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Am Hof zu St. Germain, Fest des hl. Stephanus.
Ich kenne mich selber nicht mehr. Mein ganzes Wesen ist wie umgewandelt. Ich bin ja der Mensch gar nicht mehr, der ich war.
Man sagt von Gott, daß er Herz und Nieren prüft; so rufe ich ihn zum Zeugen an, wie ich seit Jahren auch nicht mit dem leisesten Gedanken dran gedacht hatte, meinen Stand zu ändern.
Ich rechnete mich mit voller Überzeugung unter die Glücklichen. Meine Geburt, meine königlichen Reichtümer, mein Leben in Glanz und Schönheit, meine Unabhängigkeit, um die mich alles beneidete, gaben mir ein dergestalt überlegenes Gefühl des Daseins, daß mir, wie ich sicher glaubte, nichts zu wünschen übrigblieb.
Wie hat sich nun das seit den letzten Wochen verändert. Ich fühle mich wie krank, ohne daß ich zu sagen wüßte, was mir fehlt. Was meine Lust und Freude war, erregt mir Widerwillen; die Menschen sind mir unerträglich, und in der Einsamkeit glaube ich zu ersticken. Jeden Augenblick ertappe ich mich auf dem Gedanken, ob ich nicht gut täte, meinen Stand und mein Leben von Grund aus zu ändern.
Um es kurz zu sagen, es ist mir, als ob ich dem unerträglichen Zustand nur dadurch entgehen könnte, daß ich mich verheirate.
Als ich ein junges Mädchen war, hätte ich mich dieses Gedankens in die tiefste Seele hinein geschämt und heute nun soll ich mir gestehen, daß ich zu verschmachten, zu vergehen drohe in meinem Stand, und daß der Gedanke an eine Heirat auf mich wirkt wie eine Verheißung von Glück und Seligkeit, wie ein Rettungsanker in unsäglicher, verzweiflungsvoller Not.
Bin ich denn noch die stolze Fürstin von ehedem? »Kein Dogma«, so habe ich einst in meinen Erinnerungsblättern niedergeschrieben, »hat mir durch mein ganzes Leben so heilig gegolten als das: daß einer Fürstin meines Ranges nichts so unwürdig sei, als sich selber oder andern gewisse Regungen des Herzens einzugestehen, oder gar jenen trüben Gewalten, die man im gemeinen Leben als Liebe bezeichnet, einen Einfluß auf ihre Handlungen einzuräumen.«
Und wie verächtlich war mir damals jene Prinzessin von Rohan, von deren Mesalliance eine Zeitlang am Hofe und in der Stadt so viel die Rede ging.
Und jetzt?
* * *
Wahrlich, es gibt Mächte, die stärker sind als wir, und es nützt nichts, sich dagegen zu wehren.
Ich tue es auch schon gar nicht mehr. Wie ein Kind mit seiner Puppe spiele ich mit gewissen Gedanken, die mir so lieb geworden sind, daß ich meine, nicht mehr ohne sie leben zu können.
Ich denke mir, wie herrlich es für mich wäre, einem Mann durch mich Macht und Reichtum zu geben, ihn groß zu machen vor der Welt; ich male mir aus, wie viel ein solcher Mann mir zu verdanken hätte, wie ein dergestalt Auserwählter, er müßte denn ein Ungeheuer sein, sich gedrängt fühlen würde, ganz für mich zu leben, jedem Wunsch meines Herzens zuvorzukommen, mich so glücklich zu machen als nur die sterbliche Kreatur zu werden vermag. Ich hätte vor ihm mehr Achtung und Ehrfurcht, ich würde ihn mehr bewundern als irgendeinen Mann der Welt, und er wäre mein aufrichtigster, mein treuster Freund. Wie sollte ich da nicht glücklich sein!
Und wie bedauernswürdig ist dagegen mein heutiger Zustand. Was sind mir meine Reichtümer? Sie machen, daß meine Verwandten mit Sehnsucht meinen Tod erwarten.
Man soll nicht glauben, daß der Mensch im Geringsten etwas über sich vermöge. Wir stehen in Gottes Hand, Gott verfügt über uns. Nur von Gott kann der Gedanke kommen, dessen ich mich keinen Augenblick mehr erwehren kann, der Gedanke, daß ich nur in einer Heirat Ruhe und Glück finden werde, in einer Ehe, die mir zum Freund und Gefährten einen Mann gesellt, den meine königlichen Reichtümer auf einmal hoch über seinen Stand hinausheben und der dafür so von Erkenntlichkeit durchdrungen sein muß, daß er sein ganzes Leben nur für mich leben wird.
29. Dezember.
Es könnte scheinen, als ob ich einen solchen Mann erst suchte. Ich bin aber überzeugt, ihn längst gefunden zu haben.
Niemand wird es sein als Graf Lauzun, den sein Betragen, sein hoher Geist, eine seltene Großmut und nicht zum wenigsten sein Platz im Herzen des Königs, um den er sich täglich verdienter macht, hoch über seine Umgebung hinausheben.
Wenn es überhaupt einen gibt, ist er der Mann, der sich würdig zeigen wird des außerordentlichen Schicksals, das ich ihm in meinem Herzen zugedacht habe, und dem wahrhaftig nicht jeder gewachsen sein würde. Es ist unmöglich, daß mein Herz sich in ihm täusche.
Wenn ich mein vergangenes Leben überdenke, überfällt es mich oft mit einem Schreck, wie wenig wahre Liebe und Freundschaft ich erfahren habe; ja es will mir scheinen, als ob sich diese Güter des Lebens, deren sich der Ärmste rühmen darf, aus allzu großem Respekt vor meiner Hoheit immer in weiter Entfernung von mir gehalten hätten.
Es muß aber etwas Süßes sein, sich geliebt zu wissen.
