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Saint-Fargeau (im Orleanesischen) den 11. Juli.
Ich hatte früher Mühe zu begreifen, was den Geist einer Person von meinem Rang und meinen Gewohnheiten in erträglicher Weise beschäftigen könne, wenn sich diese Person dazu verdammt sieht, ihr Leben auf dem Lande zuzubringen. Es hat mir immer geschienen, daß eine solche aufgezwungene Entfernung vom Hof nur wenig schlimmer sei als der Tod selber. Denn wenn wir gleich von noch soviel Hausgenossen umgeben sind, und auch Besuche von allen Seiten empfangen, so müssen wir Großen der Erde uns in einer solchen Gesellschaft doch wie in der absoluten Einsamkeit fühlen.
Und da erfahre ich nun zu meiner freudigen Genugtuung, daß die Erinnerung an die Erlebnisse der Vergangenheit, die mit Vorliebe in der Einsamkeit lebendig werden, unsern Geist in der angenehmsten Weise beschäftigen können.
Ich habe mir darum gedacht, daß ich diese Art Beschäftigung noch intensiver und wirksamer machen könnte, wenn ich mich entschlösse, das bunte Gewimmel jener Erinnerungen etwas mehr zu ordnen, ja sie schriftlich festzuhalten.
Ich will es tun. Manche Begebnisse meines Lebens haben ohnedies historische Bedeutung. Meine Verbindung mit dem Fürsten Condé gegen den Kardinal und die Regentin in der aufgeregten Zeit der Bürgerkriege; die Tage von Orléans, wo ich, noch nicht volle sechzehn Jahre, eine reitende Amazone, als Feldmarschall zwei Armeen kommandierte und in der Stadt Orléans eine Gegenregierung einsetzte; endlich die Einnahme der Stadt Paris, die dem großen Condé nicht gelungen wäre ohne meine militärische Operation von der Bastille aus: alles das sind Dinge, deren Aufzeichnung man nicht gern den bezahlten Historiographen überläßt.
Ich will übrigens meine Erlebnisse erzählen, wie sie mir einfallen; sie in strikte Ordnung zu bringen, dazu wird später Zeit und Gelegenheit sein. Gott hat mir die Gnade eines außerordentlichen Gedächtnisses verliehen und ich habe, auch wo ich nicht aktiv war, große Weltereignisse so nah und in ihrem ersten Aufkeimen sehen dürfen, wie wenige sich rühmen können, also daß ich kaum zu befürchten brauche, langweilig zu werden.
Zuvor einige Anmerkungen über den Ort, wo ich schreibe. Die Besitzung war schon unter Ludwig dem XI. eine Baronie. Heinrich IV., mein Großvater, hat sie zum Herzogtum erhoben. Das Schloß wurde unter Karl VI. von dessen Finanzverwalter Jacques Coeur erbaut. Wer den Palast dieses außerordentlichen Bürgers in Bourges gesehen hat, mag sich leicht vorstellen, daß das Kastell von Saint-Fargeau alles eher ist als ärmlich. Freilich zeigt es den barbarischen oder, wie man auch sagt, gotischen Stil seiner Zeit. Aber man muß gestehen, daß dieses Gesicht einem seigneuralen Landsitz, der in früheren Jahrhunderten notwendig eine Festung sein mußte, nicht übel ansteht.
* * *
Ich fange an in Gottes Namen.
Gleich nach meiner Geburt begann auch das Unglück meines Hauses; sie kostete meiner Mutter das Leben. Dadurch wurden die Chancen, wozu mein hoher Rang mir Anspruch gab, bedeutend vermindert.
Man könnte zwar meinen, daß die wahrhaft königlichen Besitzungen, die mir meine Mutter hinterließ und wodurch ich eine der reichsten Partien in Europa wurde, mich ihren Verlust leicht verschmerzen ließen. Allein meine Erziehung und Versorgung wäre in besseren Händen gewesen, wenn sie gelebt hätte.
Nach ihrem Tode richtete man mir mein Haus ein, und wahrlich ich wurde glänzender ausgestattet, als es je einer Prinzessin in unserm Königshause widerfahren ist. Geboren wurde ich im Louvre, als meine Residenz aber wurden mir die Tuilerien angewiesen, die man kurz zuvor durch eine Galerie mit dem erstgenannten Palast verbunden hatte.
Durch diese Galerie trug man mich täglich, um mich zu Ihren Majestäten zu bringen. Auch erwiesen mit der König und die Königin einmal jede Woche die Ehre, mich in den Tuilerien zu besuchen, woran ich mich persönlich aber erst aus späterer Zeit, als ich ungefähr vier Jahre zählte, erinnern kann.
Mit größter Zärtlichkeit liebte mich, wie man mir erzählte, meine Großmutter Maria Medici. Leider fiel sie in Ungnade beim Hofe und ging nach Brüssel und darauf nach Köln, wo sie fast in Dürftigkeit gestorben ist. Sie hat den schönen Luxemburgpalast erbaut, heute mein Eigentum.
In dieser großen Königin habe ich zu meinem Unglück meine zweite Mutter verloren.
Und dieser doppelte Verlust gereichte zunächst meiner Erziehung zum größten Nachteil.
Ich will damit nicht sagen, daß meine Erzieherin, die Marquise von Saint-Georges, nicht alle die Eigenschaften besessen hätte, die zu einer solchen Mission erforderlich sind. Aber Kinder meiner Geburt haben selten, so jung sie auch sein mögen, Respekt vor denjenigen, die im Rang unter ihnen stehen, wenn diesen nicht eine höhere Autorität zu Hilfe kommt.
Darum darf ich behaupten, daß ich all meine guten Eigenschaften weniger meiner Erziehung als meinem Naturell verdanke; denn ich kann mich nicht erinnern, je eine Zurechtweisung erfahren zu haben, wenn ich auch noch so unartig war.
