Hand und betrachtete mit eigentümlichem Interesse die blinkende Klinge. Als er mich gewahrte, ward er sichtlich verlegen und wollte die Waffe schnell in ein Wandschränkchen stellen, dessen Tür offen stand. Ich trat aber auf ihn zu und bat ihn, mir das schöne Messer doch auch einmal zu zeigen. Er reichte es mir hin, und als ich nun die Klinge besah, las ich zu meiner Überraschung den Namen Gaëtana. Die Striche waren nur leicht eingeritzt, aber doch ganz deutlich zu erkennen.
»Was der Tausend!« rief ich und blickte ihn fragend an.
Der Alte wurde ganz rot vor Verlegenheit.
»Es ist natürlich nicht die Gaëtana, die Ihr eben im Brautschmuck habt vorübergehen sehen«, brachte er hervor, indem er sich an seiner Schürze zupfte, »sondern – ja – sondern die Mutter, die ja ebenfalls mit im Hochzeitszuge ging. Ihr werdet aber wohl nicht auf sie geachtet haben, obgleich sie noch immer eine sehr stattliche Frau ist. Eigentlich, wenn – ja – das heisst – die schöne Braut hätte eigentlich – meine Tochter sein sollen, und dann wäre ich heute an des unverschämten Michele Stelle – der so geringschätzig zu mir herübersah – im Hochzeitszuge einhergeschritten.«
»Potz Wetter!« brach es aus mir hervor. »Und davon habt Ihr mir noch nie ein Wort erzählt?«
»Es ist nichts besonders Rühmliches dabei, und ich spreche nicht gern davon, aber da Ihr nun einmal von der Sache wisst – ich hätte das dumme Messer ruhig in seinem Schränkchen lassen sollen; doch da ist man denn immer wieder einmal ein Narr und verfitzt sich in alte Erinnerungen, die man längst hätte unter die Motten werfen sollen. – Darum will ich Euch auch lieber die Geschichte von der jetzigen Gaëtana als die von der vor dreissig Jahren erzählen; sie ist auch amüsierlicher, denn der Antonio war eben resoluter als ich, so wie es die Frauenzimmer haben wollen. Nebenher werde ich dann auch wohl gelegentlich erwähnen können, wie es mir ging, wenn es Euch eben interessiert.«
Er hatte seine Befangenheit mehr und mehr überwunden und plauderte nun frisch darauf los.
»Ihr wisst wohl«, begann er, »dass hier die Mädchen den jungen Burschen, denen sie gewogen sind, als ein Zeichen ihrer Gunst meist ein Messer schenken, das sie gelegentlich bei einer Wallfahrt oder auf einem Jahrmarkt kaufen, und in dessen Klinge sie ihren Namen einschleifen oder ritzen lassen. Dieses Messer bedeutet dann fast so viel wie der Verlobungsring; es kommt nur selten vor, das sich ein solches Verhältnis wieder löst. Ehedem war diese Sitte verbreiteter, man fand sie auch im Sabiner- und Albanergebirge und selbst noch weit drüben in der Gegend von Viterbo. Aber da oft viel Unheil mit den Messern angerichtet wurde, trat ihr die Regierung überall entgegen; bei uns hier oben hat das Verbot allerdings noch nicht viel ausgerichtet.
Doch ich sehe, ich habe wieder einmal zu weit ausgeholt; ich wollte Euch ja doch von der Gaëtana und dem Antonio erzählen.
Dass sie ein schönes Mädchen ist, habt Ihr ja selbst gesehen, und dass sie einer der wohlhabendsten Familien der Stadt angehört, werdet Ihr aus dem prunkvollen Hochzeitszug entnommen haben. Das weite stattliche Gehöft an der Piazza Pizzitonico ist ihr Vaterhaus, und wer dort drin sitzt, behaglich und sicher, der weiss nicht, wie mühselig es ist, tagaus tagein Stiefel und Schuhzeug zu bearbeiten. Ich könnte dort sitzen, wenn ich –
Na, ich schweife schon wieder ab. Ihr habt sie also gesehen, und auch den Antonio, freilich erst jetzt, nicht auch schon vor fünf Jahren, als er noch blühend war wie ein Apollo. Er wird sich übrigens schon wieder erholen, wenn er nur erst einige Monate an der Piazza Pizzitonico gewohnt hat.
Damals, vor fünf, sechs, sieben Jahren, war er der schönste Bursche von Cori; alle Mädchen verdrehten sich die Hälse nach ihm, auch die Gaëtana.
