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Auch in Paris, auf der grossen Ausstellung, musste man wieder die Beobachtung machen: nach keinem Teil der Ausstellung, so weit es sich um wirklich ernste Ausstellung handelt, drängen sich die Besucher in solchen Massen wie nach den Räumen der schönen Künste. Daraus kann man ja, wenn man will, sehr optimistische Schlüsse ziehen. Wer freilich näher zusieht und beobachtet, wie sich die Menschen durch die Bildersäle schieben und, während sie selbst fast nichts sehen, nur den Zweck zu haben scheinen, den wenigen Sehenden im Wege zu sein, der wird von seinem Optimismus sehr schnell zurückkommen. Was sollte auch der nicht Orientierte mit diesen Kilometern bemalter Leinwand anfangen, wo selbst der gut Orientierte erdrückt und abgestumpft wird? Wie wenige gut Orientierte aber in der Masse sind, sieht man am besten in jenem stillen Hause der Rue Rochefoucauld, das in Zukunft den Namen Musée Moreau als Aufschrift tragen wird. Ich habe es immer leer gefunden.
Jeder kennt das Musée Wiertz in Brüssel. Das hat mit dem Musée Moreau darin eine Aehnlichkeit, dass sein Inhalt von dem Künstler, dessen Namen es trägt, dem Staat geschenkt wurde und darin, dass dieser Inhalt ausschliesslich das Lebenswerk des einen Künstlers darstellt. In beiden tritt uns nur eine einzige Künstlerpersönlichkeit entgegen, aber diese auch in ihrer vollen Rundung.
Zu lernen ist auch bei Wiertz. Was hier am meisten auffällt, ist das enge Nebeneinander von Beispielen grössten Wollens und kleinlichster Spielerei. Wiertz scheint manchmal auf seinen Riesenleinwänden mit Michel Angelo und Rubens zugleich wetteifern zu wollen. Als ein Rubens redivivus mochte er sich recht eigentlich vorkommen. Und das muss man schon sagen, näher kam er seinem Vorbild als der grosse Cornelius den seinigen, und er hat in unserem ganzen Jahrhundert, in Bezug auf Rubens, kaum einen andern ernstlichen Rivalen als den Wiener Canon. In einem Punkt ist er sogar unabhängig von seinem grossen Meister, wenn auch vielleicht mehr der Not gehorchend als dem eigenen Drang: in der Auffassung und Wiedergabe des Kolorits. Auf seinen Kolossalbildern, mit ihrer Darstellung der Urmythen, mit ihren geistig symbolisierten Weltuntergängen und Weltwiedergeburten, frappieren uns viel weniger die philosophischen und andern unmalbaren Ideen wie etwa Les bienfaits des sciences und ähnliches, als die Behandlung der Farbe, die an das Fresko erinnert. Wiertz hatte das richtige Gefühl, dass auf so ungeheuern Flächen die herkömmliche Oeltechnik ein Unding sei und so erfand er eine eigene Methode und Farbenbehandlung, die er Peinture mate nannte und die noch heut beachtenswert ist.
Aber nicht diese grossen Bilder oder gar ihre koloristische Sonderart bilden die grosse Anziehungskraft des Musée Wiertz. Stofflich manchmal schon, o ja, z. B. »Die lebendig Begrabene!« Oder: »Die Dinge der Gegenwart vor den Menschen der Zukunft«! Stärker jedoch ziehen die kleinen Spässchen und Mätzchen, die sich zahlreich daneben finden, Dinge, die unterdessen im Panorama eine grossstilige Anwendung gefunden haben, wie z. B. ein gemalter Mops neben einem wirklichen Hundestall (oder umgekehrt), wobei dann die Frau Philisterin das süsse Gruseln erleben kann, einen Augenblick beide für gemalt oder beide für wirklich gehalten zu haben.
Die Leute kommen aus Amerika, um das zu sehen. Und während sie oft in den berühmtesten Museen nicht auf ihre Kosten gekommen sind, hier finden sie einmal ihre Mühe belohnt.
