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Eine Stunde nach dem Frühstück pflegte die Fürstin Lubina Mentschikoff eine Spazierfahrt durch die Stadt zu machen und dann in der Kaserne ihres Regimentes den Bataillonsrapport entgegen zu nehmen und die dringendsten dienstlichen Angelegenheiten zu erledigen.
Zugleich mit ihrer Equipage waren diesmal die beiden Lieutenants zur Stelle, welche sich indes darauf beschränkten, den Palast und das Fuhrwerk aus weiter Entfernung zu beobachten. Der Wagen der Fürstin im Rokokostile war einer jener schwerfälligen Kriegsmaschinen, mit denen die eroberungslustigen Damen jener Tage zum Siege zogen; auf vier hohen Rädern ruhte ein viereckiger vergoldeter Kasten mit Glaswänden, welche die in demselben sitzende Dame von allen Seiten deutlich zu sehen gestatteten. Ein großer dicker Kutscher in roter Livree mit großem dickem Zopf und einer weißen Halsbinde, welche gleich einem Riesenschmetterling unter seinem Kinn saß, leitete die schönen Holsteiner Pferde mit großer Würde.
Zwei Lakaien sprangen aus dem Palaste hervor, der eine riß den Schlag auf. Die Fürstin folgte raschen Schrittes in einer Uniform, welche weibliche und männliche Toilette geschmackvoll verband; über die hohen schwarzen Reitstiefeln, an denen gewaltige Sporen saßen, fiel eine reichfaltige samtne Robe von dem Grün des russischen Soldatenkleides, welche, da sie von keinem Reifrock auseinander gespannt wurde, in natürlichen malerischen Falten fiel. Ein Überrock von gleichem Stoff und gleicher Farbe mit rotem Aufschlag und goldenen Litzen umschloß die Taille, an dem schwarzen Lackgürtel hing der Stoßdegen, auf dem weißen Toupet ruhte der dreieckige Hut mit weißem Federbesatz.
»Nun kaltes Blut und Geistesgegenwart!« sprach Lapinski.
Die schöne Amazone war eben im Begriff, ihre Handschuhe zuzuknöpfen, als ein Bettler, welcher bisher mit den Pferden schön gethan hatte, sie um eine Gabe ansprach. Sie warf ihm eine Münze zu, stieg elastisch in den Wagen, der Lakai schloß den Schlag, und der Wagen rollte davon. Die Pferde gingen im ruhigen, stolzen Trabe, aber nicht lange. Nach wenigen Schritten schon wurden sie unruhig, fielen in ein rascheres Tempo, begannen sich zu bäumen, zu wiehern und zeigten Lust durchzugehen. Der Kutscher riß sie mit aller Kraft zurück, aber ein neuer Anlauf, den die Pferde nahmen, warf ihn vom Kutschbock herab und in den Straßenkot. Die Pferde rasten mit dem schwerfälligen Wagen, welcher jeden Augenblick umzuwerfen drohte, davon, die Fürstin war in Gefahr – sie richtete sich vom Sitze auf und suchte das Fenster zu öffnen, vergebens. Der Pöbel schrie und lief dem Wagen nach, wodurch die Pferde nur noch scheuer wurden. Da, im entscheidenden Augenblick stürzte sich Lieutenant Koltoff dem Gespann entgegen, warf sich den Pferden in die Zügel und brachte sie zum Stehen. Lapinski war in der nächsten Sekunde gleichfalls zur Stelle und faßte die Pferde, während Koltoff den zertrümmerten Wagenschlag öffnete und die Fürstin, welche, von Glassplittern verwundet, am Kopfe und an den Händen blutend, ohnmächtig geworden war, heraushob. Er trug sie auf seinen Armen in ihr Palais zurück und ließ sie auf einem Lehnstuhl, den die herbeigeeilte Dienerschaft im Thorwege aufstellte, nieder. Während ihre Kammermädchen ihr mit Wasser und Essenzen Hülfe leisteten, lag der junge Offizier, unbekümmert um die gaffende Umgebung, vor ihr auf den Knieen und bedeckte ihre Hände mit Küssen. Endlich schlug die Fürstin die Augen auf, sah Koltoff lange und erstaunt an und fragte:
»Was ist geschehen? Wo bin ich?«
Der junge Offizier erklärte ihr die Lage, in welcher sie sich befand, indes kam sie selbst vollkommen zur Besinnung und dankte ihrem Retter mit einigen abgebrochenen Worten, dann erhob sie sich und zog sich, auf den Arm einer alte Amme gestützt, in ihre Gemächer zurück.
