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Auf dem großen Platze vor dem Kreml blitzten Tausende von Bajonetten, stampften und wieherten die Pferde der Reiterei, drohten die schwarzen Mündungen der Kanonen. Die Zarin Katharina II. hielt hier die Parade über die Garnison von Moskau ab.
Nachdem die Truppen in drei Treffen aufgestellt waren, sprengte sie mit einem glänzenden Stabe heran, wurde mit Musik und Senken der Fahnen empfangen und ritt dann langsam die Front ab.
Sie saß auf einem weißen Araber, der sie mit einem gewissen Stolz zu tragen schien, in leichter und doch imponierender Haltung. Auf dem weißgepuderten Haar saß ein dreieckiger Hut in der Form, wie ihn damals die Soldaten bei der Wache trugen, mit breiter Goldborte und kleinem Federbusch. Über dem grauen Reitkleide hatte sie eine Uniform aus grünem Tuch mit roten Aufschlägen und Gold an, die kleine Hand im weißen Stulphandschuh führte kräftig die Reitgerte.
Während die Kaiserin durch die Reihen ritt, wurde sie von jeder Kompagnie mit den Worten: Guten Tag unserer Zarin! gegrüßt, und sie erwiderte »Guten Tag,« mit einem liebenswürdigen Lächeln. Als sie an Tschoglokows Kompagnie vorbei kam, ließ sie plötzlich ihr Pferd langsamer gehen und heftete ihren Blick, der mehr wie einen mutigen Mann zittern gemacht hatte, voll und ruhig auf den neuen Brutus. Der Kapitän hielt ihn aus, ohne nur mit der Wimper zu zucken, in seinem Auge loderte Haß und Fanatismus, aber Katharina II. schien die Glut desselben ganz anders aufzufassen, denn sie wendete sich auf der Stelle zu dem General Grafen Apraxie und fragte nach dem Namen des jungen schönen Offiziers.
Auf einmal, als sie die Regimenter vor sich defilieren ließ, suchte und fand ihr großes gebieterisches Auge den Kapitän, und diesmal wurde ihm sogar ein gnädiges, nur ihm bemerkbares Kopfnicken zu Teil.
Nach der Parade in ihre Gemächer zurückgekehrt, ließ Katharina II. sofort den Grafen Panin zu sich befehlen, und gab ihm den Auftrag, ihr so rasch als möglich über den Kapitän Tschoglokow zu berichten. Die Auskünfte, welche sie so dringend begehrte, kamen indes viel früher als sie erwartete von ganz anderer Seite und lauteten seltsam genug.
Die Zarin hatte nur Zeit gehabt, ihre militärischen Kleider mit einem reichen Negligee zu vertauschen, als ihr eine Person gemeldet wurde, welche ihr wichtige und dringende Mitteilungen zu machen habe.
»Wer ist es?« fragte sie, die Stirne runzelnd.
»Ein junges Mädchen, die Tochter eines Kaufmanns in Kilai-gorod.«
»Und welchen Gegenstand betreffen die Mitteilungen?«
»Sie behauptet, nur Ihrer Majestät selbst Alles sagen und gestehen zu können.«
Katharina II. blickte einen Augenblick zu Boden, sie besann sich offenbar, dann gab sie einen Wink, der so viel bedeutete als: ich will das Mädchen sprechen. Ehe dieses eintrat, hatte die Monarchin noch Zeit gehabt, sich sehr genau im großen Wandspiegel zu betrachten, um dann in einer nachlässigen Attitüde auf dem Ruhebette Platz zu nehmen.
Als sich das Mädchen endlich mit der Selbstherrscherin Rußlands allein sah, blieb es einer Bildsäule gleich, an der Thüre stehen, von der schweren roten Damastportiere halb bedeckt, und begann zu weinen.
»Nun, sage mir rasch, was Du zu sagen hast,« begann Katharina II. lächelnd, »bedenke, daß ich nicht ganz so viel Zeit habe wie Du.«
Die helle Stimme der Kaiserin wirkte in ganz anderer Weise auf das Mädchen, als die Majestät ihrer Erscheinung, sie eilte auf dieselbe zu, warf sich ihr zu Füßen und hob flehend beide Hände empor. »Gnade!« stieß, sie angstvoll hervor.
»Für wen, mein Kind?« fragte Katharina sanft.
»Für einen Mann, den ich liebe,« erwiderte das Mädchen schluchzend.