Einige dieser Albernheiten wollen hochmoralisch sein, eine Prätension, die sie mit vielen Albernheiten gemein haben. Da schaut man in eine Art Guckkasten und sieht darin in künstlicher Beleuchtung ein nacktes Weib in voller Naturwirkung. Sie ist auf einem Polster ausgestreckt und liest in einem Buche. Es ist wahr, die Ruhende ist kein Bild von strotzender Gesundheit. Dennoch könnte man sich von der ganzen Sache nicht leicht einen andern Zweck denken, als den, ein Reiz für junge unreife Leute zu sein. Die Inschrift belehrt uns eines Bessern. Die Guckkasten-Magie soll eine Abschreckung sein vor schlechter Lektüre! Ich fand das ein gewagtes Mittel. Ich glaube überhaupt auf diesem ganzen Gebiet nicht an abschreckende Wirkungen, ob es sich nun um darstellende Kunst oder um Litteratur handle. Die Autoren mehr oder weniger verschrieener Bücher schreiben gern moralisierende Vorreden. Diese werden meistens nicht allzuernst gemeint sein. Sein Buch hat ein solcher Autor für Leute geschrieben, die es zu lesen verstehen und denen er damit eine Freude machte ohne ihnen einen Schaden zu thun. Die Vorrede aber schreibt er mit innerlichem Lachen für die Philister, Pharisäer und Gesetzesmenschen, mit denen es ein armer Autor doch auch nicht ganz verderben darf. Solche Vorreden sind meist nur ironische Komplimente an die Dummheit. Doch gibt es natürlich auch Autoren, die sich selbst etwas weiss machen.
Wo übrigens gewisse Dummheiten fast allgemein herrschen, wirken sie auch auf die bessern Köpfe. Im Kampf um die »Lex Heinze« haben die Gegner der Vorlage mit deren Anhängern stellenweise gewetteifert in der Verkennung des Wesens der Kunst, deren Moral eben gerade darin besteht, dass sie verführt, dass sie zum Leben verführt im niedersten und höchsten Sinn.
»Attraktionen«, wie die erwähnten, findet man im Musée Moreau nicht. Insofern dürfte man die beiden Museen eigentlich nicht in einem Atem nennen. Nur durch die Eigentümlichkeit ihres Ursprungs gehören sie zusammen. Beide sind Künstlervermächtnisse an den Staat. Allerdings hat der französische Staat das Vermächtnis noch nicht angenommen, obwohl es schon zwei Jahre alt ist. Der moderne Staat ist eben in keiner Sache so ratlos und hilflos wie der Kunst gegenüber. Natürlich fordert ein Museum Unterhaltungskosten. Das will überlegt sein. Aber trotz der staatlichen Zurückhaltung, die man diesmal kaum vornehm nennen kann, ist das Haus Moreaus von dessen Freund Rupp vollkommen als Museum eingerichtet. Auch die Bediensteten werden einstweilen von diesem Freund besoldet, und es mag Regierungsmenschen geben, die meinen, dass unter solchen Umständen die staatliche Uebernahme keine Eile habe. Die Uebernahme durch den Staat ist unterdessen erfolgt. Anm. d. Verf.
Aeusserlich trägt das Haus einstweilen, da es noch immer Privatbesitz ist, keinerlei Zeichen seiner Bestimmung, und mehrere nächste Nachbarn, die ich danach fragte, waren ahnungslos, – von jener Ahnungslosigkeit, wie man sie nur in Weltstädten findet.
Um so überraschter ist der Besucher beim Eintritt. Jeden, der einen Begriff von künstlerischem Schaffen hat, überläuft ein Schauder vor dieser Manifestation eines unglaublichen Fleisses, vor dieser schier unmenschlich scheinenden Summe einer Lebensarbeit. In diesem Hause, wenn irgendwo, begreift man es, dass Einer das Paradoxon aufstellen konnte: Genie sei Fleiss.
