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Siebenundzwanzigstes Kapitel.
Zu Hause

Am 22. Mai abends befanden wir uns querab von der Küste von Yorkshire, etwa zwischen Flainboro Head und Whitby, und Richard sagte, er hoffe, Sunderland am folgenden Morgen ganz früh in Sicht zu bekommen.

Nie werde ich das Gefühl vergessen, mit dem ich in meine Kammer ging, um zum letztenmale in der Koje zu schlafen, die meine Lagerstatt war, seit ich mich an Bord der ›Bolama‹ befand. Ich kniete nieder und sandte ein heißes Dankgebet zu Gott.

Seit wir in den Kanal gekommen waren, war Richard fast fortwährend an Deck, da er in diesen gefährlichen Gewässern die Brigg nicht Herrn Short anvertrauen wollte. Es ging mit Hilfe der Krücken auch ganz gut. Er meinte, daß er die kommende Nacht überhaupt nicht schlafen wolle und ich versuchte auch nicht, ihm dies auszureden, erstens, weil es mir doch nicht gelingen würde, und zweitens, weil ich einsah, daß es in der Nähe des Landes nicht anging, die Führung der Brigg Leuten wie Short und Snow zu überlassen, die beide kein Patent besaßen. Bis elf Uhr blieb ich bei meinem Manne, dann mußte er mir versprechen, mich zu wecken, sobald die Küste von Sunderland in Sicht käme. Darauf ging ich zu Bett.

Ich lag noch lange wach und lauschte auf das Klappern von Richards Krücken über meinem Kopfe. Höchstens eine Stunde konnte ich geschlafen haben, als ich davon erwachte, daß sich eine Hand auf meine Schulter legte. Es war Richard, der mir mitteilte, daß die Uhr halb acht und Sunderland kaum noch fünf Seemeilen entfernt sei.

Kein Matrose ist wohl je auf den Ruf: ›Alle Mann an Deck!‹ mit größerer Hast aus dem Bette gesprungen, als ich an diesem Morgen. Kaum ließ ich mir Zeit, mich anzukleiden. In fünf Minuten war ich fix und fertig an Deck. Querab an Backbord zogen sich die dunkeln Felsen von Durham entlang und achteraus zu Luward waren die verschwimmenden Umrisse der Küste von Yorkshire noch eben erkennbar.

Ich stand da mit gefalteten Händen und schaute darauf hin. Was kann man wohl mit dem Gefühl vergleichen, das der Anblick der heimatlichen Küste nach einer langen Reise hervorruft? Und wie erhöht sich dieses Gefühl, wenn man schwere Gefahren durchgemacht und nur mit Seufzern und Thränen an die Heimat gedacht hatte wie ein Sterbender an etwas Liebes, das er nie wiedersehen sollte.

»Ach, Richard,« rief ich. »Ob der Vater uns wohl erwartet?«

»Wenn er es nicht thut,« antwortete er sanft, »so wird es doch nicht lange dauern, bis wir ihn treffen.«

Der Wind war leicht und ablandig, so daß wir mit scharf angebraßten Raaen kaum auf den Hafen zu liegen konnten. Im Nordwesten unter einer bräunlichen Rauchwolke lag Sunderland. Es war ein herrlicher Maimorgen, so warm wie ein Tag im Juni. Der Himmel war ganz klar, nur im Osten erhob sich eine perlfarbene Wolkenwand. Dort war auch die See glatt und blau, während sie näher an der Küste eine leuchtend grüne Farbe hatte.

»Du thust am besten, jetzt hinunterzugehen, Jeß,« sagte Richard, »du mußt doch packen.«

»Ja, wie werden wir aber nur unser vieles Gepäck an Land schaffen?«

»Thut nichts,« fuhr er fort. »Wenn wir auch ohne Kisten und Kasten heimkehren, so birgt dieser alte Kahn doch auch für uns Geld genug, daß ich dich von Kopf bis zu Fuß in Sammet und Seide kleiden kann und noch genug übrig behalte.«

In dieser schneckenartigen Weise krochen wir weiter, bis der Steward meldete, daß das Frühstück angerichtet sei. Wir brauchten zu dieser letzten Mahlzeit an Bord nicht viel Zeit. Ein Schleppdampfer kam auf uns zu, so schnell ihn die Räder treiben konnten. In zwanzig Minuten befand er sich längsseit und fragte, nach welchem Hafen er uns schleppen sollte. Ich hätte den rauhen Seemann auf der Brücke umarmen mögen. Sein breiter, nordenglischer Dialekt war die schönste Musik für meine Ohren.