Das Schlimmste ist, daß man Kindern von meiner Stellung soviel von ihrem hohen Rang und Reichtum vorspricht und derartig ganz systematisch einen eitlen Stolz in ihnen großzieht. Ich hörte so oft vor meinen Ohren wiederholen, wie sehr ich ein Wesen höherer Art sei, daß es mir keine Mühe machte, dran zu glauben. Das waren aber alles hohle Eitelkeiten und erst die erwachende Vernunft lehrte mich erkennen, worin die wahre Hoheit und Würde einer Prinzessin meiner Abstammung beruht, zum Unterschied von den Albernheiten, die man meinem Kindergehirn eingeprägt hatte.
Nur eine dieser Naivitäten: Ich wurde immer böse, wenn man mir von der Herzogin von Guise als meiner Großmutter sprach. »Meine Großmutter«, pflegte ich alsdann schnippisch zu erwidern, »war die große Königin Maria Medici und mein Großvater der große König Heinrich IV. von Frankreich; die Dame von Guise ist bloß meine Großmutter zweiten Rangs.«
Die Entfernung seiner Mutter aus Frankreich entzweite auch meinen Vater mit dem König, seinem Bruder, und hatte letztlich auch dessen Verbannung zur Folge.
Ein Erlebnis aus jenen Tagen, ich war damals wenig über vier Jahre, bleibt mir ewig in der Erinnerung.
Man feierte zu Fontainebleau das Fest des Ordens vom Hl. Georg, und ich durfte bei den prunkvollen Zeremonien gegenwärtig sein. Bei dieser Gelegenheit ließ man die Bildnisse und Wappenschilder des Herzogs von Elboeuf und des Marquis von La Vieuville von den Wänden des Rittersaals herunternehmen und durch einen gemeinen Menschen in Stücke schlagen. Ich fragte verwundert nach dem Grund dieser Handlung. Man antwortete mir, die beiden Herrn würden aus dem Orden ausgestoßen, weil sie Seiner Königlichen Hoheit meinem Vater in die Verbannung gefolgt seien. Darüber brach ich in lautes Weinen aus und erklärte, daß es für mich nicht anständig sei, einer Zeremonie beizuwohnen, wo man meinen Vater verunglimpfte.
Die Ungnade meines Vaters hinderte übrigens nicht, daß Anna von Österreich und Ihr Gemahl, König Ludwig XIII., mich mit der größten Liebe und Freundlichkeit behandelten. Ich hatte auch, trotz meines kleinen Zorns, keinerlei Widerwillen gegen die Majestäten, war vielmehr ganz glücklich, wenn ich zu Hofe gehen durfte, weil der höfische Prunk und die Pracht der Feste mir ein kindisches Vergnügen bereiteten. Und immer spitzte ich die Ohren, ob ich etwas über meinen Vater hören möchte.
Ich kam auch bald dahinter, daß der Kardinal Richelieu, damals mehr König als der König selber, vor allem derjenige war, welcher der Aussöhnung meines Vaters mit dem König hindernd im Wege stand. Ich rächte mich an ihm auf eine sonderbare Weise, indem ich überall die Gassenhauer sang, die man auf den Kardinal gemacht hatte, und da diese oft, ohne daß ich es ahnte, im höchsten Grad unanständig waren, mag man sich denken, zu welchen Szenen mein Betragen manchmal Veranlassung gegeben hat.
Der Kardinal Richelieu war, ungeachtet seiner großen Talente und Verdienste, oft den schauerlichsten Anfällen von Wahnsinn ausgesetzt. Er hatte Stunden und Tage, wo er sich einbildete, ein Pferd zu sein. Er hüpfte dann mit seltsamen Sprüngen um sein Billard, schlug mit den Beinen aus und wieherte, daß man es im ganzen Palast hörte.
* * *
Als ich bereits in reifere Jahre kam, wurde einmal einen ganzen Winter hindurch am Hof und in der Stadt von nichts anderem geredet als von der Heirat des Herrn von Chabot mit der Prinzessin von Rohan.
Die Prinzessin, damals etwa siebenundzwanzig oder achtundzwanzig Jahre, war die einzige Erbin des hochangesehenen alten Hauses und genoß bis zur Stunde des untadeligsten Rufes, des Rufes, kann man sagen, einer geradezu rigorösen Tugendhaftigkeit und Sittenstrenge. Dieser Strenge gegen sich selbst entsprach ihr Stolz. Sie schien den traditionellen Hochmut ihres Hauses noch überbieten zu wollen. Darum scheiterten auch lange Zeit alle Projekte, sie zu verheiraten. Sie tat als ob kein Mann gut genug für sie sei. Einmal wurde von ihrer Verbindung mit dem Hause Soisson gesprochen, dann von einer Heirat mit dem Herzog von Weimar. Sie schlug beide Partien aus. Kurze Zeit war sie verlobt mit Ruprecht von der Pfalz, der in Böhmen das Leben verlor. Abgelehnt wurde auch von ihr der Herzog von Nemours, der älteste Prinz aus dem Hause Savoyen. Kurz, ihr Hochmut galt für ohne gleichen.
Nichtsdestoweniger verliebte sie sich zuletzt in einen Herrn Chabot, einen kleinen Edelmann aus Burgund. Arm wie eine Kirchenmaus, als ein nachgeborner Sohn, hatte er bei meinem Vater, der ihn zu seinem Hofmarschall gemacht, eine kleine Versorgung gefunden. Das Erträgnis dieser Charge erlaubte ihm kaum, anständig aufzutreten. Sein Wagen, mit dem er bei der Prinzessin von Rohan vorzufahren pflegte, hatte ein wahrhaft klägliches Aussehen. Von seinen persönlichen Eigenschaften ist freilich Besseres zu sagen; sie erwarben ihm die Hochschätzung jedermanns, obgleich er sich nie im Kriege hervorgetan, denn er war bis zu seinem vierundzwanzigsten Jahr im geistlichen Stand erzogen worden.
Dieser Herr von Chabot fühlte wohl, daß er ohne mächtige Protektion nicht zum Ziele gelangen könne, und er hielt sich darum an Ludwig von Bourbon, damaligen Herzog von Enghien, denselben, der später der große Condé genannt wurde. Ich weiß nicht, was den Herzog veranlaßte, diese skandalöse Heirat ins Werk zu setzen, als etwa, weil es eine Sache war, die jedermann für ganz unmöglich hielt. Er brachte auch das Unmögliche wirklich zustande. Die Fürstin, nämlich die Mutter der Prinzessin, hatte für den gesamten Klerus von Paris ein Verbot ausgewirkt, das närrische Paar zu trauen; auf einem elenden Dorf, von einem Kapuziner, der sich von Rom her auf der Durchreise befand, mußte sich die stolze Prinzessin von Rohan mit ihrem Chabot zusammentun lassen.
