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Eine Frau auf Vorposten

Auf allen Heerstraßen Rußlands marschierten Regimenter, zogen Geschütze und Munitionskolonnen nach dem Süden. »Es giebt Krieg mit den Türken«, sagten die Soldaten, »unser Mütterchen, die Zarin, will Frieden haben, aber Potemkin will den Krieg, und so giebt es Krieg.«

Die armen Soldaten, welche scheinbar kampflustig, ihre Lieder singend, in das Lager von Cherson einrückten, dabei aber mit schwerem Herzen an die heimatliche Stube mit den rauchigen Heiligenbildern oder an ihr blauäugiges Liebchen zurückdachten, trafen in ihrer Naivität das Richtige. Katharina II. hatte alle Lust, auf den blutigen Lorbeeren, die sie geerntet, auszuruhen, und bot alles auf, den drohenden Zusammenstoß mit der Pforte hinauszuschieben, aber Potemkin, der Taurier, drängte zum Krieg und forderte durch seinen Hochmut den Sultan in beispielloser Weise heraus.

Schon wimmelte es um Cherson von Regimentern der regulären Linie und Kavallerie, von Kosaken und den neu ausgehobenen Tartaren, und man sprach in dem Kreise, der Potemkin umgab und den man in Petersburg im Hinblick auf die schönen Amazonen, welche in demselben den Ton angaben, das Serail Potemkin's nannte, von dem Feldzuge als einer ausgemachten Thatsache und schien sich nur noch durch einige rauschende Feste für die bevorstehenden Gefahren und Entbehrungen entschädigen zu wollen, als unerwartet der Staatssekretär Fürst Besborodko im Lager erschien.

Potemkin stampfte zornig mit dem Fuße, als man ihm die Ankunft desselben meldete, denn er war keinen Augenblick darüber im Zweifel, daß die Mission des Fürsten Stillstand in seinen Unternehmungen zu bedeuten hatte und ein Werk seiner Gegner am Hofe sei, vorzüglich der Woronzow, mit denen Besborodko eng liirt war, aber der übermütige Taurier wußte eben so gut, daß der Fürst ein Liebling der Kaiserin sei und daß es in diesem Falle zuvorkommend und fein zu sein galt, er empfing daher den Staatssekretär mit ostensibler Liebenswürdigkeit.

»Mein lieber Besborodko,« rief er, ihn bei den Händen fassend, »was führt Sie zu uns, Sie, die Friedenstaube, hier, wo die Kanonen das große Wort haben?«

»Leider, leider, Exzellenz,« erwiderte Besborodko, »sehe ich mich hier, wo die Kaiserin vor Kurzem noch durch Werke des Friedens bezaubert wurde, in ein Heerlager versetzt, ohne daß ich ahnen könnte, welche Absichten Sie mit diesen Märschen und Rüstungen verbinden.«

»Sollten Sie, der gewiegte, gefeierte Diplomat wirklich nicht erraten, daß das, was Sie hier zu sehen bekommen, das Vorspiel eines Krieges ist?« sprach Potemkin mit einem spöttischen Lächeln.

»Ich denke, wir leben mit allen Mächten Europa's im besten Frieden,« entgegnete Besborodko.

»Gewiß,« rief Potemkin, »meine Vorbereitungen gelten auch nur einer Macht, die nach Asien gehört und die wir hoffentlich in Kurzem dorthin gejagt haben werden.«

»Ihr alter Lieblingsgedanke,« gab der Staatssekretär zur Antwort. »Die Türken aus Europa vertreiben, welches Russenherz müßte sich nicht dafür begeistern, aber wir können nicht immer so handeln, wie wir wollen, es giebt Staaten ersten Ranges, welche ein Interesse haben, die Türkei zu erhalten. Was Sie hier begonnen haben, Excellenz, ist ein gefährliches Spiel, ich komme, Sie abzumahnen, es könnte unabsehbare Folgen haben für uns und auch für Sie.« »Sprechen Sie im Namen der Kaiserin?«

»Allerdings,« fuhr Besborodko fort, »Ihre Majestät hat Ihnen die Truppen gesendet, welche Sie gewünscht haben. Ein kaiserliches Handschreiben, welches ich überbringe, giebt ihnen den Oberbefehl über die Armee und unumschränkte Gewalt in jeder Richtung für den Fall des Krieges.«

Potemkin griff hastig mit unverhohlener Freude nach dem Handschreiben, das ihm der Staatssekretär übergab.

