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Vierundzwanzigstes Kapitel.
Der Lichtberg.

Abends leuchtete der Palast des Radscha und die Säle strahlten im Glanze von unzähligen, buntfarbigen Lampen und vergoldeten Altären, auf denen die bei den Indiern so beliebten kostbaren Wohlgerüche brannten. Eine ungeheure Menge Gäste erschienen.

Minister, Favoriten und große Persönlichkeiten liefen goldschimmernd, mit Perlen und Diamanten besät, auf und ab, während Pagen, ebenfalls prunkvoll gekleidet, Eis, Süßigkeiten, Bananen und Ananas, auf blendend weißem Schnee serviert, den man von den höchsten Spitzen der »Ghât« hatte kommen lassen, und Araks herumreichten, die den Magen anregen, ohne in den Kopf zu steigen.

Im großen Empfangssaale, der reich vergoldet und mit Teppichen ausgelegt war, dessen Kolonnaden von Lasur- und Onyxsteinen strotzten, erwarteten Bajaderen mit kostbaren Edelsteinen und schimmerndem Golde behangen, das Erscheinen des Radscha, um mit ihren Tänzen zu beginnen.

Toby, Indri und Bhandara, die bequem auf elastischen Kissen lagen und ihre Füße auf den prächtigen Fellen der beiden ›Menschenfresser‹ hielten, schwatzten ruhig miteinander oder begrüßten die höchsten Würdenträger des Staates, die sich um sie drängten und sie beglückwünschten, sie von den beiden furchtbaren Raubtieren befreit zu haben.

Ihre Ruhe war jedoch nur äußerlich, keineswegs echt. Vielleicht war nur Bhandara, der antike Spitzbube, wirklich ruhig, da er auf seine außerordentliche Gewandtheit vertraute.

Von Zeit zu Zeit wechselten Toby und Indri Blicke und ihre Augen verrieten sofort die innere Besorgnis und die Erregung, die sie beherrschte.

»Hoffen wir,« murmelte Toby.

Als der Radscha erschien, hatten sich die Bajaderen schnell mitten im Saale versammelt und bildeten eine so malerische Gruppe, daß die Gäste in ein »Waw! – – Waw!« der Bewunderung ausbrachen.

Verschiedene Spieler, unter Palmen versteckt, die in den Ecken standen, begannen die Saiten der »Bin« zu schlagen, Instrumente, die aus zwei verschieden großen, trockenen, ausgehöhlten Kürbissen bestehen, die mit einer langen Röhre verbunden sind, auf der Baumwollen- und Stahlsaiten angebracht sind.

Es war eine seltsame, weiche, sanfte Musik, unter der die gewandten und geschmeidigen Körper der Tänzerinnen zitterten, bereit, sich in den Wirbel des Tanzes zu stürzen.

Auf ein Zeichen des Radscha, der vertraulich zwischen Toby und Indri saß, traten drei Mädchen aus der Gruppe der Bajaderen hervor und tanzten auf einem prächtigen persischen Teppich, der mitten im Saale ausgebreitet war, funkelnd von Gold und Silber.

Es waren drei »Ram-Genye«, die besten Tänzerinnen dieser Bajaderen, die einzigen, die den indischen Originaltanz, »Ratsche« genannt, kennen.

Sie trugen wundervolle Kleider aus kostbaren, golddurchwirkten und mit gelb-, rot- und violettblitzenden Diamanten übersäten Stoffen, weite Röcke, die sich unter den schwindelerregenden, schnellen Drehungen aufbauschten und eine völlig runde Form bildeten; weißseidene Beinkleider, die bis zu den Fußgelenken herabgingen, an den Fingern silberne Glöckchen, die bei jeder Bewegung läuteten, über der Brust einen Panzer aus dünnem Holz, mit einer Goldplatte überzogen und mit kostbaren Steinen bedeckt.

Die langen, schwarzen Haare, die mit Blumensträußen und buntfarbigen Bändern verflochten waren, fielen, in malerischer Unordnung, über ihre halbnackten Schultern.

Während die Spieler schneller spielten, hatten die drei »Ram-Genye« ihre Wirbel begonnen und ließen lange, blauseidne Schleier in der Luft wehen und die Armbänder mit ihren Glöckchen läuten, mit denen sie jeden Schritt markierten.

Verlangsamte sich jedoch die Musik, so schienen sie zu träumen und ließen sich von den weichen, sanften Tönen in den Schlaf wiegen.

Langsam drehten sie sich um sich selbst, leichtes Zittern ging durch ihre Körper, die tiefschwarzen Augen waren geschlossen, der Kopf zurückgebogen, als wenn sie der Schlaf überrascht hätte.

