Emilio Salgari
Pharaonentöchter
Emilio Salgari

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Nefers Zauberformeln

Inzwischen hatte man den großen, als Anker dienenden Stein versenkt, und die Segel waren gestrichen worden. Mirinri, Unis und Ata hatten sich auf das Achterdeck begeben und schauten aufmerksam auf die vier großen Schiffe, um sich zu vergewissern, welche Richtung sie einschlugen.

Da sahen sie, daß sich die Fahrzeuge langsam dem gegenüberliegenden Ufer näherten und dort Anker warfen. Es schien, als ob die Mannschaft die Nacht dort zubringen wollte.

»Sie behalten uns im Auge«, bemerkte Ata unruhig. »An diese Insel wagen sie sich wohl nicht heran, aber ob sie uns fortlassen werden, ist die Frage. Freilich, uns können auch die Geister der nubischen Könige hier gefährlich werden. Selbst wenn du uns zu beruhigen suchst, Nefer – ich fürchte beinahe mehr die Toten als die Lebenden!«

»Fürchte nichts«, wiederholte Nefer. »Ich werde ihre Seelen schon beschwichtigen und in das Tempelgewölbe zurückbannen. Daß ich es kann, werde ich bald beweisen. Laß eine Brücke schlagen! Ich gehe zuerst allein in den Wald.«

»Allein in den Wald?« rief Mirinri. »Hast du denn keine Angst?«

»Wovor?«

»Es könnten wilde Tiere auf der Insel sein!« »Nicht daß ich wüßte.«

»Hast du die Krokodile vergessen?«

»Die Ufer sind dort so steil, daß sie nicht hinaufkönnen.«

»Ich werde dich begleiten! Mein scharfer Dolch soll dich beschützen!«

»Dann wäre der Zauber wirkungslos. Niemand darf dem Ritus beiwohnen, den ich unter den Bäumen abhalte.«

»Welch ein Ritus?«

»Das kann ich dir nicht sagen, Herr! Wir haben bestimmte Zeremonien, die wir keinem enthüllen dürfen. Laß mich gehen, und fürchte nichts für mich!«

Mirinri schwieg.

»Und wenn ich mich verspäte, so sei nicht besorgt«, fuhr das Mädchen fort. »Dann hat die in den Wald gerufene Zauberformel nicht genügt, und ich muß sie vor dem Tempel wiederholen.«

»Ich begleite dich wenigstens bis ans Ufer«, sagte Mirinri.

»Es sei; doch darfst du die erste Baumlinie nicht überschreiten.«

Während Unis und Ata weiter die vier Barken beobachteten, um gegen eine böse Überraschung gewappnet zu sein, schritten die beiden ein Stück Wegs zusammen, bis sie vor einer grünen, fast undurchdringlichen Pflanzenmauer stehenblieben.

»Hier geht der Weg ab«, sagte Nefer und zeigte auf eine freie Stelle zwischen Fächer- und Dumpalmen, die mit Schmarotzerpflanzen wie mit Riesengirlanden verbunden waren. Sie machte Mirinri ein Zeichen, keinen Schritt weiterzugehen.

Jetzt befand sie sich in sichtlicher Aufregung. Sie atmete schwer, und ihre Glieder zitterten.

»Was ist dir?« fragte Mirinri, der es bemerkt hatte, von neuem.

»Nichts, Herr«, erwiderte sie mit gepreßter Stimme.

»Du zitterst...«

»Vielleicht durch die Feuchtigkeit der Nacht.«

»Aber auch deine Stimme bebt! Hast du doch Furcht? Warte wenigstens den Sonnenaufgang ab, ehe du die Zauberformel sprichst.«

»Das muß in der Finsternis geschehen! Die Geister erscheinen nur bei Nacht.«

»Glaubst du denn wirklich, daß es Geister sind? Sieh, wenn es nun lebende Wesen wären ...«

»Nein, Herr, es sind Schatten. Wenn du hierbleibst, wirst du die Beschwörung hören können, die ich in den Wald rufe.«

Ihre Stimme war wieder fester geworden. »Leb wohl«, fuhr sie fort, »mögen Isis, Osiris und Hathor dich beschützen und Apap, die Schlange des bösen Geistes, von dir fernhalten!«

Damit verschwand Nefer hinter der grünen Mauer.

Sie schritt schnell vorwärts, so als hätte sie schon öfters den dichten Wald der Nilinsel durchquert. Nicht einmal wandte sie sich nach Mirinri um, um zu sehen, ob er ihr folgte. Ihre Seele war unruhig. Verzweiflung und Zorn hatten sich ihrer bemächtigt. Abgerissene Laute kamen von ihren Lippen.