Gleich vom Vestibül an tritt uns die vollkommenste Ordnung entgegen, so wie sie sich der Verstorbene gewünscht haben mag. Ein stiller Ernst herrscht hier. Das Erdgeschoss birgt die grossen Entwürfe, die Kartons. Man ist erstaunt über ihre Zahl und das Erstaunen wächst, wenn man sieht, wie die Wände sich öffnen und sich wieder öffnen, und immer wieder, ohne Aufhören, wie sie einfach sich aufblättern gleich Büchern in Riesengestalt. Alle Wände sind hohl und sozusagen ins Unendliche vervielfältigt, um Alles bequem zu zeigen, Alles, was seit Jahrzehnten in Rollen und Mappen begraben lag.
Und dann steigt man in den ersten Stock hinauf und in den zweiten. Ueberall der selbe Reichtum. Alle Wände bedeckt mit Gemälden, von denen zum Teil ein farbiges Geleucht ausgeht wie von Edelsteinen, so dass man im ersten Augenblick wie geblendet steht. Und neben den grossen, unzählige kleine Rahmen, die sich in Charnieren bewegen, wo man wieder blättern kann, wie in einem Buch – nein wie in Dutzenden von Büchern – und wo alle Zeichnungen, Skizzen, Studien, Entwürfe, Varianten, alle Schöpfungstadien der grossen Werke sich vor den Blicken aufthun. Eine ganz eigene Erfindung, ein ingeniöser Schrank, der sich um seine Achse dreht, dass seine vier Seiten sich dem Licht zuwenden können, enthält die unzähligen Aquarelle; er ist unerschöpflich.
Dennoch umfasst das Haus nicht annähernd das ganze Lebenswerk Moreaus. Viele Oelbilder und Aquarelle sind in Privatsammlungen, deren eine übrigens, die des Herrn Charles Heyem, neuerdings in den Besitz der Luxembourg-Galerie übergangen ist, wo vielleicht schon mancher Besucher, der vom Musée Moreau so wenig eine Ahnung haben mochte wie dessen Nachbarn in der rue Rochefoucaud, betroffen ward von der sieghaften Kraft eines ihm unbekannten gewaltigen Künstlers.
* * *
Die meisten Besucher der Weltausstellung werden sich auch das Vieux Paris angesehen haben. Sie waren dann freilich nicht in einem alten Paris, sondern in einem Theater, wo man »Altes Paris« vorstellte. In Paris selbst aber, dem heutigen Paris, gibt es Stadtteile, die einen viel echteren Eindruck von Vieux Paris machen. Und man braucht sie wahrlich nicht weit zu suchen. An der Ecke der Rue Rivoli und des Boulevard Sébastopol ist man gewiss mitten im modernen Paris. Das moderne Verkehrsleben pulsiert hier in einer Grossartigkeit wie nur an irgend einer anderen Stelle von Paris. Aber man schlage hier eine Seitengasse ein, in der Richtung nach dem Marais, und nach drei Schritten ist man wie in dem verlorensten Provinzwinkel oder wie mitten im schwärzesten Mittelalter. Es sind wirklich nur drei Schritte; aber wie selten sich ein Fremder in diese Gassen verirrt, sieht man an den Gesichtern, mit denen man angestaunt wird.
Hier liegt die Kirche Saint Merri, ein Werk der Spätgotik, äusserlich sehr unansehnlich und russig, im Innern wenig gekannt. Im Bädeker; wenn sie überhaupt darin steht, hat die Kirche jedenfalls keinen Stern. Und dennoch ist da das Hauptwerk eines modernen Meisters zu sehen, der, obwohl er jung starb, für die moderne französische Malerei die grösste Bedeutung hat: nämlich die Fresken von Chassériau, desjenigen französischen Malers, dessen Begabung eine Syntese von Delacroix und Ingres war und der die zwei grössten Poeten und überlegensten Geister in der neueren französischen Malerei angeregt und befruchtet hat: Puvis de Chavannes und Gustave Moreau.