»Ich wiederhole ausdrücklich,« sagte dieser, »für den Fall des Krieges, aber es wird zu keinem Kriege kommen.«

»Lassen Sie mich nur sorgen,« fiel Potemkin ein.

»Wir haben im Gegenteil dafür gesorgt, daß der Friede erhalten bleibt,« sagte Besborodko. »Die Kaiserin hofft auf diesem Wege mehr zu erreichen, als durch siegreiche Schlachten. Das französische Ministerium hat an seinen Botschafter Choiseul in Konstantinopel einen Courier abgesendet mit der Mission, den Divan zu besänftigen.«

»Den Divan zu besänftigen,« brach Potemkin los, »als wenn wir Ursache hätten, seinen Zorn zu fürchten. O! Wankelmut des Weibes, wie groß dachte diese Katharina vor Kurzem noch, wie kühn war ihre Sprache, und jetzt ist ihre einzige Sorge, den Divan zu besänftigen.«

Besborodko verzog keine Miene. »Mein Auftrag geht auch dahin, daß Sie so lange als nur möglich jeden Zusammenstoß mit den Türken zu vermeiden haben.«

»Also kurz und gut, wir werden den Türken den Krieg nicht erklären?«

»Nein.«

Potemkin ging mit großen Schritten auf und ab.

»Man bedauert in Petersburg allerdings, daß einem so ausgezeichneten Feldherrn neuerdings die Gelegenheit entgeht, einen Sieg zu erfechten,« fügte der Staatssekretär jetzt mit vernichtender Bosheit hinzu. Potemkin sah ihn einen Augenblick starr an, dann trat er ganz nahe zu ihm hin und schlug ihn derb auf die Schulter.

»Sie spielen auf das Band des Georgsordens an,« sagte er mit kalter Ruhe, »das mir fehlt, und das ein Feldherr nur nach einem entscheidenden Siege erhalten kann. Verlassen Sie sich darauf, Fürst, und vergessen Sie nicht, es ihren Freunden in Petersburg zu sagen, ich werde mit den Türken Krieg führen, nur weil mir das Band des Georgsordens fehlt, und werde sie so schlagen, daß es keinen Menschen in Rußland geben wird, der es mir nicht zuerkennen würde. Adieu!«

Ohne sich um die Befehle der Kaiserin zu kümmern, setzte Potemkin seine militärischen Vorbereitungen fort und begann, zum Entsetzen des Staatssekretärs, der Miene machte, an seiner Seite zu bleiben, seine Truppen gegen die türkische Grenze vorzuschieben. Schon war Potemkin in Petersburg als Rebell bezeichnet, aber das Glück liebte ihn wie Wenige und auch diesmal kam es ihm zu Hülfe.

Während in seinem Paläste die schönen abenteuerlichen Frauen, welche die Kriegstrompete herbeigelockt hatte, und ein Teil seiner Offiziere beim Spiele versammelt waren, erschien Besborodko totenbleich, eine Depesche in der Hand. »Sie haben Recht behalten,« sprach er mit bebender Stimme, »der an Choiseul abgesendete Courier ist unterwegs von den Türken ermordet worden, und die Pforte hat uns den Krieg erklärt!«

»Hurrah!« rief Potemkin, »Champagner her, wir haben Krieg, Kinder; auf Wiedersehen, Besborodko, heute übers Jahr in Konstantinopel!«

»Meine Mission ist zu Ende,« sagte der Staatssekretär, »die Ihre beginnt.«

»Reisen Sie mit Gott,« erwiderte Potemkin, »und sagen Sie Denen in Petersburg, daß sie bald von mir hören werden.«

Während im Palaste die Champagnergläser an einander klangen, und der Jubel sich durch die Stadt in das Lager fortpflanzte, wo einmalhundertfünfzigtausend Mann unter wildem Hurrahrufen ihre Hüte mit Eichenlaub schmückten, hatte Potemkin sofort nach dem General Suwarow geschickt, dem Mann, der sein Vertrauen besaß, wie kein anderer.

