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Rembrandt und Carl Neumann

In der Wertschätzung der älteren Malerei und ihrer Meister haben sich in unserer Zeit zwei Extreme herausgebildet, die sich aber – wie übrigens von allen Extremen behauptet wird – in einem Punkte berühren: in der Gleichgültigkeit oder sogar Feindseligkeit gegen die klassische Malerei auf ihrem höchsten Gipfel.

Die eine Richtung erstreckt sich von diesem Punkt rückwärts. Das ist der Präraphaelismus. Wir finden seine erste Spur bei den deutschen Nazarenern und seine höchste Blüte in der Gemeinde des Rossetti und des Burne-Jones in England.

In der Kunstgeschichte und Kunstkritik hat der Präraphaelismus eine bedeutende Aufgabe erfüllt. Unter seinem Einfluss hat sich hier eine nicht zu unterschätzende Umwertung, wenn nicht aller, so doch vieler Werte, vollzogen. In diesem Sinn war er epochemachend.

Nicht so in der lebendigen Kunst. Zwar beruht auf ihm die einflussreichste englische Malerschule, welche wiederum auf den modernsten Symbolismus in der Malerei nicht ohne Einfluss blieb. Allein in der Kette der Entwicklungen, die, unter Frankreichs Führerschaft, die moderne Malerei im XIX. Jahrhundert durchgemacht hat, bilden die Burne-Jones und Verwandten kein notwendiges Glied. Sie stehen überhaupt nicht damit im Zusammenhang. Sie sind – aber natürlich hinkt das Bild – wie jene erratischen Blöcke, die sich nicht aus ihrer Umgebung, sondern nur aus vorsintflutlichen Wirkungen erklären lassen.

Sie wollen auch nicht in erster Linie Maler, sie wollen vielmehr Künstler und Poeten sein.

Dagegen ist das Charakteristische in der Evolution der modernen Malerei die immer stärkere Betonung des Rein-Malerischen. Und sie sieht darum, in der Geschichte der Malerei, die höchsten Höhepunkte da, wo die Kunst des Malens sich von der skulpturalen und zeichnerischen Linie am radikalsten emanzipiert und dafür ihre selbsteigenen Ausdrucksmittel, nämlich Farbe und Licht, zur höchsten Vollkommenheit ausgebildet hat.

Das ist die zweite grosse Umwertung kunstgeschichtlicher Werte in unserer Zeit.

Die erste Umwertung, die präraphaelitische, war nicht so radikal, als sie sich manchmal den Anschein gab oder als sie manchmal verstanden wurde. Sie bedeutete keine Umstürzung, keine Entthronung. Das höchste bis dahin geltende Kunstideal, die Kunst Raphaels, erfuhr durch den Präraphaelismus nur eine Erweiterung, eine Erweiterung und Ausdehnung nach rückwärts mit leichter Verrückung des Höhepunktes in der Schätzung. Man gab auf einmal der Knospe den Vorzug vor der voll aufgegangenen Blüte; aber man meinte dieselbe Blume. Man trank auf einmal lieber an der Quelle als an den hochgehenden und breiten Wassern; aber man blieb bei demselben Strom.

Die ganze Prädilektion des Präraphaelismus war laienhaft poetisch. Sie ging weniger auf Künstler zurück als auf Poeten, weniger auf Schaffende als auf Geniessende in der Kunst.

Zur Zeit Raphaels und Michel Angelos gab es auch eine Geringschätzung. Sie traf aber nicht die Präraphaeliten, welche als durchaus zur Familie gehörig empfunden wurden; sie traf die Venetianer. Und in der Richtung der Venetianer liegen die Velasquez und Rembrandt.

In dieser Richtung liegt aber auch die Entwicklung der modernen Malerei. Und die Umwertung des Ideals, die von hier ausging, ist nicht nur fachmännischer, sondern auch radikaler als die präraphaelitische Umwertung. Sie war auch von vorneherein leidenschaftlicher. Man plaidierte quasi in eigener Sache.

* * *

So kam die neue Wertung in die Welt durch die neue Kunst und ihre Vertreter. Aus dem instinktiven Gefühl der Künstler für Verwandtschaft wurde sie geboren.

