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Als Mirinri und Nefer dem Zug des heiligen Stieres gefolgt waren, hatte sich Unis traurig unter das Volk gemischt, das den Platz vor dem Tempel einnahm und sich dann wieder verlief. Der Greis, der sonst aufrecht wie eine Eiche war, schien von diesem Augenblick an um viele Jahre gealtert. Er irrte die Straßen entlang, bis er in der herrlichen Nilallee Halt machte. Dort fiel er müde, gebrochen an Leib und Seele, auf einen der dort lagernden großen Steine.
»Verloren!« seufzte er. »Verloren für mich durch jene verhängnisvolle Liebe!«
Er überdachte die Jahre, die er im Exil, in der glühenden, sonnenverbrannten Wüste dem über alles geliebten Sohn gewidmet hatte. Um ihn am Leben zu erhalten und für den Thron zu erziehen, hatte er jedes Opfer gebracht. Besser wohl, er wäre gefallen in der Schlacht, wäre neben den Feinden liegengeblieben, die er mit seinem Schwert besiegt hatte!
Jetzt sehnte sich der Alte nach der schimmernden Barke des Ra....
Seine Augen schweiften hinüber zu den rauschenden Wellen des angeschwollenen Flusses. Da kam ihm die Erinnerung an seine Anhänger, an Ata und dessen Freunde. Würden sie ihn noch in der Rhodopis-Pyramide erwarten? Durch den Schmerz um den verlorenen Sohn waren die Gedanken an diese Getreuen völlig verdrängt worden. Harrten sie nicht noch immer seines Winkes? Nein, er mußte am Leben bleiben, er mußte dem Bruder entgegentreten, wenn dieser den Kampf wollte. Er würde noch Kraft genug haben, dem Usurpator die Uräusschlange zu entreißen!
Unis erhob sich mit neuem Mut und ging am Nil entlang bis zum nördlichen Stadtteil, wo sich die Pyramide befand, in der die schöne Fürstin in ihrem blauen Marmorsarkophag schlief.
Obwohl der Greis ziemlich schnell lief, erreichte er den Treffpunkt der Seinen erst gegen Sonnenuntergang. Da stand nun die Pyramide vor ihm, von den letzten Strahlen der untergehenden Sonne rötlich beschienen. Die Gegend war wie ausgestorben. Niemand war zu bemerken außer zwei kleinen Schakalen mit braunem Fell, die friedlich unter Palmenblättern nebeneinander schlummerten.
Unis wunderte sich über die Ruhe ringsum.
Eine unheimliche Ahnung beschlich ihn.
Plötzlich bemerkte er Blutspuren am Boden. Er verfolgte sie. Es wurden mehr und mehr.
Dann sah er Wurfspieße an der Pyramide – es mußte ein Kampf stattgefunden haben!
Sollte es ein Zeichen sein, daß die Verschwörer gefangengenommen wurden ...?
Diese furchtbare Erkenntnis traf ihn wie ein Blitzschlag. Er tastete mit den Händen ins Leere, fand keinen Halt und fiel bewußtlos zu Boden.
Viele Stunden waren vergangen. Die Nacht war vorüber, und schon stand das Tagesgestirn im höchsten Punkt seiner Bahn.
Eine wohlbekannte Stimme traf sein Ohr: »Unis!«
»Wer ist es – du, Nefer?« »Ich bin es! Dieser brave Soldat, der mich begleitete, hat dich hier ohnmächtig gefunden.«
Unis strich sich mit der Hand über die Stirn, um seine Gedanken zu sammeln. »Was ist geschehen? Mir ist, als ob ein böser Geist mich beim Schopf gefaßt und zu Boden gerissen hätte.«
»Wie fühlst du dich jetzt?«
»Besser. Aber wo kommst du her? Warst du denn nicht mit Mirinri gegangen? Sag, wo ist er?«
Sie schüttelte traurig den Kopf. »Er ist in Pepis Händen.«
»Unglückseliger, dann ist er verloren!«
»Das fürchte ich auch.«
Diese Worte rissen Unis aus seiner Lähmung. Er erhob sich. »Erzähle, was vorgefallen ist!«
In kurzen Worten berichtete Nefer von der Verhaftung und der Gefangenschaft im unterirdischen Verlies des Königspalastes, auch von ihrer Befreiung und dem Versprechen der Prinzessin, Mirinri zu beschützen.
»Ich habe kein Vertrauen zu ihrer Macht«, sagte der Alte düster. »Er wird nicht mehr lebend aus dem Verlies herauskommen. Ich kenne Pepi zu gut. Mein armer Sohn!«
Sie schwiegen beide.
Nach einer Weile fragte er weiter: »Warst du denn sicher, mich bei der Pyramide zu finden?«
»Ich hoffte es. Sobald ich frei war, ließ ich mich von diesem Veteranen hier herführen.«
Sie verabschiedete nun den Soldaten, der wie gebannt in Unis' Gesicht starrte.
Als sie allein waren, ergriff Unis von neuem das Wort. »Weißt du, ob Tetis alte Freunde verhaftet worden sind? Man muß sie hier in der Pyramide überrascht haben. Vielleicht lebt keiner mehr von ihnen... Dahin ist Mirinris stolzer Traum und meine Rache! Was bleibt uns noch?«
Er senkte das Haupt. »Komm, Kind«, sagte er dann. »In der Wüste, unter den Palmen ist Ruhe und Frieden. Zum zweiten Mal gehe ich freiwillig in die Verbannung, obwohl ich Herrscher sein könnte.«
»Wer bist du?« fragte sie aufhorchend. »Bist du mehr als Mirinris Erzieher?«
»Man nannte mich einst den Königstiger. Komm mit, laß uns reinere Luft atmen, laß uns dem Murmeln des Wassers lauschen! ... Er ist tot, Osiris hat die Sonnensöhne verlassen. Komm mit, Nefer, in die Wüste! Du sollst meine Tochter sein!« Und so nahmen sie beide, Hand in Hand, schweigend den Weg zum Nil.