Plötzlich aber schwangen sie sich in rasendem Wirbel, so daß sie fast unter den sich aufbauschenden Röcken verschwanden, während Schleier über ihren Köpfen flatterten und leuchtende Wolken bildeten.

Die »Waw!« … »Waw!« … wurden immer lauter, die enthusiastischen Zuschauer klatschten unaufhörlich und selbst der Radscha spendete Beifall, vergnügt, dem weißen Jäger und seinen beiden fürstlichen Freunden die unvergleichliche Gewandtheit seiner Tänzerinnen zeigen zu können.

Nach den »Ram-Genye« betraten zwölf »Balok« den Saal, blutjunge Tänzer, nicht weniger gewandt als die Tänzerinnen, mit bemaltem Körper; Blumen und Pfauenfedern um den Kopf und einem kleinen, blauen, roten, oder gelben Mantel über den Schultern, leichten Musselingürteln um den Hüften und einer Goldplatte auf der Brust, auf der die Namen verschiedener Gottheiten oder einer heiligen Legende eingegraben waren.

Wie die Bajaderen hatten sie Armbänder und Schellen und hielten in der Hand rotbemalte Gerten, die sie nach allen Richtungen schwangen, um die Grazie des Körpers mehr hervortreten zu lassen.

Der Radscha, der vielleicht an jenem Männertanze kein großes Vergnügen fand, war aufgestanden, indem er zu Toby sagte:

»Habt Ihr vergessen, um was Ihr mich heute morgen fragtet, Meister Toby Randal?«

»Was meint Ihr, Hoheit?« fragte der Jäger.

»Ihr spracht den Wunsch aus, meinen ›Kohinoor‹ zu sehen.«

»Das ist richtig, Hoheit,« antwortete Toby, indem er leicht erblaßte.

»Wenn Euch dieser Tanz nicht interessiert, so folgt mir.«

»Darf ich meine Freunde auch mitnehmen?«

»Sie mögen ruhig mitkommen, wenn sie den ›Lichtberg‹ zu sehen wünschen. Sie sollen von mir sogar ein Andenken an ihren Aufenthalt in Pannah erhalten.«

Während niemand auf sie acht gab, hatte der Radscha einen kostbaren Vorhang beiseite geschoben und sich in einen von blauen Lampen erleuchteten Gang begeben, dessen weißer Marmorboden all die Flämmchen wiederspiegelte.

Während Toby mit dem Radscha sprach, hatte sich Indri Bhandara genähert.

»Hast du alles?« fragte er.

»Ja, Herr,« antwortete der »Kornak«.

»Auch die Betäubungsmittel?«

»Ich habe eine kleine Flasche in der Hand verborgen.«

»Und das andere, was uns schützen soll?«

»Habe ich im Gürtel.«

»Sei bereit; wenn wir diese Gelegenheit versäumen, bin ich verloren, bedenke das, Bhandara.«

»Es wird gelingen, Herr.«

»Und die Taschentücher?«

»Sind hier in meiner Tasche.«

Der Radscha stieg eben eine rote Marmortreppe hinunter, an deren Ende ein Soldat wachte, der mit einer Art Hellebarde bewaffnet war und vor einer Bronzetür stand.

»Öffne,« sagte er zur Wache, »und zünde eine Fackel an.«

»Wo führt Ihr uns hin, Hoheit?« fragte Toby, der seine Erregung nicht ganz beherrschen konnte.

»Meine Schätze zu besichtigen.«

Der Soldat zündete eine Fackel an, die an einem Eisenring hing, und öffnete die Tür.

Toby und seine Gefährten befanden sich in einem fensterlosen Saal, dessen Boden, Wände und Decke mit blauen Marmorplatten ausgelegt waren, die so stark sein mußten, daß sie auch den festesten Spitzhacken Trotz boten.

Sobald die Fackel an einem eisernen Ständer befestigt war, der mitten im Zimmer stand, umhüllte ein blitzendes Leuchten den Radscha, Toby und seine Gefährten.

Ringsum waren mit Glasscheiben verschlossene, vergoldete Bronzeregale, worin sich Diamanten jeder Größe befanden, die blitzend das Licht der Fackel zurückwarfen.

Toby, Indri und Bhandara waren stehen geblieben und betrachteten erstaunt und gierig jene unschätzbaren Reichtümer, die man vielleicht seit Jahrhunderten der Erde entrissen hatte.

Der Radscha hatte sich inzwischen an den Soldaten gewandt, indem er sagte:

»Schließ die Tür, und wenn jemand einzutreten versucht, so töte ihn.«

»Ja, Hoheit,« antwortete die Wache, indem sie hinausging.