Koltoff suchte seinen Freund auf, welcher ihn mit einem selbstgefälligen Lächeln erwartete.
»Nun, Du dankst mir nicht einmal,« begann er, »habe ich meine Sache nicht gut gemacht?«
Koltoff verstand seinen Kameraden nicht und sah ihn mit unzweideutigem Erstaunen an. »Du – wie soll ich das verstehen?« stammelte er endlich.
»Hältst Du Dich für so einen Glückspilz,« erwiderte Lapinski, daß die fürstlich Mentschikoff'schen Pferde Dir zu lieb aus eigenem Antriebe durchgehen, damit Du die Ehre und das Vergnügen hast, ihre Gebieterin zu retten?«
Koltoff war vollständig verblüfft. »Also Du hast – aber wie?« stotterte er.
»Hast Du den alten Bettler bemerkt, welcher sich an den Pferden zu schaffen machte, während Deine Göttin einstieg?« fragte Lapinski.
»Ja, nun?«
»Der geriebene Bursche hat dem einen Gaul, mit dem ich übrigens das lebhafteste Bedauern fühle, einen brennenden Feuerschwamm in die Nüster gesteckt.«
»In Deinem Auftrag?« schrie Koltoff auf.
»Allerdings, damit Du Gelegenheit habest, der Fürstin das Leben zu retten,« entgegnete sein Kamerad mit vollkommener Seelenruhe.
»Du bist ja ein furchtbarer Mensch!« rief Koltoff. »Bedenke, welches Unglück geschehen konnte!«
»Ich habe keinerlei Bedenklichkeit, wo es das Glück, das Leben eines Freundes gilt,« erwiderte Lapinski. »Übrigens ist alles gut abgelaufen, wozu sich also jetzt über alle möglichen und unmöglichen Möglichkeiten den Kopf zerbrechen!«
»Aber wenn die Fürstin tot geblieben wäre?«
»Nun, so hätten wir sie beweint,« entgegnete der leichtfertige Gardelieutenant, »und das Heiratslexikon von neuem zu Rate gezogen. Aber sie ist vor der Hand nicht gestorben, und der Schreck, den der Herr Major trotz seiner schönen Uniform und seinem Degen ausgestanden, wird ihm hoffentlich nicht schaden. Du bist jetzt auf das glänzendste bei der schönen Lubina eingeführt, und ich kann es mir lebhaft vorstellen, wie sie jetzt aufgelöst auf ihrer Ottomane ruht und Du ihr im Traume erscheinst, schön wie Adonis, stark und mutig wie Herkules, von bengalischen Flammen effektvoll beleuchtet. Komm, mein Junge, trinken wir eine Flasche guten Weins!«
»Ja, das wollen wir,« stimmte Koltoff bei »auf das Wohl der Fürstin.«
»Was fällt Dir ein?« lachte Lapinski; »auf jenen großen Unbekannten, der den Feuerschwamm entdeckt hat.«
Gegen Abend erschienen die beiden Offiziere in voller Parade in dem Palaste der Fürstin, um über das Befinden derselben Erkundigungen einzuziehen. Nachdem man ihnen darüber die beruhigendsten Versicherungen gegeben, traten sie den Rückweg an.
»Höre,« begann Lapinski, »wir können uns doch nicht so ohne weiteres damit zufrieden geben, daß man uns mitteilt, die Fürstin sei so gut wie unversehrt und vollkommen wohl. Es ist anständig und klug, daß wir unserer Freude darüber, daß dieser Unfall keine ernsten Folgen gehabt hat, auf irgend eine Weise Ausdruck geben. Was hältst Du von einer Serenade?«
Koltoff brach in lautes Lachen aus. »Eine Serenade, ohne eine Kopeke im Sack zu haben?«
»Warum nicht?« erwiderte sein ausgelassener Kamerad, seine Säcke umkehrend. »Sieh mich an, ich besitze noch bare anderthalb Rubel, und doch wollen wir allen Geldsäcken zum Trotz der Fürstin heute eine Serenade bringen, wie sie das kleine Weibchen gewiß noch nicht erlebt hat.«
Während Koltoff noch den Kopf schüttelte, zählte Lapinski das Geld, ein und einen halben Rubel, in seine Hand und beauftragte ihn, Papiere in allen Farben, Öl und Unschlittkerzen einzukaufen; er selbst nahm es auf sich, die Musik, sowie ein preciöses Bouquet, wie er sich ausdrückte, herbeizuschaffen.
»Ich fange an zu glauben, daß Du mit dem Teufel im Bunde bist,« meinte Koltoff.