Aber er hatte nichts als ein kleines Häuschen draussen an der Porta Ninfesina, wo er sich mit seiner Mutter durchhält, so gut es gehen wollte. Eigentlich war er seines Zeichens Schuhmacher wie ich, und er hat auch einige Zeit in Terracina als Gesell gearbeitet, aber das Handwerk mochte ihm nicht behagen. So auf dem Schemel vor der Haustür zu sitzen, die Sohlen zu schlagen und den Pechdraht zu ziehen, während die Mädchen her- und hingehen und auf einen herabsehen, das mochte ihm wohl nicht passen. Er pachtete sich eine kleine Olivenplantage und suchte auch sonst etwas zu verdienen, teils als eine Art Agent, da er sehr gut sprechen kann, teils als Mitspieler in den Musikbanden bei hohen Festen, also bei den Marienfesten, der Fronleichnamsprozession und bei Aufführungen in der Kirche, doch nie beim Tanz; da habe ich ihn nur immer als Kavalier gesehen.
Sein Instrument ist die Flöte, die er auch wirklich meisterlich spielt. Schon als Junge erregte er Aufsehen, als er noch auf einer einfachen Querpfeife blies. Der alte Curato Passi schenkte ihm einmal eine ganze Lira, als er ihn eines Abends draussen im Felde mutterseelenallein vor einem Bildstock knien fand, die süssesten Melodien auf seiner Querpfeife spielend. Er hätte ihn dann auch gern für den geistlichen Stand gewonnen, aber der Junge wollte nicht Priester werden. Man war damals ordentlich bös über den Burschen in der Stadt. So eine schöne Karriere, täglich Fleisch essen können – und trotzdem wollte er nicht!
Er hoffte wohl schon damals, auf eine andere Weise in die Höhe zu kommen. Aber das ist hier schwer. Doch er mühte sich redlich. Zuletzt war er eine Art Kommissionär für eine Produktenhandlung in Rom und kaufte besonders Feigen auf. Die Feigen von Cori haben ja einen Ruf. Dabei kam er mit vielen Leuten zusammen, auch mit dem Michele Supino, der grosse Feigengärten hat, und da traf es sich denn ganz von selbst, dass er auch die Gaëtana des öftern sah und sprach. Er kannte sie ja natürlich von klein auf, aber sie hatte sich von jeher etwas vornehm zurückgehalten, sodass früher wohl kaum einmal ein Wort zwischen ihnen gewechselt worden war. Auch getanzt hatte er nie mit ihr, weil sie immer in einem bestimmten engeren Kreise geblieben war.
Ich habe das oft genug gesehen, denn ich kann es nun einmal nicht lassen – Ihr mögt mich einen Narren schelten – ich habe sie immer sofort im Auge, sobald sie kommt, als wenn sie trotz alledem so etwas wie meine Tochter wäre. Nun ja, nun lächelt Ihr auch – aber ich kann mir nicht helfen.
Doch kurz und gut, als nun der Antonio öfter in das Haus ihrer Eltern kam und sie ihn genauer kennen lernte, gewann sie mehr und mehr Interesse an ihm, und bald ging das Gerede in der Stadt, die Gaëtana habe sich in den schönen Antonio verliebt.
Ob es wohl diesmal zum Klappen kommt? dachte ich bei mir. Das Stück war ganz dasselbe wie das vor dreissig Jahren, nur die Spieler waren andere.
Ich verfolgte sie mit meinen Blicken, wo ich konnte, ich möchte sagen wie ein Brigant. Wenn sie zur Messe ging, sich einer Prozession anschloss oder auch einen Tanz mitmachte, immer beobachtete ich sie. Aber man konnte nicht viel wegbekommen. Der Antonio war zwar überall um sie herum, wo es anging, allein das waren die anderen Burschen auch; sie aber trat nie aus ihrer Reserve heraus, zeigte sich liebenswürdig und freundlich gegen jeden, zeichnete aber keinen besonders aus. Es wollte mir zwar scheinen, als blitzte ihr Auge etwas lebhafter auf, wenn sie einmal zu Antonio hinüberschaute, aber ich konnte mich auch täuschen. Man sieht ja manchmal wunderliche Dinge, wenn man etwas sehen möchte.
Darüber verging eine Woche nach der andern; dem geizigen Franotti wurde sein ganzes Geld gestohlen, draussen in einem Weinberg fand man fünf Fuss tief in der Erde eine kostbare alle römische Amphora – und das Gerede von der Gaëtana und dem Antonio hörte allmählich auf.