Man wollte sie zu einer verruchten Handlung verleiten ... Sie sollte dem Sonnensohn den glorreichen Weg abschneiden, ihn verführen ... Und folgte sie nicht, so erwartete sie der Tod. Doch sie liebte den Jüngling mit ganzer Seele!

Sie blieb stehen. Unter den großen Palmenblättern herrschte tiefe Finsternis. Nur hin und wieder blitzte ein Stern durch die dichten Wipfel. Vollkommene Stille umgab das Mädchen, kein Windhauch regte sich. Nur in der Ferne rauschte der durch die Flut mächtig angeschwollene Nil.

Suchend blickte sie umher. Dann erhob sie ihre Stimme, so daß sie von dem zurückgebliebenen Mirinri noch vernommen werden konnte.

»O du, Ammon, der du Herr der Berge bist und die Macht hast, Seelen zu erschaffen, König aller Götter, höre das Wort eines Mädchens aus göttlichem Geschlecht! Denn auch ich bin eine Tochter des Sonnengottes Ra, der jeden Morgen am östlichen Himmel erscheint und den die schwarze Göttin Nut mit ihren Flügeln beschattet. Du bist mächtig, denn deine Zunge berührt Himmel und Erde und alle Dinge! Du bist groß, denn du bist der Gott, der in der unteren Sphäre herrscht, du bist im Himmel, auf Erden, in den Pflanzen, in den Wassern des Nils zu finden, und dein Licht ist gleich dem, der heute Osiris und morgen Ra ist und der alles vermag!

Ich will, daß du den um diese Insel schwebenden Geistern ihren Mund wiedergibst, um zu sprechen, ihre Füße, um zu gehen, ihre Arme, um die Feinde zu vernichten, wie in dem uns von Osiris gegebenen Totenbuch geschrieben steht, damit sie schreiten und zum Boot des Sonnengottes gelangen können.

Nefer hat gesprochen! Sie ist eine Zauberin und eine Sonnentochter, von Nut beschützt. Sammle die irrenden Geister und rufe sie zu den göttlichen Gefilden! Ich harre ...«

Kaum hatte sie diese Worte beendet, als sich unter dem riesigen Blättergewölbe ein minutenlanger, ohrenbetäubender Lärm erhob, der von einer in rasendem Tempo geschlagenen Trommel herzurühren schien. Dann näherte sich schweigend ein Schatten.

Nefer schauderte.

»Komm«, sagte eine tiefe Stimme. »Du wirst im Tempel erwartet!«

»Ich folge dir«, antwortete seufzend das Mädchen.

Der andere schritt voraus und öffnete einen Durchgang durch die tiefgewachsenen Zweige. Nach wenigen Minuten machten beide vor einem hohen, viereckigen Bauwerk halt, vor dem sich zwei Obelisken, die kleiner waren als der am Ufer stehende, und eine Doppelreihe mächtiger Sphinxe erhob.

»Tritt ein, Tochter der Sonne!« rief der Führer.

Nefer schritt durch die Tür, die unten breit und oben schmal war, und befand sich jetzt in einem ungeheuren Saal, dessen Decke von Säulen getragen wurde. Die herabhängende kleine Lampe erhellte den weiten Raum nur spärlich.

»Bist du es, Nefer?« fragte eine harte Stimme.

»Ich bin es, Herr«, erwiderte das Mädchen.

Ein Greis von hoher Gestalt trat hinter den Säulen hervor. Seine schwarzen Augen blitzten, seine Züge waren starr. Er trug ein weites Priestergewand aus weißem Linnen.

Bei seinem Anblick war Nefer erblaßt.

»Ich sah das Schiff landen«, sagte der Alte. »Du bist ein tapferes Mädchen. König Pepi hätte keine bessere wählen können! ...

Ist er's? Ist er wirklich Tetis Sohn?«

»Ja«, antwortete das Mädchen gesenkten Hauptes.