Schon in den Werken von Chassériau ist Delacroix mit seiner Neigung zum dramatischen Effekt überwunden. Das Bestreben, in der Malerei nicht bestimmte Handlungen anzudeuten, sondern Stimmungen zum Ausdruck zu bringen, ist schon deutlich erkennbar. Aber erst Puvis und Moreau gelangen zu konsequenter Durchführung des Prinzips, jeder seiner Natur entsprechend: Puvis, die einfachere, hellere, griechischere Natur, durch stille Grösse und Wohlklang der Linie in Verbindung mit einem weichen Mollakkord der Töne, womit gleichsam die ganze Natur zu feierlichem Schweigen gebracht wird und nichts von dem mitsprechen darf, was wir rohe Naturlaute nennen; und Moreau, die dunklere, kompliziertere, dämonischere und romantischere Natur, durch ein unruhiges, nie befriedigtes Suchen nach Symbolen, die das Unsagbare ausdrücken sollen: nach symbolischen Mythen, nach symbolischen Ausdruckstypen und nicht am Wenigsten nach symbolischen Wirkungen einer immer höher gesteigerten Farbigkeit.
Moreau hat, wie uns sein Freund und Schüler Ary Renan versichert, die leitenden Grundsätze seines künstlerischen Schaffens als Prinzip der »schönen Ruhe« und dann als Prinzip des »notwendigen Reichtums« formuliert.
Im ersten Teil seines Programms ist Moreau in vollkommener Uebereinstimmung mit Puvis de Chavannes. Beide wollen nur »Stimmungen« wiedergeben, eigene, innere Stimmungen. Und beide haben, tiefer als ihre Zeitgenossen, das Gesetz ihrer Kunst begriffen, die nicht Bewegung darstellen soll oder gar heftige Bewegung, sondern in der Bewegung Ruhe. Keiner von beiden hatte wohl den Laokoon gelesen; aber das von Lessing ausgesprochene Grundgesetz, gegen das niemals schreiender gesündigt worden ist als gerade seit Lessing, haben beide instinktiv befolgt. Ne pas déranger I'eurythme: so hat es ein Franzose genannt.
Dass das musikalische Element ein Ingredienz jeder Kunst sein müsse, dass jede Kunst in ihrer Sprache den schönen Rhythmus haben müsse: diese Elementarweisheit der Aesthetik hatte man geradezu geleugnet. Puvis und Moreau mussten sie in Frankreich erst wieder zur Geltung bringen. Das ist ihr grosses Verdienst. Beide haben zuerst wieder gezeigt, dass in der Malerei Linie und Farbe und Licht nicht allein dazu dienen, die Natur nachzuahmen, sondern dass sie für sich eine eigene Sprache sprechen können. Sie haben damit rein formell die Malerei aus dem Bann der Prosa erlöst, den Courbet über sie verhängt hatte. So lange dieser Bann nicht gebrochen war, wurden beide – gerade wie Anselm Feuerbach in Deutschland – als »unmodern« gebrandmarkt. Sie haben aber nicht nur das geleistet, dass sie die nüchterne Prosa und das theatralische Pathos in der Malerei wieder als öde empfinden liessen; sie haben zugleich über das wahre Wesen der malerischen Poesie aufgeklärt, das nicht darin besteht, grosse und kleine Dichter zu illustrieren (Ary Scheffer, Thumann), sondern, in Malerei zu dichten, nämlich den schönen Rhythmus der eigenen Seele ausklingen zu lassen und aus der Anschauung der Natur heraus eine neue Welt der Schönheit zu schaffen, der Schönheit und eines höheren Sinnes.