Das Betragen des Herzogs von Enghien in dieser Angelegenheit fand ich, obwohl noch halb ein Kind, ganz unbegreiflich. Ja, so abscheulich fand ich es, daß ich auf Jahre hinaus nie wieder das Wort an ihn richtete.
Mein Haß gegen ihn war ganz instinktiv, denn seine großen Verdienste habe ich zu jeder Zeit bereitwillig anerkannt. Daß ich aber einmal seine Bundesgenossin und sein Kriegskamerad würde, hätte ich mir damals nicht träumen lassen.
* * *
Am 14. Mai 1643 starb mein Onkel, König Ludwig XIII., und damit wurde Anna von Österreich – der junge König war erst fünf Jahre – zunächst die Herrin über die Geschicke Frankreichs. Sie löste den Regentschaftsrat auf und führte zusammen mit dem Sizilianer Mazarin, den der allgewaltige Richelieu selber zu seinem Nachfolger bestimmt hatte, uneingeschränkt die Regentschaft. Ich lebte zunächst mit beiden im besten Einverständnis. Die Regentin und Königin-Mutter erzeigte mir alle Liebe und mehr als einmal ließ sie nicht undeutlich durchblicken, wie sie nichts so sehr wünsche, als daß ich einst ihre Schwiegertochter und Königin von Frankreich werden möchte.
Es ist später anders gekommen. Die ungeheuren und willkürlichen Steuern, besonders diejenigen auf Korn und Mehl, mit denen Mazarin dem Parlament zum Trotz das Land bedrückte, führten bekanntlich zu jenen tollen Wirren, die man die Fronde zu nennen pflegt und in denen ich mich von vorneherein und mit großer Entschiedenheit auf die Seite derer stellte, die, mit dem Regiment unzufrieden, darauf ausgingen, der Willkürherrschaft Annas von Österreich und ihres Kardinals ein Ende zu machen. Diese Bürgerkriege gaben mir, wie ich bereits angedeutet habe, wiederholt Gelegenheit, eine hervorragende politische und militärische Rolle zu spielen, erfüllte aber nicht meine Hoffnungen auf die Hand des jungen Königs, die ich, wenn ich offen sein will, als die schönsten meines Lebens lange Zeit in mir gehegt hatte.
* * *
Damals aber, noch vor Ausbruch der frondistischen Aufstände, sollten mich zunächst andere Heiratspläne in Anspruch nehmen, die meinem Ehrgeiz und Stolz nicht weniger schmeichelten.
Die politischen Ereignisse in England veranlaßten den König Karl, (den ersten dieses Namens), seinen Sohn, den Prinzen von Wales, der Sicherheit halber nach Frankreich zu schicken, wohin auch dessen Mutter, die Königin Henriette, meine Tante, bereits vor vier Jahren zurückgekehrt war. Sie lebte anfangs in dem Kloster Chaillot bei Saint-Denis, erschien aber oft an unserm Hofe: zu Paris, zu Fontainebleau oder zu Saint-Germain.
Der Hof hielt sich zu Fontainebleau, als der Prinz von Wales ankam. Die Majestäten fuhren ihm bis zur Grenze des Waldes entgegen. Beim Zusammentreffen stieg man beiderseits ab, und die Königin von England stellte ihren Sohn dem König und der Königin vor, die ihn beide herzlich küßten. Darauf grüßte er mich mit einer tiefen Verbeugung. Er war höchstens sechzehn, doch auffallend groß für sein Alter, im ganzen eine schöne und angenehme Erscheinung mit seinem länglichen auffallend schmalen Gesicht, seinen großen blauen Augen und dem lang herabfließenden dunklen Haar.
Unbequem war es, daß er kein Wort Französisch verstand noch sprach.
Man gab während acht Tagen die glänzendsten Festlichkeiten zu seinen Ehren. Seine Mutter wollte mir einreden, daß er bis über die Ohren in mich verliebt sei, daß er von nichts anderem mit ihr rede als von mir, daß er, wenn sie ihn nicht verhinderte, am liebsten nicht von meiner Seite wiche, daß ich ihn glücklich machen könnte, wenn ich ihm einige Hoffnung gäbe, daß er untröstlich sei über den Tod der Kaiserin, da der Kardinal Mazarin meine Verheiratung mit Kaiser Ferdinand plane und so weiter. Ich ließ sie ruhig reden, meine Gedanken behielt ich für mich.
Als der Hof von Fontainebleau nach Paris zurückkehrte, erhielten wir gerade die Nachricht von der Einnahme von Dünkirchen, und es wurde ein feierliches Tedeum veranstaltet; mein Haß auf den Herzog von Enghien, den Sieger des Tages, aber verhinderte mich, an der allgemeinen Freude einen innerlichen Anteil zu nehmen.
Unterdessen konnte ich nicht verkennen, daß mir der Prinz von Wales mit großer Ostentation den Hof machte.
Man spielte um diese Zeit zweimal die Woche Komödie im Palais Royal, und wahrlich, man langweilte sich dort nicht. Die allzu ernsten neumodischen Stücke, wie sie heutzutage der königliche Kammerdiener Poquelin zum besten gibt, waren damals noch nicht erfunden. Das Theater machte noch keine literarischen Ansprüche, zum Glück unserer Hofgesellschaft, die jetzt den boshaften Poquelin, genannt Herr von Molière, bewundern muß, ob sie will oder nicht. Man belustigt sich ja heute auch. Die vom König befohlenen Zwischenspiele, mit ihren Tänzen und Mummereien, womit Poquelin seine Philosophie dem Hof schmackhaft machen muß, entschädigen (so würde man sagen, wenn man ehrlich wäre) für das übrige.
Nun, zu jener Zeit waren die Mummereien mit zugehörigem Tanz und Maschinenzauber alles. Jedermann bekannte sich da noch offen zu seinem Geschmack.
