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Der Schlitten

Heiligabend war wieder da. Auf dem Tisch stand der Tannenbaum, und daran glänzten soviel Lichter, als hätte der Himmel alle seine Sterne dazu geschenkt.

Im Zimmer waren drei Kinder, Hans, Grete und Wiegenkind. Hans hatte einen Schlitten bekommen, Grete eine Puppe und Wiegenkind ein Paar hübsche kleine Schuhe; aber daraus machte es sich nichts, weil es noch nicht laufen konnte – es hatte nur Augen für die leuchtenden Sterne am grünen Tannenbaum. Grete nahm ihre Puppe und stellte sie auf die Erde und freute sich, daß sie tanzen konnte. Derweil besah Hans seinen Schlitten von allen Seiten, von hinten und vorn, von unten und oben, von außen und innen, und als er damit fertig war, sagte er: »Das ist gar nicht mein Schlitten.«

»Warum nicht?« fragte der Vater.

»Dieser Schlitten ist innen rot und außen blau, und ich hab's mir gewünscht: von innen blau und außen rot. Vater, du hast es sicher falsch bestellt!«

»Nein, daß du das vom Vater glauben kannst!« rief die Mutter, »bestellt hat er's schon recht, Christkindlein wird sich nur vergriffen haben.«

Da meinte Hans, das könnte er sich doch vom Christkind nicht denken; wenn er nur den Weg wüßte, ginge er ihm nach und fragte an, wie es stünde, und so nörgelte er den ganzen Abend. Aber dann wurden die Kinder schläfrig, und die Mutter brachte sie ins Bett.

»Mutter,« fragte da das Büblein und schlief beinahe, »wo kam Christkind in unser Haus herein?«

»Zur Vordertür und ist auf die Diele geritten.«

»Und wo ging es hinaus?«

»Zur Seitentür.«

»Ei, die war ja viel zu niedrig für Pferd und Reitersmann.«

»Ist abgestiegen, Kind.«

»Und draußen stieg's wieder auf? Wo ist es dann geblieben?«

»Ritt erst durch den schweigenden Tannenwald.
Durch den wunderschönen Tannenwald,
Leuchtend von Schnee und bitter kalt.
Hat zwei schwarze Raben gefragt:
›Sind offen die goldenen Himmelstüren?‹
›Nein,‹ so haben die Raben gesagt. –
›Gut,‹ sagt Christkindlein, ›geh' ich spazieren.‹
Ritt dann übers glitzernde Eis
Von dem tiefen, tiefen Erlensee,
Band an sein Rößlein, wie Schnee so weiß,
Und stieg allein auf Bergeshöh,
Glitschte darauf hinab ins Tal –
Und wart' einmal:
Steig du, mein Büblein, auf schneeige Höh'n,
Dann kannst du unten, tief unten im Tal
Christkindlein auf dich warten sehn.«

So sprach die Mutter und löschte leise die Kerze; denn Büblein hatte die Augen zu und schlief.

War Büblein wirklich eingeschlafen? Wir wollen's morgen fragen, ob's geschlafen hat oder gewacht. – Aber lausch einmal! Büblein steht auf, leise, ganz leise, zieht husch! Strümpfe und Hosen an, husch! linken und rechten Schuh, zieht lautlos die Jacke an, die warme Winterjacke, setzt seine Pudelmütze auf den Kopf, und eins, zwei, schlüpfen die Hände in die beiden Handschuhe, mit Pelz sind sie gefüttert.

Draußen vor der Tür steht der Frost, der gern die kleinen Kinder beißen möchte, aber Hansel fürchtet nicht den Frost; er macht die Tür auf und lacht ihm ins Gesicht. Dann geht er Christkindlein suchen, und seinen Schlitten zieht er hinter sich her, den Schlitten innen rot und außen blau. – Hat Büblein das Christkind denn gefunden?

Laßt sehen!

Hans wandert durch den wunderschönen Tannenwald. Vor ihm im Schnee sind die Stapfen von zierlichen Pferdehufen: das ist Christkindleins Roß gewesen, und so kann Büblein des rechten Weges nicht verfehlen. Aber bitter kalt ist's doch – macht nichts! Zieht es seine Pudelmütze über die Ohren, und horch! leise, leise singen die Engel im Himmel, und durch die Tannen geht ein sanftes Rauschen.

»Ei, ihr Tannen,« sagt Büblein, »habt ihr Zucker zu verkaufen oder Salz?«

»Nein, Wolle,« flüstern die Tannen.