Puvis de Chavannes hat dies mit einem ausgesprochenen Streben nach monumentaler Einfachheit erreicht. Das Gesetz der Vereinfachung beherrschte diesen Meister. Seine zeichnerische Vereinfachung einer Landschaft, einer Körperbewegung, seine Zurückführung des Kolorits auf den leisesten, aber vollkommensten Zusammenklang, der als Einklang empfunden wird, sind so unerhört, dass man ihn lange als Stümper ausschrie und dass noch jüngst ein deutscher Kunsthistoriker seine malerische Qualifikation verhältnismässig gering nannte, während mir ein Pariser Maler sagte: »Die Grösse dieses Meisters wird erst ganz gewürdigt werden, wenn wir Maler eines Tages genug von ihm gelernt haben werden.«
Ary Renan sagte über Moreau: »Das ist ein Maler, der nicht nur jede aufgeregte Handlung, sondern jede Handlung überhaupt, nicht nur jede heftige, sondern schon jede ausgeprägte Gebärde streng verwirft, der sich davor fürchtet wie vor einer Trivialität. Die menschlichen Gefühle durch Bewegungen der Glieder, durch Verrenkungen des Körpers, durch Grimassen in den Gesichtern zum Ausdruck zu bringen, dünkt ihn ein unwürdiges Beginnen. Er malt keine Handlungen, sondern Zustände, keine dramatischen Personen, sondern schöne Gestalten. »Was thun sie?« fragt der Zuschauer. Wahrhaftig: sie thun gar nichts, sie sind unthätig; sie denken.
Die letzte Wendung ist vielleicht nicht frei von Uebertreibung; aber im Ganzen ist in diesen paar Sätzen Moreaus Kunst ihrem Geiste nach gut charakterisiert.
In Gegensatz zu Puvis tritt Moreau mit seinem Prinzip des »notwendigen Reichtums«. Denn sein Reichtum, um es gleich zu sagen, erscheint keineswegs immer als notwendig. Er artet oft in Ueberladenheit aus. Moreau mag sich auf die alten Deutschen und auf Rembrandt berufen, die auch gelegentlich mit Blumen und Stickereien, mit goldenen Geschmeiden und Edelsteinen und prunkenden Gewändern verschwenderisch umgehen. Aber daran wird sich wohl niemand je gestossen haben. Dagegen wirkt Moreau manchmal gesucht.
Moreau hat die Romantik in einem gewissen Sinne vollkommen überwunden. Ueber jenen fatalsten Hang der romantischen Malerei, ihre Aufgabe immer wieder mit der der Dichtung zu verwechseln, ist Moreau erhaben und ist sich dessen vollkommen bewusst. Il a lancé la gageure, so drückt Ary Renan sich aus, d'égaler, avec le seul métier de l'atelier et la seule substance dont on charge un pinceau, toutes les suggestions provoquées dans la littérature par l'arrangement des mots, à l'orchestre par l'ordonnance des sons, au théâtre par la succession des gestes.
Dennoch schillert durch Moreaus Werk noch viel Romantik. Der, dem geistige Stimmungs-Wirkungen wichtiger sind als plastische, ist schon ein Romantiker, wenn auch im besten Sinne des Wortes. Ein durchaus romantisches Prinzip ist Moreaus Gesetz vom »notwendigen Reichtum«, – so nämlich wie er den »Reichtum« versteht, nicht als inneren, sondern als äusseren, als Luxus, als Pracht. Nur liegt für Moreau das Reich der Romantik nicht im Mittelalter, es liegt im Orient.
Sein ganzer Geschmack ist orientalisch: seine Bevorzugung der Ruhe vor der Bewegung, des Traumes vor dem wachen Zustand, der Ekstase vor der kühlen Betrachtung und ganz besonders seine Bevorzugung des Schmuckes vor der schönen Nacktheit oder nackten Schönheit; orientalisch ist seine leidenschaftliche Liebe zur Farben- und Gewänderpracht und fabelhaftem Edelgestein, seine fast religiöse Schwärmerei für Kleinodien, die er aus allen Reichen der Geschichte und des Märchens (des orientalischen Märchens) zusammenträgt, um seine schönen Frauen damit zu überhäufen.