Aber die Kunstgeschichtschreibung bemächtigte sich ihrer alsbald. Die Universität bewies diesmal eine feinere Nase als gewöhnlich. Sie nahm die revolutionäre Umwertung williger hin und machte sie freudiger zu ihrer Sache, als es sonst ihre Gepflogenheit ist.

Schon vor Jahren erschien Justi's »Velasquez« und nun beschenkt uns Carl Neumann mit seinem »Rembrandt«. Rembrandt von Carl Neumann, a. o. Professor an der Universität Heidelberg, Berlin und Stuttgart, Verlag von W. Spemann. 1902.

Die beiden Werke sind hocherfreuliche Erscheinungen. Sie gehören zu den Ausnahmen der universitären Litteratur. Sie sind nicht nur gelehrte, sie sind auch schöne Werke. Sie sind sogar in erster Linie schöne Werke. Ihr künstlerischer oder litterarischer und ihr philosophischer Wert steht höher als ihr wissenschaftlicher. Ich meine: ihr Wert überhaupt liegt in etwas anderem als in ihrer Wissenschaftlichkeit, so gross diese sein mag.

Und wenn man mir hiezu eine Bemerkung erlauben will: ich finde das deutsche Pochen auf Wissenschaftlichkeit manchmal kindisch. Wo es am Platze ist, gut. Aber in kunstkritischen Werken, in Künstlermonographien! Auch sie können freilich das wissenschaftliche Werkzeug nicht entbehren. Aber wer wird immer ein Gerassel machen mit seinem Werkzeug! Nicht um Wissenschaft handelt es sich im letzten Grund in solchen Werken, sondern um die möglichst kräftige und möglichst wirksame Geltendmachung einer ganz persönlichen Kunstanschauung und Weltanschauung mit litterarischen Mitteln. Aber das ist mehr als Wissenschaft, oder es ist nichts; gleichwie auch Philosophie mehr ist als Wissenschaft, oder gar nichts. Der »Rembrandt« von Carl Neumann ist, unbeschadet all seiner Wissenschaftlichkeit, hiefür der beste Beweis.

Ich bin diesem Buch, wenn ich es eben mit dem »Velasquez« von Justi auf eine Linie stellte, nicht ganz gerecht geworden, was mir nun aufs Gewissen fällt. Sein litterarischer, d. h. sein Kunstwert steht doch noch um Beträchtliches höher. In Komposition wie in Stil überragt es weit den Velasquez.

Das ausgezeichnete Werk hat zwei – pardon, es hat 659 Seiten Quart. Nein, ich meinte in einem andern Sinn zwei Seiten. Sagen wir lieber: es hat zwei Tendenzen, eine physische und eine metaphysische. Die Bezeichnung ist vielleicht nicht gut, aber ich finde keine bessere.

Auf der einen Seite handelt es sich um das Technische oder Handwerkliche im weitesten Sinn des Wortes d. h. um die ganze Summe von Ausdrucksmitteln, wodurch uns diese besondere Kunst, soweit sie sinnlich ist, in ihren Aeusserungen zum Bewusstsein kommt.

Es ist dies, um das Urteil gleich vorweg zu nehmen, die wesentlichste Seite des Werks. Sein hauptsächlichstes Verdienst liegt hier. Weil es nach dieser Seite hin stark ist, ist es ein Buch, aus dem man viel lernen kann.

Dass dies möglich sei, musste der Verfasser zuvor selber viel gelernt haben. Und er hat sich das in hohem Grade angelegen sein lassen. Er hat sich redlich bemüht. Er hatte alte Wege versucht und alle Schleichwege und die verwachsensten obendrein, um hinter die letzten Geheimnisse der Kunst und des Handwerks zu kommen, auch hinter diejenigen, die sich dem Nichtkünstler, dem Nichtmaler nur selten offenbaren. Neumann weiss davon mehr als die meisten, die bisher über Kunst geschrieben haben, das ist sein ganz besonderer Ruhm.