Ich war aber zu aufgeregt, um irgend welche Vorgänge besonders zu beachten, und hatte daher ein kleines Boot gar nicht bemerkt, das herangekommen war, und war sehr überrascht, als der Lotse an Bord stieg. Er kannte meinen Mann und starrte ihn, als er die Krücken erblickte, ganz verwundert an.

»Nanu, Kapitän Fowler,« rief er aus, »wie kommen Sie hier an Bord? Bill sagte mir doch, Sie führten die ›Aurora‹ und wären auf acht Monate – oder war's ein Jahr – ausgegangen.«

»Ja,« sagte Richard, »Bill hatte ganz recht; also werden Sie sich wohl denken können, daß ich ein kleines Garn zu spinnen habe.«

»Aber was haben Sie mit der Bark gemacht, Kapitän?« rief der Lotse.

»Die habe ich nordwestlich vom Golf von Guinea gelassen; es ist kein Lotungsgrund dort, ich kann Ihnen also auch nicht sagen, in wieviel Faden Wasser.«

»Na, das ist ja 'ne schöne Bescherung,« meinte der Lotse. »Die Geschichte müssen Sie mir noch erzählen.« Dann wandte er sich seinen Pflichten zu.

Im Augenblick wurde der Befehl erteilt, alle Segel aufzugeien oder niederzuholen, und während der Dampfer die Schlepptrosse manöverierte, sprang die Mannschaft herum, holte an Geitauen und Gordings und stimmte laut an verschiedenen Stellen des Decks ihre Gesänge an. Ein Segel nach dem andern wurde zusammengeschnürt, und als die Leute nach oben gingen, um alles festzumachen, holte der Dampfer die Bucht der Trosse aus dem Wasser. Die Brigg folgte ihm, indem sie mit ihrem breiten Bug den aufgerührten Schaum auf beiden Seiten zurückwarf, während das an einer Leine hinterher geschleppte Lotsenboot auf dem geglätteten, breiten Kielwasser mit einem zischenden Geräusch die Fluten durchschnitt.

Richard unterhielt sich mit dem Lotsen und erzählte ihm die Einzelheiten über die Reise und den Verlust der ›Aurora‹. Er sprach auch von mir, und ich bemerkte, daß mir der Lotse erstaunte Blicke zuwarf. Ich kümmerte mich aber nicht darum, denn das Land, dem wir uns immer mehr näherten, nahm meine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch. Jetzt waren schon Hafen, Docks und die ganze Stadt deutlich zu sehen, im Vordergrund ein Mastenwald und dazwischen ab und zu die in der Sonne glitzernden Fenster von Häusern.

Vor mir, nur einen Steinwurf entfernt, lag die Heimat. Auf der Nordmole standen Leute. Im Vorüberfahren musterte ich klopfenden Herzens die Gesichter. Da am Ende der Mole stand jemand, der wie unsinnig seinen Hut schwenkte und dazu soviel Platz brauchte, daß die Umstehenden zurücktreten mußten.

»Richard, Richard!« kreischte ich. »Das ist Vater!«

»Ja, das ist er,« rief Richard, legte die Hand an den Mund und schrie hinüber: »Wie geht's, Kapitän? Hier sind wir – ganz munter. Auch Jessies Befinden und Stimmung ist vorzüglich.«

Ob die Leute auf der Mole etwas von unserer Geschichte wußten, weiß ich nicht. Wahrscheinlich ist es; Vater hatte meinen Brief erhalten und gewiß überall davon erzählt. Jedenfalls stimmten sie auf Richards Ruf ein solches ›Hurra!‹ an, daß meines Vaters Antwort ganz davon übertönt wurde.

Gleich darauf waren wir auch schon vorüber und lagen nun neben dem Kai der Zollbehörde. Die Zollbeamten kamen an Bord, der Dampfer warf unsere Trosse los und Vertäuungen wurden an Land gebracht. Dazu kam ein Stimmengewirr an Land und an Deck, daß ich ganz verwirrt wurde. Ich weiß nur, daß ich plötzlich Vater und Kapitän Robinson, der auf meiner Hochzeit gewesen war, auf dem Kai stehen und winken sah. Eine Planke wurde hinüber gelegt, und im nächsten Augenblicke lag ich in meines Vaters Armen.