Und der Prinz von Wales vor allen. Er fehlte bei keiner Vorstellung. Und er nahm nie einen andern Platz als an meiner Seite. Wenn ich die Königin von England, seine Mutter, besuchte, begleitete er mich stets bis zu meinem Wagen, immer den Hut in der Hand, wie ich ihn auch bitten mochte, sich zu bedecken.
Im November gab uns die Gräfin von Choissy einen Ball; der Graf von Choissy war damals der Kanzler Seiner Königlichen Hoheit meines Vaters, und es galt für hergebracht, daß die Choissy ihrer Herrschaft jedes Jahr ein Fest gaben. Bei dieser Gelegenheit wollte die Königin von England mich eigenhändig anziehen und schmücken. Sie kam einzig zu diesem Zweck zu mir in den Luxemburg. Es war rührend, wie sie sich Mühe gab, mich recht schön herauszuputzen. Der Prinz von Wales aber war ihr dabei behilflich, er hielt die ganze Zeit über den schweren dreiarmigen Leuchter, um mich bald von rechts, bald von links, bald von vorn, bald von hinten in das günstigste Licht zu setzen. Die gute englische Majestät leistete an diesem Abend ein wahres Meisterstück an mir.
Als ich am Palast der Choissy ankam, war mir der Prinz von Wales bereits vorausgeeilt. Er erschien an meinem Wagen und gab mir die Hand zum Aussteigen, und als ich im Vestibül vor dem großen Spiegel noch einmal meinen Haarschmuck ordnete, hielt er abermals lange Zeit den Leuchter. Den ganzen Abend folgte er mir auf Schritt und Tritt. Kurz, er trieb die Galanterie weit genug, daß sie jedermann auffiel. Das ging so den ganzen Winter hindurch.
Gegen das Frühjahr wurde im Palais Royal eine glänzende italienische Oper gegeben mit so reichen Balletten und andern Maschinerien, wie sie nie zuvor gesehen worden.
Diesmal wollte es Ihre Majestät die Königin von Frankreich selber übernehmen, mich zu schmücken. Das Geschäft nahm drei Tage in Anspruch. Meine Robe, von opal-schillerndem Taft, war über und über mit Brillanten besät, die Schleifen waren in schwarz und rosa, meinen Kopfschmuck aber zierten sämtliche Diamanten des königlichen Kronguts samt denen der Königin von England, deren es freilich nicht mehr allzu viele waren; denn man weiß, daß die gute Königin vor Jahren mit dem Erlös ihres Schmuckes ihrem königlichen Gemahl ein Heer gegen die Revolutionspartei geworben hatte.
Immerhin darf ich sagen, daß noch nie eine französische Prinzessin in so reichem Schmuck erschienen ist, wie ich an diesem Abend, und ihr könnt euch denken, daß es da nicht an Kavalieren fehlte, solche allerhöchsten Ranges mit inbegriffen, die mir über die Majestät meines Wuchses, den goldenen Glanz meines blonden Haares, mein blühendes Aussehen und den vollkommenen Geschmack und Reichtum meines Putzes die freigebigsten Komplimente machten.
Alles trug an diesem Abend dazu bei, mich in gute Laune zu versetzen. Das Theater strahlte in einer geradezu unerhörten Pracht seiner Lüster und noch üppiger war der Tanzsaal geschmückt.
Der Raum bildete ein gestrecktes Oval, an den Längsseiten liefen Bänke hin für die Damen, die sich an dem Tanz beteiligen sollten. An der einen Schmalseite hatte man ein Amphitheater erbaut für die Zuschauer und gegenüber war, über drei Stufen, eine Balustrade errichtet für den königlichen Thron, überragt von einem Baldachin von blauem Seidensamt mit eingewirkten goldenen Lilien.
Der junge König, der mich zum Thron begleitete, setzte sich zur Rechten auf den nächsten Schemel. Desgleichen tat der Prinz von Wales zur Linken des Throns. Zu ihren Seiten rangierten sich die Fürstinnen. Ich selber nahm ohne Besinnen den Thron ein, dergestalt, daß ich an diesem Abend den König, den Thronerben von England, ihre englische Majestät und das ganze königliche Haus von Frankreich zu meinen Füßen sah.
Die außerordentliche Situation machte mich nicht im geringsten verlegen, und jedermann sagte mir später, daß meine natürliche Unbefangenheit mehr Bewunderung erregt habe als das ganze Fest.
In der Tat habe ich in dieser Stunde nicht nur mit den Augen, sondern sozusagen auch mit dem Herzen hoch auf alle andern hinuntergeschaut. Ich hielt mich in diesem Herzen nicht zu gut für den höchsten Thron der Welt.
Auch hatte ich guten Grund zu glauben, daß der des römischen Kaisers meiner bereits harre.
Ich wußte nämlich, daß der Kardinal an Kaiser Ferdinand eine außerordentliche Botschaft abgeordnet, die die Kondolation unseres Hofes zum Verlust seiner Gemahlin überbringen und wegen meiner Verheiratung mit dem Kaiser die ersten diplomatischen Schritte tun sollte. Durch die nahe Verwandtschaft Annas von Österreich, unserer Königin, mit Kaiser Ferdinand, war dieser Plan durchaus naheliegend. Die Königin selber hatte, als sie sozusagen meine Kammerfrau machte, in unverkennbaren Worten darauf angespielt. Dafür sollte ihre Nichte, die Infantin von Spanien, den Thron von Frankreich besteigen.
Diese Gedanken beschäftigten derart meinen Geist, daß ich bereits anfing, den Prinzen von Wales sozusagen als eine Quantité négligeable zu betrachten. In der Tat sprach der Kardinal in den nächsten Tagen von der Heirat mit dem Kaiser wie von einer ausgemachten Sache.
Seine Worte waren aber eitel Lug und Trug, und bei dieser Gelegenheit habe ich die Hinterlist dieses geriebenen Italieners von einer neuen Seite kennen gelernt.
Durch Seine Königliche Hoheit, meinen Vater, erfuhr ich nur zu bald, wie die Sachen in Wahrheit stunden.