Unterdess kam der Sommer mit seiner Glut. Schon im Frühjahr hatte es wenig geregnet, nun aber gab es auch nicht einen Tropfen mehr. Alles schien zu verdorren, die Blätter der Feigenbäume hingen schlaff herab, das Weinlaub wurde fahl; es war ein Jammer. Die Geistlichkeit betete allsonntäglich inbrünstig um Regen, aber es zeigte sich auch nicht einmal die kleinste Wolke.
Da kam man schliesslich auf den Gedanken, einmal einen Bittgang zur Kapelle der heiligen Anna zu unternehmen, die dort drüben in den Bergen liegt. Der Curato hatte erzählt, dass die heilige Anna in früheren Jahrhunderten die Stadt Cori wiederholt aus schwerer Not errettete, nachdem man eine Wallfahrt zu ihrer Kapelle gemacht hatte. Er könne das aus seinen Kirchenbüchern beweisen. Also warum sollte man sie nicht auch diesmal angehen? Und wenn, dann auch bald. Einige, die sehr grosse Weinberge und Gemüsegärten dort auf der Südseite haben, nahmen sich der Sache eifrig an, und die Wallfahrt ward angesetzt und arrangiert. Es wurden die prächtigsten Kirchenfahnen hervorgeholt, die Weinbergsbesitzer warben eifrig, dass aus jedem Hause wenigstens einer mitging, und der alle Curato Passi ward bewogen, die Prozession zu führen. Selbst ich wurde veranlasst, mich mit zu beteiligen – auch für unsereinen ist ja die lange Dürre nachteilig, denn wenn es nicht hier und da einmal regnet, so laufen die Leute mit ihrem Schuhzeug, bis der letzte Fetzen Sohle herunter ist.
Die Wallfahrt schien denn auch wirklich grossartig werden zu wollen, nur eins wollte nicht gelingen. Man konnte kein Musikkorps zusammenbringen. Die Leute, die sonst zu festlichen Gelegenheiten bliesen, waren alle nach auswärts gegangen, nur der Antonio war vorhanden.
Aber konnte man denn bloss mit einer Flöte dahinziehen?
Die Sache war höchst fatal, und einige, die keine Gärten haben, wie der Apotheker und der Steuerinspektor, meinten schon, man solle deshalb den ganzen Bittgang unterlassen.
Aber da kamen sie bei der grossen Mehrzahl schlecht an, und so wurde denn eines Tages die Wallfahrt unternommen. Voran die schönsten Kirchenfahnen die wir haben, dann der alte Curato Passi mit verschiedenen jungen Geistlichen, hierauf Antonio und nun ein langer Zug von Männern und Frauen aus allen Häusern.
Das sah wirklich ganz stattlich aus, nur die einzelne Flöte wollte zu dem Ganzen nicht passen. Mit ihrer dünnen Stimme wirkte sie eher komisch als erbauend. Anfangs kämpften denn auch einige mit dem Lachen; doch man gewöhnt sich an alles. Nachdem wir etwa eine Stunde gewandert waren, nahm schon niemand mehr Anstoss an der schlichten Flötenbegleitung, und als dann Antonio während einer Ruhepause einige hübsche Stücke blies, mit grosser Gewandtheit und sehr schönem Ausdruck, da war man ganz entzückt.
Weshalb er mit solchem Gefühl blies, das hatte ich sehr bald weg, denn immer blitzte sein Auge nach der Gaëtana hinüber, und diese war wie berauscht von der Musik. Ihre grossen Augen leuchteten, eine wahre Glutwelle schien aus ihnen zu Antonio hinüberzufluten. Wenn er besonders lieblich blies, so seufzte sie, und, sobald sie sich dessen bewusst wurde, errötete sie.
Das gibt heute noch etwas, dachte ich bei mir, und meine Vermutung sollte sich bewahrheiten, noch vor Sonnenuntergang.
Wir waren ziemlich früh aufgebrochen, um möglichst viel von der Morgenkühle zu profitieren, aber sie hielt nicht lange an; bald wurde es heiss, dann immer heisser und heisser. – Ihr könnt es euch nicht vorstellen, wie stechend die Sonnenstrahlen auf uns herabprallten, und was wir ausstanden.
Der gemeinschaftliche Gesang musste daher bald eingestellt werden; die Zunge klebte allen am Gaumen. Um so mehr liess es sich der Antonio angelegen sein, uns mit seinem Flötenspiel zu unterhalten und zu erfreuen. Er war wirklich unermüdlich. Bald spielte er einen Marsch, bald ein Lied aus einer Oper, bald eine Arie aus einer Messe, und besonders diese Arien klangen so innig, so rührend, als strömten sie aus dem tiefsten Herzen hervor.