»Was hat er für ein Verbrechen begangen?«
»Er will erst eins begehen.«
»Ei,« lachte die Zarin, »und ich soll ihm vorher eine Verzeihung gewähren, damit er es ungestraft verüben kann? Nicht übel ausgedacht.«
»Nicht so, Majestät,« rief das Mädchen, »ich drücke mich schlecht aus. Es handelt sich darum, eine schreckliche That zu verhindern und dem, der sie vorhat, Ihre Gnade zu erwirken.«
»Immer rätselhafter,« sagte die Zarin, »vor Allem aber, wie ist Dein Name, wer sind Deine Eltern?«
»Ich heiße Mascha, und mein Vater ist der Kaufmann Samsonow in Kilai-gorod.«
»Nun, Mascha, stehe auf und erzähle mir ruhig und zusammenhängend alles, was Du auf dem Herzen hast.«
»Nicht früher Majestät, als bis Sie mir Gnade gewähren für den Unglücklichen.«
»Ich muß den Fall kennen, ehe ich entscheide.«
»Nein, Majestät, Sie müssen früher vergeben, ehe ich den Mann, den ich so heiß und innig liebe, in Ihre Hände liefere, denn ich thue diesen Schritt nicht allein, um Ihr Leben zu retten, gnädigste Frau, sondern auch das seine, nur meine Liebe, meine Angst um ihn treibt mich, ihn zu verraten.«
»Es handelt sich also um eine Verschwörung –«
»Nein –«
»Doch, doch, ein neuer Anschlag auf mein Leben,« fragte Katharina rasch und heftig.
»Das habe ich nicht gesagt –«
»Gewiß hast Du das gesagt, eben das, mein Täubchen.«
»Ich habe nichts gesagt,« rief Mascha, deren Mut mit jedem Worte stieg, »und ich werde nichts sagen, wenn Sie mir nicht sein Leben schenken.«
»Es giebt Mittel, Kind –«
»Ich fürchte nicht, in den Kerker geworfen und mit Ketten beladen zu werden.«
»Und die Folter?«
»Auch diese nicht, ich fürchte nichts in der Welt für mich, und Alles nur für ihn,« sagte das Mädchen mit einer Achtung heischenden Entschlossenheit. »Brauchen Sie Gewalt, Majestät, dann Gnade Ihnen Gott, kein Mensch wird Sie erretten, wenn ich schweige, und Sie werden sterben, wie Cäsar starb.«
»Was weißt Du von Cäsar?«
»Ich weiß, daß er ein Tyrann war, und daß Brutus ihn ermordet hat.«
Katharina sah das mutige Mädchen groß an, sprang auf und durchschritt heftig das Gemach, sie überlegte; daß hier die Gewalt ihres Scepters nicht ausreichte, sah sie jetzt klar genug, sie wollte es also mit der Macht ihrer Persönlichkeit und mit ihrer überlegenen Klugheit versuchen. »Höre mich an,« begann sie, nachdem sie mit auf der Brust gekreuzten Armen vor Mascha stehen geblieben war, »wenn ich Dich jetzt hier festhalte und meinen Polizeichef beauftrage, binnen einer Stunde festzustellen, wer jener Mann ist, den Du liebst, kenne ich auch den neuen Brutus, vor dem ich mich zu hüten habe. Du siehst, ich brauche nur zu wollen, und Dein Geliebter ist in meiner Gewalt, ich kann dann mit ihm beginnen, was mir gut dünkt, ihn foltern lassen, bis er gesteht, und wenn er gestanden hat, ihn auf das Blutgerüste senden. Verstehst Du? Aber ich will nicht. Ich habe Mitleid mit Dir. Sage also, was verlangst Du von mir?«
»Ich bitte um Gnade, Majestät, um Vergebung für ihn,« flehte Mascha, »er ist kein böser Mensch, nur ein wenig verblendet und schwärmerisch.«
»Du sagst mir, daß er und andere mich ermorden wollen.«
»Er allein.«
»Gut, er allein. Darf eine solche That straflos bleiben? Bedenke, mein Kind, was ich meiner hohen Stellung, meiner Würde schuldig bin,« fuhr die Zarin fort, »ich muß ihn strafen, aber ich verspreche Dir, ihn nicht zum Tode zu verurteilen –«
»Ach! Majestät, wenn sie ihn in den Kerker oder nach Sibirien senden, ist er für mich gleichfalls tot.«
Katharina dachte nach, nur wenige Sekunden, dann überflog es ihr schönes, kluges Antlitz, wie die Freude des Sieges. »Also, ich will noch mehr versprechen, mein kaiserliches Wort, daß er nicht länger als ein Jahr gefangen bleibt. Ich denke, die Strafe ist für einen Hochverräter und Mörder milde genug. Bist Du nun zufrieden?«
»Nun nenne mir seinen Namen.« »Es ist der Kapitän Tschoglokow.«
»Tschoglokow!« schrie Katharina II. auf, »wirklich Tschoglokow! Welche rätselhafte Fügung, und er haßt mich also?«
»Er sagt es.«
»Und hat eine Verschwörung angezettelt –«
»Nein, Majestät, er hat weder Mitschuldige noch Mitwisser.«
»Bist Du dessen sicher?«
»Ja, Majestät.«
»Du kannst gehen, mein Kind.« Eine huldvolle Handbewegung und Mascha war entlassen.
