Emilio Salgari
Pharaonentöchter
Emilio Salgari

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Die Gräber der Quebhudynastie

»Dein Vater, der große Teti, war der Stammvater der 7. Dynastie. Nicht nur MemphisMemphis Memphis, die Hauptstadt der ersten Pharaonendynastien, erhob sich am linken Nilufer. Sie hatte rasch einen großen Aufschwung erlebt. Ihr größter Ruhm waren die gewaltigen Arbeiten am Nil, durch die die Überschwemmung der Stadt mit Hochwasser verhindert wurde. Die Stadt nahm eine ungeheure Fläche ein, da sie Hunderttausende von Einwohnern beherbergte. Sie dehnte sich mit ihren letzten Häusern bis in die libysche Wüste aus, deren Sand später viel zu ihrer Zerstörung beitrug. Memphis war nicht nur die an Monumenten reichste, an Festungen gewaltigste, sondern auch die am stärksten bevölkerte Stadt der ganzen antiken Welt. Von all den Riesenbauten sind aber nur noch einige Pyramiden geblieben. Außer der Nekropolis, der ältesten der Welt und zugleich größten, ist nichts mehr übrig. verdankt ihm seine Macht und Größe. Von ihm stammen die wunderbaren Pyramiden, welche nach Jahrtausenden noch stehen werden, nachdem unser Volk längst dahingegangen ist.

Außer einem Sohn besaß er noch eine Tochter, die den Namen Sahur erhielt.«

»Lebt meine Schwester noch?« fragte Mirinri erregt dazwischen.

»Das wirst du später erfahren. Höre zu! Eines Tages kam die Nachricht, daß ein großes chaldäisches Heer sich nahte, um in Ägypten einzudringen. Es hatte schon den Isthmus überschritten, der das Mittelmeer vom Roten Meer trennt, und war ungeheuer stark. Die ihm entgegengeschickten Truppen wurden besiegt, alle Küstenstädte in Flammen gesetzt und alle Einwohner vernichtet. Der Pharaonen letzte Stunde schien geschlagen zu haben. Aber dein Vater war ein Held. Er entstammte der Kriegerkaste. An der Spitze eines eiligst gesammelten neuen Heeres zog er dem Feind entgegen, der bereits gegen Memphis vorrückte. Er mißachtete die Ratschläge seiner Minister und Höflinge, sich nicht selber der Gefahr auszusetzen. Bei On, wo der Nil sich zu verzweigen beginnt, stieß die PhalanxPhalanx Bezeichnung für eine taktische Form der kriegerischen Auseinandersetzung im Fußkampf: der Aufmarsch in eng geschlossener, in mehrere Reihen gestaffelter Formation. der Ägypter mit den Chaldäern zusammen. Der König kämpfte in den ersten Reihen, um den anderen ein Beispiel zu geben. Unerschrocken trotzte er den feindlichen Waffen und durchbrach die Front des Gegners. Trotzdem aber schwankte der Sieg. Vom Morgengrauen bis zur Dämmerung dauerte das Gemetzel mit großen Verlusten auf beiden Seiten. Der Nil war rotgefärbt von Blut, die ganze Erde blutgetränkt. Berge von Leichen erhoben sich ringsum.

Nil Der Nil hatte den Ruf eines göttlichen Flusses. Die alten Ägypter glaubten, er komme direkt vom Himmel. So unrecht hatten sie mit seiner Verehrung nicht, da ihr Land ohne ihn nie bestanden hätte.
Die Gewässer des Nils sind die eigentlichen Eroberer Ägyptens gewesen. Das Land besteht nur aus einer kaum 200 Meilen langen Oase. Ihre Breite erreicht an gewissen Stellen gerade eine Meile und am unteren Nillauf zwanzig Meilen. Nur das Delta macht eine Ausnahme. Dieses große Sumpfdreieck ist von außergewöhnlicher Fruchtbarkeit. Wohin aber die Fluten des Nils nicht dringen, ist alles Wüste. Die Fruchtbarkeit des Landes verdankt man nur den periodischen Überschwemmungen der mächtigen Wasserader.
Diese Überschwemmungen sind natürlich nicht immer gleich. Manchmal genügen sie nicht für die Bodenkultur, manchmal sind sie zu heftig und bedrohen die Umgebung mit Katastrophen. Es ist der Menschenhand aber gelungen, sich sowohl vor der einen wie vor der anderen Gefahr zu schützen. Die Pharaonen waren die ersten, die großartige Werke zu diesem Zweck ausführen ließen. Dämme wurde errichtet, Kanäle gegraben, um das Wasser in alle Provinzen gleichmäßig zu leiten, und große Reservoire gebaut, um es aufzuhalten bei zu reichlicher Flut. Für das höher gelegene Terrain wandte man Bewässerungssysteme an. Mit diesen Werken verhüteten die ägyptischen Könige die Versandung ihres Landes und bereiteten nachkommenden Geschlechtern einen Boden, der sie ernährte.