»Vier Monate fort!« schrie mein Vater, hielt meine beiden Hände fest und trat einen Schritt zurück. »Und in dieser Zeit hast du Feuer und Schiffbruch und wer weiß was erlebt! Haben Sie schon 'mal so ein Mädel gesehen, Robinson? Und wie gut sie aussieht! Braun wie 'ne Kaffeebohne und mit dem richtigen tropischen Glanz um die Augen! Man kann gleich sehen, wo sie gewesen ist. Und Dick! Auf Krücken!? Gott soll mich bewahren!« Hier folgte erneutes Händeschütteln und Küssen, Weinen und Lachen von meiner Seite, und Lachen und etwas, das fast wie Thränen aussah, auch bei meinem Vater.

Die Einbildungskraft des Lesers möge sich unser Wiedersehen ausmalen; beschreiben kann ich es nicht. Richard konnte uns nicht nach der Stadt begleiten, da er noch einige Förmlichkeiten in Betreff der Bergung der Brigg auf dem Seemannsamt erledigen mußte. Kapitän Robinson blieb bei ihm, während der Vater und ich uns nach dem Gasthaus ›zum Sattel‹ in der Highstreet begaben. Dort, wo damals Frau Davison und ihre Tochter Lizzie das Regiment führten, wollten wir zu Mittag essen und Richard nebst Kapitän Robinson erwarten.

»Hast du kein Gepäck, Jessie?« fragte der Vater.

»Nicht die Bohne, Vater; nicht soviel, um es als Bündel im Taschentuch zu tragen,« erklärte ich, »außer diesem kleinen Paket, das ich als Andenken an unsere Leiden aufbewahren will.«

Er fragte, was es sei. Ich teilte ihm mit, daß es die Wäsche sei, die ich mir notgedrungen hätte anfertigen müssen, da ich nur retten konnte, was ich auf dem Leibe trug, als wir die ›Aurora‹ verließen.

»Ach, mein armes Kind!« rief er. »Habe ich dir nicht gesagt, was die See ist? Nun hast du aber auch genug davon, mein Lamm. Einmal Schiffbruch ist genug für das ganze Leben. Dick hat seinen Willen gehabt; jetzt komme ich wieder an die Reihe.«

Der Weg vom Kai bis ›zum Sattel‹ war glücklicherweise nicht weit; aber auch so genierte es mich etwas, mich in einem solchen Aufzuge auf der Straße zu zeigen. Mein Hut sah ganz verbeult und zerknittert aus; den Stiefeln hatte das Seewasser eine richtige Broncefarbe verliehen und mein Jacket war über und über mit Flecken bedeckt, da die Farbe durch den Einfluß von Tau, Regen und Seewasser verblichen war. Auch mein Kleid sah mehr wie ein Sack, als wie ein vom Schneider gefertigtes Kleidungsstück aus. Die Leute, besonders die Damen, blieben auf der Straße stehen und sahen mir nach, und ich war herzlich froh, als wir endlich das Hotel ›zum Sattel‹ erreichten und in seinen gemütlichen, schmucken, altmodischen Räumen Schutz fanden.

Wir wurden bereits erwartet, da der Vater Frau Davison hatte benachrichtigen lassen, daß wir kommen würden, sobald die ›Bolama‹ einkäme – als Sunderlander Schiff war die Brigg in der Nähe des Hafens überall wohlbekannt – und ich wurde von der freundlichen Wirtin so herzlich empfangen, daß ich mich gleich wie zu Hause und unter Freunden fühlte.

»Nun, Lizzie,« sagte der Vater zu Fräulein Davison, »Sie könnten mir einen Gefallen thun, mein Mädel. Frau Fowler hat nämlich Schiffbruch gelitten und besitzt augenblicklich nichts von Kleidern, als was sie auf dem Leibe trägt. Laufen Sie zu einer Putzmacherin, mein gutes Kind, und sagen Sie ihr, sie möchte eine Auswahl von recht hübschen Hüten hierher schicken, damit wir uns einen aussuchen können. Dann gehen Sie zu einem Schuhmacher und lassen einige Paar Damenstiefel zur Ansicht herschicken, und schließlich können Sie auch in irgend einen Laden gehen, wo es Kleider und Wäsche für Damen giebt. Ich gebe Ihnen Vollmacht, zu bestellen, was Sie für nötig halten. Sie werden schon wissen. Es ist für eine schiffbrüchige Dame, mein Kind, – einen weiblichen Jonas, der eben aus dem Bauche des großen Walfisches kommt, den man Ozean nennt.«