Doch wird die Liebe, vor der ich so lang meine Türe in Hochmut verschlossen hielt, nun zu mir kommen wollen, da ich nach ihr schreie in der Not meines Herzens?
Seltsam, daß mir so spät der Gedanke kommt, welches Glück es sein könnte, an der Seite eines edeln Mannes zu leben, der im tiefsten Herzen unser Freund ist, der Schmerz und Freude mit uns teilte und der sich stets wie ein unverletzlicher Schild vor uns aufstellte gegen die Feindseligkeiten der Welt und die mörderische Habsucht liebloser Verwandten.
Und ach, wie ich auch um mich blicke in der Gegenwart, und zurück in die Vergangenheit: ich weiß diesem Manne keinen andern Namen zu geben als den Namen Lauzun.
Alle Betrübtheit, alle Unruhe, alle Einsamkeitsqual seit Monaten kam allein davon, daß ich ihn oft nicht sehen konnte; alle Beruhigung, alle heimliche Freude verdanke ich den kurzen Augenblicken, die ich in seiner Gegenwart erleben durfte. Was sollte es bedeuten, daß mir die gleichgültigste Unterhaltung mit ihm ein Vergnügen macht, wie ich es in meinem Leben nicht gekannt hatte?
Es nützt nichts, ich muß es mir schon gestehen: Er ist die Ursache alles Widerwillens, den ich seit Monaten so oft gegen alle Menschen empfinde, und nur zu ihm hin zieht mich eine unwiderstehliche Sympathie des Herzens, deren geheimnisvoll magnetische Gewalt ich erst jetzt in mir entdecke.
Der tödliche Schreck, der mich jedesmal überfällt, wenn ich bei der Königin eintrete und ihn nicht erblicke, läßt mir über die Natur meines außerordentlichen Zustands keinen Zweifel mehr.
* * *
Ich war ja unwissend wie ein Kind. Seit einigen Tagen erst sind mir die Augen aufgegangen.
Von nichts träume ich mehr als von ihm. Nur mit ihm sind alle meine Gedanken beschäftigt. Bald wünsche ich nichts so heiß, als daß er meine Absichten erraten möchte; bald wieder fürchte ich es wie den Tod.
Geduld war immer meine geringste Tugend. Dieser schwankende Zustand, dieses Hinundhergeworfenwerden zwischen Furcht und Hoffnung reibt mich auf, ich kann es gar nicht sagen.
Ruhig bin ich nur in seiner Gegenwart.
Letzter Tag des Jahres.
Immer und immer wieder muß ich über die Schwierigkeiten nachdenken, die sich meinen heimlichen Absichten vielleicht in den Weg stellen werden. Gestern war ich nahe daran, mich dem König zu offenbaren. Ich wollte ihn um seinen Rat, um seine Hilfe anflehen.
* * *
... traf ich Herrn von Lauzun bei der Königin. Ich war mit dem Vorsatz gekommen, ihm meinen Zustand rückhaltslos zu verraten; seine tief ehrfurchtsvolle Haltung ließ mich erkennen, wie ahnungslos er sei. Das benahm mir allen Mut.
Die Ungleichheit unseres Standes wird in der Welt als ein unüberwindliches Hindernis erscheinen, aber ich habe unsere Chronisten gelesen und finde darin zahlreiche Beispiele, daß einfache Edelleute, von viel geringerem Verdienst als er, sich mit Töchtern und Schwestern, mit Enkelinnen und Witwen französischer Könige vermählt haben; sie waren aus weniger alten und erlauchten Häusern und konnten an Hoheit der Seele und Adel der Gesinnung sich bei weitem nicht mit ihm messen.
3. Januar.
So hat noch nichts den Hof in Aufregung gebracht wie dieser Tage die Verhaftung des Chevaliers von Lothringen.
Den nächsten Grund dieser Verhaftung hat mir der König heut selber folgendermaßen erzählt.
In der Apanage seines Bruders war eine reiche Abtei zu vergeben. Vetter Orléans verlieh sie seinem Günstling, dem Chevalier, der damit den fetten Brocken schon in der Tasche zu haben glaubte. Als er aber vom Staatskanzler Le Tellier die nötigen Ausfertigungen für Rom verlangte, erklärte dieser, der König habe diese Ausfertigungen verboten. Entrüstet hierüber eilte Vetter Orléans zu seinem Bruder und fragte unwirsch nach den Gründen dieses Verbots. Der König antwortete ruhig: es sei nun einmal gegen seinen Willen, daß der Chevalier von Lothringen diese Abtei erhalte. Anderer Gründe brauche es nicht. Vetter Orléans wollte aufbegehren, der König wies ihn zur Ruhe und bemerkte ihm, er täte besser auf die wohlgemeinten Ratschläge des Königs zu hören, als sein Ohr einzig dem Chevalier zu leihen, der sein böser Dämon sei und nur Unheil über ihn und sein Haus bringe. Seitdem wußte dieser nichts Besseres, als Vetter Orléans täglich mehr gegen den König aufzuhetzen, der endlich die Geduld verlor und die Verhaftung des Störenfrieds beschloß.
Auch in dieser Angelegenheit fiel Herrn von Lauzun wieder eine äußerst delikate Rolle zu.
Da gerade Graf Ayen den Dienst beim König hatte, konnte derselbe erwarten, daß Seine Majestät ihm die Verhaftung auftrage, denn so war es unverbrüchliches Herkommen. Aber das Unternehmen gegen den Günstling des königlichen Bruders, als welcher Tag und Nacht mit dem Chevalier zusammenzustecken pflegte, war eine kitzlige Sache und der König traute dem Grafen Ayen nicht die nötige Gewandtheit zu. Er übertrug darum die Verhaftung dem Herrn von Lauzun, dessen Zartgefühl er damit auf keine kleine Probe stellte.