Erst als die Sonne sank, waren die Chaldäer in die Flucht geschlagen. Ägypten war gerettet, dank deinem Vater. Doch hatte jener Triumph dem Sieger Unheil gebracht.«

»Fiel er im Kampf?« fragte Mirinri atemlos.

»Von einem chaldäischen Pfeil verwundet, der ihn in die Brust traf, war er auf dem Schlachtfeld liegen geblieben. In dieser schrecklichen Verwirrung hatte ihn niemand bei den Toten gesucht. Nur einer wußte von seinem Verbleib ...«

»Sein Name?«

»Es war sein Bruder, jener ehrgeizige Pepi, der jetzt über Ägypten herrscht!«

»Der meinem Vater den Thron geraubt hat?«

»Derselbe. Aber laß mich zu Ende erzählen: Pepi verkündigte dem Volk den Tod des Königs. Dein Vater war jedoch nicht tödlich verwundet. Er hatte noch soviel Kraft gehabt, sich den Pfeil aus der Brust zu reißen, hatte aber die Wunde damit vergrößert. Durch den furchtbaren Schmerz war ihm das Bewußtsein geschwunden. Als er wieder zu sich kam, befand er sich in einem Zelt unter schwarzen Hirten, weitab vom Schlachtfeld. Diese hatten sich in der Nacht zum Kampfplatz geschlichen, um die Leichname zu berauben. Als sie die reichen Gewänder deines Vaters sahen, ahnten sie, daß er eine hohe Persönlichkeit war. Sie schleppten ihn mit in ihr Lager, in der Hoffnung auf ein großes Lösegeld.

Dein Vater wurde mit Sorgfalt gepflegt. Die Wunde schloß sich, und er genas langsam. Du kannst dir das Erstaunen der Leute vorstellen, als sie aus seinem Mund hörten, daß er der König Teti sei! Auf seinen Befehl begab sich einer der Männer nach Memphis, um den Ministern zu verkünden, daß der Herrscher Ägyptens noch lebe und erwarte, mit der einem Pharao gebührenden Feierlichkeit geholt zu werden. Der Hirte, der diesen Auftrag erhielt, kehrte jedoch nicht mehr zurück. Da dein Vater befürchtete, daß er auf dem weiten Weg von einer Räuberbande angefallen worden wäre, schickte er einen zweiten Boten, dann einen dritten, doch auch diese beiden sah man nicht mehr.

Voller Unruhe beschloß König Teti nun, obwohl er noch immer sehr schwach war, mit einer kleinen Hirteneskorte sich selbst nach Memphis zu begeben. In der Hauptstadt erfuhr er sofort, daß sein Bruder die Macht an sich gerissen hatte. In dem Glauben, daß der vorige Herrscher tot sei, hatte ihn auch das Volk zum König ausgerufen. Fast alle Freunde deines Vaters und die nächsten Verwandten waren von dem Usurpator heimlich ermordet worden. Und du, mein Sohn, würdest dasselbe Schicksal erfahren haben, wenn den UsurpatorUsurpator Jemand, der widerrechtlich Staatsgewalt an sich reißt. nicht die Furcht vor einer Volksrebellion zurückgehalten hätte. Damals zähltest du erst zwei Jahre!«

»Weiter, weiter!« drängte Mirinri ungestüm. Er konnte sich vor Erregung kaum noch beherrschen.

