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Drittes Buch

Saint-Fargeau, den 16. August 1665.

Adieu Erinnerungen. Ich habe vor acht Tagen dem König einen freundlichen Brief geschrieben und darin Seine Majestät zur abermaligen Schwangerschaft der Königin, wovon man mir berichtet, beglückwünscht. Und Seine Majestät hat mir zu meinem Erstaunen geantwortet. Er werde sich freuen, schreibt mir der König, mich recht bald wiederzusehen. Unter sotanen Umständen möchte es nicht angebracht sein, ihm länger fern zu bleiben. Ich werde morgen mein Hoflager hier abbrechen.

 

Fontainebleau, den 19. August.

Gegen 6 Uhr gestern abend bin ich hier angekommen. Schon sieben Meilen vor Fontainebleau fand ich die Straße erfüllt von Karossen. Der ganze Hof kam mir entgegen, ausgenommen Turenne. Der Fürst Condé und sein Bruder Conti waren die ersten, die mich begrüßten. Sogar viele Kavaliere waren hinausgekommen, die ich nie gesehen hatte, da sie erst in der Zeit meiner Abwesenheit von der Akademie abgegangen.

Mein erster Gang galt der jungen Königin. Der König befand sich bei ihr, er kam mir drei Schritte entgegen, um mich zu begrüßen. »Er freue sich sehr, mich wiederzusehen.« Was ich ihm antwortete, wüßte ich nicht mehr zu sagen, so verwirrt war ich.

Die Königin lag zu Bett, ich machte ihr eine tiefe und demütige Reverenz, in der Erwartung, daß sie mich auffordern werde, sie zu umarmen. Dies tat endlich der König mit einem eigentümlichen Lächeln. Auch die Königin-Mutter war zugegen, sie umarmte mich demonstrativ mit großer Herzlichkeit.

Überhaupt schien es, als ob ich am Hof nur lauter gute und aufrichtige Freunde hätte, obwohl ich durchaus vom Gegenteil überzeugt bin. Denn nur wenige hatten sich zur Zeit meiner Ungnade um mich gekümmert. Das ist nun aber einmal bei Hofleuten so der Brauch, und man müßte schon sehr einfältig sein, um nicht zu wissen, woran man sich zu halten hat.

Nach einer Weile näherte sich mir Turenne. »Er habe nicht gewagt, mir entgegenzukommen, aber ich würde ihn glücklich machen, wenn ich seine Dienste genehmigen wollte.« Ich antwortete ihm höflich aber stolz.

Der König entschuldigte sich bei mir, daß meine Gemächer von der Fürstin von Monaco eingenommen wären. Da ich gemeldet, nur fünf Tage in Fontainebleau bleiben zu wollen, habe man die Fürstin nicht erst ausquartiert. Wenn ich mich entschließen könnte, längeren Aufenthalt zu nehmen, stünden mir meine früheren Räume natürlich zur Verfügung.

Ich blieb bei meinem Vorsatz, die nächsten Tage nach Eu zu gehen.

* * *

Vor meinem Eintreffen bei Hof hatte ein höchst rätselhafter Vorgang die einen in Verwunderung, die anderen in Bestürzung versetzt. Der größte Günstling und intimste Gesellschafter des Königs, zugleich erster Hauptmann seiner Leibgarde, nämlich Graf Lauzun, – denn so nennt sich der Marquis von Puyguilhem seit dem Tode seines Vaters – war Knall und Fall verhaftet und in die Bastille geschickt worden, ohne daß auch nur eine einzige Person einen sichern Grund dafür wußte.

Gemunkelt wurde freilich mancherlei. Wenn man dieser Chronique scandaleuse glauben will, handelte es sich um eine heftige Szene zwischen dem Grafen und dem König wegen der Fürstin von Monaco, mit der Herr von Lauzun schon intime Beziehungen unterhalten haben soll, als sie noch Fräulein von Grammont hieß. Die neugebackene Herzogin von La Vallière war nicht nach Fontainebleau gekommen und es scheint, daß der König in der Fürstin von Monaco so etwas wie einen Ersatz gesucht, in Lauzun sich aber verrechnet hat.

Folgendes wurde mir von Augenzeugen erzählt.

Die Fürstin saß mit andern Damen zusammen auf einer Rasenbank der Schloßterrasse in Unterhaltung mit dem König, dem Herzog von Montausier, dem Grafen Lauzun und andern Kavalieren. Als sich die Fürstin einmal etwas zurücklehnte und dabei ihre Hand auf die Erde stützte, trat Herr von Lauzun ihr wie aus Versehen darauf und verursachte ihr, da er in schweren Reiterstiefeln war, einen solchen Schmerz, daß sie laut aufschrie. Sie machte dem Grafen die heftigsten und rückhaltlosesten Vorwürfe, die an dem geheimen Verhältnis der beiden kaum einen Zweifel ließen, indes Herr von Lauzun, zu aller Verwunderung, sich nur obenhin entschuldigte. Der König wandte sich empört ab. Am andern Morgen aber wurde Graf Lauzun in das Kabinett Seiner Majestät gerufen, und die Lakaien, die sich im Vorzimmer hielten, wußten zu erzählen, daß es zwischen dem Monarchen und dem Grafen eine zornige und heftige Auseinandersetzung gegeben habe, die sie für das Leben des Grafen fürchten ließ. Herr von Lauzun hatte auch kaum das Kabinett des Königs eine halbe Stunde verlassen, als er vom Grafen Ayen, seinem jüngsten Kameraden von der Leibgarde, verhaftet und in die Bastille abgeführt wurde.

An dem Tag, da ich in Fontainebleau ankam, war Graf Lauzun bereits wieder frei und von neuem in der vollen Gunst des Königs, was, wie billig, ein noch größeres Erstaunen hervorrief als seine Verhaftung.

 

Fontainebleau, 22. August.

Vor Tafel machte ich mit dem König einen Gang im Park. Ich mußte immer auf den goldenen Knopf seines spanischen Rohrs hinsehen, der nicht glatt, sondern auffallend verbuckelt und verbeult war.

»Ja, schaut nur,« sagte Seine Majestät, »den Stock habe ich neulich zum Fenster hinausgeworfen, um mir nicht die Reue zuzuziehen, einen französischen Edelmann durchgeprügelt zu haben; denn ich war wahrhaftig nahe daran, den Grafen Lauzun damit um die Ohren zu hauen, was ich mir gewiß mein Leben lang nicht verziehen hätte. Freilich hatte mich der Graf aufs Äußerste gebracht. Er hat sich Dinge gegen mich herausgenommen, wie noch keiner gewagt. Ich war selber ganz verblüfft von seiner Kühnheit. Aber seht, so wird's einem gemacht, wo man am meisten liebt.«

»Und Eure Majestät hat ihm verziehen?« fragte ich zögernd.

