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Zwischen den gestutzten Taxushecken des Parkes von Zarskoje Selo, welche rechts und links wie glattpolierte grüne Wände standen, promenierten zwei von schwerer Seide umbauschte junge Frauen in heiterer ungezwungener Unterhaltung. Wie sie lachten und von Zeit zu Zeit nach den bunten Frühlingsfaltern haschten, hätte niemand geahnt, daß die kleine, schön gebildete Hand der einen, welche jetzt so harmlos mit dem Fächer spielte, zu gleicher Zeit das Scepter des größten Reiches in Europa mit männlicher Energie führte. Es war die Zarin Katharina II., noch immer in voller, beinahe jugendlicher Schönheit strahlend. Sie war nur mittelgroß, aber ihre wahrhaft kaiserliche Haltung und ihre majestätische Büste ließen sie hoch und gebieterisch erscheinen, noch mehr jedoch wie ihre Gestalt imponierte ihr Kopf mit den schön strengen Zügen eines Nero, der kleine festgeschlossene Mund über dem runden, festen Kinn, die kleine, kühn gebogene Nase, der finstere Schwung der dunklen Brauen über den durchdringenden großen blauen Augen, und der Blick dieser Augen war es vor Allem, der die Millionen wie die Einzelnen zu ihren Füßen niederwarf, dieser Blick, in dem zu gleicher Zeit so viel dämonische Herrschsucht, selbstbewußte Gelassenheit und wohlwollende Güte lag.
Die Begleiterin der Kaiserin, im offenen Schlafrock von rosa Atlas à la Wateau, dieselbe um einen halben Kopf überragend, mit diabolischen schwarzen Augen und einem kleinen eigensinnigen Stumpfnäschen, ist eine junge Witwe, Frau von Mellin, von ganz aparter, man möchte sagen Furcht einflößender Schönheit. Sie hat etwas von einer Tigerin, vor Allem die ein wenig verkürzte grausame Katzenlippe, welche die herrlichsten Zähne hervorblicken läßt, und dann jenen weichen, elastischen sprungbereiten Gang wie auf Samtsohlen. Wenn sie lacht, wird sie erst recht unheimlich.
»Also Sie haben Ihren armen Seladon den Abschied gegeben, liebe Mellin«, sagte gerade die Kaiserin, »in aller Form?«
»Ich habe ihn wie einen Hund vor die Thüre gejagt«, erwiderte die schöne Witwe; diesmal knisterte der Sand zornig unter ihren Füßen.
»Aber es wird Eklat geben,« fuhr Katharina II. fort, »er galt doch bereits als Ihr erklärter Bräutigam!«
»Majestät hätten in meiner Lage gewiß nicht anders gehandelt«, entgegnete Frau von Mellin.
»Wer weiß!« sprach Katharina II.
»Ich bitte Majestät, sich nur die Scene zu vergegenwärtigen«, erzählte die beleidigte Schöne; »Kapitän Pauloff hatte mich soeben verlassen, mich, die er anzubeten vorgab. Ein unglückseliger Zufall führt mich wenige Augenblicke später in den Vorsaal und was sehe ich – o! es ist schändlich, es ist ehrlos! – ich sehe ihn, wie er seinen Arm um die Taille meiner Zofe geschlungen hat und im Begriffe ist, ihr einen Kuß zu rauben.«
»Einen Kuß!« rief die Kaiserin lachend, »und deshalb –«
»O! ich habe ihn gezüchtigt dafür«, fuhr Frau von Mellin fort; »aber damit ist es nicht genug; ich werde Rache an ihm nehmen an dem ganzen lügnerischen, treulosen Geschlechte: ich hasse die Männer mehr als je, ich verachte sie so sehr, daß ich nicht begreifen kann, wie es möglich war, daß diese schwachen willenlosen Geschöpfe so lange über uns geherrscht haben. Aber Sie werden die Welt umkehren, Majestät, schon haben sich die Frauen seit Ihrer glorreichen Thronbesteigung des Hutes, Oberrockes und Stockes des Mannes bemächtigt, sie haben sich den Sattel und die Waffen erobert, und mehrere der kühnen Amazonen dienen in den Reihen Ihres Heeres als Offiziere, Es ist historisch, daß unter Katharina N. viele Frauen dienten und Regimenter kommandierten. Die Gräfin Saltikoff kämpfte tapfer gegen die Türken. eine Frau von hohem Geiste und tiefer Gelehrsamkeit hat sich den Präsidentenstuhl der Akademie der Wissenschaften errungen, Die Fürstin Daschkoff. wir dürfen nicht ruhen, ehe wir nicht regieren und die Männer uns vollständig unterthan sind. Wie beneide ich Eure Majestät um die unumschränkte Macht, welche Sie über Millionen dieser Elenden haben, welche nicht viel mehr sind als Ihre Sklaven, Ihrer Willkür preisgegeben!«
»Sind Sie nicht im Kleinen eine absolute Herrscherin wie ich?« erwiderte Katharina II. heiter; »giebt es nicht mehr als zweitausend Seelen, welche Ihr Eigentum sind?«
»Aber ich möchte Sklaven haben«, rief die schöne Männerfeindin, »welche denken, fühlen, wie ich selbst, nicht vertierte Leibeigne, gebildete Männer –«
»Und vor Allem Pauloff –«, fiel Katharina II. ein.
»Ja – Pauloff.«
»Sie hassen ihn wirklich?«
»Ob ich ihn hasse –«
»Es würde mich in der That unterhalten«, sagte die Zarin nachsinnend, »aber wie könnte man das machen?«
»Lassen mich Eure Majestät nur einen Tag an Ihrer Statt regieren«, flehte die schöne Witwe mit erhobenen Händen.
»Was fällt Ihnen ein?« antwortete die Kaiserin, ein wenig die Stirn runzelnd, »aber – ich hab's – Sie sollen ein Regiment bekommen –«
»Ein Regiment?« staunte Frau von Mellin.
»Das Regiment Tobolsk ist eben frei«, sagte Katharina II., »ich ernenne Sie zum Obersten desselben«.
»Welche Gnade!« – Die schöne Witwe küßte die Hände der Kaiserin.
»Als Herrin über Tod und Leben Ihrer Soldaten und Offiziere haben Sie Gelegenheit genug, Ihre grausamen Launen zu befriedigen. Aber, ich bitte sehr, ohne Ungerechtigkeit.« »Und ist Pauloff in dem Regimente?« fragte die rachlustige Schöne rasch.
»Nein, so viel ich weiß.«
»Aber Sie geben mir ihn, Majestät?«
Katharina II. lachte. »Wir werden sehen!«
»Ich bitte Eure Majestät kniefällig«, rief Frau von Mellin, indem sie sich vor der Kaiserin niederwarf, »geben Sie mir diesen Menschen – er verdient unter den Korporalstock zu kommen, er ist der frechste, leichtfertigste und hochmütigste Mann in Rußland, und er hat unser ganzes Geschlecht beleidigt.«
»Indem er Ihre Zofe küßte?« lachte die Zarin.
»Er schmäht die Frauen bei jeder Gelegenheit«, fuhr Frau von Mellin fort, »ja, er wagt es, Sie selbst –«
»Mich?« Die Zarin biß sich in die Lippe.
»Eure Majestät können sich selbst überzeugen.«
»Ja, ich will mich überzeugen«, rief Katharina II. riß zornig einem Schmetterling, den sie eben gefangen hatte, die Flügel aus und warf ihn in die Dornen.