Jean Jaques Rousseau
Der Gesellschaftsvertrag
Jean Jaques Rousseau

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3. Kapitel

Ob der allgemeine Wille irren kann

Aus dem Vorhergehenden ergibt sich, daß der allgemeine Wille beständig der richtige ist und immer auf das allgemeine Beste abzielt; daraus folgt jedoch nicht, daß Volksbeschlüsse immer gleich richtig sind. Man will stets sein Bestes, sieht jedoch nicht immer ein, worin es besteht. Das Volk läßt sich nie bestechen, wohl aber oft hinter das Licht führen, und nur dann scheint es Böses zu wollen.

Oft ist ein großer Unterschied zwischen dem Willen aller und dem allgemeinen Willen; letzterer geht nur auf das allgemeine Beste aus, ersterer auf das Privatinteresse und ist nur eine Summe einzelner Willensmeinungen. Zieht man nun von diesen Willensmeinungen das Mehr und Minder, das sich gegenseitig aufhebt,Jedes Interesse, sagt der Marquis d'Argenson in den Considérations sur le gouvernement de la France, ist aus verschiedenen Prinzipien hervorgegangen. Die Übereinstimmung zweier besonderer Interessen geht aus dem Gegensatze gegen ein drittes hervor. Er hätte noch hinzufügen können, daß die Übereinstimmung aller Interessen die Folge des Gegensatzes derselben gegen das eines jeden einzelnen ist. Gäbe es keine verschiedenen Interessen, so würde man das Gemeinschaftliche, das nie Hindernisse fände, kaum wahrnehmen. Alles würde ganz von selbst gehen, und die Politik aufhören, eine Kunst zu sein. ab, so bleibt als Differenzsumme der allgemeine Wille übrig.

Hätten bei der Beschlußfassung eines hinlänglich unterrichteten Volkes die Staatsbürger keine feste Verbindung untereinander, so würde aus der großen Anzahl kleiner Differenzen stets der allgemeine Wille hervorgehen, und der Beschluß wäre immer gut. Wenn sich indessen Parteien, wenn sich kleine Genossenschaften zum Nachteil der großen bilden, so wird der Wille jeder dieser Gesellschaften in Beziehung auf ihre Mitglieder ein allgemeiner und dem Staate gegenüber ein einzelner; man kann dann sagen, daß nicht mehr soviel Stimmberechtigte wie Menschen vorhanden sind, sondern nur so viele, wie es Vereinigungen gibt. Die Differenzen werden weniger zahlreich und führen zu einem weniger allgemeinen Ergebnis. Wenn endlich eine dieser Vereinigungen so groß ist, daß sie über alle anderen das Übergewicht davonträgt, so ist das Ergebnis nicht mehr eine Summe kleiner Differenzen, sondern eine einzige Differenz; dann gibt es keinen allgemeinen Willen mehr, und die Ansicht, die den Sieg davonträgt, ist trotzdem nur eine Privatansicht.

Um eine klare Darlegung des allgemeinen Willens zu erhalten, ist es deshalb von Wichtigkeit, daß es im Staate möglichst keine besonderen Gesellschaften geben und jeder Staatsbürger nur für seine eigene Überzeugung eintreten soll.»Vera cosa è«, sagt Macchiavelli, »che alcuni divisioni unocono alle repubbliche, e alcune giovano: quelle unocono che sono dalle sette e da partigiani accompagnate: quelle giovano che senza sette, senza partigiani, si mantengano. Non potendo adunque provedere un fundatore d'una repubblica che non siano nimizicie in quella, ha da preveder almeno che non oi siano sette.« (Hist. Florent. lib. VII. Es ist wahr, daß es Meinungsverschiedenheiten gibt, die den Republiken nützen, und solche, die schaden; schädlich sind solche, die mit Sekten und Parteileuten verbunden sind, nützlich solche, die sich ohne Sektenbildung und Parteigenossen behaupten. Da der Gründer einer Republik nicht dafür sorgen kann, daß es keine Gegnerschaften in ihr gibt, so muß er wenigstens dafür sorgen, daß sie sich nicht zu Parteien zusammenschließen.) Deshalb war die auf diesem Grundsatze beruhende Einrichtung des großen Lykurg so einzig in ihrer Art und so erhaben. Gibt es nun solche besondere Gesellschaften, so muß man ihre Anzahl vermehren und ihrer Ungleichheit vorbeugen, wie Solon, Numa und Servius Tullius taten. Diese Vorsichtsmaßregeln können es einzig und allein bewirken, daß der allgemeine Wille immer klar ersichtlich ist, und das Volk sich nicht irrt.


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