»Ich möchte Euch dringend bitten,« sagte mir Seine Königliche Hoheit, »Euch die Sache mit dem Kaiser aus dem Kopf zu schlagen. Ferdinand von Österreich ist beträchtlich älter als Euer eigener Vater, das ist keine Partie für Euch.«
Ich antwortete ihm: Wofür er mich denn halte und ob es einer Prinzessin von meiner Geburt würdig sei, bei ihrer Verheiratung an den Mann zu denken, das Alter und die Beschaffenheit des Mannes in Betracht zu ziehen, statt einzig den Thron im Auge zu haben, den sie durch ihre eheliche Verbindung zu erwerben im Begriff steht.
Ich sagte meinem Vater noch viel stärkere Worte, und alles war die reine Wahrheit.
Denn an keinem Dogma habe ich durch mein ganzes Leben so fest gehalten als an dem: daß einer Fürstin meines Rangs nichts so unwürdig sei, als sich selber oder andern gewisse Regungen des Herzens einzugestehen, oder gar jenen trüben Gewalten, die man im gemeinen Leben als Liebe oder was weiß ich als was bezeichnet, einen Einfluß auf ihre Handlungen einzuräumen.
Auch verfehlte ich nicht meinen Vater an die Prinzessin Rohan zu erinnern, die sich durch ihre sogenannte Liebesheirat in der guten Gesellschaft verächtlich gemacht hat für alle Zeiten.
Seine Königliche Hoheit zuckte die Achsel über meine Rede, und ich merkte aus seiner Miene, daß sich entweder die Verhandlungen in Wien zerschlagen, oder daß man mich in der ganzen Sache einfach genasführt hatte.
Ich war aber dergestalt verliebt in meine ehrgeizigen Träume, daß ich innerlich noch lange dran weiterspann.
Heute muß ich lachen über meine damaligen Kindereien. So setzte ich mir zum Beispiel in den Kopf, daß es vielleicht gut sei, schon im voraus diejenigen Lebensgewohnheiten anzunehmen, womit ich mich dem Kaiser angenehm machen könnte. Und da ich wußte, daß der Kaiser fromm und bigott war, faßte ich heimlich den Entschluß, mich zu den Karmeliterinnen zurückzuziehen. Mit einer solchen Leidenschaft erfaßte ich den Gedanken, daß ich Schlaf und Appetit verlor und nahe daran war, krank zu werden.
Dabei passierte mir die seltsamste Sache von der Welt. Ich verwechselte unvermerklich Mittel und Zweck. Die religiöse Schwärmerei nahm mich derartig gefangen, daß ich den Kaiser darüber durchaus vergaß. Als mir die Königin um diese Zeit wegen Wien erneuerte Hoffnungen machte, bestärkte ich mich erst recht in meinen klösterlichen Vorsätzen und wollte durchaus nicht, daß man mir von weltlichen Aussichten rede. Nur hatte leider an meinem Betragen die Eitelkeit mehr teil als die Religion. Denn ich stellte mir vor, wie man meinen Heroismus bewundern werde, kaltlächend auf einen Kaiserthron zu verzichten, um mich in einem Kloster zu begraben. Spöttisch erinnerte mich mein Vater an meine vorherigen Träume von Macht und Größe. »Gottlob,« rief ich mit Emphase, »von diesen weltlichen Nichtigkeiten bin ich zurückgekommen, und heute weiß ich, daß die Krone des ewigen Lebens zu erringen unendlich wichtiger ist, als alle Kronen dieser Erde.«
Diese religiösen Grillen sind indessen vergangen wie sie gekommen sind.
Vom Kaiser war nicht mehr die Rede. Der Prinz von Wales aber überzeugte sich allmählich von der Aussichtslosigkeit seiner Bewerbungen. Er trat langsam den Rückzug an und spielte, wie man mir oft versicherte, etwas romanhaft den verzweifelten Liebhaber, was mich wenig rührte.
Er verließ unsern Hof nach einiger Zeit und wurde überraschend bald König – wenigstens dem Namen nach – da sein Vater, Karl von England, bald darauf unter dem Henkerbeil eines gewissen Cromwell, des Sohns eines Londoner Gastwirts, in schändlich himmelschreiender Weise sein Haupt verlor, ohne seinem Sohn etwas anderes zu hinterlassen, als aussichtslose Ansprüche.
In seiner trostlosen Lage hätte ich dem Landflüchtigen und Verbannten gern meine Hand angeboten und meine Reichtümer zur Verfügung gestellt; aber ich war nicht frei in meinen Entschließungen und mußte müßig zusehen, wie seine Mutter Henriette, meine Tante – sie war die Tochter Heinrichs des Großen, wie ich dessen Enkelin – sich ihrer Habe sozusagen bis auf das Hemd entledigte, um des geliebten Sohnes willen, wofür sie es aber auch erlebte, ihn noch als Karl II. auf dem Thron von Großbritannien zu sehen.
Er selber hat sich dann freilich in den Tagen seiner Macht und Größe um die Mutter kaum gekümmert.
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Die langwierigen Bürgerkriege, die man allgemein »die Fronde« zu nennen pflegt, begannen im Jahre 1648 mit der Verbannung des Präsidenten unseres Pariser Parlaments, das in diesem Jahre anfing, den maßlosen Steuerforderungen des Kardinals, besonders denen auf Korn und Mehl, immer ernstlicheren Widerstand entgegenzusetzen, welcher zuletzt dahin führte, die Autorität des Königs aufs äußerste zu kompromittieren. Die Könige können aus diesen Vorgängen lernen, wie nötig es für sie ist, die kleinste Regierungshandlung, ja die geringsten Maßnahmen ihrer Minister peinlich zu überlegen und in ihren möglichen Folgen zu bedenken. Zu große Milde ist oft ebensowenig am Platz wie zu große Strenge. Das Gefährlichste aber ist ein allzu jäher Wechsel zwischen beiden Methoden. Große Reiche sind allein infolge solcher unglückseligen Schwankungen zugrunde gegangen.
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Hier folgen im Original durch zahlreiche Kapitel hindurch die ziemlich weitschichtigen und nicht immer sehr anschaulichen Berichte über die verwickelten Begebenheiten der Fronde, Begebenheiten von meist militärischem und politischem Charakter, in denen die menschliche Seite der Prinzessin wenig hervortritt und welche darum, unbeschadet der Rundheit des Bildes, außer Betracht bleiben können. Nur der Ausgang des seltsamen Bürgerkriegs sei mit den Worten der Fürstin noch angefügt.