»Welche Reichtümer!« rief Toby mit unterdrückter Stimme. »Wie viele Millionen sind in diesen Regalen eingeschlossen?«

»Eine ganze Menge, Meister Randal,« antwortete der Radscha lächelnd.

»Alles Diamanten aus Euern Minen, Hoheit?«

»Ja, Meister Toby.«

»Und der ›Kohinoor‹?«

»Den werde ich Euch jetzt zeigen.«

Der Radscha zog einen kleinen goldnen Schlüssel aus dem Gürtel und näherte sich einer Bronzeschublade, die auf einem gewaltigen Bronzelöwen in einer Ecke des Saales stand.

»Nehmt die Fackel, Meister Toby,« sagte er, indem er den Schlüssel ins Schloß steckte.

Während der Jäger sich wandte, um die Fackel zu holen, fühlte er, wie man ihm ein feuchtes Taschentuch in die linke Hand drückte und hörte folgende flüsternde Worte:

»Haltet Euch bereit, Mund und Nase damit zuzuhalten.«

Es war Bhandara, der diese Worte ausgesprochen hatte.

Der Radscha hatte einen Druckknopf berührt und der Bronzekasten war aufgesprungen.

Plötzlich, während er die Rechte ausstreckte, um den »Kohinoor« zu holen, verbreitete sich um ihn herum ein so durchdringender Geruch, daß ihm die Kehle davon zusammengeschnürt wurde.

»Was tut ihr?« fragte er, indem er sich rasch umdrehte und mit der Rechten zu seinem krummen »Tarwar« griff, das er im Gürtel trug.

Vielleicht ahnte er die Gefahr, aber es fehlte ihm die Zeit, sie zu vermeiden. Bhandara hatte den Inhalt einer kleinen Flasche auf den Boden geschüttet, die er bisher in der Hand verborgen gehalten hatte, und jene geheimnisvolle Flüssigkeit hatte jenen scharfen Geruch hervorgebracht, der den Fürsten würgte und betäubte.

Toby und seine Gefährten hatten ihr Gesicht schleunigst mit Taschentüchern bedeckt, die in den Inhalt einer andern Flasche getaucht waren, deren Flüssigkeit die Wirkung der ersten aufheben sollte.

»Was tut ihr?« wiederholte der Radscha, indem er erbleichte.

Mehr brachte er nicht hervor. Wie vom Schlage getroffen war er in Indris Arme gefallen.

Bhandara packte, gewandt wie ein Tiger, den »Kohinoor« und ließ ihn einen Augenblick im Fackellichte sprühen.

Der »Lichtberg« war des Namens, den er trug, wirklich würdig: er flammte zwischen den krampfhaft zusammengepreßten Fingern des »Kornak« in blendendem Glanze.

siehe Bildunterschrift

Der »Lichtberg« sprühte zwischen seinen krampfhaft geschlossenen Fingern …

Es war ein wunderbarer Diamant von 299 Karat und von erstaunlicher Reinheit.

Indri ließ den ohnmächtigen Radscha zu Boden gleiten, legte an Stelle des »Kohinoor« einen Cheque auf drei Millionen, zahlbar in Baroda, sprang zur Bronzetür und schlug heftig dagegen.

Keiner hatte ein Wort gesprochen, noch das Taschentuch von Mund oder Nase entfernt. Alle zogen sie jedoch die Revolver.

Auf das Klopfen hatte die Wache sofort geöffnet.

Als sie ihren Herrn am Boden liegen und jene drei Männer bewaffnet sah, griff sie sofort zur Hellebarde, im Glauben, sie hätten ihren Fürsten gemordet. Aber der durchdringende Geruch, der das ganze Zimmer erfüllte, betäubte sie.

Sie taumelte, ließ die Waffe fallen, griff mit den Händen an die Kehle, dann fiel sie mit dumpfem Schrei zu Boden.

Der Weg war frei. Toby, Indri und Bhandara, bleich, erregt waren nach der Treppe gestürzt, wo sich der Geruch jener geheimnisvollen Flüssigkeit noch nicht verbreitet hatte.

»Fliehen wir sofort,« sagte Bhandara, indem er den Diamanten in den breiten Gürtel steckte, der seine Hüften umschloß.

