Joseph Roth
Das Spinnennetz
Joseph Roth

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XII

Nun ging er zu Trebitsch. Wie Triumph war sein Gruß. Hielt man ihn für tot? Sieh, es lebte Theodor! Lebendiger als je zuvor. Hatte man ihn vergessen? In den Zeitungen klang sein Name.

Die Wehmut verlor er. Vergaß das Zirpen der Grillen, den Gesang der Mägde, die Scholle. Schon griff er den alten Plan auf. Reiste nach Leipzig. Aber Pfeifer war geflohen ohne Theodors Hilfe. Trebitsch hatte ihn befreit.

Theodor verschmerzte die verlorene Gelegenheit. Noch saßen Zange und Marinelli.

Nach München fuhr er. Bei Kapitän Hartmut fand er Mißtrauen. Trebitsch hatte gearbeitet. Seine Spuren erkannte er.

Nationalsozialismus war ein Wort wie andere. Es bedingt nicht Gesinnung. Er wurde empfangen, von nationalsozialistischen Führern mit Achtung ausgezeichnet vor anderen Wartenden. Man kannte ihn also. Unwissend waren sie. Theodor lüftete sachte Schleier. Er machte neugierig. Sie lebten im Rausch, in Begeisterung. Viele strömten ihnen zu. Sie waren Partei, nicht Geheimverbindung. Jenes schien Theodor machtvoller. Dort arbeitet man mit offenem Visier. Dort vergräbt man sich nicht. Dort klingt der Name wie mit tausend Glocken.

Er ging zu Versammlungen. Alle jubelten. Kleine Bürger tranken Bier. Aßen und jubelten, Krautknödel in den Mündern. Junge Sturmtruppen marschierten in den Saal. Standen an den Wänden. Trugen den Redner durch eine Gasse zwischen Stühlen, Publikum, Tischen. Viertausend Füße trampelten. Kellner flitzten weiß. Scheine raschelten. Es war ein Volksfestjubel. Theodor war neidisch.

Wie arbeitete er schleichend, im verborgenen, umlauert von Feinden, innen und außerhalb!

Er ging in die Werbebüros. Wie kamen sie alle. Junge Arbeiter, Studenten, Handlungsgehilfen. Anderes Material als Theodors Gymnasiasten. Gläubiger waren sie, leichter entflammt, feurig, ehe sie kamen, lodernd, wenn sie aufgenommen waren. Eine Gefahr war Hitler. War Theodor Lohse eine Gefahr? Täglich nannten jenen die Blätter. Wann sah man Theodors Namen?

Aber Unterwerfung forderte der Große, der Naive, Ungebildete, im Rausch der Begeisterung Lebende. Männer, die so wenig wußten, waren sich selbst alles. Sie kannten kein Verhandeln. Sie hatten es nicht nötig. Wenn der Führer sein Büro verließ, grüßten fünfzig Menschen im Vorzimmer, und zwanzig standen stramm. Im Auto fuhr er. Mag sein, daß er nicht alles wußte. Daß man ihn vorschob. Aber ihn kannte jeder. Wer grüßte Theodor Lohse?

Major Seyfarth war unzufrieden. Wie durfte Theodor ihn übergehen? Auf seine Verdienste wies Theodor hin. Ja, Theodor drohte. Der Major sprang auf. Hatte Theodor den Eid nicht geleistet? Eide könne man brechen. Auf zweihundert Verwegene stütze sich die Macht Theodor Lohses. Theodor übertrieb. Kaum fünfzig Gymnasiasten beteten ihn an. Kleine, furchtsame Jungen waren sie.

Seyfarth zog sich zurück. Einen Ausweg wußte er. War nicht Arbeit genug für Theodor Lohse? Agitation? Propaganda? In der Reichswehr etwa? War das nicht ein Weg? Wertvolle Verbindungen gewann man.

Theodor überlegte: die zweihundert haben ihm imponiert. Nun fürchtete er sie. Das Militär versprach viel. Blieb ihm sein Einkommen gesichert? Ja, es blieb, und die Gage kam dazu. Er willigte ein.

Daheim sah er in den Spiegel. Nicht anders sah er aus als jener Führer. Niemand machte ihm Eindruck. Er blitzte sein eigenes Spiegelbild an. Sprach ein Wort aus, um seine Stimme zu prüfen. Sie trug die Worte. Sie konnte donnern.

Er machte einen Plan für die Reichswehr: ergebene Leute finden; ihr Lehrer sein, ihr Führer, Herr über Leben und Tod von hundert, zweihundert, tausend Bewaffneten.

Er rückte ein, ein Tag reichte für die Erledigung der Formalitäten. Mit fünf Empfehlungen rückte er ein. Potsdam war seine Garnison. Er trug eine Uniform nach neuestem Schnitt. Den Rock nicht mehr eng wie in alten Zeiten. Es war der neue Geist der Armee. Die Silberstreifen auf den Achselstücken lagen so, daß sie einen schmalen Tuchrand frei ließen. Das Bajonett hatte eine leise vernickelte Kuppel. Sie war in den Vorschriften nicht vorgesehen, aber lächelnd geduldet. Jeden Morgen exerzierte er. Lange hat er das Exerzieren entbehrt. Er stand vor zwei Menschenreihen. Er merkte die leiseste Veränderung dieses und jenes Körpers. Er sah, wenn sich jemand rührte, wenn Stiefel nicht geputzt, Läufe nicht gefettet, Tornister schief geschnallt waren. Er befahl Kniebeugen, man gehorchte. Er befahl Laufen, man lief. Er donnerte Stillgestanden, man stand still.

Er hielt Unterricht am Nachmittag. Er las Broschüren von Trebitsch vor. Und sagte Eigenes. Er machte einen Witz. Die Soldaten lachten. Er glaubte zu sehen, daß einer krank war. Er schickte ihn heim. Er war ein Kamerad. Er klopfte dem und jenem auf die Schulter. Er sprach über Mädchen. An Montagen fragte er, wie der Sonntag gewesen. An Samstagen wünschte er vergnügte Sonntage. Er bot Fürsprache beim Obersten den Bestraften an. Er selbst vermied Bestrafungen, begnügte sich mit Rügen. Die im Felde Gewesenen sammelte er um sich.

Er kündigte Vorträge am Abend an. Viele kamen. Seine Kompanie spendete Beifall, riß andere mit. Nach einigen Wochen konnte er frei sprechen; fragte er, wieviel mit ihm durch dick und dünn gehen. Alle erhoben sich, alle. Er ließ einzelne einen Eid schwören. Er gab ihnen Geld und Broschüren zur Verteilung.

Mit den Offizieren sprach er wenig. Er kam ins Kasino. Sie sprachen vom Dollar wie alle. Leutnant Schütz, Sohn eines Bankmächtigen, hatte dem Obersten Papiere gekauft. Es waren Haussetage. Des Obersten gute Laune erheiterte das Kasino. Alle wollten Papiere. Sie wußten, was Effekten waren, Hausse und Lombard. Leutnant Schütz lieh allen. Er lieh auch Theodor.

Theodor las in den Abendblättern Kurse.


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