Moreau hat mit Vorliebe griechische Mythen gemalt. Aber er gibt denen den Vorzug, die ihren orientalischen Ursprung besonders deutlich auf der Stirne tragen. Jedenfalls bekommen sie unter seinem Pinsel einen orientalischen Accent. Ja, meist werden sie durchaus orientalisch kostümiert. Seine Lieblingsgestalt ist die Sphinx: »Oedipus und die Sphinx« war sein erstes bemerktes Bild auf der Ausstellung – Salon 1864 – »œuvre étrange, incompréhensible ..., qui sortait complètement des données habituelles de l'école.« Er hat dies Thema oft variiert als: Le Sphinx deviné, le Sphinx et ses victimes, le Sphinx dans son antre. Ebenso hat er die Hydra gemalt, in der auch mehr orientalische als griechische Phantasie spukt. Und wählte er einen andern Gegenstand, so färbte er ihn möglichst orientalisch. Sein »Ulysse et les Prétendants« gemahnt durch die Ueppigkeit der Gegenstände im Vordergrunde mehr an eine babylonisch-assyrische Orgie als an das homerische Griechentum. Selbst die neun Musen, die er liebt, zeigt er fast nur – besonders auf zwei seiner wunderbarsten Bilder – ganz bedeckt von farbigen Gewändern und kostbarem Geschmeide, so dass sie durchaus an Odalisken und ähnliches Volk erinnern. Ich will nicht sagen, dass er Courtisanen aus ihnen macht; aber er steckt sie in deren Toiletten. Seine Helena auf dem Schlachtfeld von Troja ist mit Geschmeide überladen und auf dem Haupte trägt sie eine Mitra.
Er gibt aber der schönen Bathseba, der jüdischen Ehebrecherin, den Vorzug. Und das Weib, das er am meisten liebt, ist die unheimliche Salome, die Tochter der Herodias, die er in einer ganzen Reihe von Bildern dargestellt hat, ebenfalls wieder mehr im üppigen Kostüm von »Tausend und einer Nacht« als in dem der Bibel ... Man meint, Heine hätte sie schon gekannt:
Auch die Kleider mahnten kostbar
An Scheherezadens Märchen.
Einen orientalischen Hauch verspüren wir bei Moreau auch in der Behandlung solcher Gegenstände, bei denen wir (wenn auch mit Unrecht) nicht im Entferntesten an den Orient denken. Als Bracquemond sein berühmtes Illustrationenwerk zu Lafontaine vorbereitete, forderte er Moreau zu Entwürfen auf. Moreau lieferte ihm eine ganze Reihe; aber seine Darstellungen erinnern viel eher an das Pantschatantra des Bidpai als an Lafontaine, was natürlich nicht hindert, dass diese Aquarelle farbige Werke von tiefsinnig-symbolischer Poesie sind.
Wer nach dem Gesagten auf den Gedanken käme, Moreaus Werke seien Kostümbilder, der wäre gewaltig im Irrtum. Eher sind es Traumbilder, Gedankenbilder, Sinnbilder.
Ueberhaupt darf man bei Moreau nicht an herkömmliche Bilder orientalischen Kostüms denken. Er malt freilich den Orient, und dem Beschauer scheint, er male ihn wahr. Er wäre kein Künstler, wenn er uns das nicht einredete. Er hat in Museen und Bibliotheken ernste Studien gemacht. Seine minutiösen Zeichnungen assyrischer und indischer Architekturen, etwa im »Triumph Alexanders des Grossen«, zeugen von einem erstaunlichen Fleiss, von einem unermüdlichen Bestreben, die Illusion realer Welten zu geben. Aber im Grunde malt er nur seinen Orient, den Orient, wie seine Seele sich ihn träumt, malt er vielleicht gar nur seine Seele, die Landschaften seiner Seele. Seine Bilder sind ganz intim. Nur er allein hat geschaut, was er malt. Sein Lieblingssymbol der Schönheitsucht sind die Peri. Aber wer könnte behaupten, diese Fabelwesen geschaut zu haben – oder sie so geschaut zu haben, wie Moreau sie darstellt?