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Ich habe erzählt, wie am 2. Juli 1652 unter dem Schutze meiner Kanonen, die ich, immer noch halb Kind von der Höhe der Bastille herunter auf die Soldaten des Kardinals und des Marschalls von Turenne spielen ließ, das Heer meiner Verbündeten unter der Führung des Fürsten Condé in der Hauptstadt einzog und Mazarin sich genötigt sah, Frankreich zu verlassen. So schien die Sache der Fronde gesiegt zu haben. Leider veruneinigten sich nun die Führer, nicht ohne Schuld Seiner Königlichen Hoheit, meines Vaters, worüber die Pariser unwillig wurden und sich gegen uns kehrten, dergestalt, daß schon im Februar des folgenden Jahres der Kardinal im Triumph nach Paris zurückkehrte. Schon vorher wurde eine Anzahl unserer Verbündeten – darunter der rührige, aber allzu eigensinnige Kardinal Retz – gefangen genommen oder des Landes verwiesen. Ich selber blieb vier Jahre vom Hof getrennt.
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An den Hof nach St. Germain zurückgekehrt, konnte ich mich nicht genug erstaunen, über den veränderten Ton, in den ich mich erst finden mußte. Auf einem Fest, das der Marschall von Grammont der jungen Majestät zu Ehren gab, tanzte der König unter großem Beifall ein Ballett. Man muß sagen, der Beifall war wohlverdient. Drei Wochen lang hatte Seine Majestät fleißig studiert und sich geübt. Und wirklich, der König tanzte wie ein junger Gott.
Der siebenzehnjährige Jüngling in der herrlichsten Blüte seiner Kraft und Gestalt, das Haupt umwallt von der ambrosischen Fülle seiner natürlichen braunen Locken, mit den großen strahlenden Augen, der schmalrückigen, leicht geschwungenen Nase, dem feingeschnittenen Mund voller Grazie, dem kraftvollen Kinn – nein wahrlich, er gab einem Apoll an Göttlichkeit nichts nach!
Nach vollendetem Ball begab man sich in den anstoßenden Saal zur Kollation. Die Tafel enthielt ein einziges Gedeck mit einem Armsessel davor. Im übrigen umstanden den Tisch gewöhnliche Stühle. »Setzt Euch, meine Base,« sprach der König, indem er mir eine graziöse Verbeugung machte und auf den Sessel deutete. Ich wehrte mich dagegen mit aller Energie, Seine Majestät aber fuhr fort mich zu nötigen. »So setze ich mich eben,« rief die Gräfin Soisson lachend.
Diese Familiarität mit Seiner Majestät verwunderte mich sehr. Früher war so etwas unerhört.
Jedermann setzte sich, der König nahm den letzten Platz. Er rührte an keine Schüssel, ohne den andern zuvor anzubieten und jedermann aß mit ihm. Ich war an andere Hofsitten gewöhnt. Die Königin-Mutter flüsterte mir zu, daß ich unbekümmert essen möge, daß es der König also wünsche, daß es ihm beliebe, von Zeit zu Zeit alles Zeremoniell über den Haufen zu werfen. Darum tat ich wie die andern. Doch ohne ausdrücklichen Befehl würde ich ihr Beispiel niemals nachgeahmt haben.
Um diese Zeit machte der junge Bruder des Königs, der spätere Herzog von Orleans und Nachfolger meines Vaters in Titel und Apanage, Seiner Majestät eine unglaubliche Szene.
Die junge Königliche Hoheit pflegte in diesen Tagen, da sie, ich weiß nicht warum, das Fastengebot brach, getrennt auf ihrem Zimmer zu essen. Einmal kam der Prinz in die Gemächer seiner Mutter, bei der gerade der König speiste.
»Da gibt es ja etwas für mich,« rief er aus, indem er eine Kasserolle aufdeckte. Und mit einem gewissen kindischen Trotz gegen den König füllte er sich einen Teller mit der kräftigen Fleischbrühe und griffnach einem Löffel. »Ihr werdet das lassen,« sprach der König. »Was man sich eingeschöpft hat, muß man auch ausessen,« antwortete der Prinz lachend. Der König wollte ihm die Suppe entreißen und in dem Hin- und Herzerren goß er die fette Brühe über die seidene Weste seines Bruders. Dieser aber, der sich an diesem Tage ganz besonders herausgeputzt hatte, geriet über das Verderbnis derart in Wut, daß er dem König den Teller ins Gesicht warf.
Der König, von Kindheit an geübt, sich zu beherrschen, blieb erst ruhig. Doch die Sticheleien einiger Damen der Königin, seiner Mutter, erbitterten den jungen Monarchen und er äußerte, nur die Gegenwart Ihrer Majestät verhindere ihn, seinen Bruder mit Fußtritten zur Türe hinauszubefördern. Auf diese Worte entfernte sich der Prinz und schloß sich in seinem Zimmer ein, die Königin-Mutter aber hatte alle Mühe, die Brüder wieder zu versöhnen.
Ich selber hatte mich an diesem Tag, einer kleinen Unpäßlichkeit wegen, im Luxemburg gehalten. Am andern Morgen traf ich den Prinzen in den Gemächern der Königin. Ich wollte auf ihn zutreten, er entfernte sich und ließ mich stehen. Später sagte er mir daß er es getan, um nicht den Verdacht zu erwecken, als ob er mich nur anrede, den ärgerlichen Vorfall mit mir zu besprechen. Und dann erzählte er mir die ganze tolle Geschichte, zum Schluß brach er in Tränen aus. »Der König hat mir meine schönste Weste verdorben,« rief er in ungeheuchelter Entrüstung; »ich werde das Seiner Majestät in meinem Leben nicht vergessen.«
* * *
Auch mit dem Kardinal suchte mich die Königin-Mutter, so gut es gehen wollte, zu versöhnen. Ich habe aber mein Mißtrauen gegen Anna von Österreich, von der man sagt, daß sie die Geliebte des Kardinals war, nie ganz überwunden, und den Kardinal habe ich immer ehrlich verabscheut.