»Man muß sich von seinen Getreuen schon etwas gefallen lassen,« versetzte nachdenklich der König, »Lauzuns Anhänglichkeit ist groß, auch rechne ich es unter meine schönsten Siege, daß ich mich in jenem kritischen Augenblick nicht zu einer unwürdigen Handlung hinreißen ließ. Und so will ich die Buckeln dieses Knopfs nie wieder ausbessern lassen, um mich an diesem sichtbaren Zeichen jeden Augenblick zu erinnern, daß es zu den schwersten aber auch notwendigsten Pflichten eines Königs gehört, sich selbst zu beherrschen.«

»Und fürchtet Ihr nicht, Sire,« erwiderte ich, »durch den Anblick dieses gleichen Gegenstandes den Grafen hochmütig zu machen, der sich dabei seinerseits erinnern wird, was er sich gegen die geheiligte Majestät herausnehmen durfte.«

»Ich kenne meinen Lauzun,« sagte der König kurz, »er ist nicht wie die andern. Es wäre falsch, ihn mit dem Maßstab gewöhnlicher Menschen zu messen. Er paßt in keine Regel, er ist eine seltene Ausnahme.«

Das muß nun doch wohl ein außerordentlicher Mensch sein, für den ein großer König solche Worte findet.

Unsere Damen sind übrigens wie verrückt hinter ihm her. Um so mehr, je verächtlicher und wegwerfender er sie behandelt. Daß ihm die Fürstin von Monaco sein brutales Gehaben bereits leichten Herzens verziehen hat, kann jedermann sehen.

 

23. August.

Gestern wollte mich Turenne in aller Frühe besuchen, ich zog gerade das Hemd an und er wartete ungefähr eine halbe Stunde, auf einem Koffer sitzend, in meinem Kabinett. Am ganzen Hofe wird herumgeredet, daß ich ihn mit Absicht warten ließ, es ist aber ganz gewiß, daß ich mit keinem Gedanken daran gedacht habe.

Unsere Unterredung war höflich aber nicht herzlich. Ich bin sehr wenig zufrieden mit ihm, und er kann sich den Vorwurf nicht ersparen, daß er mir allen Grund dazu gegeben hat.

 

Auf meinem Schloß Eu, den 27. August.

Nie hätte ich gedacht, daß ich mich so des Hofes entwöhnen könnte. Die fünf Tage zu Fontainebleau waren mir mehr eine Last als eine Lust. Und wie glücklich macht es mich, hier wieder ganz mir selber zu gehören. Ich werde die Rückkehr an den Hof so lang aufschieben, als es nur die Jahreszeit gestattet.

Meine täglichen Ritte, in die Landschaft hinaus oder am Rand der Falaise hin, mit dem Meer in jäher Tiefe unter mir, machen mir ein unsägliches Vergnügen.

Und dann gehe ich täglich zur Messe in unserer Pfarrkirche und bemerke mit Genugtuung und aufrichtigem Dank gegen die Gnade Gottes, wie mein Geschmack für die Übungen der Religion mehr und mehr erstarkt.

Meine Pfarrei zu Paris, nämlich die von St. Sulpice, war mir durch die Väter der dortigen Kongregation so verleidet worden, daß ich zuletzt gar nicht mehr hinging.

In einem Liebeshandel Seiner Königlichen Hoheit, meines Vaters selig, der ihnen allerdings ihre Kirche mit großer Pracht neu gebaut hat, haben sie sich meine Achtung für immer verscherzt. Um den verliebten Nachstellungen meines Vaters zu entgehen, hatte sich die Gräfin von Saujeon in das Kloster der Karmeliterinnen zu Val de Grace geflüchtet. Aber dort machten ihr nun die Sulpicianer die Hölle heiß, erklärten ihr, daß sie in der Welt mehr Gutes tun könne als im Kloster, kurz, ließen ihr keine Ruhe, bis sie wieder in ihren Palast zurückkehrte. Sie hofften damit den Dank meines seligen Vaters zu verdienen. Aber Seine Königliche Hoheit selber hat nicht verfehlt, ihnen seine Verachtung deswegen zu zeigen.

Noch andere Dinge kamen vor, die meinen Unwillen erregten.

 

5. Okt.

Ich hatte dem Erzbischof von Paris geschrieben, ob er mich nicht in eine andere Pfarrei einweisen könne und er hat mir heut geantwortet. Seinem liebenswürdigen Brief liegt eine amtliche Verfügung bei, wonach die Bewohner des Luxemburg wie auch alle meine übrigen Beamten, die außerhalb des Palastes wohnen, wo es auch sei, zur Pfarrei von St. Severin gehören sollen. So werde ich also in Zukunft Gott dienen können, ohne durch den Ärger über seine Minister um alle Andacht und Erbauung gebracht zu werden.

* * *

Durch einen Kurier erfuhr ich eben die Vermählung der Herzogin von Alençon meiner Stiefschwester mit dem Herzog von Guise. Nicht eine Silbe hat man mir in Fontainebleau davon gesagt. Man fürchtete wohl, daß ich beim König dieser Verbindung entgegenarbeiten werde, durch die meine Schwester allzusehr unter ihren Rang hinuntersteigt.

 

Zu Paris im Luxemburg, den 17. Oktober.

Eine plötzliche Verschlimmerung im Zustand der Königin-Mutter hat meine Abreise von Eu beschleunigt. Sie ist gestern, als sie von einem Bett in das andere steigen wollte, ohnmächtig zusammengesunken. Dabei ist ihre Wunde am Unterleib von neuem aufgebrochen, daß ihre Frauen nicht wagten, an sie zu rühren. Der Herzog von Créqui brachte sie endlich wieder zu Bett, und er gestand mir, wie nicht viel gefehlt hätte, daß er selber in Ohnmacht gefallen sei. Er meinte, nach dem Gestank ihrer Wunde könne sie's unmöglich lange machen.

 

3. Dezember.

Heute wurde in feierlicher Prozession der Reliquienschrein der heiligen Genoveva in den Louvre gebracht.

Der König hatte uns alle zuvor gefragt, was wir in der Sache dächten.