»Was sollte Teti tun? Allein, ohne Heeresmacht, mit noch schwachem, gebrochenem Körper? Er versuchte in Zusammenkünften, die er heimlich einberufen ließ, die neuen Minister zu überzeugen, aber diese Elenden... Teils glaubten sie ihm nicht, teils fürchteten sie sich wohl vor dem neuen, strengen Herrscher. Darum nannten sie Teti einen Lügner, der mit dem Verstorbenen nur eine entfernte Ähnlichkeit hätte. Um ihn des Betruges zu überführen, brachten sie ihn zu der von ihm selber errichteten Pyramide und zeigten ihm dort den Sarkophag,Sarkophag ein prunkvoller (Stein)-Sarg. wo angeblich die Leiche Tetis I. ruhte.«

»Wen hatte man statt seiner beigesetzt?«

»Irgend jemanden, der ihm ähnelte oder den man unkenntlich gemacht hatte. Er war mit dem Herrschergewand und mit dem Herrschersymbol bekleidet.«

»Aber erzähle mir, wie es kommt, daß ich mich seit Jahren hier in der Höhle befinde?«

»Da dein Vater befürchtete, daß Pepi dich eines Tages doch noch ebenfalls ermorden würde, ließ er dich von einigen wenigen Getreuen, die ihm geblieben und die der Usurpator verschont hatte, entführen. Diese vertrauten dich mir an und beauftragten mich mit deiner Erziehung.

Ich floh mit dir des Nachts aus Memphis, schiffte über den Nil und nahm hier Aufenthalt, wo ich in Ruhe die Zeit abwarten konnte, bis du das Alter erreichtest, welches dir nach unseren Gesetzen erlaubt, das Heft der Regierung in die Hand zu nehmen!«

Beide schwiegen. Mirinri war in tiefes Sinnen versunken. Unis beobachtete ihn, als ob er seine innersten Gedanken erraten wollte.

Plötzlich erhob sich der Jüngling. »Sage, Unis, ist mein Vater tot? Gestehe es mir!«

»Gestorben im Exil, in der Libyschen Wüste, wohin er sich geflüchtet hatte, um nicht in die Hände der von Pepi gedungenen Meuchelmörder zu fallen. Der König hatte das Todesurteil über den ›Betrüger‹ ausgesprochen.«

»Und was soll nun mit mir geschehen? Was hast du für Absichten?«

»Du sollst ihn rächen und den dir gebührenden Thron zurückerobern!«

»Allein, ohne Mittel, ohne Heer?«

»Nicht allein«, antwortete der Priester. »Freunde deines Vaters erwarten dich in Memphis, um dich als König zu begrüßen. Und was die Mittel angeht: Komm!«

»Wohin?«

»Zu den Gräbern der Quebhu, der letzten Pharaonen aus der ersten Dynastie, deren Totenstätte dein Vater in den ersten Jahren seiner Regierung entdeckt hatte. Aber keinem außer mir hat er das Geheimnis des darin versteckten Schatzes anvertraut. Dort wirst du Reichtümer finden, die genügen werden, Ägypten zu erobern.«

»Wo liegen diese Gräber?«

»Hierselbst. Folge mir!«

Der Alte nahm eine Terrakottalampe und wandte sich dem Innern der Höhle zu, wo sich eine riesige Sphinx aus rosaschimmerndem Marmor erhob.

»Hier ist der geheime Zugang«, sagte Unis. Seine Hand glitt über den Rücken der Statue und berührte eine unsichtbare Mechanik. Sofort sank das Haupt der Sphinx nach hinten und ließ eine Öffnung frei. Modergeruch stieg empor. »Warum hast du mir nie von diesem Höhleneingang gesprochen?«

»Weil ich es deinem Vater feierlich versprochen hatte, dir vor Vollendung deines neunzehnten Jahres nichts zu enthüllen! Komm nur, hier droht uns keine Gefahr. Du wirst erstaunliche Dinge sehen.«

Nachdem sie auf allen vieren durch die Öffnung gelangt waren, befanden sie sich in einem gewölbten Gang, der zu beiden Seiten von einer Unzahl bronzener und steinerner Statuetten flankiert war. Diese stellten Katzen in verschiedenen Stellungen dar. Auch einbalsamierte standen aneinandergereiht auf einem Gesims.Katzen Die alten Ägypter hielten diese für sie heiligen Tiere in hohen Ehren. Man legte den Toten diese Tiere sogar mit ins Grab. So findet man sie vielfach in den Pyramiden. Es gab auch eigene Friedhöfe für Katzen. Ein solcher Friedhof wurde bei Beni-Hassan in den Felsenhöhlen (Mittelägypten) entdeckt. Er enthielt 180+000 Katzenmumien, die unter den Herrschern der 18. Dynastie beigesetzt wurden.