Die Kaiserin berief sofort den Chef ihrer Polizei und befahl, den Kapitän Tschoglokow auf der Stelle zu verhaften und vor sie zu führen, dann begab sie sich in ihr Kabinett, um die eingelaufenen Depeschen durchzusehen. Stunde auf Stunde verging, Katharina wurde ungeduldig und sendete einen Offizier nach dem Chef der Polizei, endlich kam dieser und meldete, der Kapitän sei verschwunden. Einer seiner Kameraden habe ihn zuletzt unter den Fenstern der Kaiserin auf- und abgehen sehen. Von da an schien jede Spur verloren. Man hatte vor seiner Wohnung, vor der Kaserne seines Regimentes, an allen Orten, die er zu besuchen pflegte, Leute aufgestellt mit dem Befehl, ihn gefangen zu nehmen, damit schien die Weisheit der Polizei erschöpft.
»Haben Sie ihn auch bei dem Kaufmann Samsonow gesucht?« fragte die Kaiserin.
»Dort zuerst, Majestät.«
»Und verlautet, daß er abgereist ist?«
»Durchaus nicht, Majestät.«
Nach dem Diner sendete Katharina wieder an den Polizeichef.
»Keine Spur von dem Kapitän?«
»Keine, Majestät.«
»Wo pflegt er zu speisen?«
»Bei dem Major Borodinsto, seinem Oheim.«
»Und –«
»Er wurde heute vergebens erwartet.«
»Seltsam.«
Abends gab eine Theatervorstellung, in welcher Herren und Damen des Hofes mitwirkten, den Gedanken der Zarin eine andere Richtung, aber kaum war sie nach Mitternacht in ihr Schlafgemach eingetreten, erinnerte sie sich Tschoglokows. Sie ließ sich nicht entkleiden, sondern eilte in ihr Kabinett und berief noch einmal den Polizeichef und mit ihm den Grafen Orlow. Nachdem sie nochmals vernehmen mußte, daß von dem Kapitän nichts zu entdecken sei, trat die Sorge für die Sicherheit ihrer Person in den Vordergrund, und sie traf Anstalten, die Wachen zu verdoppeln und die Gänge, aus denen geheime Thüren in ihre Gemächer führten, stark besetzt zu halten. Dann erst kehrte sie in ihr Schlafgemach zurück, ging aber nicht zur Ruhe, sondern begnügte sich damit, ihre Prunkrobe abzulegen und in einen bequemen, mit kostbaren Spitzen besetzten Schlafrock zu schlüpfen. Nachdem sie ihre Kammerfrauen fortgeschickt hatte, setzte sie sich an ihren Sekretär und schrieb, um sich zu zerstreuen, an Voltaire.
Bemüht, ihren lebhaften Geist zu sammeln und in seinem vollen Glanze sprühen zu lassen, vergaß sie die ganze übrige Welt und mit ihm den Kapitän, der ihr Leben bedrohte, da – als sie von dem beschriebenen Blatte aufblickte, um selbstzufrieden vor sich hin zu lächeln, stand plötzlich ein bleicher Mann mit unheimlich glühenden Augen vor ihr und sie erkannte Tschoglokow.