Ich war dagegen. Man müsse die Heiligen nicht in Versuchung führen. Man müsse ein Wunder nicht zu etwas Alltäglichem machen wollen. Das Übel der Königin sei solcher Natur, daß sie wirklich nur durch ein sichtbares Eingreifen der Heiligen gerettet werden könne, wir aber seien viel zu laue Christen, als daß sich Gott für uns in so außerordentlicher Weise ins Zeug legen sollte.

Seine Majestät antwortete mir, Sie sei ganz meiner Meinung.

»Ihr habt gewiß recht,« sagte der König nach längerem Nachdenken. »Da aber die andern zum Gegenteil raten, weil es immer so Brauch und Herkommen gewesen sei, müßte es einen üblen Eindruck machen, wenn ich als Sohn mich dagegen wehrte.«

Ich ging selber in den Louvre, um mir die Prozession anzusehen. Darauf begab ich mich mit der jungen Königin nach St. Severin, wo man das Allerheiligste ausgesetzt hatte. Hier beteten wir zusammen still für die hohe Kranke.

 

20. Januar.

Zur Mittagsstunde empfing die Königin die letzte Ölung. Als ihr der Priester die Schläfen salbte, bat sie die Gräfin Fleix, auf ihre Haube zu achten, daß sie nicht fettig werde.

Das waren ihre letzten Worte.

Ihre ängstliche Abneigung gegen Unreinlichkeit, die so charakteristisch für sie war, hatte sich also recht eigentlich in extremis bewährt.

Der König kniete lange weinend vor ihrem Bette, dann übergab ihm die Gräfin Fleix die Schlüssel der Königin, und man verfügte sich nach dem Kabinett der Verstorbenen, wo man ihr Testament vermutete. Dieses wurde vom Kanzler Le Tellier laut verlesen, worauf der König zu Wagen stieg; ich selber begab mich nach dem Luxemburg.

Von Herrn von Montausier, der Seine Majestät begleitet, erfuhr ich, daß der König die Herzogin von La Vallière besucht. Doch habe sich Seine Majestät weniger mit dieser als mit der Gräfin von Montespan unterhalten, die seit einiger Zeit als Gesellschafterin, ja man kann sagen als intime Freundin bei der Herzogin wohnt.

Ob das nicht ein wenig unklug ist von seiten der La Vallière. Die Montespan ist eine viel glänzendere Schönheit und an lebhaftem Geist und sprudelndem Witz hat sie am Hof nicht ihresgleichen.

 

Fontainebleau, 2. März 1667.

Über ein Jahr habe ich mein Tagebuch vergessen, ich weiß selber nicht warum. Von heute an will ich wieder fleißiger schreiben. Es scheinen sich außerordentliche Dinge vorzubereiten. Der König läßt hier große Truppenmassen zusammenziehen, an deren Übungen er meistens selber teilnimmt, also daß man bereits von einem neuen Krieg redet, der in Aussicht steht.

In dem spanischen Feldzug hat der König die Überzeugung gewonnen, daß ihm keine Truppengattung so wichtige Dienste geleistet, wie die Reiterei. Aus Dankbarkeit gab er dem ersten Dragonerregiment, das den Namen La Ferté getragen, seinen eigenen Namen und ernannte den Grafen Lauzun, der bis dahin bei dem Regiment seines Onkels Grammont gestanden hatte, zu dessen Chef.

Bei dieser Gelegenheit erfuhr ich, in welch hervorragender Weise sich Herr von Lauzun im letzten Kriege ausgezeichnet. Turenne, von seinen außerordentlichen Gaben überzeugt, hatte ihn zum Kommandanten von Furne ernannt, einem ringsum offenen Platz mitten im Feindesland. Einen alten und nicht wenig verdienten General verdroß diese Bevorzugung, und er ließ unter der Armee herumsagen, er sei fest entschlossen, sich niemals unter den Befehl eines hergelaufenen Knaben zu fügen. Herr von Lauzun ließ ihm vermelden, er selber habe sich nicht in die Stelle gedrängt und er kenne keine andere Rücksicht als den Dienst des Königs.

Da jener trotzdem in seiner Widersetzlichkeit verharrte, ließ ihn Lauzun samt seinem Anhang verhaften.

Das war für einen Achtzehnjährigen keine Kleinigkeit. Dem König aber imponierte diese rasche Entschlossenheit über alles, und sogar Lauzuns Feinde konnten bei dieser Gelegenheit nicht anders als ihn bewundern.

Indem der König diesen Mann zum Obersten seines ersten Dragonerregiments machte, das er zu einer Elitetruppe ausbilden will, zeigte er, wie gut er seine Leute auszuwählen wisse.

 

25. März.

Der König hielt gestern sechs Meilen von hier, bei Moret, ein großes Manöver ab, dem auch die Königin und wir alle beiwohnten. Den wichtigsten Anteil daran hatte das erste Dragonerregiment, dessen Oberst sich in einer Weife auszeichnete, daß er vom ganzen Hof bewundert wurde. Kein anderer Führer tat es Herrn von Lauzun auch nur von weitem gleich.

Nach beendetem Manöver besuchte der König den Grafen Lauzun in seinem Zelt. Seine Majestät war kaum eingetreten, so formierte sich auch schon aus Lauzuns Dragonern eine Ehrenwache vor dem Eingang. Das war unerhört. Denn bis zu diesem Tag genossen allein die Garderegimenter die Ehre, den König zu bewachen; auch war eines derselben in nächster Nähe aufgestellt.

Aber was andern ein ungeheuerliches Vorgehen schien, behandelte Herr von Lauzun als pure Bagatelle. Der König lächelte dazu.

Auffallend zeigten sich in dieser letzten Zeit die Kostüme des Königs. Während sonst Hellblau und Hochrot in leuchtender Seide, mit goldenen Litzen und weißer Spitzenverbrämung, überhaupt viel Weiß, seine Lieblingsfarben waren, trug er bei diesen Revuen, am ersten Tag ein dunkelbordeauxfarbiges Kleid mit Goldstickerei und schwarzen Spitzen, wie auch ebensolchen Hut und Federschmuck, am zweiten Tag aber lauchgrünen Brokat über rosaseidenem Unterkleid, mit gleichfarbigem Federputz auf dem Hut. Ich fand, daß ihn diese Kostüme männlicher erscheinen lassen und kriegerischer als das allzu heitere Blau-Rot-Weiß. Auch zur dunklen Pracht seiner natürlichen Locken stimmen sie harmonischer und geben seinem gesunden jugendlichen Karnat eine ernstere Folie.

