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VI.

»Die Kaiserin geht nach Livland«, flog es von Mund zu Mund. Die widersprechendsten Meinungen über den Zweck dieser Reise wurden laut. Zuletzt einigte man sich darin, daß Katharina II. dieselbe unternehme, um mit Poniatowski zusammen zu kommen. Sie habe Orlow satt, hieß es, die Liebe zu dem ritterlichen Polen sei wieder mächtig in ihr erwacht, und dergleichen mehr.

Ehe der Nero im Reifrock den Reisewagen bestieg, wurde die Fürstin Daschkow in das kaiserliche Kabinett berufen.

Katharina II. ging unruhig im Zimmer auf und ab. Sie schien ausnehmend heiter, summte eine frivole italienische Arie und betrachtete sich von Zeit zu Zeit mit einem gewissen Stolze im Spiegel.

»Ich bin schön«, sprach sie lebhaft, »ich habe Mirowitsch glücklich gemacht, seine kühnsten Träume überflügelt, er kann nun für mich sterben. Aber ich will ihn nicht mehr sehen, der Abschied würde mich aufregen. Hier sind die Instruktionen für ihn, hier die Summen, die er braucht.« Sie übergab beides der Fürstin, schritt dann zu ihrem Schreibtische, nahm ein Aktenstück von demselben, las es noch einmal aufmerksam und unterzeichnete hierauf rasch. »Lies.«

Die Daschkow las. Es war eine Ordre an die beiden der Kaiserin treu ergebenen Offiziere, Kapitän Wlassiew und Lieutenant Tschekin, welche den Prinzen Iwan in seinem Kerker in Schlüsselburg bewachten und mit ihm in einem Zimmer schliefen, und enthielt den Befehl, sobald ein Versuch zur Befreiung des Gefangenen gemacht werde, denselben auf der Stelle zu töten. Begründet war derselbe durch die Aufregung welche zu Gunsten des Prinzen immer bedrohlicher an den Tag trat.

»Für Petersburg habe ich meine Maßregeln getroffen«, sprach Katharina II. mit imposanter Ruhe, »Orlow nehme ich mit mir, Panin bleibt, ich überlasse ihn Dir, Du bewachst ihn, Du haftest mir für ihn. Mein Sohn, der Thronfolger, bleibt in seinen Händen.« Die Daschkow machte eine Bewegung. »Ich kenne Panin«, fuhr die Zarin majestätisch fort, »es könnte ihm einfallen, meine Abwesenheit zu benützen, den Großfürsten Paul zum Kaiser auszurufen und für den Knaben zu regieren, aber Panin ist vorsichtig und unentschlossen. Bei der ersten Regung einer Empörung bemächtigst Du Dich meines Sohnes und bringst ihn zu mir. Die besten Offiziere der Garde begleiten mich, was hier bleibt, sind junge Leute ohne Kriegserfahrung. Im entscheidenden Augenblicke werden an die Feldregimenter scharfe Patronen ausgeteilt, und wagen die Garden den Aufstand mit der blanken Waffe, dann habe ich die Armee in Livland, und wehe ihnen, wenn ich als Siegerin in meine Hauptstadt einziehe. Lebe wohl! –«

An demselben Tage, an welchem die Kaiserin Petersburg verließ, kehrte auch Mirowitsch zu seinem Regimente zurück, welches eben in der Stadt Schlüsselburg in Garnison lag. Die Kompagnien desselben zu hundert Mann lösten sich Woche für Woche bei dem Dienste in der Festung ab.

Acht Mann bewachten den Gang zu der Kasematte, in welcher der rechtmäßige Zar Iwan gefangen gehalten wurde.

Mirowitsch verbrannte sofort nach seinem Eintreffen in Schlüsselburg seine Instruktionen sorgfältig in dem Feuer seines Kamins und ging dann mit ebensoviel List als Fanatismus an die Ausführung derselben.

Mit dem Gelde, das ihm die Fürstin Daschtow eingehändigt hatte, bestach er drei Unteroffiziere und zwei Soldaten seines Regiments. Er sagte ihnen, der Prinz Iwan sei ihr rechtmäßiger Zar nach dem Testamente der Kaiserin Anna, und er habe den Entschluß gefaßt, denselben aus seinem Kerker zu befreien.

Kurz darauf traf ihn selbst der Wochendienst und er benutzte denselben, um alle Verhältnisse der Festung auszukundschaften, und bestimmte endlich die Nacht des sechzehnten Juli für den Losbruch.

