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Als der Oberpriester den Wagen verlassen hatte, näherte er sich, gestützt auf Maneros' Arm, der Pyramide.
»Wo befindet sich der Schlußstein?«
»Auf der siebenundzwanzigsten Stufe«, antwortete Maneros.
»Aber wie ist es möglich, daß die Verschwörer dort Eingang gefunden haben? Ich hörte, daß nach der letzten Beisetzung ein so enormer Stein verwandt worden sei, daß ihn kein menschliches Wesen fortwälzen könnte!«
»Nein, den haben sie auch nicht angetastet«, sprach der Königswächter, der sich gut informiert zu haben schien. »Aber auf der vierzigsten Stufe haben sie sich Eingang verschafft. Dort oben befinden sich sowohl östlich wie westlich zwei Gänge, die in eine der fünf luftigen Kammern über der Zella führen.«
Her-Hor überlegte einen Augenblick. Dann sagte er: »Wieviel Leute brauchst du zu deinem Unternehmen?«
»Die Gänge sind eng. Ich kann höchstens fünfundzwanzig mit hineinnehmen. Draußen auf der Stufe aber müssen fünfzig stehen, die auf meinen Wink warten. Andere müssen die Pyramide am Fuß umgeben, denn möglicherweise besteht noch ein zweiter, mir unbekannter Eingang.«
Ein leiser Pfiff des Oberpriesters rief den nubischen Sklaven herbei. Diesem raunte er einige Worte ins Ohr, und eiligst lief der Nubier wieder davon. Es dauerte nicht lange, bis eine Schar Bogenschützen, mit Bündeln grünen Reisigs versehen, eintraf. »Folgt diesem Mann!« befahl ihnen Her-Hor, auf Maneros weisend.
Während die Bogenschützen, ihrem Führer nachgehend, bis zur vierzigsten Stufe hinaufstiegen, kamen weitere Soldaten, die am Fuß des Monuments blieben.
Oben war in der Tat, wie Maneros berichtet hatte, eine Steintafel von ihrer Stelle gerückt. Mit einem scharfen Instrument hatte man den granitharten Kitt, den nur die alten Ägypter herzustellen verstanden, gelöst.
»Den Eingang hätten wir nun!« sagte der Wächter. Noch schwieriger aber ist es, die Verschwörer zu finden. Wo mögen sie stecken? In den Gängen, in den Höhlen oder in der Krypta?« Das Unternehmen war wirklich nicht leicht, da die Pyramidenbauer gewöhnlich eine Unzahl Gänge ausgehöhlt hatten, um etwaige Grabschänder irrezuführen. Da waren Korridore, die keine Mündung hatten, Höhlen, die keinem Zweck dienten, auf und nieder und immer zu demselben Punkt führende Gänge mit Winkeln und Ecken, viele Meter unter der Erdoberfläche ausgegrabene Zellen, unnütz angelegte Treppen, kurz, ein Labyrinth, das die Krypta, in der die königliche Mumie ruhte, unerreichbar machte.
Nachdem Maneros die abgelöste Granittafel mit Mühe beiseite geschoben hatte, brannte er eins der Holzbündel an und drang mit dieser Fackel in den voraussichtlich zur Mitte führenden Gang ein. Die Soldaten folgten ihm. Eine noch feuchte Strohsandale im Gang zeigte ihnen, daß sie auf der richtigen Spur waren: Die Rebellen mußten hier entlanggegangen sein! Einer hatte sich wohl seines Schuhwerks entledigt, weil die Schnürbänder zerrissen waren.
Der nicht zu steile Serdab führte stetig hinunter. Es war ein eineinhalb Meter hoher Gang; vermutlich mündete er in die mittlere Höhle, von der man den Sarkophag der Königin in die geheimnisvolle Zella hinuntergleiten ließ. Vorsichtig stieg Maneros mit seinen Bogenschützen abwärts. Von Zeit zu Zeit blieben sie stehen, um zu lauschen.
Als sie sich in einer Aushöhlung befanden, von der spiralförmig kleine Treppen weiter nach unten führten, wurde ein Geräusch hörbar.
Es klang wie das Schnarchen eines großen Tieres.