In dem einen Punkt ist Herr von Lauzun nicht bestrebt, seinem König nachzuahmen. Er übertreibt ebensosehr die Einfachheit und Schlichtheit, wie dieser die Pracht liebt. Sein Anzug ist immer alt und abgenutzt. Keiner dürfte sich vor Seiner Majestät in seinem Äußern so vernachlässigen, wie er es tut.

Sich zu putzen, scheint ihm offenbar eine müßiggängerische und weibische, mit einem Wort verächtliche Beschäftigung. Sehr seltsam.

Ich habe mich heut auf dem Wunsch ertappt, den außerordentlichen Mann persönlich näher kennen zu lernen.

 

29. März, abends.

Vorhin im Gespräch mit der jungen Königin – nach der Abendtafel – kam Herr von Lauzun auf Herrn von Turenne zu reden und dessen jüngst erfolgte Abschwörung des hugenottischen Glaubens.

»Der Marschall und erlauchte Fürst« sagte der Graf, »hatte längst bei sich die Wahrheit des katholischen Glaubens eingesehen, und wenn er so lang bei den Vorurteilen seiner Erziehung verharrte, geschah es allein mit Rücksicht auf die Fürstin von Turenne, die immer eine überzeugte Kalvinistin geblieben ist. Ihr Tod vor einem Jahr und die eifrigen Konferenzen mit dem gelehrten Abbé Bossuet sowie dem frommen Bischof von Lizieux haben den Marschall endlich bestimmt, öffentlich für die Wahrheit Zeugnis abzulegen.«

»Der Marschall soll bei Gelegenheit seines Übertritts«, bemerkte Ihre Majestät vom Spieltisch her, »eine bedeutende Schrift verfaßt haben; ist er wirklich so stark in der heiligen Theologie?«

»Die Schrift,« antwortete Herr von Lauzun, »die Eure Majestät zu erwähnen geruhen, führt den Titel: ›Darstellung meines Glaubens‹. Sie ist in der Tat sehr bedeutend. Auch haben die Protestanten sich wohl gehütet, darauf zu antworten. Noch niemals wurde die römische Kirche mit solchem Erfolg gegen die Vorwürfe der Götzendienerei verteidigt, wie in dieser kurzen aber energischen Abhandlung. Ein französischer Marschall, ein ungelehrter Kriegsmann hat damit die berühmtesten Gottesgelehrten in den Schatten gestellt.«

Wie ich diese Sprache bewunderte. Herr von Lauzun ist in allen Sätteln gerecht. An der Spitze seiner Dragoner ist er ganz Soldat; auf dem Parkett sticht er die perfektesten Hofleute aus; über unsere heilige Religion vermag er zu reden wie ein Bourdaloue oder Chrysostomus.

Nur über Poesie habe ich noch nie ein Wort von ihm gehört. Verse scheint er nicht zu lesen.

 

Compiegne, 7. Mai.

Seit mehreren Wochen weilte der Hof hier und heute ist der König zur Armee abgegangen.

Es ist möglich, daß ihm die Königin und ihre ganze Umgebung dahin folgen wird. Kurz vor seinem Weggang von Paris hat der König eine Tochter der Herzogin von La Vallière in einem feierlichen Akt anerkannt, eine Domäne für sie gekauft und ihr den Namen von Bourbon und den Titel eines Fräuleins von Blois verliehen.

Die La Vallière aber verfügte sich, kurz vor der Abreise des Hofes, mit der zweijährigen Marianne, das ist eben die neugebackene Dame von Bourbon, nach Versailles, worüber sich niemand mehr freute als die Königin.

* * *

Der Bischof von Noyon, der ein sehr angenehmer Schwerenöter ist, besucht uns hier fast ein über den andern Tag. Sonst füllen Spazierritte und das Spiel unsere Zeit aus. Die Königin verläßt selten vor Mitternacht den Spieltisch und da es an Kavalieren fehlt, muß meist die Gräfin Montespan sich opfern. Nun spielt aber Ihre Majestät ausnahmslos sehr hoch, darum kann ich häufig nicht anders, als mit der Gräfin Halbpart zu machen, so sehr mir dieser Zeitvertreib in der Seele verhaßt ist.

Doch haben wir meistens, die Gräfin und ich, unsern Vorteil davon. Denn Majestät verliert fast ausschließlich. So leidenschaftlich sie das Spiel liebt, kann sie doch nie ihre Gedanken darauf konzentrieren. Oder sie hat überhaupt nicht soviel Verstand, um die Regeln des Spiels zu begreifen. Ihre dickliche fettliche Person ist auch zu faul für jede Art Anstrengung.

* * *

Brief vom König mit der Nachricht von der Einnahme der Festung Charleroi durch den Marschall von Turenne und den Grafen Lauzun. Das Schreiben drückt eine außerordentliche Befriedigung aus; Seine Majestät scheint die Übergabe dieses besonders festen Platzes nicht so schnell erwartet zu haben.

Und den Hauptanteil an dem gloriosen Erfolg scheint der König nicht dem Marschall Turenne, sondern dem Herrn von Lauzun zuzuschreiben. Fast nur von diesem spricht Seine Majestät.

»Herr von Lauzun«, heißt es in dem Brief, »war mit seinen fünftausend Mann drei Tage später in die Belagerung eingetreten als Marschall Turenne; dennoch hat er die sämtlichen Außenwerke auf seiner Seite genommen, noch ehe der Marschall den geringsten Erfolg zu verzeichnen hatte. Lauzun war es, der, von seiner Seite, den Feind zuerst in die Notwendigkeit brachte, zur Übergabe zu blasen und dem Grafen Geiseln anzubieten, worauf aber der Marschall, voll Eifersucht, daß sich die Festung dem Grafen Lauzun statt ihm übergeben, seinerseits die Beschießung fortsetzte, als ob die Kapitulation nicht schon stattgefunden habe. Wer weiß, was ein anderer in Lauzuns Lage getan hätte. Aber Herr von Lauzun zeigte nicht die geringste Empfindlichkeit; er schickte Herrn von Turenne seine Geiseln und bedeutete dem Kommandanten der Festung, daß er statt seiner mit dem Marschall zu unterhandeln habe.«

Ich kann gar nicht aussprechen, wie mir zumute war, während uns die Königin heute früh diesen Brief vorlas, mir, der Prinzessin von Baden und der Gräfin von Montausier. Jede rühmliche Nachricht von Herrn von Lauzun erregt mich neuerdings in seltsamer Weise. Ich fühle, wie ich immer mehr an ihm teilnehme.