Doch der Graf bestand glänzend. Er erklärte sich bereit, dem Befehl des Königs sofort nachzukommen, doch erlaube er sich, fügte er hinzu, Seiner Majestät untertänigst vorzustellen, daß Graf Ayen berechtigten Anspruch auf diese Ehre habe und seine Umgehung als eine persönliche Beleidigung auffassen könnte. Und der König, der noch nie einer vernünftigen Remonstration sein Ohr verschlossen hat, billigte die Gründe des Grafen. Er ließ Herrn von Ayen rufen und beauftragte ihn mit dem Geschäft. Doch wünschte er, daß Herr von Lauzun den andern begleite, weil er noch immer fürchtete, Herr von Ayen könne eine Dummheit machen.
Die beiden fanden wirklich den Chevalier mit dem königlichen Bruder in dessen Zimmer eingeschlossen, und der König, indem er mir dies alles erzählte, verhehlte seine Bewunderung nicht über die geschickte Art, wie Herr von Lauzun es anzugreifen wußte, den Chevalier aus seinem sichern Versteck hervorzulocken und sich seiner Person zu bemächtigen.
Eine Kompagnie Musketiere hat den Chevalier darauf nach der Insel If eskortiert, wo er auf dem dortigen festen Schloß in enger Haft gehalten wird.
Über diese Verhaftung wird niemand so glücklich sein als meine Base von Orléans. Für alles, was ihr seit Jahren von ihrem Gemahl Schlimmes widerfuhr, machte sie in ihrem Herzen dessen Günstling, den Chevalier, verantwortlich.
Und sie mochte wohl recht haben. Vetter Orléans ist ja unselbständiger wie ein Kind. Er hatte, seinen Putz und seine Pomaden ausgenommen, nie einen Willen, weder zum Guten noch zum Bösen. Nur kindisch eigensinnig kann er sein. Dem Chevalier aber war er widerstandslos hingegeben. Ihm folgte er wie ein Hund seinem Herrn. Ich glaube, er fürchtete ihn auch so. Und Gott mag wissen, wie er sich nun dirigieren wird, da ihm sein Direktor genommen ist.
Dieser Chevalier von Lothringen und Vetter meiner verehrten Stiefmutter galt früher einmal als der schönste Mann am Hof. Unterdessen hat ihn eine schändliche geheime Krankheit sehr verwüstet.
Er ist wohl der lasterhafteste Mensch, der heute existiert. Vetter Orleans soll von ihm zu unglaublichen Dingen verführt worden sein. Ja, es ist geradezu haarsträubend, was sich manchmal die Damen hierüber erzählen, und oft, wenn bei meinem Hinzutreten ein plötzliches verlegenes Schweigen eintrat, hat mir nachher die und jene gestanden, daß vom Chavelier von Lothringen und seinem berüchtigten Orden die Rede war. Nämlich nicht vom Malteserorden, dem er sonst angehört, sondern von demjenigen, den er selber gestiftet haben soll und worin man nicht etwa für hervorragende Tugenden sondern für ein scheußliches Laster zum Ritter geschlagen wird.
24. Januar.
Diesen Winter über, solange wir hier sind, habe ich noch nicht ein einziges Mal Lust verspürt, nach Paris zu gehen, während ich doch in andern Jahren diese Abwechslung sehr liebte. Paris ist mir ganz unausstehlich geworden.
Paris, Luxemburgpalast, 3. Februar.
Ich bin seit gestern hier, aber gezwungen. Eine meiner Ehrenfräulein hat die Blattern bekommen, was mich für einige Zeit verhindert, an den Hof zu gehen. Ich weiß aber gar nicht, wie ich es hier aushalten soll. Die paar Wochen werden mir zur Ewigkeit werden.
Paris, 11. Februar.
Heute war ich wieder einmal stolz, durch meine Geburt eine Pariserin zu sein. Dieser Jubel über die Einnahme von Besançon durch den Fürsten Condé am verflossenen Siebenten hat meinem patriotischen Herzen wohl getan. Man muß sie lieben meine Pariser.
So wird nun auch die Franche-Comté unserm König huldigen müssen.
St. Germain, 17. Februar.
Ach nein, es wird mir immer klarer, daß ich das Unmögliche will, daß ich mich mit Chimären herumschlage. Man wird mir Schwierigkeiten machen, meine armen Kräfte werden dem Kampf nicht gewachsen sein; ich muß suchen mich des schönen Traumes zu entwöhnen.
Ich will von heute an den Grafen Lauzun vermeiden, koste es mich, was es wolle, ich will jedenfalls nicht mehr unter vier Augen mit ihm reden.
19. Februar.
Ich traf ihn bei der Königin. Wenn ich wollte, brauchte ich ihn nicht anzureden, denn er selber richtet, den Gesetzen der Etikette gemäß, nie zuerst das Wort an mich. Ich fürchtete aber aufzufallen, wenn ich ihn plötzlich vermied. Also sprach ich ihn an, war aber dabei so verwirrt, daß ich nicht wußte, was ich sagte.
Was er sich nur gedacht haben mag.
22. Februar.
Unsere Herzogin von Orléans gehört zu seinen Freundinnen, sie sprach mir heut von ihm mit großer Wärme. Ob ich mich vielleicht ihr entdecken sollte? Sie könnte mir vielleicht den Ausweg weisen aus dem Labyrinth, in das ich mich verirrt habe.
* * *
... begleitete ich die Königin zur Kirche der Karmeliterinnen, ich warf mich vor dem ausgesetzten Allerheiligsten nieder und bat Gott um die Gnade seiner Erleuchtung. Er verweigerte mir meine Bitte nicht. Mit Kraft und Klarheit fühlte ich: daß ich für mein ganzes Leben elend sein würde, wenn ich den schmeichlerischen Hoffnungen entsagen sollte, die in meiner Seele bereits so tiefe Wurzeln geschlagen haben.
