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Sie saßen, drei Männer, im Café auf dem Potsdamer Platz. Zwischen ihnen flogen gleichgültige Worte, Mißtrauen würgte in ihren Hälsen, Angst lähmte ihre Zungen. An einem Nebentisch saß Benjamin Lenz.
Theodor bereute. Es war zu spät. Er hatte nicht geahnt, wie schwer es ihm kommen würde. Niemand half ihm. Er sollte anfangen. Es war, als weidete man sich an seiner Qual.
Und es ist genauso wie einmal – lang war es her – in der Schule, wenn er anderes sagen soll als auswendig Gelerntes. Es war Lärm im Café, an den Nebentischen summte das Gespräch der Gäste, Tassen klirrten, und dennoch schlug ihm eine Stille entgegen, als beherrschte das Warten alle Menschen. Erst als sie durch die Straßen gingen, gewann er sich wieder. Er ging zwischen zwei kleinen schwarzen Männern, die sich jedes Wort einprägten.
Er verstellte sich nicht. Wozu brauchte er Verstellung? Er konnte immer ableugnen; aufrichtiges Geständnis für erheucheltes ausgeben. Seine wahren Gründe klangen überzeugend.
Er erzählte von seiner Unzufriedenheit; schilderte das Mißtrauen, das ihn umgab; gestand, daß ihn Ehrgeiz trieb.
Er lüftete später, in einem Büro, Zipfel von Geheimnissen.
Es war spät, als er schied, er fuhr nach Potsdam, las ein Abendblatt. Als er aufblickte, sah er Benjamin Lenz. Er saß Theodor gegenüber.
Sie gingen durch den Potsdamer Abend, durch alte Gäßchen, die ganz unwahrscheinlich aussahen, und Benjamin führte, und Theodor wußte nicht, daß er geführt wurde. Vom 2. November sprach Benjamin Lenz, er glaubte nicht an Revolutionen. Er glaubte an ein kleines Blutbad, kaum der Sorgen wert, in Deutschland nicht selten und eigentlich jede Woche wahrscheinlich.
Vielleicht sprach er diesmal aufrichtig, Benjamin Lenz?
Es war ein wehmütiger Abend, mit violetten und gelb schimmernden Wolken, mit einem zahmen, behutsamen Abendwind, und Theodor ging, durch raschelndes Laub, die Straße, die zum Bahnhof führte, entlang und fühlte eine Rührung, wie damals in den Feldern des Herrn v. Köckwitz.
Und eine Wärme kam von Benjamin Lenz, so daß Theodor zu sprechen anfing und seine Worte nicht mehr wägte und über Trebitsch klagte und über die Undankbarkeit überhaupt. Was machte ein Mann von den Fähigkeiten Lohses bei der Reichswehr?
Was machte so ein Mann bei der Reichswehr? Es kam, ein erquickendes Echo, von Benjamin Lenz zurück. Wer hatte ihn beiseite geschoben? Es kam darauf an, es zu erfahren. Man mußte seinen Gegner kennen.
Oh, wie wußte Lenz Bescheid. Man sollte sich mit Benjamin Lenz gut verhalten.
Wieviel wußte er von Theodor allein? Alles. Ahnte er auch die Angelegenheit Klitsche? Er kannte sie. Er sagte:
»Sie können nicht umsonst Blut vergossen haben, Herr Leutnant Lohse. Andere können über Leichen gehen, der Idee wegen oder weil sie Mörder sind von Geburt. Sie aber, Herr Lohse, glauben längst nicht mehr an die Idee und sind kein geborner Mörder. Sie sind auch kein Politiker. Sie wurden von Ihrem Beruf überfallen. Sie haben ihn sich nicht gewählt. Sie waren unzufrieden mit Ihrem Leben, Ihren Einnahmen, Ihrer sozialen Stellung. Sie hätten versuchen sollen, im Rahmen Ihrer Persönlichkeit mehr zu erlangen, niemals aber ein Leben, das Ihrer Begabung, Ihrer Konstitution zuwiderläuft.«
Nein, Theodor konnte es nicht, durfte es nicht. Klein und unbeachtet hätte er ohne Umwege auch bleiben können; wäre Hauslehrer bei Efrussi und zufrieden.
An diesem wehmütigen Abend fiel ihm Frau Efrussi ein. Die sanfte Berührung ihres Oberarmes im Auto, ihr Lächeln.
Zu ihr und ihresgleichen führte der Weg, an dessen Ende die Macht lag. Wie aufrichtig sprach Benjamin, der Spitzel. Es gibt Abende, dachte Theodor, an denen die Menschen gut werden müssen, entzaubert werden.
Da fiel ihm auch schon Günther ein, Günther, der seine Braut geliebt hatte; dieses Angesicht sah er, das violett unter den Augen schimmernde, und den enthüllten Oberkiefer unter krampfhaft emporgezogenen Lippen.
Wie pfiffen Züge sehnsüchtig durch die Nacht, der Friede kam vom blauen Himmel.
An Theodors Seite geht Benjamin Lenz, und das ist vielleicht sein Freund.
Es ist dein Waffengefährte, Theodor. Seine Schlauheit ist nützlich. Zu zweit ist man erfolgreich. Und wer anderer könnte dein Bundesgenosse sein als Lenz? Benjamin Lenz versteht Theodor Lohse.
Sie gingen den langen Weg zurück; zwischen ihnen war die gute, beschwichtigende Schweigsamkeit der Freundschaft. Sie drückten einander zum Abschied die Hand. Der Druck ihrer Hände war ein wortloses Bündnis.