Und es wird dieser Ruhm nicht verkleinert dadurch, dass Neumann nicht nur von der Sache, sondern auch von ausgezeichneten Lehrmeistern lernen konnte. Er verleugnet sie nicht. Frohwillig singt er ihr Lob in dankbarer Bescheidenheit. Darunter sind zwei Franzosen, die beide mit der Wissenschaft, im ausschliesslichen Sinn des Wortes, nie etwas zu thun hatten. Der eine ist der Maler und Reiseschilderer Fromentin, der andere der Journalist und Kunstkritiker Burger-Thoré.

Doch hat Neumann schon vor Jahren in seinem »Kampf um die neue Kunst« Bei Hermann Walther, Berlin 1896. Zweite Aufl. 1897. eine solche Sachkenntnis in Malerfragen und ein so tiefes und liebevolles Eingehen in alle Bestrebungen der modernen Malerei an den Tag gelegt, dass er damit allgemeines Aufsehen erregte. Ueber Böcklin ist bis heute nichts besseres geschrieben worden. Bei Neumanns Aufsätzen bekam ich zum erstenmal Respekt vor dem Schreiben über Kunst. Er hat seinen Ruf aufs Neue glänzend bewiesen durch seine Analyse des Rembrandtschen Schaffens.

* * *

Man kann in Rembrandts künstlerischer Entwicklung, auch ohne gewaltsam zu konstruieren, drei oder vier Hauptphasen unterscheiden. Rembrandt ist in der berühmten Philologenstadt Leyden geboren. Dort malt er auch die ersten Jahre, und seine Werke dieser Zeit haben einen stark ausgeprägten philologisch-archäologischen Charakter. Die sorgfältige Genauigkeit in den Accessorien, die Altertümelei in der Auswahl dieser Accessorien, und die ganze peinlichspitzpinselige Malweise zeigen sich direkt beeinflusst von dem Geschmack der tonangebenden philologischen Kreise jener Stadt.

Aber auch in Amsterdam, wohin Rembrandt übersiedelt, dauern diese Neigungen noch eine Zeit lang fort. Zwar nicht mehr ihrer selbst wegen malt er jetzt die schönen altertümlichen Dinge; aber in seinen zahlreichen Bildnissen dieser Zeit bringt er sie an, wo er nur kann, als kostbaren Schmuck, als kostbare Stoffe, als Federn, als Perlenschnüre, als Edelsteine, als Stahlkragen u. s. w. und liebkost sie förmlich mit seinem Pinsel, und hebt sie hervor mit den höchsten Lichtern, mit den hellsten und glänzendsten Farben. Das berühmte Dresdener Bild »Rembrandt und die Saskia« und das andere im Buckingham-Palace »Der Bürgermeister Pankraz und seine Frau«, auch das Kasseler Portrait der Saskia und zwei weniger bekannte Werke, beide als »Jüdische Braut« bezeichnet, das eine in der Eremitage, das andere in der Sammlung des Fürsten Liechtenstein in Wien, bilden hiezu charakteristische Beispiele.

Aber die zweite Phase bereitet sich vor. Der Künstler wird gleichgültig gegen die Details. Die einheitliche und grosse Gesamtwirkung wird jetzt vor allem angestrebt. Die Lokalfarbe wird zu diesem Zweck ebenfalls gedämpft oder gar getilgt; die Farbe überhaupt tritt zurück in ihrer Bedeutung, Licht und Dunkel treten an ihre Stelle. Rembrandt wird der grösste Maler des Helldunkel. Die Werke, in denen wir dieses Streben auf seinem Gipfel angelangt sehen, sind das sogenannte Hundertguldenblatt als Radierung und die sogenannte Nachtwache als Malerei.

So beherrscht ist Rembrandt in dieser Periode von seinem eigentümlichen technischen Problem, dass er nur um seinetwegen zu malen scheint und dass er oft für das Stoffliche im Werk kaum noch ein Interesse hat.

Von dieser Einseitigkeit aber kommt er zurück und seine Präokkupation wird nun der »schöne Ton«. Die Bildnisse dieser Jahre gehören zu den renommiertesten. Sie haben dennoch, als Darstellung von Charakteren, als seelische Offenbarungen, nur eine mittlere Bedeutung im Gesamtwerk des Künstlers; ihre hohe Schätzung beruht auf ihrer schönen Oberflächenwirkung, sie sind vor allem ein hoher Schmuck.