Das gilt von allen seinen Bildern. Das Kostüm ist vielfach mehr betont, als wir nach unserem Geschmack wünschen möchten, und doch übersehen wir es oft ganz vor dem mächtigen Ideeninhalt der Bilder, vor dem geisterhaften Schauer, der uns aus vielen von ihnen anweht. Sonst hätten sie nicht die Bedeutung, die wir ihnen zuschreiben. Der Hauptsache nach hat sie der Maler aus seiner Seele herausgemalt, mehr als aus historischen und ethnologischen Dokumenten.
Huysmans, in seinen »Certains«, sagt von Moreau: Un artiste extraordinaire, unique, ... un mystique enfermé, en plein Paris, dans une cellule où ne pénètre même plus le bruit de la vie contemparaine, qui bat furieusement pourtant les portes du cloître. Abîmé dans l'extase, il voit resplendir les féeriques visions, les sanglantes apothéoses des autres âges.
Huysmans hat die verwandte Natur wohl erkannt. Weltflucht, ehrliche, aufrichtige, spricht auch aus Moreaus Werk. Nur hat sie hier nicht sowohl einen ethischen wie ästhetischen Sinn und ist Flucht vor der gemeinen Natur, vor der gemeinen Wirklichkeit, vor dem harten farblosen Licht des Tages. Und Huysmans Sehnsucht nach Askese und Heiligkeit ist bei Moreau Sehnsucht nach dem Traum, nach der Schönheit des Traumes, nach der Stille und Einsamkeit des Traumes der ihm allein gehört, nach Farben, die keines Menschen Auge je gesehen, nach Tönen, die kein menschliches Ohr noch vernommen hat. Es ist oft eine still melancholische, oft aber auch eine unruhige und überhitzte, eine fieberkranke Sehnsucht.
Und Opiumatmosphäre und Haschischdämpfe glauben wir oft genug zu spüren. Sie sind oft thatsächlich gemalt, wie sie aus orientalischen Räuchergefässen aufsteigen, und ihre Wirkung lesen wir auf den blutlosen, traumstarren Gesichtern.
Oft aber auch spricht aus Moreaus Bildern die helle Freude der Unschuld und eine tiefe pantheistische Frömmigkeit. »Der junge Mann und der Tod« – im Besitz des Herrn Albert Cahen in Antwerpen – ist ein solches Werk. Hier begegnen wir einmal reiner griechischer Auffassung. Moreau hatte das Bild seinem jung gestorbenen Lehrer Chasseriau gewidmet. Und Bilder wie »Galatée«, »Der Dichter und die Siren«, »Der indische Dichter« sind in demselben Sinn hervorzuheben.
Viel wäre bei Moreau über das rein Technische zu sagen, besonders über seine Behandlung der Farben. Moreau war von Anfang an farbiger als die meisten seiner Zeitgenossen. Doch in seiner Methode, die Farbe zu behandeln, unterschied er sich kaum von ihnen. Seine frühen Bilder haben im Ganzen den braunen Atelierton, in dem damals alle Welt malte. Er malte nicht einmal blühendes Fleisch. Man sieht auf diesen Bildern nackte Körper, die braun sind wie Chokolade. Und doch floss sein Prinzip des »notwendigen Reichtums« vielleicht einzig und allein, aber unbewusst, aus seinem Bedürfnis nach reicher und prächtiger Farbe. Diese fehlt denn auch nie ganz. Sie leuchtet nur nicht, Alles durchdringend, aus dem Gesamtkolorit heraus, sondern sie ist diesem, das an sich in Braun getaucht bleibt, im Einzelnen »aufgesetzt« gleich funkelnden Edelsteinen.