»Und der Radscha?« fragte Toby mit gepreßter Stimme. »Wird ihm nichts geschehen, wenn er da drin bleibt?«

»Nein, ›Sahib‹. Das Betäubungsmittel, was ich angewandt habe, bewirkt nur eine Ohnmacht, die nicht länger als 2-3 Stunden dauert.«

»Ich wage nicht, den Saal wieder zu betreten,« sagte Indri. »Sie könnten unsere Erregung bemerken und Verdacht schöpfen.«

»Oder sich darüber wundern, daß der Radscha nicht mit uns zusammen zurückkommt,« bemerkte Toby, »und uns danach fragen.«

»Steigen wir in die Gärten hinab, ›Sahib‹, sagte Bhandara. »Sie grenzen an unsern Bengalow und an Bangawadys Stall.«

»Wie kommen wir aber hier hinaus?« fragte Toby besorgt. »Schnell, Bhandara; die längere Abwesenheit des Radscha kann sämtliche Höflinge in Bewegung setzen.«

»Ich habe eine Tür gesehen, ›Sahib‹.«

»Führe uns.«

Der »Kornak« stieg schnell die Treppe wieder hinab und sah am Ende des Ganges eine Glastür.

Er sprang darauf zu, stemmte sich dagegen und die Tür war offen.

Dort waren die prächtigen Gärten des fürstlichen Palastes mit Gartenlauben aus weißem Stein und Springbrunnen, die angenehme Kühle verbreiteten. Blumenbeete mit Rosen aus Kaschmir, die wunderbar dufteten, Magnolienbäume, Bananen, Betel und prächtige Lorbeern.

»Kommt,« sagte Bhandara. »Der ›Bengalow‹ ist nicht weit.«

Eilends liefen sie zur Mauer, die die Gärten umgab und sie von den Stallungen trennte, die für die Elefanten und Pferde des Radscha bestimmt waren.

Eben langten sie dort an, als ein Indier, der als Mauerwache dort stand, ihnen den Weg versperrte, indem er den Spieß senkte, den er in der Hand hielt.

»Platz!« … sagte Bhandara, indem er den Revolver erhob.

»Kein Feuer geben!« schrie Indri.

Toby, dem ebenfalls daran lag, daß kein Schuß im Palast Alarm schlagen sollte, warf sich blitzartig auf die Wache und versetzte ihr einen so kräftigen Hieb auf den Schädel, daß sie auf den Boden stürzte, ohne Zeit zu haben, einen Laut hervorzubringen.

»Zur Mauer,« sagte er.

Die Ringmauer war nur noch wenige Schritte entfernt und nicht höher als zwei Meter.

Bhandara, als gewandtester, sprang zuerst darüber. Auf der anderen Seite versicherte er sich mit einem raschen Blicke, ob keine Stallwächter da waren und raste weiter.

150 Schritte entfernt lag der »Bengalow«. Von fern hörte er schon Bangawady trompeten,

Toby und Indri, in wachsender Aufregung, waren ihm gefolgt, indem sie die Revolver in der Faust hielten. Sie waren auf alles gefaßt, selbst sich den Weg mit den Waffen zu öffnen.

Nachdem sie auch die zweite Mauer hinter sich hatten, befanden sie sich am »Bengalow«.

Bangawady stand vor der Treppe. Thermati, Poona, die beiden Diener des Jägers, und Sadras saßen schon darauf, während Dhundia auf einem kleinen feurigen Pferde ritt und die Umgebung durchforschte.

Als er Toby und seine Gefährten sah, beeilte er sich, sie einzuholen.

»Flieht man?« fragte er.

»Ja,« antwortete Indri.

»Und der Lichtberg?«

»Ist in unsrer Hand.«

»Unmöglich!« rief Dhundia.

»Ruhe, sofort davon,« sagte Toby. »Vielleicht haben sie den Radscha jetzt gefunden und die Entwendung gemerkt.«

»Habt ihr den Fürsten getötet?« fragte Dhundia erregt.

»Fort mit dem Geschwätz. Erklärungen auf später! Bhandara, auf deinen Platz und treibe Bangawady an!«

»Wohin geht es?« fragte der »Kornak«.

»Vorläufig nach Süden. Steigen wir die Hochebene hinab und suchen wir einen Schlupfwinkel in Gondwana.«

»Ja, ›Sahib‹,« antwortete der treue »Kornak«.

Er übergab den Diamant an Indri, klammerte sich am Rüssel Bangawadys an und nahm seinen Platz ein.

»Sind Waffen und Lebensmittel in der ›Hauda‹?« fragte Indri Dhundia.

»Es fehlt nichts.«

»Warum steigst du nicht mit uns hinauf?«

»Ich reite euch voran, um den Weg auszukundschaften; ich komme später hinauf, sobald wir aus der Stadt sind.«

Toby und Indri stiegen eiligst in die »Hauda« und Bangawady schritt rasend vorwärts, indem er sich nach den südlichen Bollwerken wandte.

»Wenn wir die Grenze überschreiten können, bevor Alarm geschlagen wird, bist du gerettet, und Parvati wird seine Schandtat büßen,« sagte Toby zu Indri.

Dieser antwortete nicht, aber er drückte ihm lebhaft die Rechte.

Die Erregung erstickte seine Stimme.


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