Zuerst ist es jener entzückende warme Goldton, den Rembrandt zu unerreichter Vollkommenheit ausbildet. In diesem Bestreben gelingen Rembrandt einige allerhöchste Leistungen seiner Kunst, wie die Frau des Potiphar zu Berlin, die Bathseba in der Sammlung Lacaze des Louvre. Er verharrt aber nicht in dieser Richtung. Er strebt mit der Zeit einen kühleren, vornehmeren Ton an.

Wie er sonst durch die Behandlung des Lichts die Wirklichkeit poetisierte und idealisierte, so thut er es jetzt durch den gesteigert schönen Gesamtton. Nie idealisierte Rembrandt, indem er, wie die klassischen Italiener, die Linien und Formen der Natur korrigiert. Die körperliche Form ist ihm gleichgültig. Die Körper sind ihm nicht ihrer selbst willen da, sondern nur als die Unterlagen, worauf Licht und Farbe ihr eigentümliches und selbständiges Leben entfalten und sich uns offenbaren als eine quasi überkörperliche Welt. Und durch unendliche Steigerung von Licht und Farbe nicht sowohl im Sinn der Kraft und Stärke, als vielmehr in dem einer höheren Subtilität und verfeinerten Harmonie, erreicht er, dass seine Bilder, so naturalistisch in den Formen, nicht die gemeine Wirklichkeit, sondern eine durchaus unwirkliche poetische Welt zur Darstellung bringen.

Besonders mit Rücksicht auf den schönen Ton ist Rembrandt der grösste Idealist aller Zeiten. Er ist hierin weiter gegangen als irgend ein anderer.

Aber er hat sich auch von dieser Richtung, die auf grössere Gefahren hinausläuft, als man gewöhnlich bedenkt, wieder zurückgefunden. Und so gibt es einen Punkt in seinem Leben, wo ihm auch der schöne Ton Nebensache wird, wie es die starke Wirkung von Licht und Dunkel und die dramatische Komposition und Geste längst geworden war, und wo er dafür auf einen so hochgesteigerten und gewaltigen geistigen Ausdruck, auf eine so urtiefe Deutung des Innern durch äussere Zeichen hinarbeitet, dass er in gewissen Momenten alles bisher Dagewesene zu übertreffen scheint. Die Bildnisse des Jan Six (in Amsterdam) und des Nikalas Bruyningh in Kassel sind an dieser Stelle zu nennen.

* * *

Dies ist, so genau oder ungenau man in solcher Kürze sein kann, der Inhalt des Neumannschen Werkes, insofern dasselbe, sagen wir, historisch-ästhetisch ist, insofern dasselbe, wie man auf der Universität sagen muss, wissenschaftlich ist. Es steckt aber darin, wie schon angedeutet, zugleich ein gutes Stück Metaphysik. Ja selbst an Mystik fehlt es ihm nicht, wie es Neumann denn auch nicht verschmäht, ein Buch mit Anerkennung zu nennen, das ganz in Mystik eingetaucht ist, das Buch »Rembrandt als Erzieher«, dessen eigentümliches Verdienst Neumann so sicher hervorzuheben versteht aus dem Widerspruchs-Wirrwarr des Ganzen, wie der Taucher die Perlen aus dem wüsten Meeresgrund. Und es gehörte vielleicht Mut dazu, von diesem Buch, mit dem ausserordentlichsten aller Bücherschicksale, in diesem Ton zu sprechen. Denn dieses Werk hat von der Universität eine Verachtung erfahren, die sonst nur solchen Werken zuteil wird, über welche die Professoren nach fünfzig oder hundert Jahren Vorlesungen halten.

Durch seinen metaphysischen Gehalt, d. h. durch seine Weltanschauung wird Neumanns »Rembrandt« aus einem objektiv hochbedeutenden Werk zugleich zu einem eminent persönlichen Buch. Es spricht daraus stellenweise eine solche Wärme der persönlichen Empfindung, ein solches Pathos der Begeisterung, ja, eine solche tiefinnere und verhaltene Leidenschaftlichkeit, bei aller Ruhe und Vornehmheit des Ausdrucks, dass oft eine Kraft von ihm ausgeht wie – nun wie eben von einem Kunstwerk. Und das ist eigentlich das Höchste, was man von einem Buch sagen kann.