Eine eigentümliche geheime Sympathie verbindet mich mit ihm, und diese hat ihren Grund gewiß weniger in den Verdiensten dieses außerordentlichen Mannes an sich, als in einem tief geheimnisvollen Etwas, das uns beiden gemeinsam ist: der Liebe zu unserm großen König.

 

Auf Schloß La Fère, 20. Mai.

Als ich am Montag abend zu Compiegne spät nach Mitternacht zu Bette gegangen, wurde ich um vier Uhr des Morgens von einem heftigen Geräusch über mir aufgeweckt. Ich schickte meine Kammerfrau zur Prinzessin von Baden, einer der Ehrendamen Ihrer Majestät, die über mir wohnte, um mich nach der Ursache dieser Unruhe zu erkundigen, und man ließ mir antworten, der König habe in der Nacht einen Kurier geschickt mit dem Befehl an die Königin, unverweilt nach Amiens aufzubrechen.

Wir kamen gestern spät hier an und während nach der Tafel die Königin, ihrer Gewohnheit gemäß, mit Frau von Montespan spielte, bemerkte ich, wie die andern geheimnisvoll zusammen tuschelten. Auf meinem Zimmer erfuhr ich dann von der Gräfin von Montausier, daß man die Herzogin von La Vallière für den nächsten Morgen erwarte. Die Königin sei ganz außer sich hierüber.

 

Auf Schloß Guise, 25. Mai.

Gestern früh, auf Schloß La Fère, ließ ich mich zeitig ankleiden, da ich wußte, daß die Königin die Reise fortsetzen wolle, sobald sie aufgestanden sei. Ich begab mich mit der Gräfin von Montespan zur Königin und wir fanden zu unserer großen Überraschung im Vorzimmer, auf den Reisekoffern sitzend, die Herzogin von La Vallière mit dem Fräulein von Blois, nämlich der kleinen Marianne und deren Ehrendame, der Gräfin von Roure. Man begrüßte sich und ich trat in das Gemach der Königin. Sie war ganz in Tränen und erzählte mir unter Weinen, daß sie sich dreimal erbrochen, daß sie dieses Leben nicht mehr aushalte.

»Seht nur einmal den Zustand Ihrer Majestät,« flüsterte Frau von Montespan, die für die unglückliche Monarchin eine aufrichtige Teilnahme zu haben schien.

Um der La Vallière nicht zu begegnen, verließ die Königin ihr Gemach durch einen geheimen Gang, der zur Schloßkapelle führte, wo sie die Messe hören wollte. Und da sie befürchtete, die Verhaßte möchte ihr folgen, ließ sie die Türe ihrer Tribüne hinter sich verriegeln, also daß die Herzogin im Schiff der Kapelle, unter den übrigen, ihren Platz nehmen mußte. Als wir aber zu Wagen stiegen, konnte die Königin dennoch nicht verhindern, daß sich ihr die La Vallière zum Gruß näherte. Ihre Majestät würdigte die Zudringliche keines Blickes.

Und als wir unterwegs, ich weiß nicht mehr an welchem Ort, die Tafel gedeckt fanden, befahl Ihre Majestät, der Herzogin nichts von dem Essen vorzulegen. Dieselbe wurde dennoch von dem Herzog von Villacère, dem ausdrücklichen Befehl der Königin zum Trotz, aufs zuvorkommendste bedient.

Auf der Fahrt in unserem Wagen war von nichts anderem die Rede als von diesem Betragen der La Vallière. Die Gräfin Montausier und die Gräfin von Montespan wie auch die Prinzessin von Baden glaubten sicher zu sein, daß der König sie nicht gerufen habe.

»Diese Person«, sagte die Prinzessin von Baden, »scheint weder den Schmerz der Königin noch die verächtliche Behandlung, die ihr von der Majestät widerfährt, für etwas zu achten.«

Es ist nur gut, daß Worte nicht in die Ferne wirken. Die Herzogin hätte bei dieser Gelegenheit wenig Schmeichelhaftes zu hören bekommen.

»Möge mich Gott davor bewahren,« rief die Montespan einmal aus, »je die Geliebte des Königs zu werden, wenn mir aber dieses Unglück dennoch widerfahren sollte, würde ich wenigstens nicht die Stirne haben, mich vor den Augen der Königin zu zeigen.«

Also wurde hin und her geredet über das Unglück der jungen Monarchin und eins suchte das andere zu übertreffen in harter Verurteilung der Herzogin von La Vallière.

Was mich betrifft, ich hüllte mich in hartnäckiges Schweigen, denn ich erachtete, daß dies das einzige Betragen fei, das mir anstehen möchte.

Hier auf Schloß Guise hält sich die Herzogin in bescheidener Zurückhaltung.

 

Arras, 27. Mai.

Zu Schloß Guise hatte Ihre Majestät schon am Abend den Offizieren ihres Gefolges den strengen Befehl erteilt, Vorkehrungen zu treffen, daß niemand vor ihr, der Königin, aufbreche. Sie gedachte auf diese Weise, die La Vallière zu verhindern, den König eher zu sehen und sprechen als Ihre Majestät selber. Als wir aber von einem Hügel aus auf einmal das Lager vor uns erblickten, bemerkten wir zugleich die Karosse der Herzogin querfeldein in voller Karriere davonrasen.

Die Königin wußte sich kaum mehr zu fassen vor Zorn und Empörung. Sie gab Befehl, der La Vallière nachzujagen und sie aufzuhalten; aber wir baten sie inständig, diesen Befehl zurückzunehmen, da der König die außerordentliche Maßregel notwendig erfahren müsse und ungnädig aufnehmen könnte.

Bald danach näherte sich Seine Majestät dem Wagen der Königin. Doch weigerte sich der König, seine beschmutzten Kleider vorschützend, bei der Königin Platz zu nehmen. Er verabschiedete sich nach kurzem Gruß und ritt in der Richtung davon, den der Wagen der Herzogin von La Vallière zuvor genommen hatte.

Diesen Abend sah man die Herzogin nicht, tags darauf aber fuhr sie, zu unserem größten Erstaunen, mit der Königin in deren Wagen zur Messe.

Obwohl der Wagen überfüllt war, beeilte sich doch jedermann, ihr Platz zu machen.

Zu Mittag speiste sie mit ihren Damen an der Tafel der Königin. Doch am andern Morgen verabschiedete sie sich, um, zu unser aller Befriedigung und Beruhigung, nach Versailles zurückzukehren.

 

Dienstag, 11. Juni.