In diesem Aufsetzen wird er dann immer kühner. Er machte davon auch in späteren Jahren bei längst abgeschlossenen Bildern Gebrauch, denen er damit, während er vielleicht ihre reinere Harmonie zerstörte, einen etwas befremdenden, aber darum um so pikanteren Reiz verlieh. Immerhin wird hier die Farbe, wie auch der von Moreau geforderte »notwendige Reichtum«, als »accessoire« behandelt.
Nur im landschaftlichen Teil der Bilder tritt die Farbe schon früh als wesentliches Ausdrucksmittel auf. Seine ganze Stärke erreicht er jedoch auch hier erst sehr spät, wo dann seine phantastischen Landschaften in tiefblaue, orangegelbe, rotbraune und purpurne Töne getaucht sind, durch deren Pracht und Schönheit und symbolische Stimmungsgewalt er mit Boecklin wetteifert. Ja, während Boecklin, wie man weiss, immer in alter Methode von der Zeichnung ausgegangen ist und seine Bilder stets, nach seiner eigenen Aussage, mit der reinen Aufzeichnung angefangen hat, sind an Moreau sogar die Bestrebungen der Monet, Pizzaro und Cazin nicht spurlos geblieben. Eine Reihe von Skizzen und selbst grosse Bilder im Moreau-Museum liefern den Beweis, dass der Meister zuletzt im Prozess des Schaffens von reinen Farbenanschauungen ausging, die sich ihm zu Gestaltungen verdichteten. Das Laienauge kann auf diesen Bildern kaum irgend eine Bildung unterscheiden. Nur schöne, leuchtende, funkelnde Farben erblickt man darauf, Wolken von Farben, Ströme von Farben, das Chaos einer farbigen Schöpfung. Aber man ahnt, dass der Künstler selbst darin nicht Chaos sah, sondern die herauszubildende schöne, sinnvolle, farbige Welt.
Und man begreift vor diesem farbigen Gefunkel, das nur bei einer ganz eigenen geheimnisvollen Behandlung des Materials erklärlich scheint, man begreift, dass dieser Maler die Emaille-Künstler herausfordern musste; und in der That sind nach Entwürfen von Gustave Moreau prachtvolle Schöpfungen dieser sich neu aufraffenden Kunst entstanden.
Moreaus Schwelgen in Farben, das besonders in seinen zahlreichen Aquarellen höchste Triumphe feiert, lässt an Boecklin denken. Aber diese beiden sind trotzdem wenig verwandt. Moreau ist, wie Rossetti, ein Weltflüchtiger, ein Naturflüchtiger, ein vor Sehnsucht Kranker, dem das grelle Sonnenlicht und die Geräusche der Natur wehthun. Boecklin, der Grosse, gehört einer anderen Rasse an. Er ist der ganz Gesunde, der Uebergesunde, der in pantheistischem Gottgefühl und Seligkeitsrausch sich eins weiss mit der Natur als ihr Schöpfer und Geschöpf zugleich, für den es in der Natur keine Stimme gibt, die er nicht als Musik vernimmt, und keine Roheit, die er nicht in Wiedergeburt umwandelt zu grausiger Schönheit. Für ihn sind, wie für alle ganz grossen Künstler, die Sinne und die Seele eine untrennbare Einheit. Er braucht nicht aus den einen zu flüchten, um zur anderen zu gelangen.
Nicht mit diesem ganz Grossen lässt sich Moreau vergleichen. Aber er ist ungefähr für Frankreich, was Rossetti und Burne-Jones für England sind: eine eigenartige Blüte, die sich inmitten der nationalen Kultur etwas exotisch und fast künstlich ausnimmt, aber, liebevoll für sich betrachtet, durch ihr zartes inneres Leben mit höchster Bewunderung erfüllt. Dieser Essay ist als eine Erweiterung meines Aufsatzes über Gustave Moreau in den »Maler-Poeten« (bei Heitz & Mündel, Strassburg, 1899) zu betrachten.