Lizzie war entzückt über diesen Auftrag und rannte fort, um ihren Hut zu holen. Der Vater bestellte darauf ein Mittagessen um halb zwei Uhr für vier Personen. Dann zogen wir uns beide in ein kleines, nettes Zimmer zurück, wo mich der Vater, sobald Frau Davison die Thür hinter uns geschlossen hatte, nochmals ans Herz drückte und Gott dankte, daß er ihm sein Mädel, seine Jessie, wieder gegeben hatte, während ich den Kopf an seine Schulter lehnte und weinte, wie man eben nur weinen kann, wenn man in Frieden und Sicherheit ist und zurückblickt auf große, überstandene Leiden.

Natürlich hatte ich ihm viel zu erzählen und doch nahm es keine sehr lange Zeit in Anspruch. Als ich ihm von der Meuterei berichtete, hörte er mit sichtbarem Unwillen zu; als ich aber sagte, daß Richard den Leuten vergeben habe und keine Schritte zu ihrer Verfolgung thun würde, sprang er plötzlich auf und lief auf die Thür zu. Ich fragte, wohin er wolle.

»Die Polizei benachrichtigen,« rief er, »daß sie die Kerls faßt, ehe sie auskneifen.«

»Nein, Vater! Thu' das nicht! Richard hat sein Wort gegeben und das darf er nicht brechen.«

»Ja, aber diese Angelegenheit betrifft nicht allein Richard, sondern die ganze Kauffahrteischiffahrt. Wenn meuterischen Leuten verziehen wird, was soll schließlich aus den Schiffsführern werden? Wenn diese Banditen nicht bestraft werden, haben sie noch die Unverschämtheit und melden sich bei den Reedern der ›Aurora‹ wegen der Heuer und bei den Reedern der ›Bolama‹ wegen Bergungslohn.«

»Das können wir nicht ändern,« sagte ich. »Setze dich nur wieder, Vater, und höre die Geschichte zu Ende.«

Mit einiger Mühe bewegte ich ihn endlich dazu. Sobald ich aber zu dem Zeitpunkt unserer Reise kam, wo uns die Mannschaft auf dem brennenden Schiffe zurückließ, sprang er wieder auf, und ich mußte ihn am Arme festhalten, um ihn davon zurückzuhalten, daß er die Polizei auf die Leute der ›Aurora‹ hetzte.

Allmählich beruhigte er sich, als ich ihm auseinandersetzte, daß den Steuermann die Hauptschuld träfe. Dieser sei ertrunken, und die Leute hätten sich von dem Augenblicke an, wo sie an Bord der ›Bolama‹ gekommen wären, vorzüglich betragen und sich nach Kräften bemüht, das Geschehene wieder gut zu machen.

»Sie hatten uns ja ganz in ihrer Gewalt,« sagte ich. »Wenn sie wirklich so ausgemachte Schurken gewesen wären, hätten sie uns in demselben Boot, in dem sie sich gerettet haben, aussetzen und treiben lassen oder uns auch einfach über Bord werfen können. Wer hätte wohl beweisen sollen, daß wir nicht mit der Bark untergegangen seien?« Ich bemerkte, daß Vater sich schon wieder aufzuregen begann und sprach von Richards gebrochenem Bein.

Sofort veränderte sich sein ganzes Wesen und hastig fragte er: »Ist es schon wieder gut, Jessie?«

»Ich weiß nicht,« erwiderte ich. »Der Knochen ist wieder zusammengewachsen, ob aber richtig oder nicht, das ist mir noch nicht klar. Wir hoffen das Beste, denn er hat keine Schmerzen mehr. Jedenfalls werde ich gleich heute nachmittag einen Arzt holen lassen, um endlich aus dieser Ungewißheit herauszukommen.«

»Ja, meinte er, »wir wollen den besten Doktor in ganz Sunderland haben. Frau Davison wird uns sagen, wer das ist. Hier bleiben wir aber nicht, Jeß. Sobald wir Mittag gegessen haben, kommt ihr beide mit mir nach Hause.«