Schon seit mehreren Tagen muß ich beim Spiel der Königin die Gräfin Montespan vertreten, die sich zurückgezogen auf ihrem Zimmer hält, in dem Flügel, der von der Gräfin Montausier eingenommen wird. Eine Schildwache, die in dem Gang aufgestellt war, der die Wohnung des Königs mit diesem Flügel verbindet, wurde vorgestern von dort zurückgezogen und an der Treppe postiert, mit dem ausdrücklichen Befehl, jedermann, wer es auch sei, von diesem Korridor fernzuhalten.

Auch der König blieb diese ganze Zeit über fast unsichtbar.

Die Gräfin Montespan aber erscheint nach wie vor weder beim Spiel der Königin, noch begleitet sie Dero Majestät, wie es ihre Pflicht wäre, auf den Ausfahrten. Was soll man sich dabei denken?

 

12. Juni.

... erzählte uns der König lange Zeit von dem Verhalten des Grafen Lauzun bei der Belagerung von Charleroi.

Herr von Lauzun hat demnach ganz persönlich, den Degen in der Hand, die Lünette eines detachierten Forts erstürmt. Er wurde dabei zweimal gefangen genommen und jedesmal wieder von den Seinigen herausgehauen. Der König selbst war Augenzeuge. Die Kleider hingen dem Grafen zuletzt in Fetzen vom Leibe, ohne daß er jedoch eine namhafte Wunde erhalten hätte. Der letzte Ausfall des Feindes wurde allein von ihm zurückgeschlagen. Während er die Spanier in der Front angriff, ließ er sie zugleich von kleinen Abteilungen, die er geschickt hinter Hecken und Gräben verteilt hatte, im Rücken umzingeln und vernichtete im Tumult fast ihre ganze Streitkraft.

Der König hat viele bedeutende Männer in seinem Heer, auf keinen aber ist er so stolz als auf Herrn von Lauzun, vielleicht weil die andern älter sind und schon berühmt waren, ehe der König zur Herrschaft gelangte. Vielleicht auch, weil er weiß, daß ihn keiner so aufrichtig liebt, daß ihm keiner persönlich so ergeben ist.

Aus diesem Grund ist Herr von Lauzun auch mir sympathischer als die andern, besonders sympathischer als dieser Turenne, der trotz seines Übertritts zu unserer Kirche ein heimlicher Hugenotte geblieben ist, von dem ehrgeizigen Louvois nicht zu reden, der Herrn von Lauzun Gift geben möchte wegen der Gunst und Liebe, deren der Graf sich beim König erfreut.

Louvois ist ein harter menschenfeindlicher Charakter von ganz unmäßiger Herrschsucht, dabei aufbrausend und rechthaberisch.

Der König soll ihn sogar einmal beohrfeigt haben. Das glaube ich zwar nicht; denn niemand hat sich so in seiner Gewalt und weiß sich derart zu beherrschen wie Seine Majestät. Wenn er den Herrn Louvois wirklich geprügelt hat, muß es der schon stark getrieben haben.

Von Turenne weiß jedermann, was für ein großer General er ist, und seinen Talenten für den Krieg läßt man allgemein Gerechtigkeit widerfahren, aber am Hof spielt er eine pitoyable Rolle. Und ein Feinschmecker ist mein guter Vetter auch nicht. Wenn man bei ihm speist, muß man hungern. Er hat den talentlosesten Koch von ganz Frankreich, seine Küche ist geradezu bäurisch.

Das hängt vielleicht mit seinem eingeborenen Hugenottentum zusammen.

 

14. Juni.

Acht Tage machte der König hier Rast. Gestern zog er mit seiner Armee weiter und wir andern werden uns morgen aufmachen und über Amiens nach Compiegne zurückkehren.

 

Amiens, 28. Juni.

Der König ist ganz plötzlich eingetroffen. Er erschien als Sieger. Er hatte Douay und Tournay genommen und man sang in allen Stadtkirchen das Tedeum.

Da Seine Majestät nicht erwartet worden, hatte man mir dero Gemächer zur Verfügung gestellt. Nun wollte der König durchaus nicht, daß ich ausquartiert werde, sondern begnügte sich, da er doch nur kurze Zeit zu bleiben gedenke, mit einem einfachen Vorzimmer. Er wich aber all die Tage her, wie fast niemandem verborgen blieb, nicht aus dem Zimmer der Gräfin von Montespan, das über den Gemächern der Königin liegt.

Bei Tafel heut erzählte mir die Königin naiv, daß sich Seine Majestät erst morgens vier Uhr zur Ruhe gelegt. Der König erwiderte, er habe die ganze Nacht Briefe gelesen und geschrieben.

»Solche Geschäfte«, meinte die Königin, »könne er doch am Tag erledigen.«

Der König wandte den Kopf zur Seite, es war ihm unmöglich ein gewisses Lächeln zu unterdrücken. Ich befürchtete das gleiche und senkte mein Gesicht tief auf den Teller.

»Möge mich Gott davor bewahren, je die Geliebte des Königs zu werden,« hatte die Gräfin Montespan noch vor kurzem ausgerufen. Und jetzt?

Sind diese Frauen moralische Ungeheuer, oder bin ich eins? Sind sie die Regel und bin ich die Ausnahme? Bin ich am Ende gar kein Weib?

 

Amiens, 2. Juli.

Nach drei Tagen Aufenthalt ist der König wieder aufgebrochen, um mit seiner Armee auf die Festung Lille zu ziehen.

Die Gräfin Montespan wohnt auch jetzt noch in den Gemächern der Montausier. Sie beschäftigt sich tagsüber damit, die Spitäler und die Waisenhäuser zu besuchen, und wenn sie am Abend ihre Exkursionen erzählt und das Betragen und die Reden der armen Kranken agiert, die sie angesprochen, und die Hantierungen der Waisenmädchen mit Gesten anschaulich macht, weiß sie uns alle anzustecken mit ihrer drolligen Lustigkeit.

 

23. Juli.

... erfuhren wir, daß der König der Erstürmung von Courtray durch den Marschall von Aumont beigewohnt und darauf, nach einem langen und mühseligen Marsch bei Lille eingetroffen ist, um sofort die Belagerung der Stadt persönlich zu eröffnen.

 

6. August.

Nachdem diesen Abend jedermann weggegangen und ich allein bei der Königin zurückgeblieben war, merkte ich an einem gewissen geheimnisvollen Wesen, daß sie mir etwas vertrauen wolle. Es dauerte aber eine geraume Zeit, bis sie mit der Sprache herausrückte.