Als Suwarow eintrat, saß Potemkin vor einem Tische, auf dem er seine Karte ausgebreitet hatte, mit ihm zugleich blickte seine Nichte, die Gräfin Branizka, ihre schönen Arme auf seine Schultern gestützt, in dieselbe; hinter dem Tische stand ein türkisches Ruhebett, auf dem zwei Frauen von blendender Schönheit, zärtlich umschlungen, das Haar von Juwelen funkelnd, die langen offenen Roben von persischem, golddurchwirktem Stoffe mit kostbarem Pelzwerk besetzt, gleich Sultaninnen lagen. Ihnen zu Häupten stand im grünsamtenen Reitkleide eine junge Frau, hoch und üppig gewachsen, mit reichem blonden Haare und jenem Blick, der Tiere bändigt und Menschen unterwirft; sie neckte die beiden Schönen auf der Ottomane mit einer Reitgerte, welche sie in der Hand hielt, und so gab es ringsum Geschrei und Gekicher, bis der schmächtige magere Mann mit dem fahlen kränklichen Gesichte in einer verschossenen Uniform seines Regiments an den Tisch trat und seine Hand nachlässig auf denselben stützte. Sofort herrschte tiefe Stille.

»Gut, daß Sie da sind, General,« rief Potemkin, ihm die Hand reichend. »Wir haben Krieg, wie Sie wissen, es gilt rasch vorzugehen, ich habe meinen Plan fertig, nun möchte ich aber ihre Meinung haben.«

Suwarow warf einen Blick auf die schönen Frauen, welche ihn neugierig musterten, er kannte die Gräfin Branizka und die beiden Favoritinnen Potemkin's auf der Ottomane, von denen die eine, mit dem blauschwarzen Haare und dem edlen Antlitz einer Aspasia, eine Griechin Zeneide Kolokotonis, die zweite mit dem reizenden Stumpfnäschen eine Tochter des durch seine schönen Frauen berühmten Hauses Potozki war. Die Amazone im grünen Samtkleide kannte er nicht, aber sie schien Eindruck auf ihn zu machen, denn sein Auge weilte um Vieles länger bei ihr als sonst bei irgend einer Frau.

»Ich habe wohl bereits über diesen Feldzug nachgedacht,« erwiderte Suwarow mit jener Trockenheit, welche bei ihm so charakteristisch war, »aber hier wäre es wohl nicht am Platze, davon zu sprechen. Pläne müssen, so lange sie nicht durch Thaten an das Tageslicht treten, geheim bleiben, und Frauen plaudern.«

»Sie hören, meine Damen,« rief Potemkin lachend, »der General ist so unempfindlich gegen Ihre Reize, daß er durchaus nicht böse sein wird, wenn Sie uns allein lassen.«

Halb träge, halb unwillig erhoben sich die beiden Sultaninnen, die Gräfin Branizka folgte lachend ihrem Beispiel, nur die Frau mit dem gebieterischen Auge blieb.

»Mich trifft Ihr Verdikt wohl nicht, General?« sagte sie ruhig.

»Und weshalb nicht?« fragte Suwarow ebenso.

»Weil ich zur Armee gehöre.«

»Sie? Wie das?«

»Die Gräfin Iwan Soltikoff kommandiert das Regiment Simbirsk,« fiel Potemkin ein.