* * *
Gott wollte es, daß der Zufall mir zu Hilfe komme. Seit einigen Tagen wird erzählt, der König gedenke unserm Vetter von Lothringen sein Herzogtum zurückzugeben und mich mit dem Prinzen Karl zu vermählen. Dieses Gerücht will ich benutzen und Herrn von Lauzun um seinen Rat bitten. Ich hoffe, diese Gelegenheit wird endlich zu einer Aussprache zwischen uns führen.
* * *
Gott stellt meine Geduld auf eine harte Probe. Ich hatte eine zweistündige Unterredung mit Lauzun und ich bin um kein Haar klüger als zuvor.
»Ihr habt mir in der letzten Zeit«, begann ich fast zitternd, (wir hatten uns im Gemach der Königin in eine Fensternische zurückgezogen), »so viel Beweise freundlicher Teilnahme gegeben, und ich denke so hoch von Eurer treuen Ergebenheit wie von Eurem hohen Verstand, daß ich in einer entscheidenden Lebensfrage Euren Rat einholen möchte ...«
Mit einer tiefen Reverenz antwortete er, wie dankbar er mir sei für die Ehre, die ich im Begriffe stehe, ihm zu erweisen. Er werde mein Vertrauen in jeder Weise zu rechtfertigen suchen und mir nach reiflicher Überlegung mit aller Offenheit seine Meinung sagen.
»Ob er gehört habe, daß der König mich mit Karl von Lothringen verheiraten wolle?«
»Er habe davon nichts gehört und er sei überzeugt, der König werde nichts von mir verlangen, als was ich selber wünschte. Seine Majestät sei durchdrungen von der Begierde, jedermann Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, und sicher werde Seine Majestät sie mir am wenigsten verweigern.«
»Nun ja,« antwortete ich, »der König wird ja jemanden in meinem Alter nicht leicht gegen seinen Willen zu einer Heirat zwingen wollen. Man ist in meinem Leben mit den verschiedensten Anträgen an mich herangetreten und es waren einige darunter von der glänzendsten Art; aber ich würde mich unglücklich gefühlt haben, wenn man mich gezwungen hätte, einen davon anzunehmen. Ich liebe zu sehr mein Land und unsern König, um getrennt davon leben zu können. Denn seht, es liegt in meiner Natur, mich mehr von der Vernunft als vom Ehrgeiz regieren zu lassen. Der Ehrgeiz macht nicht glücklich und ich habe mich immer mehr überzeugt, daß der Mensch das Leben ohne Glück nicht zu ertragen vermag. Die Aussicht aber, an der Seite eines Mannes zu leben, den man nicht einmal kennt, schien mir von jeher nur ein sehr ungewisses Glück zu versprechen ...«
Er könne meine Auffassung nur billigen.
»Ihr seid glücklich,« sagte er nach einer Weile, »die ganze Welt beneidet Euch um Eure Stellung, warum solltet Ihr Euch verheiraten?«
»Aber muß nicht der Gedanke,« antwortete ich, daß unsere Nächsten nur immerfort daran denken, uns zu beerben, und uns nichts so sehr wünschen als einen frühen Tod – muß dieser Gedanke nicht unser Gefühl am Dasein verdüstern und einen trüben Schatten in unser Gemüt werfen?«
Herr von Lauzun zögerte mit der Antwort. Darüber verließ die Königin ihr Gemach und ich mußte ihr folgen.
Zu einer rechten Aussprache zwischen uns kam es also nicht, aber ich fühle mich dennoch unendlich erleichtert, daß einmal ein Anfang gemacht ist. Ich kann nun leicht anknüpfen und den Faden weiterspinnen.
* * *
Die Entfernung des Chevalier von Lothringen hat leider die Lage meiner armen Base kaum gebessert. Vetter Orléans ist überzeugt, daß sie es war, die die Einkerkerung seines Lieblings beim König durchgesetzt hat.
Um sich zu rächen, läßt er keinen Tag vergehen, ohne ihr ihre früheren Vergehungen in der brutalsten Weise vorzuwerfen. In den rohesten Ausdrücken beklagt er sich bei andern über sie. Wenn er sie schon haßt, als die Mutter seiner Kinder müßte er sie wenigstens respektieren. Sie ist wahrhaftig bedauernswürdig.
Als ich sie das letztemal im Schloß zu Saint-Cloud besuchte, brach sie solchergestalt in Schluchzen aus, daß sie mir leid tat. »Er hätte mich doch lieber erwürgen sollen,« rief sie zuletzt aus, »auf der Stelle erwürgen, als ich mich gegen ihn verfehlte; aber mich fortgesetzt und täglich aufs Blut zu martern, das geht über alles, was man einem Menschen antun darf.«
Die Arme.
Dabei ist es doch sehr fraglich, ob man ihr ein wirklich ernstes Vergehen vorwerfen kann. In ihrem Verhältnis zu dem jungen Herzog von Guiche war vielleicht mehr jugendlicher Übermut und ausgelassenes Wesen – sie waren ja beide fast noch Kinder – als sträfliche Leidenschaft. Was man sich aber gar von ihrem blutschänderischen Verhältnis zu ihrem Bastard-Bruder, dem Herzog von Monmouth, erzählt, halte ich für nichts als schändliche Verleumdung. Mit solchen Kinderaugen wie die der Herzogin, aus denen, wenn sie fröhlich ist, die lachende Unschuld blickt, kann man unmöglich so verworfen sein.
Aschermittwoch.
Bei der Königin, als Ihre Majestät sich nach Tisch erhob, um sich in ihr Oratorium zu begeben, bemächtigte ich mich des Grafen Lauzun fast mit Gewalt.