Ob wir selber mit der von Neumann vorgetragenen Weltanschauung übereinstimmen, kann bei unserer Kritik unbeachtet bleiben. Der Verfasser braucht unsere Zustimmung nicht. Er braucht sie umso weniger, als er der Zustimmung aller derer sicher sein kann, die heute als Verkündiger des Wortes gehört werden.

Die andern werden nicht gehört. Es sind ihrer auch nur wenige.

Denn die Weltanschauung, die uns aus Neumanns Kunstbetrachtung entgegenblüht, ist die christliche. Und ich kann nur sagen: Seit jenem Paulus von Tarsos hat kein Jude mehr mit so viel Wärme und Leidenschaft, mit so viel Fanatismus, wenn man will, uns den Nazarener gepredigt, wie dieser Jude Carl Neumann.

Ueber die Berechtigung dieser Weltanschauung an sich ist hier natürlich kein Wort weiter zu verlieren. Gern und mit freudiger Genugthuung betone ich die Konsequenz in Carl Neumann. Er ist kein Christ wie so viele, die so grobe, so undelikate, oder vielleicht überhaupt nur scheinbar-lebendige Naturen sind, dass sie täglich Christliches und Heidnisches gemischt aus einer Schüssel essen können, ohne sich übergeben zu müssen. Neumann räumt nicht ganz so sauber auf wie sein Bruder in Christo, der Graf Tolstoi. Er verwirft nicht alle Kunst. Aber er verwirft rückhaltlos nicht nur für sich und seine Bedürfnisse, sondern für alle Christen, die ganze Kunst der Antike und der Renaissance, besonders der Hochrenaissance; er verwirft sie als eine Kunst der Körper und nicht des Geistes, der Sinne und nicht der Seele, als eine aristokratische Kunst, als eine Kunst der Herrenmenschen und nicht der – nicht der Christenmenschen eben.

Wie gesagt, ich bewundere diesen Mut der Konsequenz.

Wenn an dieses Christentum, dem die mittelalterlichste Mystik vertraut scheint, an sich hier nicht gerührt werden soll, so ist doch eine andere Frage vielleicht am Platz, die Frage: ob nicht bloss Neumann, ob wirklich auch die Rembrandt'sche Kunst so unabweisbar christlich ist?

Ich muss mich mit der Frage begnügen. Sie zu beantworten, fühle ich mich nicht im Stande. Alles, was ich kann: ich kann an einen andern grossen Christenapostel der Neuzeit erinnern, an den Engländer John Ruskin. Der kam in seiner Betrachtung der Kunst Rembrandts zu dem gerade entgegengesetzten Resultat wie Carl Neumann. Ruskin meint z. B.: »Eine Kunst, die wie die Rembrandts oder Caravaggios nur in Braun und Grau malt, kann nicht anders als gemein und gottlos sein.« Diese Stelle zitiert Neumann, und er fügt hinzu: »Paradoxe Anschauungen dieser Art kann man nicht kritisieren, da sie aus der Willensrichtung bedeutender Persönlichkeiten und nicht aus ihrem Intellekt entspringen.« Das ist wahr und ist sehr fein gesagt. Und natürlich versteht Neumann, wenn er von einem Ruskin spricht, diese Willensrichtung als eine innerliche, nicht aber als eine Richtung auf äusserliche Dinge, wie Amt, Rang, Reichtum u. s. w. Und mit dieser Einschränkung mag der Satz vielleicht nicht mit Unrecht auf Neumann selber angewandt werden.

Die Ausstattung des Buches steht auf der Höhe seines innern Wertes. Papier, Druck, Typen sind eine wahre Augenlust. Die Reproduktionen dagegen verdienen wenigstens kein besonderes Lob. Eine kleine Anzahl von Lichtdrucken sind vorzüglich, der Rest aber sind sehr mässige (und billige) Autotypien. Neumann meint eben: Das Buch will nicht durchblättert, das Buch will gelesen werden.

Nie war ein Wunsch legitimer.


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