»Im Frieden wohl, wo das Soldatenspielen ein Zeitvertreib ist gleich einem Ball oder einer Amour,« sagte Suwarow, die Brauen zusammenziehend, »aber die Türken werden nicht blind laden wie die Garden bei den Manövern in Petersburg.«

»Sie lieben uns Frauen nicht, General,« rief die Soltikoff, »ich weiß es.«

»Besonders dann nicht,« unterbrach sie Suwarow, »wenn sie statt des Kochlöffels den Degen führen.«

»Sie gehören also auch zu jenen Helden, welche sich vor dem Weibe fürchten und demselben gern eine untergeordnete Stellung anweisen, weil sie fühlen, daß das Weib von der Natur zur Gebieterin des Mannes bestimmt ist,« entgegnete die schöne Amazone. »So lange indes eine Frau in Rußland auf dem Throne sitzt, müssen Sie es sich schon gefallen lassen, daß wir dieselben Rechte in Anspruch nehmen wie Sie und folglich auch das schönste derselben, das Recht, für das Vaterland zu kämpfen und zu sterben. Die Gunst der Zarin hat mir ein Regiment anvertraut, General, und ich hoffe, Ihnen im Kugelregen den Beweis zu liefern, daß ich dieser Gunst auch wert bin.«

»Gegen die kommen Sie nicht auf, Sewarow,« rief Potemkin lächelnd, »machen wir Frieden mit ihr, sie soll an unserem Kriegsrate teilnehmen, schwatzen wird sie nicht, ich verbürge mich für sie.«

»Zur Sache also,« sagte Suwarow, »ich denke, wir beginnen damit, Otschakoff zu belagern und es zu nehmen, ehe die türkische Armee heranrückt.«

»Dies ist auch mein Plan,« erwiderte Potemkin.

»Damit aber die Einschließung der Festung eine vollständige wird und die Belagerung nicht gestört werden kann,« fuhr Suwarow fort, »muß ein selbständiges Corps sofort über den Bug gehen und gegen jene türkischen Truppen, welche sich bei Troitzkoje sammeln, operieren.«

»Und Sie wollen dieses Corps kommandieren?«

»Ja.«

»Gut, ich gebe Ihnen dieses Kommando,« sprach Potemkin, »aber Sie dürfen durchaus nichts wagen, sich vor Allem in keine Schlacht einlassen, da Sie überlegene Kräfte gegen sich haben werden.«

»Wer sagt das?«

»Meine Spione. Es ist die feindliche Hauptarmee, die sich dort konzentriert.«

»Glaube nicht,« sagte Suwarow trocken.

»Peter Ogrisch, mein bester Spion, hat den Großvezier im Lager gesehen, es ist also kein Zweifel.«

»Wer sagt dem Peter Ogrisch, daß es wirklich der Großvezier war, den er gesehen?«

»Er hat ihn reiten sehen in seinem Amtspelz von weißem Atlas mit schwarzem Zobel, dem Üscht-Türk, den, wie Sie wissen, kein anderer tragen darf als der Großvezier. Er hat auch die zwei brillantenen Reiherbüsche gesehen auf seinem Turban. Also nochmals Vorsicht und keine Schlacht.«

»Ich werde morgen in aller Frühe abmarschieren,« sagte Suwarow.

»Gregor Alexandrowitsch,« wendete sich jetzt die Gräfin Soltikoff rasch zu Potemkin, »gestatten Sie mir, mich mit meinem Regiment dem Corps des Generals Suwarow anzuschließen.«

»Ich bitte Sie Excellenz,« fiel Suwarow ein, »mich mit allen Unterröcken zu verschonen.«

»Warum, General?« entgegnete Potemkin, »lernen Sie doch galant sein gegen Damen.«

»Gott beschütze mich, das werde ich nie lernen,« murmelte Suwarow.

»Vielleicht doch, General,« lachte Potemkin, »wenn wir Ihnen einen so guten Lehrmeister mitgeben, wie die schöne, tapfere Gräfin hier.«

»Ich darf also mit?« fragte sie erfreut.

»Ja, Gräfin, aber vergessen Sie nicht, daß Sie dann unter dem Kommando Suwarow's stehen,« antwortete der Taurier.

»O! Ich werde mir alle Mühe geben,« rief sie lachend, »daß, er bald unter dem meinen steht.«


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