»Ob er über meinen Fall nachgedacht und ob er mir nichts zu sagen habe.«
»Sehr habe er darüber nachgedacht und es gäbe ein dickes Buch, was ihm alles durch den Kopf gegangen. Aber das seien alles Luftschlösser. Man täte am besten, nicht davon zu reden.«
»Es ist möglich,« antwortete ich ihm, »daß meine Absichten und Hoffnungen auch nur Luftschlösser sind, vielleicht entdecken wir aber noch, daß sie bessere Fundamente haben, als es auf den ersten Blick den Anschein hat. Jedenfalls mögt Ihr versichert sein, daß es sich für mich nicht bloß um leere Redefloskeln handelt, sondern um eine durch und durch ernste Sache, die ernsteste meines Lebens, und ich bitte Euch, meine Worte für mehr als Worte zu nehmen.«
»Eure Königliche Hoheit«, entgegnete er feierlich, »macht mich also im Ernst zum Chef von Dero Geheimen Konseil, sehr schmeichelhaft; möge sich denn Eure Königliche Hoheit selber die Verantwortung zuschreiben, wenn ich darob ein wenig hochmütig werde.«
»Keine Komplimente,« fiel ich ihm ins Wort, »und wenn Ihr also das Amt eines Geheimen Konseilpräsidenten, wie Ihr Euch ausdrückt, annehmt, so wollet auch ohne Umschweife Eures Amtes walten, und Ihr sollt sehen, wie Ihr mich folgsam findet. Ihr habt unser gestriges Thema doch nicht vergessen?«
»Daß Eure Königliche Hoheit daran denkt, sich zu verheiraten, um Dero Verwandte der Versuchung zu entheben, Eurer Königlichen Hoheit Tod herbeizuwünschen. Die Gründe zu diesem Entschluß muß ich billigen, aber in der Ausführung Eures Planes scheint mir guter Rat teuer und Euerer Königlichen Hoheit hoher Stand scheint mir manchmal bemitleidenswürdig.«
Hier schwieg er, als ob er schon zu viel gesagt habe. Doch ergriff er noch einmal das Wort.
»Ich will Euch nicht verschweigen,« sagte er in etwas vertraulicherem Ton, »daß ich seit langem beobachtet habe, mit welchem Verlangen Ihr Euch nach einem Menschen umschautet, der Eures vollen Vertrauens würdig wäre, und ich bin sehr glücklich, daß Ihr glaubt, in mir diesen Menschen gefunden zu haben. Ich bin aber zugleich sehr unglücklich, Euch weder raten noch helfen zu können. Wenn ich ehrlich sein soll, so scheint mir, daß Eure jetzige Lage jeder andern vorzuziehen sei. Bedenkt nur, welcher Vorteil darin liegt, das, was man in der Welt vorstellt, nicht einem andern, sondern allein sich selber zu verdanken. Der König liebt Euch, Eure Gesellschaft ist ihm eine der liebsten und angenehmsten; was könnt Ihr mehr wünschen? Wenn Ihr Königin oder Kaiserin wäret, würdet Ihr umkommen vor Langeweile, abgesehen davon, daß der Rang einer Königin kaum höher ist als der Eure. Es ist schwer, sich in fremde Verhältnisse zu schicken, eine unendliche Summe von Verdruß wäre Euch sicher; was Euch dafür entschädigen könnte, sind dagegen sehr ungewisse und zweifelhafte Dinge.«
Das war es gerade, was ich von ihm hören wollte. Und wie freute ich mich, ihn endlich so weit zu haben. Ich zweifelte auch nicht, daß er nur in einer mir günstigen Absicht dies alles vorbrachte.
»Ihr sprecht mir ganz aus der Seele,« antwortete ich, »und Ihr nennt mir genau die Gründe, warum ich die Antrage so vieler Großen dieser Erde ausgeschlagen habe. Der wichtigste darunter ist der, daß ich mich nicht von meinem König trennen mag. Und nun sagt, ob es wohl dem König nicht angenehmer sein muß, wenn ich aus diesem Grund lieber einen seiner Untertanen groß und reich machen will, der sich dem König dafür alle Zeit seines Lebens verbunden fühlen wird, als mich einem fremden Monarchen zu verbinden, der vielleicht eines Tages als sein Feind gegen ihn auftritt.«
»Hollah,« rief Herr von Lauzun, »da haben wir das Luftschloß«.
»Wieso Luftschloß?«
»Und was seine Fundamente betrifft,« fuhr er kaltblütig fort, »laßt uns sehen. Euer Gedanke enthält zunächst keine Unmöglichkeit. Vor allem begreife ich, daß es Euch schmeicheln muß, Euch einem Manne zu verbinden, der Euch alles verdankt. Die Idee ist schön und löblich. Aber unter allen Untertanen des Königs einen Mann zu finden, der Eurer Wahl auch würdig wäre, der durch seine Geburt, seine Eigenschaften des Geistes und der Seele, der durch seine Tugenden und seine Leistungen verdiente, von Euch so hoch erhoben zu werden, der zugleich stark genug wäre in seinem Herzen, um nicht vom Schwindel ergriffen zu werden auf so ungewohnten Höhen und edelmütig genug in seiner Seele, um keinen Verlockungen und Verführungen zu unterliegen und Euch die bittersten, Enttäuschungen zu bereiten: Hier liegt die Schwierigkeit, ja die Unmöglichkeit. Hier sehe ich, je länger, je deutlicher, Eurer Königlichen Hoheit schönes Schloß in Luft aufgehen.«
»Gut,« erwiderte ich lächelnd, »es ist vielleicht unmöglich, einen solchen Mann zu finden. Vielleicht aber auch nicht. Und wie, wenn ich ihn schon gefunden hätte?«
Herr von Lauzun trat mit dem Ausdruck höchsten Erstaunens einen Schritt zurück.
»Soll ich Euch seinen Namen nennen? Und würdet Ihr mir Euren Rat und Euer Urteil verweigern? Würde ich Euch fragen dürfen und würdet Ihr mir ehrlich sagen, ob Ihr ebenso all das in ihm findet, was ich in ihm gefunden zu haben glaube? ...«
Die Königin kam aus ihrem Oratorium zurück und wir wurden getrennt.