So wenig Katharina auf diese plötzliche, sie bedrohende Erscheinung gefaßt war, so erschrak sie doch nicht im mindesten; ohne ihre Miene nur einen Augenblick zu verändern, ja, ohne nur die Feder fortzulegen aber den Blick immer fest auf den Gegner gerichtet lehnte sie sich zurück und sprach: »Seien Sie mir willkommen, Kapitän, ich habe eben an Sie gedacht.« Und als Tschoglokow schwieg, fuhr sie fort: »Ja, ja, es ist so, wie ich Ihnen sage, und ich habe bedauert, daß ich nur Kaiserin und nicht auch ein wenig Zauberin bin, ich hätte Sie auf der Stelle in dieses Zimmer hergezaubert, denn seitdem ich Sie heute bei der Parade bemerkte, beschäftigte ich mich immerfort mit Ihnen, Sie haben einen Eindruck auf mich gemacht, und – wer weiß –« sie zuckte mit hinreißender Liebenswürdigkeit die Achseln – »Orlow hat, um mich zu kränken, gestern von mir Urlaub begehrt, ich bin jetzt in der Laune, ihm denselben zu gewähren. Aber wie kommen Sie hierher? Ich fange an, an Zauberei zu glauben.«
»Ich bin durch den Kamin gekommen, Katharina,« gab der Kapitän rauh zur Antwort, »aber Du erratest wohl nicht zu welchem Zwecke?«
Katharina warf die Feder von sich und begann laut zu lachen. »Zu welchem Zwecke dringt man in das Schlafgemach einer Frau?«
»Du irrst Dich –«
»Nein, mein Freund, ich irre mich nicht, Du bist nicht der erste, dessen Sinne ich in Aufruhr gebracht habe,« fuhr die Zarin fort, »ich sollte Dir böse sein aber ich liebe die kühnen Männer, wenn sie – schön sind.« Sie stand auf, ging rasch zu dem prachtvollen Ruhebett, das in der Nähe des Kamins stand und ließ sich so kokett wie nur möglich auf demselben nieder. »Hierher! Weißt Du nicht wo Dein Platz ist? Zu meinen Füßen! Komm, Du sollst mir die Zeit vertreiben, aber wehe Dir, wenn Du nicht rasend verliebt bist, komm!«
»Ich hasse Dich, Tyrannin!« rief Tschoglokow, »und werde Dich für Deine Missethaten strafen, wie Du es verdienst. Kein Mensch ist hier, Dich zu beschützen –«
»Glaubst Du,« sprach Katharina, »und wenn ich imstande bin, mich selbst zu beschützen?« Sie stand auf, ging furchtlos auf Tschoglokow zu und legte die schöne weiße Hand auf seine Schulter »Du willst mich töten? Du?«
»Ich werde Dich töten –«
»Nein, Du wirst zu meinen Füßen liegen und um meine Gunst flehen,« rief die Zarin, »wenn Du mich ermorden wolltest, so hättest Du es bei der Parade thun müssen oder anderswo, dort, wo ich nur die Monarchin bin, hier, wo ich nur Weib bin, hier kannst Du mich nicht töten, hier mußt Du mich lieben, mich begehren, und bin ich nicht begehrenswert? Jetzt, wo ich weiß, daß Du mich hassest, jetzt reizt mich der Gedanke, Dich in meinen Armen zu haben, um so mehr. Wirf Deinen Dolch weg, Brutus, komm, ich will gnädig sein.« Ehe der Kapitän noch ahnen konnte, was sie beabsichtigte, hatte sie die vollen weichen Arme um ihn geschlungen und zog ihn zu dem Ruhebett hin.
»Nein! nein! ich verabscheue Dich,« schrie Tschoglokow und zog den Dolch hervor, den er in seiner Brust verborgen hatte; in demselben Augenblick riß sich aber Katharina von ihm los, sprang auf den Kamin zu, ergriff eine Pistole, die mit gespanntem Hahn auf dem Sims bereit lag, und richtete sie auf seine Brust.
»Rühre Dich nicht von der Stelle, oder ich erschieße Dich!«
Während Tschoglokow sich einen Augenblick besann, fand Katharina II. Zeit, sich behende wie eine Tigerin bis an die Wand zurückzuziehen und an den Knopf zu drücken, welcher die geheime Thür öffnete. Durch diesen Eingang kam sonst Orlow, kamen ihre anderen Günstlinge, welche sie für Stunden erwählte und dann wieder fortschickte, zu ihr, jetzt aber blitzten durch denselben Degen und Bajonette, und als der Kapitän auf sie zueilte, um sie mit seinem Dolche niederzustoßen, stürzten ihm zwei Offiziere und doppelt so viel Grenadiere der Leibwache entgegen.
Tschoglokow setzte sich mit unglaublicher Kühnheit zur Wehr.
»Tötet ihn nicht, nehmt ihn mir lebend und unverletzt gefangen,« befahl die Zarin.
Es entstand ein wüstes Handgemenge, in welchem Tschoglokow einen der Offiziere tötete, und den zweiten, sowie einige feindliche Soldaten verwundete, zuletzt sah er sich aber doch zu Boden geworfen und gefesselt.
Katharina II. blickte mit grausamer Befriedigung auf den Todfeind, der nun auf Tod und Leben in ihre Hand gegeben war. »Führt ihn fort,« sagte sie, »und verwahrt ihn gut, vorher aber sollst Du wissen, Tschoglokow, daß ich von Deinem Anschlage wußte und mich auf denselben vorbereiten konnte. Ich wäre wie Cäsar unter dem Dolche des Brutus von Deiner Hand gefallen, wenn nicht ein braves Mädchen gewesen wäre, das mich vor Dir warnte.«
»Mascha! Unmöglich!« schrie der Gefangene Katharinens auf.
»Du hast es erraten,« erwiderte diese, »Mascha Samsonow.«
Tschoglokow fiel wie ein Stück Holz zu Boden, seine Sinne schwanden.