»Ich habe hier einen Brief erhalten,« sagte sie endlich, »der mich glauben machen will, daß der König in die Montespan verliebt sei, daß er sie bereits mehr liebe als die La Vallière, daß Seine Majestät hier zu Amiens die ganze Zeit in den Zimmern der Montespan verbracht, daß niemand anders als die gute Dame Montausier die Sache eingefädelt, daß die mich schnöde betrüge usw. Der Brief berichtet tausend kleine Umstände, die mich überzeugen und gegen die Gräfin Montespan aufbringen sollen. Ich glaube kein Wort davon. Und ich habe den Brief unverzüglich an den König geschickt.«

Ich antwortete, daß sie wohlgetan habe. Und was hätte ich auch anders sagen sollen.

 

9. August.

Die Gräfin von Montespan hat mein Betragen in dieser Angelegenheit erfahren und weiß sich in Dankbarkeit gegen mich nicht genugzutun. Die Königin behandelt sie mit größerer Güte als je, überhäuft sie förmlich mit Gnaden. »Diese Großmut werde ich Euch nie vergessen,« sagte mir die Gräfin unter Dankestränen.

 

Compiegne, 21. August.

War das eine Überraschung. Wir saßen mit der Königin zur Mittagstafel, und Ihre Majestät stand gerade im Begriff sich zu erheben, als ihr ein Brief des Königs hereingebracht wurde. Darin meldete ihr der hohe Gemahl, daß Don Antonio von Cordova, Generalleutnant der spanischen Reiterei in den Niederlanden, um die Ehre bitte, der erlauchten Tochter Spaniens seine Aufwartung machen zu dürfen.

Erstaunt fragend sah die Königin uns an. Wir wußten ebenfalls nicht, was wir denken sollten.

Ein zweites Blatt von der Hand des Königs gab die Aufklärung. Danach war dieser Don Antonio bei einem Ausfall aus der Festung Lille mit seinem ganzen glänzenden Gefolge in die Gefangenschaft unseres Königs geraten, der sofort den liebenswürdigen Gedanken faßte, den hohen Gefangenen, und Jugendbekannten der Königin von Madrid her, seiner Gemahlin zur besonderen Huldigung zu übersenden.

In der Tat harrten die vornehmen Spanier bereits unten im Hof der Befehle unserer hohen Herrin.

Was mich aber besonders in Erregung versetzte, war eine Nachschrift in dem königlichen Brief, die also lautete: »In Wahrheit verdankt Eure Majestät dieses graziöse Geschenk nicht mir, Eurem ergebenen Gemahl, sondern dem Grafen von Lauzun, in dessen Hand Don Antonio seinen Degen niedergelegt hat.«

Es geschieht also nichts Großes in diesem glorreichen Krieg, ohne daß dabei der Name Lauzun genannt wird.

 

25. August.

Die Gräfin von Armagnac und die Prinzessin von Baden sind gestern Hals über Kopf von dem Hof der Königin entfernt worden. Man sagt, Ihre Majestät halte die beiden für die Urheberinnen jenes anonymen Briefes.

 

30. August.

Welche Nachricht wieder. Nach neuntägiger Belagerung hat sich Lille am Siebenundzwanzigsten dieses Monats unserem König übergeben. Seine Majestät wird stündlich hier erwartet.

 

Auf meinem Schloß Eu, 5. September.

Nach der Rückkehr des Königs aus den Niederlanden habe ich Urlaub bei Seiner Majestät genommen und mich hierher zurückgezogen. Ich hoffe noch dieses Jahr den unfertigen Teil des Schlosses nach den Plänen meines Urgroßvaters Guise zu Ende zu führen.

 

Paris, Luxemburgpalast, 3. Nov.

Die Herzogin von La Vallière wurde vor acht Tagen von einem Sohn entbunden, den der König heute unter dem Namen eines Herzogs von Vermandois vom Parlament feierlich anerkennen ließ, geradeso wie vor einem Jahr deren Tochter, das Fräulein von Blois. Beide wurden der Frau Colbert zur Erziehung übergeben.

 

Paris, 7. November.

Man sprach vor dem König über Herrn von Lauzun. Es war von gewissen Spottversen die Rede, die man auf ihn gemacht hatte, und die ihm, unter Anerkennung seines beißenden Witzes, jede Herzensgüte und wahre Großmut absprachen. Und wieder mußte ich mich verwundern, einen wie warmen Verteidiger er in seinem König hat.

»Ich möchte hundertmal lieber«, sagte Seine Majestät, »wegen überlegenen Geistes für boshaft verschrien und gefürchtet sein, als für einen gehalten werden, der aus Mangel an Witz ungefährlich ist. Die Schwachen gelten gern für gütig; wer sich den andern so überlegen zeigt wie Herr von Lauzun, wird immer unbequem empfunden.«

Es gibt wohl keinen zweiten Mann am Hof, der so gleichgültig gegen das wäre, was man von ihm sagen mag, wie Herr von Lauzun.

Er kennt nur den einen Ehrgeiz, daß der König mit ihm zufrieden sei. Alles andere ist ihm gleichgültig. Darum hat er auch seinerzeit die bedeutende Charge eines Feldzeugmeisters der Artillerie abgelehnt und sich dafür die viel einfachere eines Hauptmanns der Leibgarde erbeten, deren Funktionen ihn in beständiger Berührung mit dem Monarchen halten.

 

13. November.

... den Grafen Lauzun heut zum erstenmal angesprochen. Ich konnte mir's nicht versagen, ihm mitzuteilen, mit welchem Eifer der König neulich seine Verteidigung übernommen.

Er ist ein außerordentlicher Mensch. Seine Manieren und seine Reden gleichen in nichts denen der andern.

 

Paris, 17. November.

Als ich heute im Palais Royal bei der jungen Herzogin von Orleans, die unpäßlich zu Bett lag, eine Zeitlang harmlos geplaudert und gescherzt hatte, wurde auf einmal Graf Lauzun gemeldet, und Ihre Königliche Hoheit bat mich, sie allein zu lassen, da sie Geschäftliches mit dem Grafen zu besprechen habe.

Ich vermag gar nicht auszudrücken, in was für einem seltsamen inneren Aufruhr ich das Palais Royal verließ.

Seit mehreren Tagen bemühe ich mich, mir über die Wirkung einige Rechenschaft zu geben, die des Grafen Gegenwart jedesmal auf mich hervorbringen. Noch konnt' ich nicht mit mir ins Klare kommen.

 

20. November.

Den Grafen Lauzun treffe ich jetzt fast täglich bei der Königin.