Wie ich mich ärgerte über diese Unterbrechung! Noch ein Viertelstündchen und das entscheidende Wort wäre vielleicht ausgesprochen worden.
Sonntag, erster der Fasten.
Diese Woche sah ich Herrn von Lauzun täglich, ohne ihn zu sprechen, und es schien mir fast, und zwar von Tag zu Tag mehr, als ob in seinem Betragen gegen mich eine merkliche Veränderung eingetreten sei. Jedenfalls schien er mir eher auszuweichen als entgegenzukommen.
Zwar hatte er von je sich an die Etikette gehalten und nie von sich aus das Wort an mich gerichtet; diese Tage jedoch schien es mir, als ob er sich noch etwas ängstlicher als sonst hinter die Mauern des Respekts zurückzöge.
Ich hätte ihn so gern angesprochen, und zweimal nahm ich auch einen Anlauf dazu, aber jedesmal verlor ich zuletzt den Mut.
Dienstag.
Was soll das nun bedeuten? Hoffnung oder Verzweiflung.
Ich konnte mir heute nicht helfen, ich mußte ihn von neuem zur Rede stellen.
»Wünscht Ihr wirklich volle Aufrichtigkeit von mir,« fragte er in einem Ton, der mich fast erschreckte, und zugleich mit einem Blick, als ob er das Innerste meines Herzens durchschauen wolle.
»Nun denn,« fuhr er auf mein überzeugtes Nicken hin fort, »so kann ich Euch nur kurzweg raten, Euch diese Sache ein für allemal aus dem Kopf zu schlagen. Die Betreibung einer solchen Heirat würde Euch zu viel Verdruß und Widerwärtigkeit bereiten. Ich sehe das so deutlich und sicher voraus, daß ich ein Schelm wäre, wenn ich das seltene und ehrende Vertrauen Eurer Königlichen Hoheit mißbrauchte und Euch riete, nicht nach meiner Überzeugung, sondern nach Euerem eigenen augenblicklichen Gefallen. Ich will aber lieber mir Eurer Hoheit Unwillen zuziehen als Dero Achtung verlieren.«
Im ersten Augenblick fühlte ich mich tief verwundet von seiner Rede; doch je mehr ich nachträglich sein Betragen überlege, desto wahrscheinlicher wird es mir, daß er nur darum so gesprochen, weil er, was ich so sehnlich wünsche, meine Gedanken erraten hat. Sein Zartgefühl verbietet ihm, mich in meinem Vorhaben zu bestärken, das auf sein eigenes Glück abzielt. So ist es, nicht anders.
Nein, seine Rede darf mich nicht traurig machen. Vielmehr muß ich den hohen Stolz seiner Seele bewundern, der sich darin offenbarte.
Und so verwandelte sich allmählich in mir zu tiefster Genugtuung, ja zu stillem Jubel, was mich zuerst betrübt und der Verzweiflung nahe gebracht hatte.
24. März.
Er weicht mir in jeder Weise aus. Seit vierzehn Tagen gelang es mir nur einmal, ihn anzureden, gestern bei der Königin. Aber er wollte nicht erlauben, daß ich auf meine Angelegenheit zurückkomme und brach kurz ab. Sein Betragen war so schroff wie nur er es fertig bringt, ohne zugleich gegen die schuldige Ehrerbietung im geringsten zu verstoßen.
Sogar wenn er unartig ist, hat er noch eine dergestalt bestrickende Art, daß man ihm alles hingehen läßt.
29. März.
Endlich konnte ich wieder eine längere Unterredung mit ihm erlangen. Sie war freilich von seltsamer Natur. Er kann also auch ein Fastenprediger sein.
»Wenn Ihr in Wahrheit«, so begann er, »ein solches Vertrauen in mich setzt, wie Ihr vorgebt, so darf ich wohl hoffen, daß Ihr mir diesen Vorteil auch dann nicht entzieht, wenn ich Euch unangenehme Dinge zu sagen habe.«
Ich nickte zustimmend.
»Wir werden ja sehen,« sprach er wie in Zweifel, »ob Ihr wirklich mit mir zufrieden seid. Denn ich bin wahrlich nicht der Mann, Eure Königliche Hoheit mit Schmeicheleien abzuspeisen, wo es sich um nichts Geringeres als die Ruhe Eures Lebens und das Heil Eurer Seele handelt. Ich kann ja auch nach höfischer Art zierliche Reden drechseln, aber zwischen Euch und mir, wie wir nun einmal zusammen stehen, wären sie sehr unangebracht.«
»Das meine ich eben auch,« warf ich ermunternd ein.
»Gut denn,« begann er von neuem in noch strengerem Ton. »Ich rede also wie ich denke, mag es Euch gefallen oder nicht. Was ich von Euren Heiratsgedanken halte, habe ich Euch das letzte mal schon nicht verhehlt. Ihr hättet Euch früher dazu entschließen sollen. Heute wo Ihr Euch der Mitte der Dreißiger nähert, würdet Ihr Euch damit unfehlbar lächerlich machen. Euer strenges Leben, Eure weltbekannte Tugend, Eure erhabenen geistigen Eigenschaften, Euer Gefühl für wahre Würde und Größe, das wenige mit Euch teilen, so hoch sie auch äußerlich stehen mögen, kurz Euere ganze außerordentliche Persönlichkeit verdient ein besseres Los, als zuletzt zum Gespött des Hofes zu werden ...«
»Oho,« rief ich hier, »was für Übertreibungen.«
»Da ist Euere Königliche Hoheit schon indignirt,« entgegnete er beträchtlich kühler, indem er zugleich, wie betroffen, die Augen senkte und nervös an seiner Spitzenmanschette zupfte. »Aber ich hoffe ja auch sicher, Ihr werdet mich niemals in die unglückliche Lage versetzen, mir sagen zu müssen, daß Ihr mir leid tut. Das werdet Ihr nicht, Ihr werdet mich zur Bewunderung zwingen bis an das Ende Eurer Tage. Darum keine Torheiten. Was einem Mädchen von zwanzig Jahren ansteht, ist Euch nicht mehr erlaubt. Jetzt muß sich Euer großartiger Charakter bewähren. Warum denkt Ihr nicht daran, Euch in ein Kloster zurückzuziehen?«
Er hielt inne, da er bemerkte, daß ich mich eines spöttischen Lächelns nicht enthalten konnte.