»Allerdings,« erwiderte Lapinski, »und zwar mit einem armen, aber lustigen Teufel.«
Damit trennten sich die Freunde.
Nach einer Stunde trafen sie, wie es Lapinski angeordnet hatte, in der Kaserne der Preobraschenskischen Garde zusammen, Lapinski mit einem riesigen Bouquet dessen Zusammenstellung zwar viel zu wünschen übrig ließ, das aber nichts destoweniger durch die Seltenheit seiner Blumen und die Pracht seiner Farben imponierte
»Wie kommst Du dazu?« fragte Koltoff, während er den schweren Strauß in der Hand hielt und bewundernd betrachtete.
»Auf die billigste Weise von der Welt,« erwiderte Lapinski; »ich stieg auf dem bekannten Wege in den Garten der Fürstin und band dort höchst eigenhändig das Bouquet.«
»Du hast also die Blumen gestohlen?«
»Nehmen wir an, es wäre so,« erwiderte der wenig bedenkliche Kamerad, »so geschah es nur, um sie der Eigentümerin wieder in kürzester Zeit zurückzustellen.«
»Du bist unverbesserlich,« meinte Koltoff.
Lapinski hatte indes bei sämtlichen Wäscherinnen des Regiments die Wäschestangen requiriert, und jetzt begannen seine Soldaten unter seiner Anleitung aus den von Koltoff eingekauften Kerzen und dem in Oel getränkten farbigen Papiere Lampions zu verfertigen und auf den Stangen zu befestigen. Das Ganze ging so militärisch rasch und genau vor sich, daß mit eingetretener Dunkelheit der Abmarsch beginnen konnte.
Vorn gingen Soldaten mit brennenden Lampen in allen Farben, dann folgten in einem Spalier von Lampions die beiden Offiziere, Koltoff mit dem Bouquet und hinter ihnen sämtliche kleine Tambours und Pfeifer der Preobraschenskischen Garde in voller Parade, frisch gepudert, mit steifen Zöpfchen. Den Zug schlossen wieder Soldaten mit Lampions. Zahlreiche Gaffer folgten; als man vor dem Palaste der Fürstin Halt machte, war bereits eine unabsehbare Menschenmenge versammelt.
Lapinski stellte seine Leute in ein Karree, welches, von den farbigen Lampions umgeben, garnicht übel aussah, und postierte sich mit Koltoff unmittelbar vor der Front desselben dem Balkon des schönen weiblichen Majors gegenüber. Als alles bereit war, hob er den Rohrstock, welchen damals jeder Offizier trug, und die Tambours eröffneten die seltsame, echt soldatische Serenade mit einem höllischen Wirbel, dann fielen die Pfeifer ein und alle zusammen spielten nunmehr den originellen zierlich pedantischen Marsch, nach welchem die Rokokosoldaten damals marschierten und der auch damals bei Gassenlaufen üblich war.
Es währte nicht lange, so klang die Glasthür des Balkons, und die schöne Lubina trat heraus im weißen Nachtgewande, eine Samtmantille umgeworfen; sie blickte sichtlich erstaunt auf die Menge, die Tambours, die Offiziere; erst als Koltoff den Hut abnahm und mit einem kräftigen Wurf den riesigen Blumenstrauß emporschleuderte, so daß er zu den Füßen der Fürstin niederfiel, erkannte diese den Retter ihres Lebens und verstand seine Absicht. Sie dankte mit artiger Verneigung, hob die Blumen auf, und als die Tambours wieder ihren Wirbel schlugen, hielt sie sich die Ohren zu und brach in lautes Lachen aus.
Lapinski gebot Ruhe. Die Fürstin dankte nochmals mit einem bezaubernden Lächeln und zog sich zurück. Wenig Augenblicke später erschien ein Kammerdiener, welcher in ihrem Namen die beiden Offiziere einlud, zu ihr zu kommen.
»Vorwärts!« flüsterte Lapinski seinem strahlenden Kameraden zu. »Jetzt liegt alles in Deiner Hand. Erkläre Dich ihr auf der Stelle. Ich führe indes meine kleinen Helden nach Hause.«
Während die Serenade schwenkte und abmarschierte, wobei Lapinski noch tüchtig wirbeln ließ, stieg Koltoff langsam, bei jedem Treppenabsatz anhaltend und Atem schöpfend, die Stiege empor. Der Kammerdiener führte ihn durch eine Flucht herrlich eingerichteter Säle, schlug eine Portiere zurück und im nächsten Augenblicke stand der junge Offizier der reizenden Frau gegenüber, mit ihr allein in einem Boudoir, wie es nur jene Zeit so kokett und sinnverwirrend einzurichten verstand.