Jedesmal, wenn er die weichen, bald schmachtenden und klagenden, bald schmeichelnden und jubelnden Melodien erklingen liess, waren alle, besonders aber die Frauen, völlig hingerissen.
Man überschüttete Antonio mit Lob und Dank; auch Gaëtana trat zu ihm, aber sie schien nur einige Worte zu sagen. Sie konnte sich immer ganz über die Massen beherrschen.
Schliesslich waren wir nur noch so etwa eine halbe Stunde von der Kapelle der heiligen Anna entfernt, als sich zu unserer Überraschung allerlei Wolken am Horizont zeigten. Anfangs waren sie nur klein, bald aber wurden sie grösser und grösser – es war kein Zweifel mehr, ein Gewitter zog herauf, das den ersehnten Regen bringen musste.
Die heilige Anna hatte Fürbitte getan. Dankerfüllten Herzens eilten wir vorwärts, um noch vor dem Losbrechen des Gewitters in das Wallfahrtskirchlein zu gelangen. Und kaum waren wir drin, so fing auch das Blitzen und Donnern schon an; bald goss es in Strömen. Der ganze Himmel hatte sich nach und nach umzogen; von allen Seiten Schossen die Blitze durch die schwarzgrauen Wolken, und wiederholt krachte und knatterte es, dass die Kirchenfenster klirrten.
Anfangs hatten wir diesem Schauspiel behaglich zugesehen; als es aber immer toller und toller wurde, da überkam uns denn doch die Angst, ein Blitz könnte in die Kirche einschlagen, oder es könnte in dieser Heftigkeit fortregnen bis in die Nacht hinein – und wie dann nach Hause kommen! Nicht nur die Frauen, auch die Männer wurden immer aufgeregter; diese und jene fingen an zu murren, so ausserordentlich schnell hätte denn doch die Erfüllung der Bitte nicht zu erfolgen brauchen, wenigstens hätte man erst wieder daheim unter Dach und Fach sein müssen. Und dann wäre es auch gleich des Guten auf einmal allzu viel. Schliesslich kam einer auf den Einfall, die heilige Anna sei wohl allzubeweglich angegangen worden, besonder habe wohl Antonio mit seinem Flötenspiel zu eindringlich, zu flehentlich gebeten; damit habe er das Herz der Heiligen ganz über die Massen gerührt. Man habe es ja gesehen, wie sogar die Weiber in der Prozession von der Musik berückt worden seien.
Das leuchtete vielen ein, und je mehr das Unwetter draussen krachte und die Regenmassen herabstürzten, desto mehr wuchs die Missstimmung gegen Antonio. Man warf ihm zornige Blicke zu, einige besonders heftige ballten die Faust gegen ihn; dann kam es zu lauten Vorwürfen, und als Antonio einigen mit einer spöttischen Antwort gedient hatte, da fiel plötzlich ein besonders grober Kerl über ihn her und warf ihn zur Erde. Gleich darauf hieben noch sechs, acht andere auf ihn ein. Die Weiber schrien auf; es entstand ein heilloser Tumult. Doch nur für einen Augenblick. Eine helle Stimme übertönte all den entsetzlichen Lärm, eine Stimme so laut und gebieterisch, dass die rohen Gesellen einhielten.
Es war Gaëtana. In höchster Aufregung wand sie sich durch die Menge; rechts und links stiess sie alle beiseite. Nach wenigen Schritten stand sie neben Antonio.
»Schämt ihr euch nicht«, fuhr sie die Angreifer an, »euer zehn über einen herzufallen?«
Der Zorn sprühte ihr wie lohendes Feuer aus den Augen. Ihr habt in den Museen zu Rom die Medusenköpfe gesehen; just wie eine Meduse sah sie aus, und wenn sich plötzlich die Schlangen um ihre Stirn geringelt hätten, es würde mich nicht gewundert haben.
Wie ich, so waren auch alle andern im höchsten Grade betroffen; die Raufbolde blickten verdutzt zu ihr auf, eine Totenstille entstand, sodass man nur das Plätschern des Regens hörte.
»Ist das der Dank für seine Gefälligkeit, für seine viele Mühe, die er sich gegeben hat?« fuhr sie fort; dann reichte sie Antonio, der sich jetzt erhob, die Hand und wandte sich mit ihm zur Seite.