Indem Unis die kleine Lampe mit der Hand vor dem eindringenden Luftzug schützte, bog er in einen riesigen Saal ein, dessen Tiefe nicht zu erkennen war. An den Wänden standen roh behauene Kolossalstatuen, männliche und weibliche. Erstere mit großen, bis zu den Schultern herabhängenden Kopfbedeckungen und viereckigen Bärten, letztere mit einem an den Hüften befestigten Rock, der ihre Beine trichterförmig umwickelte. Mirinri, der bisher kaum anderes gesehen hatte als den Nil und Wüstensand, staunte über diese sonderbaren Gestalten, die in steifer Haltung dicht nebeneinander saßen. Unis dagegen beachtete sie nicht, sondern schritt unbeirrt weiter in den Hintergrund des unermeßlichen Raumes, der einst von Tausenden von Arbeitern geschaffen worden war.

Jetzt blieb er vor zwei Figuren stehen, die sich durch einen merkwürdigen Glanz auszeichneten. Eine derselben stellte einen Mann dar, dessen reiches Gewand und auf der Stirn befestigtes Abzeichen auf einen Pharao schließen ließen. Die andere Figur war eine wunderschöne Frau mit schwarzen Augen und gelbgemaltem Gesicht. Das leichte Rot auf den Wangen gab ihr einen weichen, anmutigen Ausdruck. König und Königin waren aber nicht in den Sarg gelegt worden, wie es sonst Brauch war. Man hatte sie nach der Einbalsamierung aufrecht gestellt, indem man sie an einen bronzenen Stab lehnte. Beide waren mit einer dünnen Glasschicht bedeckt. Dieses durchsichtige Glas war von einer solchen Reinheit, daß es bei dem Widerschein der Lampe hell aufblitzte.

»Wer sind diese Mumien?« fragte Mirinri voll Interesse.

»Quebhu, der letzte König der ersten Dynastie, mit seiner Gattin«, antwortete Unis. »Schau her, auf diesem schwarzen Steintäfelchen steht ihr Name. Aber jetzt folge mir weiter.«

Der Saal schien kein Ende zu nehmen. Sie gingen zwischen Steinsarkophagen hindurch, deren Reliefs genau die Formen der in ihrem Innern ruhenden Toten nachahmten. Einige waren vergoldet, andere versilbert. Die Könige trugen einen geflochtenen Bart, der vom Kinn herabhing. Der Kopfschmuck der Königinnen wies gemalte Geierfedern auf. Dicke, mit gelben, grünen und lila Edelsteinen versehene Zöpfe krönten das Haupt.

Nun blieb der Priester vor einer riesigen Sphinx stehen, die einige zwanzig Meter lang und mindestens vier Meter hoch war.

»Hier ist der Schatz des Königs Quebhu versteckt!« erklärte Unis.

Er hob einen schweren, bronzenen Hammer vom Boden auf und schlug damit an einer bestimmten Stelle der Sphinx auf den Kopf. Dieser drehte sich und fiel zurück, so daß eine kreisrunde Öffnung entstand.

»Schau hinein! Siehst du das Gold dort drinnen?« Unis erhob seine Lampe. »Es sollen zwölf Millionen Münzen sein. Und in den Füßen der Sphinx sind Edelsteine verborgen, die weitere Millionen wert sind. Du siehst, daß es genügen würde, ein Heer zu bewaffnen.«

»Woher wußte denn mein Vater, daß dieses Grab einen solchen Schatz birgt?«

»Aus einem alten Papyrus, den er in der Bibliothek der ersten Pharaonen fand.«

»Und keinem hat er dieses Geheimnis anvertraut?«

»Nur mir. Und ich habe es bewahrt, um dir einst den Schatz zu verschaffen. Wir werden jemand beauftragen, einen Teil des Reichtums nach Memphis zu überführen.«

»Wer könnte das sein?«

»Einer der deinem Vater noch immer ergebenen Freunde. Morgen sollen sie benachrichtigt werden, daß die Prophezeiung sich erfüllt hat. Der Komet ist erschienen. Du bist bereit, den Thron deiner Väter zurückzuerobern!«

»Wann werden die Freunde eintreffen?« fragte Mirinri, dessen Aufregung immer noch wuchs.

»Bald – habe Geduld. Sie kommen bei Nacht, wenn du schläfst. Es soll dich noch niemand sehen. Jetzt schwöre, daß du die hohe Aufgabe erfüllen willst, das Land von dem Usurpator zu befreien!«

»Die Beweise, daß ich wirklich ein Pharaonensohn bin, bist du mir noch schuldig geblieben!« rief der Jüngling.

»Gut. Du sollst sie haben. Kehren wir jetzt um; es ist spät, und die Memnonsäule tönt nur bei Sonnenaufgang. Wir müssen uns sofort auf den Weg dorthin machen.«


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