»Ich wollte Euch nicht unterbrechen.«
»Jedermann,« versetzte er mit dem trockensten Ernst von der Welt, »würde das groß von Euch finden. Aber auch ohne diesen Schritt könnt Ihr deutlich zeigen, daß Ihr entschlossen seid, der Welt freiwillig den Rücken zu kehren. Darauf kommt es jetzt an, auf den Schein der Freiwilligkeit. Nichts mehr von frivolem Schmuck, der nur der Jugend ansteht; nichts mehr von Festen, Bällen, Theatern. Zieht Euch zurück, erscheint nur noch auf Befehl des Königs, um Seiner Majestät den Hof zu machen, und zeigt bei solcher Gelegenheit deutlich, daß Ihr einer unumgänglichen Pflicht, nicht Eurer Neigung gehorcht. Dreimal täglich sehe man Euch beim Gottesdienst, und die Bewohner der Hospitäler und die Häuser der Armut innerhalb Eurer Pfarrei müssen Euer Angesicht häufiger sehen als Ihre Majestät. Betrachtet Euch als den von Gott bestellten Verwalter Eurer Reichtümer. Diese Pflichten gegen Gott lassen sich mit denen gegen den König und die Königin wohl in Einklang bringen.«
Es entstund eine Pause, ich war zu betroffen, um ein Wort der Erwiderung zu finden.
»Im Fall Ihr Euch nicht Muts genug wißt zu solchem Entschluß,« fuhr er fort, »dann allerdings müßtet Ihr auf eine Heirat denken. Wenn ich nur an die Möglichkeit glauben dürfte, daß es auf der Welt einen Menschen gibt, mit all den Eigenschaften, die Euch allein glücklich machen könnten. Aber Ihr kennt ja meine Meinung hierüber ... Und nicht wahr, nun habe ich Euch eine verhaßte Rede gehalten.«
Ich wollte antworten, als ihn die Königin abrief.
Zuerst war ich nur bestürzt. Aber bald konnte ich nicht anders, als seine kühne Aufrichtigkeit bewundern.
Ich bin sicher, daß er meine Absichten kennt. Um so erstaunlicher ist die Selbstverleugnung, die in seinen Worten zum Ausdruck kommt. Aber das ist der wahre Lauzun.
Er denkt nie an sich, er denkt nur an die andern. Die außerordentliche Erhebung, die ich ihm anbieten könnte, gilt ihm nichts, er denkt einzig daran, mich davor zu behüten, daß ich mich von meinem Herzen überrumpeln lasse. So hat ihn mir der König schon vor zwei Jahren geschildert. Er hat auf Erden nicht seinesgleichen.
* * *
Über die dreifache Wahl, die mir Herr von Lauzun, ich weiß nicht im Ernst oder im Scherz, offenhalten will, brauche ich mir wenigstens nicht den Kopf zu zerbrechen.
Mein Entschluß zur Heirat steht fest. Herr von Lauzun muß sich auch selber davon überzeugt haben. Nur sein übertriebener Respekt und seine innere Bescheidenheit, trotz allem äußeren Stolz, hindern ihn, mich beim Wort zu nehmen. Was ich ihm biete, ist so außerordentlich.
Wie gierig würde jeder andere zugreifen, gemäß des Sprichwortes, daß man das Glück am Schopfe fassen muß, wenn es einem nicht entwischen soll.
Er gleicht in nichts den andern. Er denkt nur darauf, was mir rühmlich und ehrenvoll sei; an seine Erhebung und an seinen eigenen Vorteil denkt er nicht.
6. April.
Mir mit solcher Ängstlichkeit auszuweichen brauchte er nicht, so edel seine Motive sein mögen. Er will jeden Schein vermeiden. Er will mich auch nicht von weitem kompromittieren.
Hundertmal verlasse ich im Tag mein Zimmer in der Hoffnung, auf ihn zu stoßen, denn wir wohnen im Schlosse hier fast Tür an Türe; aber er weiß es so geschickt einzurichten, daß wir uns nie begegnen. Ich steige dann hinunter in den Hof, wie als ob ich das Bedürfnis hätte, Luft zu schöpfen, und wenn ich ihn dann nur einmal von weitem erblicke, kehre ich beruhigt auf mein Zimmer zurück.
Gestern ließ ich ihn auffordern, sich auf ein Wort zu mir zu verfügen, er hat es mir rundweg abgeschlagen.
Das ist schon das zweitemal, daß er mir das antut.
7. April.
Ich hatte die letzten Jahre her die Gewohnheit angenommen, die Karwoche in stiller Zurückgezogenheit auf meinem Schloß Eu zu verbringen; dieses Jahr kann ich mich nicht dazu entschließen. Saint-Germain hält mich festgebannt wie mit Zauberkräften.
Mein Kanzler (Meister Guilloire) wollte mir heut Vortrag halten über den Fortschritt der Arbeiten zu Eu, wo ich, wie vor einigen Jahren zu Saint-Fargeau, einen neuen Garten anlegen lasse. Ich weigerte mich, ihn anzuhören. Nichts kann mir mehr ein Interesse abgewinnen.
Man fragt mich täglich von allen Seiten, wann ich nach Eu gehe.
Saint-Germain, am Karfreitag.