»So haben wir uns also nicht getäuscht! Und – liebt er dich?«

»Bis jetzt noch nicht.«

Der Greis runzelte die Stirn. »Dann hast du nicht alle Verführungskünste angewandt. Wer könnte dir, dem schönsten Mädchen Unterägyptens, deinen wunderbaren Augen, deinem göttlichen Wuchs widerstehen?«

»Und doch liebt er mich nicht, Hoherpriester.«

»Er muß dich lieben! So will es König Pepi!«

»Er denkt an eine andere.«

»Gott Apis möge mich auf der Stelle töten!« schrie der Alte. »Die andere wird ihn niemals lieben! Er ist ein schlimmer Feind, der ihrem Vater den Thron rauben will!«

»Die Liebe ist oft mehr wert als ein Thron.«

Der Priester wollte auffahren; er bezähmte sich aber und sagte mit veränderter Stimme: »Alles ist bereit. Du wirst deine Aufgabe erfüllen, ihn in deinen Armen einschläfern und verhindern, daß er nach Memphis kommt! Tänze, berauschende Weine, Wohlgerüche und Liebkosungen – alles das wird seine ehrgeizigen Träume in den Hintergrund drängen.«

»Und wenn du dich täuschtest, Hoherpriester?« fragte sie spöttisch.

»Alles hängt von dir ab! Willst du den Glanz des Hofes wiedersehen, so mußt du diesem jungen Adler die Flügel stutzen. Der Jüngling kennt doch nur den Wüstensand, er wird von dem Reichtum dieser festlichen Räume hier überrascht werden, und in diesem Rausch wirst du leichtes Spiel haben.«

Das Mädchen schüttelte den Kopf und sagte traurig: »Das Herz des jungen Sonnensohnes wird nie für Nefer schlagen!«

Der Priester Her-Hor blickte die vor ihm Stehende an und ergriff sie hart bei der Hand. Plötzlich aber kam ihm ein Gedanke, und eine wilde Freude leuchtete aus seinen Augen und erhellte sein eingefallenes Gesicht.

»Du liebst ihn!« rief er.

Nefer schwieg.

»Also stimmt es!«

Der Alte mußte sich sammeln, um seine Ruhe wiederzuerlangen. Dann fuhr er fort: »Wer begleitet ihn?«

»Ein Greis namens Unis, anscheinend auch ein Priester.«

»Ah, er!«

»Kennst du ihn?«

»Ich vermute.«

»Wer ist es?«

Der Hohepriester zögerte mit der Antwort. »Ein treuer Freund des jungen Mirinri«, sprach er nach einer Weile. »Habt ihr das Katzenschiff getroffen?«

»Ja, drei Tagereisen von hier, ehe der Nil anschwoll.«

»Hat man deinen Erzählungen Glauben geschenkt und keinen Verdacht gehabt?«

»Es schien mir nicht. Aber sie haben das Zeichen an meiner Schulter entdeckt. Sag mir endlich, wer mein Vater war!«

»Noch ist der Augenblick dazu nicht gekommen.«

»Lebt er, oder ist er tot?«

»Vielleicht schläft er schon in einer Pyramide, denn er war ein großer Fürst; vielleicht auch nicht. König Pepi allein weiß es.«

»Bist du sicher, daß Pharaonenblut in meinen Adern rollt? Und daß die Tätowierung nicht zu Unrecht geschah?«

»Sie erfolgte im Königspalast zu Memphis.«

»Dann darf mich also Mirinri lieben, da ich eine Pharaonin bin?«

»Er darf dich lieben!« Der Priester lächelte diabolisch.

»O gib mir einen Liebestrank für ihn, damit sein Herz für mich erglüht! ... Du willst nicht? Gut!«

Nefer näherte sich dem Alten und raunte ihm ins Ohr: »Dann gib der Pharaonentochter einen Trank, der – sie für ewig schlafen läßt. Ist sie nicht mehr, dann wird mir Mirinri verfallen sein.«

»Unselige, du weißt nicht, was du sprichst! Des Königs Tochter!«

Er schüttelte sie von sich ab.

Nefer zuckte zusammen. Sie berührte die Stirn mit der Hand, als ob sie wieder zu sich käme. Ein anderer Geist hatte aus ihr gesprochen.

»Du hast recht«, sagte sie langsam. »Morgen bei Tagesanbruch führe ich ihn hierher.«

»Doch ohne seinen Begleiter!« befahl der Hohepriester.

»Der wird seinen Zögling nicht verlassen.«

Der Greis stieß eine Verwünschung gegen Unis aus.

»Was hat er dir getan?« fragte das Mädchen.

Der andere antwortete nicht. Er trat auf Nefer zu und sprach drohend: »Denk daran, daß dich meine Augen immer verfolgen! Der Jüngling darf nie nach Memphis gelangen, oder er stirbt, sobald er den Fuß in die Hauptstadt setzt. Sein Vater hat regiert, er selbst wird nie regieren! Geh. Alles ist bereit, ihn zu empfangen.«

Als Nefer noch etwas erwidern wollte, schnitt er ihr das Wort ab. »Entweder du gewinnst ihn hier für dich, oder keiner von euch wird lebend diese Insel verlassen.«


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