»Wo wohnst du denn jetzt, Vater?«

»In South-Shields, auf dem Lawe. Das Haus schaut mit der Front direkt auf die See. Es ist ein glücklicher Zufall, daß ich es so getroffen habe. Die Lotsen sind ganz versessen auf die Wohnungen auf dieser Terrasse. Es ist nur ein kleines Häuschen, Jeß, nicht wie unsere alte Wohnung in Newcastle; aber Platz genug für euch beide und auch für eure etwaigen Kinder ist doch darin.«

Es klopfte und Lizzie Davison kam, um mir mitzuteilen, daß unten ein junges Mädchen mit Hüten sei. Gleich darauf erschien auch ein Bursche mit einem Sack Stiefeln über der Schulter und dicht hinter ihm ein anderes junges Mädchen in Begleitung eines dicken, unter einer Ladung Kleider keuchenden Jungen. Ich fing mit den Hüten an und wählte einen, der mir sehr gut stand. Dann paßte ich, um den Schuhmacher los zu werden, Stiefel an, bis ich ein Paar fand, das mich befriedigte. Endlich traf ich meine Auswahl unter Wäsche und Kleidern.

»Nun, Lizzie,« sagte der Vater, »jetzt gehen Sie mit Frau Fowler in irgend ein Schlafzimmer, damit sie es sich etwas bequem macht.«

Mit reinen Manschetten und Kragen, neuen Stiefeln und einer Schleife im Haar war ich wieder eine Dame, die sich vor jedermann sehen lassen konnte. Ich blieb ziemlich lange im Schlafzimmer, unterhielt mich mit Lizzie Davison, zeigte ihr die Wäsche, die ich an Bord der Brigg gefertigt hatte und schilderte ihr unsere Abenteuer. Als ich nach dem Speisezimmer zurückkehrte, hörte ich Stimmen, und bei meinem Eintritt erblickte ich Richard und Kapitän Robinson in eifriger Unterhaltung mit dem Vater. Kapitän Robinson sprang mir entgegen.

»Was meinen Sie wohl, Frau Fowler,« rief er mit seiner gemütlich klingenden Stimme, »was ich Ihnen für eine Neuigkeit bringe?«

»Was denn?« rief ich und blickte gespannt auf Richard, der mir freundlich zulächelte.

»Nun,« fuhr Robinson fort, »wir sind bei unserem besten Arzt hier in Sunderland gewesen. Er untersuchte das Bein, sagte, es sei völlig geheilt und sehr gut zusammengewachsen und wollte nicht glauben, daß es kein Chirurg geschient habe.«

Ich fiel meinem Manne um den Hals und rief: »Ach, mein Schatz, das fehlte nur noch, um unser Glück vollständig zu machen.«

»Das ist wahr, Jessie,« antwortete er und liebkoste mich; »alles, was ich noch zu thun habe, ist, daß ich das Bein noch einige Zeit schonen muß, soviel herumliege, als es bei meinem Temperament möglich ist und vorläufig noch immer die Krücken benutze. Kapitän Snowdon,« fuhr er zu Vater gewendet fort, »das ist auch etwas, das ich Ihrer Tochter verdanke. Ich habe Ihnen ihre seemännische Thätigkeit geschildert; ich muß noch hinzufügen, daß sie mit wahrem Löwenmut ans Werk ging und mich zurecht flickte, tröstete, ermutigte – mein Gott!« brach er ab, indem er meine Hand drückte, »was hätte ich wohl ohne meine Seekönigin anfangen sollen?«

»Du hast sie eben eine Seekönigin genannt, Dick,« sagte mein Vater, und sein liebes, strahlendes, altes Gesicht erschien mir noch teurer, als ich die Freudenthränen in seinen Augen bemerkte, »und eine Seekönigin ist sie auch. Robinson, dieser nautische Titel verbleibt ihr von jetzt an. Sie ist Dicks Frau und meine Seekönigin. Das ist ein guter Name für sie; ich bin dir dankbar dafür. Robinson, von jetzt an, wenn Sie sich nach Jessies Befinden erkundigen, heißt es: Wie geht es der Seekönigin?«

Das Fenster des Zimmers, in dem wir saßen, lag nach der Straße zu; es stand offen, denn das Wetter war warm und sonnig. Straßenlärm, Wagengerassel, Hundegebell, Pfeifen von Schusterjungen drangen an unsere Ohren. Aber wäre es auch noch einmal so laut gewesen, ich hätte mich doch daran erfreut. Vier Monate lang hatte ich ja nichts gehört, als das heisere Aussingen der Matrosen, das Brausen des Windes und das Plätschern des Wassers oder das leise, geisterhafte Seufzen eines kleinen Luftzuges inmitten der Totenstille einer windstillen, tropischen Ozeannacht.