»Das müssen die Verschwörer sein«, murmelte Maneros. »Sie werden ruhig schlafen, ohne zu ahnen, daß man sie überrascht!« »Werft einige Fackeln hinunter«, befahl er seinen Leuten. »Wir wollen sehen, ob der Rauch auf der andern Seite der Pyramide herauskommt. Ich vermute, daß sie auch den Eingang nach Osten aufgebrochen haben, um sich den Rückweg zu sichern.« Während einer der Bogenschützen ein paar brennende Reisigbündel hinunterwarf, liefen mehrere zurück nach oben, um draußen auf der vierzigsten Pyramidenstufe den Erfolg zu beobachten.
Eine dichte Rauchwolke stieg nach einigen Minuten aus dem unten liegenden Schacht empor. Das Holz knisterte in der Tiefe und hinterließ den blutroten Schein langer Feuerzungen. Er war jedoch nur von kurzer Dauer und verschwand sofort.
»Meine Annahme, daß ein Abzug nach Osten besteht, scheint richtig zu sein«, sagte der Königswächter mit teuflischem Lächeln.
Da ertönte ein Gebrüll wie von Hunderten von Kehlen aus der Tiefe, dem ein schrecklicher Tumult folgte. »Feuer, Feuer!« dröhnte es herauf.
Das Geschrei fand ein Echo in der oberen wie in der unteren Schicht der Pyramide. Es lief wie ein Blitz durch sämtliche Gänge.
»Jetzt schleudert alle Fackeln hinunter!«
Auf Maneros' Kommando wurden etwa zwanzig Bündel in den Schacht geworfen.
Der Qualm zwang die Bogenschützen zum Rückzug. »Eilen wir hinauf und schließen wir den Eingang oben fest zu!« befahl der Führer. »Wir müssen die Rebellen am andern Ausgang erwarten. Es wird nicht lange dauern, bis sie kommen, denn in die Krypta können sie sich nicht retten – die ist durch eine unverrückbare Steintafel geschlossen!«
Draußen angelangt, bemerkten sie zu ihrer Zufriedenheit, daß die Pyramide vollständig von Truppen umgeben war, die in einem großen Rechteck Aufstellung genommen hatten.
Maneros eilte sofort die Stufen hinunter, um dem Oberpriester den Erfolg seiner Sendung mitzuteilen. Stolz erfüllte seine Brust, als er an die bevorstehende Amtsbeförderung dachte.
»Sie sind unser!« rief er strahlend. »An der Ostseite des Monuments wirst du ihre Gefangennahme anordnen können, Herr!« Der Oberpriester nickte befriedigt. Er ließ sein Ochsengespann auf die Rückseite der Pyramide führen, wo bereits eine in der Morgendämmerung sichtbare Rauchwolke zum Himmel aufstieg.
»Gut!« sagte er. »Bestelle sofort die Schriftgelehrten und die Henker! Auch laß eine Anzahl von Wagen kommen – wir wollen König Pepi ein Vergnügen bereiten.«
In ganz kurzer Zeit waren vier SkribentenSkribenten »Schreiber«; sie waren wichtige Persönlichkeiten, die am Hof der Pharaonen sehr geachtet wurden. Sie mußten alle bedeutenden Ereignisse registrieren, Totenverzeichnisse und Nachrufe schreiben und über Verurteilungen Buch führen. Sie vertraten auch die Literatur, denn schon zu jener Zeit fehlte es nicht an Schriftstellern. zur Stelle, die bedächtig ihre Papyrusrollen aus dem Gürtel zogen und sich in Positur stellten. Bald gesellten sich zu ihnen zwei nubische Sklaven von athletischer Gestalt. Sie trugen scharf geschliffene, bronzene Schwerter mit breiter Klinge. Es waren die Henker des Königs. Der Oberpriester beobachtete indessen den Rauch, der von der vierzigsten Stufe aus wellenartig aufstieg. Die Züge seines gelblichen, pergamentähnlichen Gesichts waren von einer unheimlichen Freude belebt.
»Haltet die Waffen bereit!« befahl er den unten stehenden Bogenschützen. In diesem Augenblick sah er, wie sich oben aus dem Rauch die kräftige Gestalt eines Mannes abhob, der behende die Stufen hinuntersprang.
»Ergebt euch, oder ihr seid des Todes!« rief ihm Her-Hor mit lauter Stimme zu.
Dem ersten folgten die andern Rebellen nach. Da sie durch den Qualm in der Höhle fast erstickten, blieb ihnen nichts anderes übrig, als so schnell wie möglich den Ausgang zu suchen. Beim Anblick der Soldaten unten am Fuß der Pyramide blieben sie überrascht stehen, und ein Wutschrei entrang sich ihren Kehlen, als Her-Hor seinen Ruf wiederholte.