Dort sahen sie eine Barke, die sie gerade heranrufen wollten, als plötzlich hinter der Düne mehrere Wachen des Königs hervortraten und sie mit erhobenen Schwertern umringten.
Der Greis stieß mit unerwarteter Schnelligkeit einen der Wächter zurück und entwand ihm die Waffe. Den zweiten Wächter stieß er nieder, und auch der dritte wurde zu Boden geworfen. »So leicht überwindet ihr den Chaldäerbesieger nicht!« rief er wutentbrannt.
Es war, als ob die Kraft der Jugend wieder über ihn gekommen wäre. Schon glaubten beide, frei zu sein, als von der andern Seite eiligst ein Trupp Soldaten mit Kriegbeilen nahte.
Nun warf Unis die Waffe fort. Er trat dem Führer entgegen und fragte: »Was wollt ihr von mir?«
»Ich soll dich zum König führen.«
Schweratmend wandte sich der Alte zu Nefer um: »Selbst die Wüste ist uns versperrt!« Dann richtete er sich wieder an den Führer des Trupps. »Gut, ich gehe mit euch. Aber was wollt ihr von diesem Mädchen?«
»Ich habe nur Befehl, dich zu verhaften. Was kümmert uns eine Vagabundin!«
»Schurke, was hast du gesagt?« fuhr Unis auf. »Es ist eine Tochter der Sonne! Knie nieder, wenn dir dein Leben lieb ist!«
Die Wachen sahen sich bestürzt an. Dieser Greis, der mit der Autorität eines Königs befahl, verwirrte sie.
»Wer ist sie wirklich?« fragte der andere.
»Es ist eine Pharaonin, und damit genug! Siehst du den Uräus auf der Schulter derer, die du beleidigt hast?«
Als der Soldat die Tätowierung unter dem Schleier des Mädchens erblickte, fiel er erschrocken auf die Knie.
»Vorwärts, zum König!« rief Unis. »So will ich denn mit ihm sprechen.«
»Ich gehe mit«, sagte Nefer entschlossen.
»Komm, Kind, im Hundertsäulenpalast werden wir die letzte Schlacht schlagen. Vielleicht ist sie noch nicht ganz verloren. Wenn ich ihm seine Missetat ins Gesicht schleudere, packe ich vielleicht seine Seele....«
Die Wächter wagten nicht einmal, ihrem Gefangenen die Hände zu binden; Unis ging frei zwischen ihnen zum Palast. Nefer folgte ihm schweigend, den Kopf gesenkt. Auf ihrer Stirn lag der Schatten einer düsteren Ahnung.
Als Unis vor dem gewaltigen Bauwerk stand, schien es, als ob er aus einem langen, langen Traum erwachte. »Seit achtzehn Jahren sah ich ihn nicht wieder, meinen Palast!« murmelte er. Seufzend schaute er zu den hohen, bollwerkartigen Mauern empor, zu den großen Toren, den goldschimmernden Säulen, und trat endlich in die Vorhalle ein.
»Wo ist der König?« fragte er gebieterisch die dort wachhabenden Bogenschützen.
»Morgen wirst du ihn sehen«, antwortete man ihm. Danach folgte der Greis den Soldaten durch eine Tür, die in ein unterirdisches Verlies führte.
»Berichte der Prinzessin Nitokris, daß eine Sonnentochter sie zu sprechen wünscht«, befahl Nefer währenddessen einem der Palastwächter.
Man führte sie in einen Saal. Erschöpft ließ sie sich dort nieder, bedeckte das Gesicht mit den Händen und ließ den lange zurückgehaltenen Tränen freien Lauf.
So überhörte sie auch den leichten Schritt, der sich ihr näherte. Die Königstochter stand vor ihr.
»Bist du die Fürstin der Schatteninsel?« fragte sie.
»Ich bin Nefer.«
»Du wurdest Sahur genannt, als wir noch Kinder waren, bis man uns trennte! ... Ich finde dich in Tränen. Warum? Was hast du für ein Anliegen?«
»Du bist mächtig, Prinzessin, beschütze Mirinri vor dem Zorn deines Vaters! Steh ihm bei!«
»Du liebst ihn?«
»Ja.«
»Und er? Liebt er dich?« fragte die Prinzessin schnell.
Nefer schüttelte traurig den Kopf. »Er träumt nur von der Jungfrau, die er im Nil gerettet hat. Für Nefer gibt es kein Glück.«
Da erfaßte die Königstochter tiefes Mitleid mit der Gefährtin. »Arme Sahur.... Wir sind zwei Pharaonentöchter, schließen wir von neuem Freundschaft! Vereinen wir unsere Kräfte, um Mirinri zu retten!«
»Wer weiß, ob ihn nicht schon das Schicksal derer ereilt hat, die ihm helfen wollten, den Thron wiederzugewinnen? Ich sah ihr Blut im Sand vor der Rhodopis-Pyramide.«
»Wehe, wenn die bösen Ratgeber meines Vaters gesiegt hätten!« rief Nitokris verzweifelt. »Ich suche ihn sofort auf!«
Und damit war sie zum Festsaal geeilt, wo der Herrscher sich im Gespräch mit dem Oberpriester befand.