An demselben Abende ging sein Dienst zu Ende. Er bat den Kommandanten Berednikow um die Erlaubnis, denselben noch fortsetzen zu dürfen. Der Festungskommandant erteilte sie ihm nicht nur bereitwillig, sondern vergaß sogar, wie es schien, ihm die Schlüssel der Festung abzufordern.

In der Nacht des sechzehnten Julie 1765, Schlag ein Uhr öffnete Mirowitsch seinen Mitverschworenen die Ausfallspforte. Sie eilten auf die Wache, riefen die Kompagnie zusammen, und Mirowitsch las den Soldaten mit lauter Stimme einen falschen Ukas des Senates vor: »Da die Kaiserin Katharina II. müde ist, über barbarische, undankbare Völker zu herrschen, die ihren ruhmwürdigen Bemühungen in keiner Weise entgegenkommen, hat sie den Entschluß gefaßt, das russische Reich zu verlassen und sich mit dem Grafen Orlow zu vermählen;« – bei diesen Worten zitterte seine Stimme – »jetzt, wo sie an der Grenze ihres Reiches angelangt ist, will sie die Kaiserkrone dem unglücklichen Fürsten Iwan zurückgeben. Darum befiehlt der Senat dem Lieutenant Mirowitsch, denselben aus dem Gefängnisse zu befreien und sofort nach Petersburg zu bringen.« Die Soldaten brachen in wilden Jubel aus, mehr als fünfzig derselben griffen sofort zu den Waffen, einige hoben Mirowitsch auf die Schultern und fort ging es unter Hurrahrufen zu der Wohnung des Kommandanten. Berednikow war seltsamer Weise noch nicht zur Ruhe gegangen und kam ihnen in voller Uniform entgegen.

»Im Namen des rechtmäßigen Kaisers Iwan, den Ihr ungerecht gefangen haltet, Euren Degen!« rief Mirowitsch.

Berednikow übergab ihn schweigend und wurde auf Mirowitschs Befehl von zwei Verschworenen in seiner Wohnung bewacht.

Mirowitsch drang nun mit seiner Schar in die Kasematte, welche zu Iwan's Kerker führte. Die Wachen gaben Feuer. Von beiden Seiten fielen Schüsse, ohne daß jemand verwundet wurde. Man hatte den Soldaten blinde Patronen ausgeteilt.

Mirowitsch erreichte zuerst die Thüre des Gefängnisses und pochte mit seinem Degengefäß an dieselbe

»Wer da?« rief Kapitän Wlassiew.

»Gute Freunde«, schrie Mirowitsch, »öffnet, im Namen des Senats, öffnet!«

»Wir dürfen nicht«, entgegnete Lieutenant Tschekin.

»Dann brechen wir die Thüre auf«, rief Mirowitsch, zugleich stemmten sich mehrere der Empörer gegen dieselbe. »Gebt unseren Zar heraus!«

»Wir können keinen Widerstand leisten«, schrie Wlassiew »wir müssen den Prinzen töten, so lautet unsere Ordre.«

Prinz Iwan war eben durch den Lärm erwacht und saß bleich mit erschrockenen Augen auf seinem Bette.

Die beiden Offiziere warfen sich mit einem male auf ihn. Iwan sprang auf Wlassiew los und suchte ihm den Degen zu entreißen, in demselben Augenblicke stieß ihm Lieutenant Tschekin den seinen in den Leib. Der Prinz wankte und brach mit einem Schrei zusammen. Beide stachen nun in ihn hinein, bis er mit acht Wunden in seinem Blute lag. Dann öffnete Wlassiew die Thüre mit den Worten: »Da habt Ihr Euren Zar.«

Mirowitsch und die Soldaten, welche mit ihm in den Kerker gedrungen, standen gesenkten Hauptes schweigend um einen Sterbenden. In wenig Augenblicken war alles vorbei. Mirowitsch wandte sich erschüttert ab, »Flieht!« rief er den Soldaten zu, »der Zar ist tot. Unsere heldenmütige That hat diesen traurigen und verderblichen Ausgang herbei geführt. Ich gebe mich der Kaiserin gefangen.« Damit reich seine ernte Degen dem Kapitän. Die Empörer warfen zugleich die Waffen weg und baten um Gnade.

Noch in derselben Nacht sandte der Festungskommandant einen Courier an die Kaiserin. Als Katharina II. die Nachricht empfing, leuchtete einen Augenblick eine entsetzliche Freude in ihrem Antlitz. Dann biß sie die Zähne zusammen. Sie dachte an Mirowitsch.

Eine Stunde später war sie auf dem Wege nach Petersburg.


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