Während den Grablegungsfeierlichkeiten trat er plötzlich an meine Seite. Ich zuckte fast erschrocken zusammen. Ich dachte an Dante und Beatrice.
Er begann ein religiöses Gespräch und ich hatte wieder Gelegenheit, die Universalität seines Geistes zu bewundern. Er spricht über jede Sache, welche es auch sei, tief und bedeutend, obwohl er ganz ohne Studien ist und wenig liest. Seine Worte bewegten mächtiger meine Seele als die unserer berühmtesten Kanzelredner.
* * *
Bin ich fromm? Ich möchte es sein; aber mir scheint, ich bin weit davon entfernt. Zwar das Spernere mundi des heiligen Bernhard von Clairvaux glaube ich für mich in Anspruch nehmen zu dürfen; ich empfinde eine große Gleichgültigkeit gegen die Welt, ich verachte sie fast. Aber mich selber nehme ich aus von dieser Verachtung.
Die Eigenliebe ist offenbar ein großes Hindernis der Frömmigkeit.
Paris, Luxemburgpalast.
Mit dumpfem Schmerz habe ich mich gestern von Saint-Germain losgerissen, weil ich doch die Erwartung der Meinigen nicht täuschen wollte, das Osterfest im eigenen Hause zu feiern. Außerdem kommt übermorgen der Hof hierher, wo im Palais Royal die Taufe der Herzogin von Valois, der jüngsten Tochter Orléans unter meiner und des Herrn Dauphin Patenschaft stattfinden soll.
Saint-Germain, 16. April.
Unmittelbar nach der Taufe unserer jüngsten Prinzessin bin ich gestern mit dem Hof hierher zurückgekehrt.
18. April.
Bei der Königin traf ich Lauzun. Ich sagte ihm, wie ich mich zu Paris die drei Tage gelangweilt habe.
»Seltsam,« entgegnete er, »ehemals habt Ihr mir gestanden, daß Euch Paris über alles geht. Aber ich begreife, Ihr habt jetzt nur eins im Kopf, und davon getraut Ihr Euch mit niemandem zu sprechen als mit mir. Ihr solltet Euch auch zu Paris einen Vertrauten halten, dem Ihr Euer Herz ausschütten könnt. Freilich würde es allzu hart für mich sein. Euer Vertrauen mit einem andern teilen zu müssen, als daß ich es aufrichtig wünschen sollte, so groß auch die Erleichterung für Euch wäre. Ihr seht, ich rede ehrlich.«
Für mich sehr schmeichelhaft diesmal.
5. Mai.
Seit Wochen sprach der Hof von nichts als von den Vorbereitungen zu dem erneuten Feldzug des Königs, da meldete man uns heute plötzlich den Abschluß des Friedens, der am zweiten Mai zu Aachen unterzeichnet wurde. Unserem König verbleiben sämtliche Plätze, die er im Sommer erobert hat, als da sind Charleroi, Douay, Lille, Dudenarde, Courtray, Furne, mit allem zugehörigen Land.
10. Mai.
Große Neuigkeit. Der König hat beschlossen, dieses Frühjahr trotz des Friedens (oder auch wegen des Friedens) seine neuerworbenen flandrischen Provinzen zu besuchen. Er wird, wenn wir gleich im Frieden leben, nicht nur den ganzen Pomp des Hofes auf dieser Reise entfalten, sondern auch große Truppenmassen mit sich führen und er hat zu meiner unaussprechlichen Freude den Grafen Lauzun mit deren Oberbefehl betraut.
Ich habe heute nicht geruht bis ich endlich des Grafen habhaft wurde, um ihm meine Genugtuung über diese Neuigkeit auszudrücken.
Paris, Luxemburgpalast, 16. Mai.
Die Reise nach Flandern steht nahe bevor, ich bin hierher geeilt, um mich darauf vorzubereiten und unter den Augen meines Arztes meine gewöhnliche Frühjahrskur vorzunehmen. Leider wird man mich wieder einen Haufen bitterer Medizin schlucken lassen und mich entsetzlich damit martern.
Eigentlich möcht' ich nur wissen, ob diese ganze lästige, ja ekelhafte Medizinerei, so ein dutzendmal im Jahr, einen Sinn hat, oder ob alles nur ein Aberglaube ist, der nur darum nicht als solcher erkannt wird, weil ihn die ganze Welt glaubt. Denn sogar Leute, die nicht an Gott glauben, glauben an ihren Arzt. Jedenfalls spricht die Mode stark mit. Der König mediziniert und purgiert, also wäre es unanständig für uns andere, nicht zu medizinieren und zu purgieren.
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Als man mir heut zur Ader ließ in Gegenwart meiner Damen, der Herzogin von Spernon und der Gräfin Rambure, zu denen sich zuletzt meine Freundin, die Frau von Sévigné gesellte, bewunderten alle drei meinen schönen Arm und weißen Nacken.
»Ihr solltet heiraten,« sagte die Rambure. »Der Mann wäre zu beneiden.«
»Sie wird sich hüten,« antwortete die Herzogin von Epernon, »da sie einst Könige und Kaiser heimgeschickt hat.«
»Einem König würde ich sie auch gar nicht gönnen,« erwiderte Frau von Sévigné. »Und nicht wahr, Fürstin,« wandte sie sich mit ihrer altherkömmlichen mütterlichen Autorität an mich, »wie ich Eure Königliche Hoheit kenne, würde es Euch am meisten schmeicheln, den Mann, den Ihr wählt, erst von Euch aus zu fürstlicher Macht zu erheben.«
Ich antwortete, daß sie vielleicht nicht unrecht habe; worauf die Dame Epernon etwas sauersüß bemerkte, sie könne nicht begreifen, wie wir uns in solch sinnlosen und zwecklosen Reden gefallen mögen.
»Mein Gott,« versetzte ich lachend, »sie verstoßen weder gegen die Liebe Gottes noch des Nächsten.«