»Folgt mir!« rief der erste Rebell. Es war Ata. »Besser sterben mit der Waffe in der Hand, als zurückgehen und ersticken!«
Jetzt ergossen sie sich wie ein wildes Heer über die Stufen – etwa sechshundert Mann, alle mit Schwertern, Beilen und langen Dolchen. Obgleich alt, waren sie doch im Waffenhandwerk erfahren, da sie den Feldzug gegen die Chaldäer mitgemacht hatten.
Des Königs Garde aber war doppelt so groß an Zahl. Ein Hagel von Wurfpfeilen traf die Veteranen. Viele stürzten getroffen nieder oder rollten die hohen Stufen hinab.
Mit dem Mut der Verzweiflung eilte Ata immer voraus, gefolgt von seinen Getreuen. Unten angelangt, versuchten sie durch einen heftigen Ansturm, sich Bahn zu brechen. So entflammte ein Gefecht. Unglücklicherweise aber erhielten die königlichen Truppen jetzt Verstärkung. Hunderte von Soldaten kamen auf StreitwagenStreitwagen Da die Ägypter die Kunst zu reiten nicht kannten, bildeten in einer Schlacht Streitwagen den Ersatz für die Kavallerie. Es waren zweirädrige Korbgestelle, die zu beiden Seiten Ständer für Waffen und Köcher für einige hundert Pfeile hatten. Ihr Schmuck bestand in Metallplatten und auffallenden Malereien. Sie wurden von je zwei kräftigen, mit bunten Schabracken bedeckten Pferden gezogen, die große Federbüsche auf dem Kopf trugen. an, die von feurigen Pferden gezogen wurden. Sie warfen sich sofort auf die kämpfenden Verschwörer und übermannten sie.
Her-Hor hatte dem wenige Minuten dauernden Schauspiel, auf seinem Wagen stehend, zugesehen. Nun rief er den Rebellenführer zu sich heran.
Ata, der einer der Tapfersten in dem Gefecht gewesen war, näherte sich in seinem blutbefleckten Gewand dem Oberpriester. Grenzenlose Verachtung lag in seinem Blick. »Willst du mein Leben, so nimm es!« rief er. »Ein anderer wird mich rächen, und zwar schneller, als du glaubst!«
Her-Hor schaute ihn eine Weile aufmerksam an. »Ich kenne dich«, sagte er. »Bist du nicht auf der Schatteninsel gewesen? Sag, wo ist Nefer?«
Ata antwortete nicht.
»Wo ist Unis? Wo Mirinri?« schrie der Oberpriester mit veränderter Stimme.
»Am Nilufer! Laß sie doch suchen – ich sage dir aber, daß der Fluß lang ist und seine Quellen im schimmernden Reich von Ra und Osiris liegen!«
»Den Spott sollst du teuer bezahlen!«
»Laß mich doch töten«, sprach Ata unerschrocken.
»Unis soll mir hergebracht werden! Ich weiß, wer sich hinter diesem Namen verbirgt. Wo hast du ihn zuletzt verlassen?«
»Ich sage dir ja, auf dem Nil!«
»Fürchtest du nicht den Zorn des Königs?«
»Ich erkenne nur Teti als König an.«
»Fort mit ihm!« befahl der Oberpriester zähneknirschend.
»Ich kenne das Schicksal, das mich erwartet«, entgegnete der andere. Und gleichmütig hielt Ata dem mit erhobenem Schwert in der Nähe stehenden Henker seine beiden Hände hin. »Schlag zu – meine Kriegerseele stirbt darum nicht!«
Zweimal blitzte die Klinge, und beide Hände des Unglücklichen fielen zu Boden, ohne daß ihm ein Klagelaut entfuhr.
»Schenke sie dem Usurpator!« rief er danach höhnisch, indem er den rechten Arm erhob und den Oberpriester mit seinem Blut besudelte.
Hierauf folgte ihm der Gehilfe des Henkers und tauchte die wunden Arme schnell in ein Gefäß mit heißem Öl, um die Blutung zu stillen.
»Nun die andern«, befahl Her-Hor.
So defilierten sechshundert treue Männer an ihm vorbei, deren Hände vor seinem Wagen niederfielen.
Bald danach verließen die Streitwagen die Totenstadt. Sie trugen die blutigen Trophäen zum König.