Er brachte es auch jetzt wieder fertig mich aufs äußerste zu empören, ja, mich in meinen heiligsten Gefühlen zu verletzen, indem er bei der Nachricht von dem Tode jenes Königsmörders und Usurpators Cromwell aus politischen Gründen die allgemeine Hoftrauer anordnete. Ich weigerte mich hartnäckig, diese Abgeschmacktheit mitzumachen, und der junge König, der in seinem Herzen meine Auffassung billigen mochte, fand zum Glück nicht den Mut, mir einen gegenteiligen Befehl zu geben.
* * *
Unterdessen tauchte bereits das Gerücht auf, daß eine Reise des Königs nach den Pyrenäen geplant sei, wo man hoffte, mit Spanien Frieden zu machen und zugleich, als Unterpfand der freundschaftlichen Beziehungen beider Länder, die Infantin Maria Theresia dem König zu vermählen. Ja, man sprach im Louvre bald von nichts anderem mehr als von dieser Reise. Auf die Bitten des Königs entschloß sich die Königin-Mutter, die Reise ebenfalls mitzumachen; »er möchte doch versichert sein,« hörte ich den König scherzhaft äußern, »daß diejenige, die er heirate, auch seiner Mutter angenehm sei.« Der Monarch schien nicht zu ahnen, daß die ganze Sache allein von der Österreicherin eingefädelt war.
Der König forderte auch mich auf und ich mochte seinem Willen nicht entgegen sein. Er wußte ja nichts von dem Doppelspiel Annas von Österreich, seiner Mutter, die mir von meiner Kindheit an Hoffnung gemacht auf die Hand Seiner Majestät, im Herzen aber wohl nie ernstlich daran gedacht hat. Auch mußte ich zugeben, daß die Verbindung mit der Spanierin aus wirklich gebieterischen Gründen erfolgte. Und ich war Fürstin genug, um politischen Notwendigkeiten gegenüber meinen persönlichen Wünschen Schweigen zu gebieten.
Der Aufbruch des ganzen Hofes geschah von der Notre-Dame-Kirche aus, wo man zuvor, als an einem Samstag, die Messe gehört hatte.
Es war ein wundervoller Herbsttag und bald vor der Stadt lud mich der König ein, aus dem Wagen zu steigen und mit ihm zu Pferd zu sitzen. Er wußte, wie sehr das Reiten meine Leidenschaft sei. Zu Corbeille hielten wir das erste Nachtlager. Am folgenden Tag stiegen wir wieder zur Königin in die Karosse. Im Verlaufe des Gesprächs gerieten die Majestäten in einen scherzhaften Streit über den Vorrang ihrer beiden Häuser. »Ich habe in meiner Base hier,« bemerkte der König »einen guten Sekundanten, ich wette, sie ist ganz meiner Meinung.«
»Natürlich,« antwortete die Königin-Mutter, »von euch beiden ist eines so überspannt als das andere.«
»Aber nicht wahr, meine Base,« wandte sich der König an mich, »es ist doch so, wie ich neulich gegen die Königin behauptete: Wir haben schon als Könige über Frankreich regiert, als die Habsburger noch ein armes Grafengeschlecht waren.«
Ich antwortete, daß, wie groß und mächtig das Haus Österreich auch immer sei, es doch dem von Frankreich in jeder Beziehung nachstehe.
»Ich wüßte ein Mittel, erwiderte Seine Majestät, wodurch der Krieg mit dem König von Spanien rasch zu beenden wäre. Ich würde ihn herausfordern, sich persönlich mit mir zu messen, und ich bin überzeugt, daß er als echter Habsburger zurückwiche. Man liebt es nicht, in seiner Rasse, sich zu schlagen. Auch Karl V. ist der Herausforderung unseres Königs Franz ausgewichen.«
»Lassen wir's gut sein,« versetzte Anna von Österreich, »solche Streitereien, und wenn sie auch hundertmal bloßer Scherz sind, taugen nichts. Reden wir von anderem.«
So ging es weiter, einen Tag zu Wagen, einen zu Pferd.
In Toulouse machten die Bischöfe von Languedoc dem König ihre Aufwartung, und da mein Vater, der krank in Blois zurückgeblieben, Königlicher Statthalter der Provinz war, durfte ich die gleiche Ehrenerweisung erwarten. Nun sagte man mir, die Bischöfe hätten beschlossen, ohne Stab und Mitra zu mir zu kommen. Ich fragte deshalb den Fürsten Conti, den Statthalter der Provence, wie ich das aufzunehmen habe. Er antwortete mir, sein Episkopat sei nie anders vor ihm erschienen als im vollen Ornat.
Gleichzeitig erfuhr ich, jener respektlose Vorschlag wäre von dem Bischof von Montauban ausgegangen, einem gewissen Herrn Berthier, der zu Paris einigemal vor der Königin-Mutter zu predigen die Ehre hatte.
Ich ließ ihm sagen, daß ich schon vor ein paar Jahren, bei seiner letzten Predigt zu Paris, bemerkt habe, wie er anfinge, schwachsinnig zu werden, und jetzt sei ich erst recht davon überzeugt.
Die Bischöfe wandten sich darauf an den König und baten um seinen Befehl. Der König aber ließ ihnen antworten, er habe geglaubt, sie würden ihre Verpflichtungen kennen und keines ausdrücklichen Befehls bedürfen.
Und also erschien vor mir der ganze hohe Klerus an der Spitze der versammelten Landstände im feierlichsten Aufzug, den man sich nur denken kann.
Da der Klerus unter den Ständen den ersten Rang einnimmt, ist er zugleich ihr Wortführer, und der Bischof von Comminges aus dem illustren Hause von Choiseul hielt eine wohlgesetzte Ansprache.
Ich antwortete ihm, daß ich für ihre Ehrung im innersten Herzen dankbar sei, daß ich aber wohl wüßte, was derselben vorangegangen, maßen ein Mitglied der Körperschaft dieselbe habe verhindern wollen, also daß man sogar Seine Majestät dessentwegen belästigt. Sie machten mir alle eine tiefe Reverenz, und tags darauf erschien jeder einzelne, um sich demütig bei mir zu entschuldigen. Ich behandelte sie alle sehr gnädig, nur dem Bischof von Montauban sagte ich nicht ein Wort.