Um drei Uhr verließen wir Sunderland und begaben uns nach Monkwearmouth, wo sich damals der Bahnhof befand. In South-Shields angekommen, fuhren wir die Ocean-Road hinunter bis auf den Lawe. Dort hielten wir vor einem hübschen Häuschen mit blanken Fenstern und einem Messingschild an der Thür, worauf der Name ›Thomas Snowdon‹ stand. Der Vater trat zuerst hinein, um uns zu empfangen. Als wir folgten, schloß er mich in seine Arme, drückte Richard die Hand und benahm sich so, als ob dies unser erstes Wiedersehen wäre. Wir traten in das kleine Wohnzimmer, und Vater beobachtete mich mit glänzenden Augen, während ich mich umschaute. Da standen die alten, bekannten Möbel, die Raritäten, Schilde, Speere, Pfeile, die altertümlichen Stühle und an meiner Seite vom Kamin Mutters Lehnstuhl, als ob sie noch am Leben wäre. Ich trat an das Fenster. Vor mir lag die Nordsee und erstreckte ihre graue Oberfläche bis an das ferne Blau des Horizontes.

»Hast du wirklich genug davon bekommen, mein Schatz?« fragte Richard, indem er auf seinen Krücken heranhumpelte und auf die See deutete.

»Ja,« antwortete ich, »und du auch!«

»Gut,« rief der Vater. »Dick, deine Frau hat gesprochen; entschließe dich, mein Junge. Das ist deine letzte Reise gewesen.«

*

Die Frau, die mit den obigen Worten ihre Erzählung beendet, lebte noch vor kurzem in South-Shields. Ihr Mann war, wie du, lieber Leser, gehört hast, der erste, der ihr den Namen ›Seekönigin‹ gab. Ihr Vater folgte und nannte sie stets ebenso, bis sie in ihrem ganzen Freundeskreise nur noch unter diesem Namen bekannt war. Ob sie ihn verdient, mag der Leser selbst beurteilen. Die Erzählung habe ich kürzlich aus ihrem eigenen Munde nach und nach gehört. Mein Gedächtnis mag mich zuweilen im Stich gelassen haben, auch habe ich mir wohl kaum die Anschaulichkeit ihrer eigenen Schilderung zu eigen machen können.

Es mag diejenigen, die ihre Geschichte gelesen haben, interessieren, zu erfahren, daß sie ihren Willen durchsetzte und ihren Mann zu Hause behielt. Sie erzählte mir, daß darüber erst verschiedene längere Erörterungen stattfanden. Richard konnte sich zuerst ganz und gar nicht mit dem Gedanken befreunden, seinem Schwiegervater sozusagen auf der Tasche zu liegen. Vater und Tochter drangen aber zuletzt doch durch. Der Bergungslohn, der an Kapitän Fowler ausgezahlt wurde, reichte aus, um einige Anteile an einem, der Reederei der ›Aurora‹ gehörenden Schiffe zu erwerben. Diese Anteile und die, welche Kapitän Snowdon besaß, verschafften Herrn Fowler eine gut bezahlte Stellung in dem Kontor der betreffenden Firma, die er zu großer Zufriedenheit seiner Prinzipale ausfüllte. Auch seine eigenen Vermögensverhältnisse verbesserte er dabei so, daß er zu sagen pflegte, in fünf Jahren hätte er mehr Geld an Land verdient, als wenn er fünfzig Jahre zur See gefahren wäre.

Ich fragte Frau Fowler nach dem Zimmermann Short. Sie konnte mir nichts weiter mitteilen, als daß er sich bei den Reedern der ›Aurora‹ gemeldet hatte, um seine Heuer in Empfang zu nehmen. Diese wiesen ihn mit seinen Ansprüchen ab und gaben als Grund dafür die Unbotmäßigkeit an, deren er sich an Bord der Bark schuldig gemacht habe. Short drohte darauf durch einen Winkelkonsulenten mit gerichtlicher Klage. Dann aber muß er zur See gegangen oder gestorben sein. Es wurde nichts mehr von ihm gehört.


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