Und wahrlich ich finde ein immer größeres Vergnügen daran, mich mit ihm zu unterhalten. Er ist entschieden der geistreichste Mann am Hofe. Seine Rede hat einen unvergleichlichen Charme. Die Art, wie er eine große Freiheit des Wesens und der Sprache mit dem Ausdruck tiefsten Respekts verbindet, macht ihm keiner nach.

* * *

Meine allerliebste Base, unsere kleine Herzogin von Orléans, die allerdings wegen der Verbannung ihres Grafen von Guiche einen Groll auf den König hat, ließ heute in ihrer Rede durchblicken: lang vor dem König habe bereits Graf Lauzun die Gunst der Montespan genossen. Es sei sogar in Holland ein Pamphlet darüber gedruckt worden.

Bis jetzt wußte ich nur, daß in jenem Lande ein Roman erschienen ist, der das Verhältnis des Grafen Guiche zur Herzogin in unflätiger Weise behandelte und für dessen Aufkauf Ihre Königliche Hoheit dem Bischof Cosnac von Valence ungeheure Summen zur Verfügung gestellt hat.

 

22. November.

Die Andeutungen der Herzogin haben mich in eine unglaubliche Unruhe versetzt.

Dieses Gefühl ist mir neu. Nichts hat mich mein Leben lang so gleichgültig gelassen als derartiges Gerede über Liebesheimlichkeiten. Ich empfand nicht einmal eine moralische Empörung dagegen; es war nur, daß ich aus einem gewissen Gefühl von Stolz und Würde nicht auf diese Dinge hörte.

 

27. November.

Der enge Verkehr des Herrn von Lauzun mit Base Orléans könnte mich manchmal fast eifersüchtig machen. Doch weiß ich sicher, daß nichts zwischen ihnen ist.

Der Graf war schon ihr Vertrauter, als ihr Geliebter, der Herzog von Guiche, noch am Hofe lebte. Wahrscheinlich spielt Herr von Lauzun die Vermittlerrolle zwischen dem verbannten Herzog und ihr. Als dessen leiblicher Vetter steht der Graf gewiß in Korrespondenz mit dem unglücklichen Guiche – der nun am Hof des Polenkönigs Zeit haben mag über seinen jugendlichen Leichtsinn nachzudenken.

Seine Verbannung kam damals aller Welt unerwartet. Durch sie erst geriet unsere Base in den Mund der Leute. Vetter Orléans hätte wohl besser getan, diesen Skandal zu vermeiden.

Aber er war so außer sich.

Den Ausschlag gab der freche Scherz mit dem Weihwasserkessel. Seine Gemahlin und der Herzog von Guiche hatten sich längst zusammen lustig gemacht über die Art, wie Seine Königliche Hoheit immer, gleich einem unerzogenen Knaben, die ganze Hand in den Kessel tauchte und sich damit – Vetter Orléans hatte nie recht gelernt das Kreuz zu schlagen – hin und her über das Gesicht wegfuhr. Darauf bauten sie ihren schwarzen Anschlag, von dem sie sich ein rechtes Lachen, jedoch am wenigsten einen tragischen Ausgang erwarteten.

An einem Festtag, ich weiß im Augenblick nicht was für einem – der König selber war mit Ihrer Majestät und mir nach Villers-Cotterets gegangen – schlich sich der mutwillige Guiche vor Tagesanbruch in die Kapelle und füllte den Weihwasserkessel mit Tinte. Die Folge kann man sich denken. Vetter Orléans kommt zur Messe, taucht wie immer die ganze Hand in das Gefäß, fährt sich damit kreuz und quer übers Gesicht, macht sich natürlich schwarz wie ein Mohr, merkt aber während der ganzen Messe nichts, macht beim Verlassen der Kapelle dasselbe Manöver und entdeckt endlich, auf sein Zimmer zurückgekehrt, im Spiegel das Unglück.

Ich weiß bis heute nicht, wer den Herzog von Guiche verraten hat. Nahe genug lag der Verdacht. Kurz, Vetter Orléans läßt anspannen und kommt in voller Karriere in Villers-Cotterets spät am Nachmittag an. Ich befand mich gerade beim König, als er in dessen Kabinett hereingeplatzt kam. Meiner achtete er gar nicht, so besinnungslos war er. Und also wurde ich zufällig Zeuge des lächerlichsten aller Auftritte.

Denn wie Vetter Orléans die seltsame Hanswurstiade erzählte, war unnachahmlich. Und so unglücklich sah er aus. Und geheult hat er zuletzt wie ein Kind.

»Über und über war mein Gesicht besudelt,« jammerte er, »der elende Bube hat mich lächerlich gemacht für alle Zeit meines Lebens. Ich kann ja keinem meiner Leute mehr unter die Augen treten – der Hohn, womit sie mich anblicken, ist schrecklich. Erst als ich mich auf meinem Zimmer, wie ich nie unterlasse, im Spiegel beschaute, entdeckte ich die Schandtat. Meine Weste und Halsbinde sind gleichfalls verdorben.«

Der König hatte Mühe, das Lachen zu verbeißen. Aber das Treiben zwischen dem jungen Guiche und Base Orléans gefiel ihm längst nicht, und ein solcher Scherz mit dem königlichen Bruder schien nun wirklich nach Rache zu schreien.

»Seid nur ruhig, seid nur ruhig,« begütigte er den Bruder, »Ihr sollt volle Genugtuung haben.«

Und dann setzte er sich an seinen Schreibtisch, und indem er laut sich selber diktierte, damit sein Bruder es hören konnte, schrieb er an den Vater des Herzogs.

Mein lieber Herr Marschall,

Ihr werdet bei Verlust Meiner Gnade noch in derselben Stunde, wo Euch Gegenwärtiges zukommt, den Herzog von Guiche, Euren ganz tollen Sohn, auf Reisen schicken. Und zwar wünsche Ich, daß sich der Narr unverweilt zu Seiner Majestät dem König von Polen begebe, um anzufragen, ob Polnische Majestät vielleicht in Dero Heer einen Freiwilligenposten für ihn zur Verfügung haben. Seine Charge als Kapitän Meiner Leibgarde soll ihm unterdessen in Gnaden vorbehalten werden. Weiteres bleibt Mir nicht beizufügen und so bitte Ich Gott, daß er Euch, Mein lieber Herr Marschall, in seiner Gnade und heiligen Obhut behalte.

Euer wohlgeneigter
Ludwig.

Wahrhaftig, mir scheint, ich habe den famosen Brief wörtlich im Gedächtnis bewahrt.


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