»Was? Und ihr steht hier? Dann geht doch in Stadt und Dorf. Sind viele kleine Kinder darin, die haben Löcher in Socken und Strümpfen, die sollt ihr stopfen mit eurer Wolle; die Nadeln habt ihr ja dazu.«

Aber die Tannen regen sich nicht vom Fleck. Hans geht weiter, immer weiter durch den tiefen Schnee, und sacht gleitet sein Schlitten hinter ihm her, der Schlitten außen blau und innen rot. Zuletzt wird Büblein müde und, ach was! denkt's, laß andere ziehen, setzt sich in den Schlitten und wartet. Da kommen zwei Raben daher, der eine rechter, der andere linker Hand, die singen mit trauriger Stimme:

»Quark, quark! uns hungert so stark.
Wer schenkt einen Knochen mit Fleisch und Mark?
Teuer die Zeit, und alles ist Quark.«

»Dann kommt morgen vor unser Küchenfenster,« sagt Hans, »da sollt ihr einen großen Schinkenknochen haben; aber jetzt spannt euch flink vor meinen Schlitten, Christkindlein einzuholen.«

Und schau! Das tun die Raben, schlagen mit ihren Flügeln, heben sich ein wenig vom Boden, und im Sause gleitet der Schlitten dahin. Hansen hüpft das Herz; hoch oben hüpfen die funkelnden Sterne mit und zu beiden Seiten hüpfen die ernsten Tannen; sie werden ganz übermütig und bewerfen das Büblein mit blitzendem Kristall und köstlichem Gestein. Und dann kommen sie an den weiten Erlensee, der hat gar keinen Atem mehr, und er liegt in einem großen, gläsernen Sarge.

»Hinüber!« sagt Hans, aber die Raben meinen: »Nein, Hans, nun sind wir müde, und für einen Knochen haben wir dich lange genug gezogen. Ade!«

Büblein klagt: »Ach, wie komm' ich nun weiter!« Aber da packt der Wind den Schlitten und schiebt und schiebt und, hast du nicht gesehen, geht's im Saus über den glatten Spiegel des Sees, geschwinder als der Vogel fliegt, und bald sind sie am andern Ufer.

»Weiter, Wind, weiter!« ruft Hans, »nun schiebe mich auch den großen Berg hinauf!«

»Nein, Hans,« sagt der Wind, »ich bin ganz außer Atem, und der Berg ist mir zu steil. Ade!«

Was soll Büblein nun machen? Aber schau, dort am Ufer steht Christkindleins Pferd, das ist nicht größer als ein Pony, so weiß wie Schnee und so klug wie ein Pudel. Das hat Langeweile, und so spannt's der Hans vor seinen Schlitten, innen rot und außen blau, und im Trab zieht es ihn den Berg hinauf und keucht nicht einmal.

Nun sind sie oben und halten still, und den Sternen sind sie so nahe, daß sie ein Schock davon greifen und in die Tasche stecken könnten. Ringsumher liegt die blitzende Welt und leuchtet so weiß, als wäre sie aus eitel Zucker gemacht. Aber aus dem Tal grüßt der helle Mond herauf; aber nein, das ist gar nicht der helle Mond, das ist Christkindlein selbst, das schreitet langsam dahin. Da heißt Büblein das schneeweiße Roß dort oben warten und gibt dem Schlitten einen Ruck; denn abwärts geht es von selber. Ist das schön, zu fahren ohne Roß und doch schneller als mit dem Roß! »Halt, Hans!« sagt rechts ein Fels – »halt!« ein Eisblock links – »halt!« sagt rechts eine Schlucht und links ein krüppeliger Kiefernwald. Aber Büblein kommt immer hindurch und vorbei. Und immer schneller wird die Fahrt, schneller als der Wind und schneller als der Blitz, und o Gott, o Gott, wie wird das enden! Schon sind wir Christkindlein auf den Fersen, und das schreitet unbekümmert dahin.

»Christkindlein, hilf!« ruft Hans da in höchster Not, und sieh! da wendet's sich, streckt ganz leicht die Hand aus, und brr! da hält der Schlitten mit einem Male.

»Das war aber auch die höchste Zeit,« ruft Hans, »noch einen Augenblick, und ich hätte dich überfahren.«

Da lächelt Christkind und sagt: »Ja, Hans, was wolltest du denn eigentlich?«

»Fragen wollt' ich: hat Vater einen Schlitten bei dir bestellt, innen blau und außen rot?«

»Das hat seine Richtigkeit.«

»Gar nicht,« sagt Hans, du hast mir heute abend einen gebracht, der ist innen rot und außen blau! Hier sieh nur selbst.«

Da lächelt Christkindlein noch einmal ganz gütig und mild und spricht: »Aber, Hans, wo hast du denn deine Augen?«

Und o Wunder! Da ist der Schlitten wirklich außen rot und innen blau, und Hans weiß gar nicht mehr, was er sagen soll, als bloß zuletzt: »Ich dummer Junge, wie komm ich nun wieder nach Hause?«

»Ja,« sagt Christkind, »mein Pferd, das braucht ich selber; aber wart' einmal, da hab' ich in meiner Tasche noch zwei wunderschöne Träume, die spann' ich vor deinen Schlitten; sieh so! Und nun wird's schon gehen.«

Und schau, die beiden wunderschönen Traume entfalten sacht die dunkelbraunen Flügel und fahren Büblein wieder heim. Ach, wird's da so wohlig müde, und in der Ferne hört es Christkindleins Stimme, leise, so leise: »Fahr wohl, kleiner Knabe, fahr wohl!« Dann geht es sanft zurück über Berg und Tal, über den weiten See und durch den schweigenden Tannenwald, und als es Morgen ist, liegt Büblein wieder in seinem weichen Bett und weiß nicht wie.

»Mutter, Mutter!« ruft es und reibt sich die Augen, »zeig mir rasch einmal meinen Schlitten!«

Und als Büblein ihn besieht – nein, sind das aber Geschichten! – da ist er wiederum innen rot und außen blau.

*

 


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