Die Fürstin war so taktvoll, nicht nach seinem Freunde zu fragen, sondern lud Koltoff mit der anmutigsten Handbewegung und dem liebenswürdigsten Lächeln, als verstehe sich ihr Tête-à-Tête von selbst, ein, neben ihr auf dem echt türkischen Divan Platz zu nehmen.
»Vergeben Sie,« begann Koltoff, »Fürstin, die armselige Art und Weise, in der ich meiner Freude über Ihre Rettung aus einer so ernsten Gefahr Ausdruck gegeben habe, aber –«
»Weshalb vergeben?« unterbrach ihn die Fürstin. »Es war eine echt militärische Serenade.«
»Sie sind zu gütig,« erwiderte der Gardelieutenant; »aber ich bitte nochmals, nicht darnach meine Gefühle für Sie zu beurteilen.«
»Ich bin von Ihren guten Gesinnungen gegen mich überzeugt,« sagte die schöne Frau, indem sie ihre dunkle Samtmantille fallen ließ und die Büste einer olympischen Göttin zeigte.
»O, ich wäre glücklich, wenn ich mein Blut für Sie verspritzen, mein Leben für Sie geben könnte!« erwiderte Koltoff leidenschaftlich erregt.
»Illusionen der Jugend!« sprach die Fürstin; »aber Sie wählen Worte, wie man sie nur einer Frau gegenüber gebraucht, welche man liebt.«
»Und Sie finden es recht traurig, daß ein armer Lieutenant die Fürstin Mentschikoff zu lieben wagt?«
»Traurig? Nein.«
»Also lächerlich!« rief Koltoff.
»Noch weniger,« erwiderte die schöne Frau, mit den Spitzen ihres Deshabilles spielend. Zugleich zuckte ein mutwilliges Lächeln um ihre Mundwinkel.
»Aber Sie lachen doch,« rief Koltoff vorwurfsvoll.
»Über Ihre Zaghaftigkeit,« erwiderte die kokette Rokokoschöne, »sie steht dem Soldaten schlecht an.«
»Sie ermutigen mich also?«
»Wozu?«
»Sie zu lieben.«
»Lieben Sie mich denn?« rief die Fürstin und schlug ein helles Lachen an.
»Aber jetzt lachen Sie doch über den armen Lieutenant!« sagte Koltoff bitter.
»Bei Gott, nein!« entgegnete die Fürstin auf einmal sehr ernst.
»Lachen Sie nur,« fuhr der junge Offizier fort, »verspotten Sie mich auf das unbarmherzigste, ich liebe Sie dennoch und werde Sie immer lieben; ich bin glückselig, daß ich Ihnen nun einmal sagen darf, wie sehr, wie unaussprechlich ich sie liebe, wenn Sie mich auch auf der Stelle für immer aus Ihrer Nähe verbannen.«
»Wer sagt Ihnen, daß ich dies thue?« entgegnete die Fürstin, welche sich offenbar an der jugendlichen Glut des Lieutenants ergötzte.
»Sie verbannen mich nicht?« schrie Koltoff auf.
Die schöne Lubina legte den Finger auf den Mund, um vorerst den Ausbruch seiner Freude ein wenig zu mäßigen, und als der hübsche Offizier noch einmal, noch dringender, aber leise fragte, schüttelte sie den Kopf. O, wie reizend, wie verheißend war dieses Kopfschütteln für Koltoff.
»Sie lieben mich also wieder?« fragte er, von der Liebenswürdigkeit seines Vorgesetzten, des Majors vom Regimente Simbirsk, fortgerissen.
»Das habe ich nicht gesagt,« beeilte sich Lubina, seine Hoffnungen kokett vernichtend, einzufallen, »aber –,« sie lächelte wieder mit ihrem bezaubernden Lächeln, »ich erlaube Ihnen, mich zu lieben.«
»Und Sie erlauben mir, um Ihre Gunst, um Ihre Hand zu werben?« rief der von neuem entstammte Lieutenant.
»Wie kühn auf einmal!« sagte die Fürstin.
»Sie verbieten es mir wenigstens nicht?« drängte Koltoff, ihre kleine Hand ergreifend, welche sich vergebens in die weißen Spitzenwellen zu retten suchte.
»Nein, nein,« lachte Lubina.
In demselben Augenblicke lag Koltoff zu ihren Füßen und küßte ihre Hände, und die schöne Rokokodame wurde auffallend rot, trotz der weißen und roten Schminke, mit der ihr Gesicht bemalt war.