* * *
Saint-Jean-de-Luz heißt der Ort im Pyrenäischen Gebirge, wo die Friedensverträge mit Spanien abgeschlossen und die Vermählung unseres Monarchen mit der Infantin Maria Theresia gefeiert wurde.
Nach dem, was ich angedeutet, weiß man, welche Hoffnungen für mich auf immer hier begraben wurden.
Nebenbei aber mußte ich noch einen Ärger erleben, der mich fast krank machte.
Zu den bevorstehenden Vermählungsfeierlichkeiten waren auch meine Schwestern aus der zweiten Ehe meines Vaters eingetroffen, und auf Anordnung des Kardinals erhielten sie Wohnung bei der jungen Königin, was zur Folge hatte, daß sie täglich, auch in meiner Abwesenheit, an Ihrer Majestät Tafel speisten.
Nun aß ich zwar ebenfalls sehr oft bei der Königin, aber doch eben nicht alle Tage. In meinem Charakter liegt ein merkwürdiger Widerspruch. Ich bin nicht geneigt, den Prärogativen meiner Stellung das Geringste zu vergeben; aber ein starkes Gefühl für Unabhängigkeit in mir bewirkt, daß ich mich manchmal auch gern zu Hause halte und den Hof Hof sein lasse. So kam es, daß zu dieser Zeit meine Schwestern intimer wurden mit Ihrer Majestät als ich selber. Ich litt darunter unsäglich und konnte mich doch nicht entschließen, die nötigen Schritte dagegen zu tun.
* * *
Wenige Wochen nach den Vermählungsfeierlichkeiten in Saint-Jean-de-Luz hatte ich mit Seiner Königlichen Hoheit, meinem Vater, eine Auseinandersetzung, die uns für immer zu entzweien drohte. Einigermaßen entfremdet waren wir schon seit meiner Mündigkeitserklärung. Bei dieser Gelegenheit hatte die Rechenschaftsablegung über meine Vermögensverwaltung zu äußerst widerwärtigen Konflikten geführt, die aber vom Kardinal, der meinen Vater noch mehr haßte als mich, zuletzt zu meinen Gunsten geschlichtet worden.
Nun kam Seine Königliche Hoheit von dero Residenz zu Blois herüber nach Saint-Fargeau, wo ich gerade das Schloß im Innern neu ausbauen und einen Garten nach Zeichnungen von Meister Lenôtre nebst einer Allee für das Ballspiel anlegen ließ. Im Garten ließ ich eine weitgedehnte Terrasse bauen, von wo man des schönsten Blicks auf die Landschaft genoß, auf die Weinberge jenseits des Städtchens und das ganze Wiesental mit dem Fluß und seinen Weihern.
Mein Vater war kaum abgestiegen, als er mir auch schon von einem bayrischen Jesuiten sprach, einem gewissen Pater Anton Dillinger, der zu ihm nach Blois gekommen und den er ohne weiteres nach Saint-Fargeau mitgebracht, aber einstweilen in der Herberge des Städtchens zurückgelassen hatte. Dieser Jesuit war ein Abgesandter des Pfalzgrafen von Bayern-Neuburg. Er hatte meinem Vater einen Brief seines Herrn für mich übergeben, den ich so närrisch finde, daß ich mir den Spaß nicht nehmen mag, ihn hier zu kopieren:
Königliche Hoheit,
Da die seltsamen Tugenden und Vollkommenheiten, womit der Himmel Eurer Königlichen Hoheit allerhöchste Person zu schmücken die Gnade hatte, die ganze Welt von sich reden machen, dergestalt, daß dero Ruhm bis zu meinen Ohren gedrungen ist, wird, so hoffe ich, Eure Königliche Hoheit mir in Gnaden verzeihen, daß ich mich unter die große Zahl derer zu stellen wage, die die Ehre haben, sich Eurer Königlichen Hoheit alleruntertänigste Diener zu nennen. In der Tat gibt es für mich kein Glück, was ich mit größerer Leidenschaft zu ergreifen wünschte, als die Gunst, den schuldigen Tribut meines Gehorsams und tiefster Verehrung zu Eurer Königlichen Hoheit Füßen ausdrücklich niederlegen zu dürfen. Da aber die Ungunst der Zeit und die Verhältnisse mir zu meinem Unglück nicht gestatten, dies persönlich zu tun, so richte ich hiermit an Eure Königliche Hoheit die allerdemütigste Supplik, Eure Königliche Hoheit wolle dem Überbringer dieses, dem ehrwürdigen Pater Johann Anton Dillinger, die Erlaubnis geben, Eure Königliche Hoheit in meinem Namen zu versichern, daß ich keinem von denen, deren vornehmster Beruf es ist, Euch zu dienen, weder in Treue, noch in Eifer nachzustehen mich überzeugt halten darf, wie ich mir auf der Welt keinen höheren Ruhm zu denken weiß, als die Gnade zu haben, Euch versichern zu dürfen, wie sehr ich bin und für meine ganze Lebenszeit bleiben werde
Eurer königlichen Hoheit allerdemütigster, allergehorsamster und allertreuester Diener und Vetter
Philipp Wilhelm, Pfalzgraf.
Ich weigerte mich rundweg, den Jesuiten zu empfangen.
Um meinen Entschluß zu erschüttern, stellte mir mein Vater vor, wie schon wiederholt österreichische Erzherzoginnen sich mit dem Pfalz-Neuburgischen Hause alliiert hätten. Ich antwortete Seiner Königlichen Hoheit, Sie scheine ganz zu vergessen, wer ich sei. Mit den Erzherzoginnen möge man mich verschonen. Die Prinzessin Rohan habe ja sogar, zum Gelächter der Welt, einen kleinen Edelmann und Nachgeborenen aus Burgund geheiratet.
»Ich brauche keine Beispiele,« rief ich voll Entrüstung. »Ich bin mir selber Regel und Gesetz. Mögen andere betreßte Lakaien heiraten, ich weiß was mir ansteht.«