Jetzt stimmten ihr viele laut bei, und der Pfarrer trat zu den beiden und sprach sein Bedauern aus, dass eine solche Roheit hier im geheiligten Orte habe vorfallen können. Bei den meisten aber, die nun zu ihr und dem Antonio hinübersahen, spielte ein Lächeln um den Mund.
»Also es ist doch richtig«, sagte jeder zu sich oder leise zu seinem Nachbar; »er ist es, den sie sich ausgesucht hat! Sie hat uns lange im Dunkeln zu halten gewusst, und auf eine so drollige Weise musste ihr Herzensgeheimnis zutage kommen!«
Ein allgemeines Tuscheln und Munkeln entstand; die Frauen vergassen über dem interessanten Stoff das ganze Regenwetter und waren selbst bei dem Gottesdienst, der nun stattfand, nur mit halber Andacht.
Unterdess hörte der Regen allmählich auf, das Gewitter verzog sich, und es konnte der Heimweg angetreten werden. Aber das hatte manche Schwierigkeiten, überall standen noch grosse Wasserlachen, da und dort war der Fusspfad von den Fluten weggerissen worden, oder die Wassermassen hatten Steine und Geröll auf den Weg geworfen. Besonders war es für die Frauen schwierig, vorwärts zu kommen, und es gab manchen Not- und Hilferuf, so sehr wir Männer uns auch bemühten, überall zu helfen und zu unterstützen. Die Gaëtana geleitete natürlich Antonio, und er tat es mit so viel Geschick und Ritterlichkeit, dass selbst der Neid sagen musste: Ja, wahrhaftig, er passt zu ihr, nur er und kein anderer.
Natürlich galt es von jetzt ab für eine ausgemachte Sache, dass Antonio mit der Gaëtana verlobt sei. Wenn darauf bei ihm oder bei ihr angespielt wurde, so stellte es auch keins in Abrede, und als sie in den nächsten Wochen einmal zum Jahrmarkt nach Terracina ging, brachte sie ihm ein schönes Messer mit, auf dessen Klinge zierlich ihr Name eingeritzt war. Aber das alles war doch noch immer keine öffentliche Proklamation der Verlobung. Und die liess auf sich warten.
Ja, warum? Die Gaëtana war eben doch eine zu gute Partie, als dass man sie so ohne weiteres diesem Antonio überlassen konnte. »Was ist denn nur dieser Antonio?« raunten böse Zungen den Eltern Gaëtana's ins Ohr. »Ein armer Schustergeselle, der nicht einmal bei seinem Handwerk geblieben ist, der sich zum vornehmen Herrn hinaufspielen möchte und seit Jahren herumlungert, wie er eine reiche Frau erschnappen kann. Die Gaëtana solle sich nur nicht einbilden, dass er sie aus Liebe nehme. Sie habe sich durch seine gewandten Manieren und sein Flötenspiel betören lassen; er solle doch bei seinem Flötenspiel bleiben, das verstehe er ja meisterlich, man werde ihn künftig zu jeder Regenprozession nehmen, diesen ausgezeichneten Regenpfeifer!«
Wie immer, so verfing ein solcher Hohn auch hier. Die Eltern stellten die Sache der Tochter vor, und die wurde etwas betroffen. Wenn es wahr wäre, wenn er sie nur des Geldes wegen nähme?
Die alte Magd, die Rosina, die ich noch von früher her kenne, hat mir alles erzählt, was das arme Kind in der Zeit ausgestanden hat.
Sie hielt sich also wieder etwas zurück und reiste auch einmal auf einige Wochen nach Rom, wo sie eine alte Tante hat. Antonio zerbrach sich unterdess den Kopf, wie er wohl dieses Verhalten verschuldet habe.
Natürlich wurde das in weiten Kreisen bemerkt; eine gewisse Schadenfreude spiegelte sich auf vielen Gesichtern.
»Ein vortrefflicher Regenpfeifer«, höhnte man, »aber sehr viel mehr als Wasser bringt seine Kunst, wie es scheint, nicht ein.«
Der Spitzname setzte sich fest; bald nannte man ihn in der ganzen Stadt nicht anders als den Regenpfeifer, natürlich wenn er nicht dabei war. Aber er erfuhr es doch; es gibt ja immer gute Freunde, die einem derlei zutragen.
Unter diesen Verhältnissen vergingen Wochen, und man meinte schon, die Sache sei längst aus mit der Gaëtana und dem Antonio; der könne sich nur ruhig den Mund wischen.
Doch ganz plötzlich sollte es anders kommen.
Es war wieder einmal Marienfest. Da gibt es jedesmal grosse Lustbarkeit, Feuerwerk und Tanz bis spät in die Nacht hinein. Ich schlenderte nach dem Tanzplatz hin und bemerkte dort bald, dass Antonio nicht sehr weit von der Gaëtana Posto gefasst hatte. Er mochte sie wohl schon begrüsst haben und war dann wieder höflich etwas zurückgetreten.
Sie sah schöner aus denn je; wiederholt lachte sie, wenn die reichen jungen Stutzer zu ihr herantraten und ihr Schmeicheleien sagten; dann aber blitzten die Augen immer wieder zu Antonio hinüber, der ernst, als sei er mit seinen Gedanken ganz wo anders, in das Getümmel hineinsah.
»Das Feuer ist noch lange nicht verglommen«, sagte ich zu mir. »Wie wird das wohl noch enden?«
Da drängte sich Pietro Osta durch die Menge, auch einer von den reichen Familien, ein hochnasiger Bursche, der wegen seiner Unverschämtheit schon wiederholt in Konflikte gekommen war. Er steuerte direkt auf die Gaëtana zu und stiess die Leute rechts und links beiseite. Sie wichen auch, als er aber zu Antonio kam, blieb der fest wie angewurzelt stehen.
»Was ist das für eine Flegelei!« fuhr Pietro ihn an.
Antonio blickte zornsprühenden Auges seitwärts zu ihm hin. »Hier wird wohl jeder gleiches Recht zu gehen und zu stehen haben«, versetzte er.
»Hm«, machte Pietro verächtlich, »was so ein Regenpfeifer« –
Noch war das Wort nicht ganz heraus, als Antonio auch schon mit der Rechten nach seinem Messer fuhr. Die blanke Klinge blitzte auf, ein allgemeiner Schrei des Entsetzens, und Pietro taumelte rückwärts, mit den Händen in die Luft hinauffahrend. Mehrere Männer sprangen hinzu, um ihn zu halten, dass er nicht zu Boden fiel.
Er hatte eine breite Wunde in der linken Seite, aus der das Blut mächtig hervorquoll. Man sah es, er hatte einen tödlichen Stich erhalten; es war nichts mehr zu machen. Nach einigen Minuten verschied er auch.
Als das aber die Menge gewahrte, wandte sie sich in heller Wut gegen Antonio, der, noch immer das blutige Messer in der Hand, unverwandt auf die Leiche starrte.
Doch bevor noch jemand die Hand gegen ihn erhoben hatte, war Gaëtana zu ihm gedrungen.
»Dass sich niemand untersteht, ihn anzutasten!« rief sie gellend. »Ihr alle seid schuld, dass es so weit gekommen ist. Mit euern Klatsch- und Hetzmäulern habt ihr uns wieder auseinanderbringen wollen, und dafür hat nun dieser da für euch alle büssen müssen. Betet für ihn und euch. Für mich gibt es nun aber kein Zögern mehr. Wir sind fortan unlösbar miteinander verbunden!«
Bei diesen Worten umschlang sie Antonio und küsste ihn, während ihr die Tränen über die Wangen rannen.
Das war so der richtige Verlauf der Sache. Als ich damals vor dreissig Jahren in eine ähnliche Lage kam, liess ich das Messer stecken, um das Blutvergiessen zu vermeiden, aber da war von Stund an nichts mehr mit mir los, ich hatte verspielt.
Doch dass ich hier die Geschichte zu Ende erzähle. Natürlich wurde jetzt der Antonio festgenommen und dann vom Schwurgericht zu vier Jahren schweren Kerkers verurteilt. Die hat er darauf in den Gefängnissen auf Elba abgesessen. Aber die Gaëtana ist ihm treu geblieben. Kaum gesehen hat man sie in den vier Jahren. Stolz hat sie ihn heimgeführt, als er wieder frei wurde. Wie glücklich sie jetzt ist, habt Ihr wohl von ihrem Gesicht abgelesen.«
Er schwieg einige Augenblicke.
»Ja, ja«, schloss er dann mit sichtlicher Bewegung, indem er behutsam die Waffe wieder in das Schränkchen stellte, »so entscheidet bei uns das Messer nicht nur im Kampf bei Hass und Zorn, sondern auch in der Liebe. Das ist vielleicht nicht ganz nach Eurem Geschmack, denn ich weiss, die Deutschen sind sehr empfindsam, aber es ist echt italienisch.«