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Dem Ritter Wuk von Wertschewitsch nacherzählt
Spätwinters 1853 brachte eines Tages die Eskorte zwei Brüder nach Cetinje, mit ihren beiden Söhnen: Leute aus der Gegend von Wirpasar, von berühmt tapferer Familie.
Der Führer der Eskorte hatte einen Brief mit:
»Von mir, dem Bezirkshauptmann an den Fürsten und den Senat.
Ich sende da zwei 16jährige Bursche, leibliche Vetter, Stanko und Jokasch Rajewitsch. Sie haben sich arg verzankt, ich wollte sie auf alle, aber alle Art begütigen – vergebens. Und fürchte nun, es könnte Blut fließen. Tu mit ihnen, Fürst, was du für gut hältst, die Väter der beiden Bursche schicke ich gleich mit, und lebe wohl.«
Der Senat tagte eben in der Billarda, mit dem Fürsten Danilo auf dem Ehrensessel. Der Fürst las den Brief vor, und alles verwunderte sich.
»Wo ist der Starrkopf,« fragte der Fürst, »der auf die Worte seines Hauptmanns nicht hören will?«
Die Eskorte schob Stanko vor, den einen der Jungen.
Der Fürst: »Erzählt ihr Väter, was geschehen ist!«
Die beiden Alten blickten einander kurz an – und einer begann:
»Mit Verlaub, Gospodar – wir küssen dir die Hände und den Saum deines Gewandes – der Kuckuck weiß – mit Verlaub – warum uns die Kinder soviel Sorg und Schande bereiten, wo wir sie aufgezogen haben und ernährt. Beruhig sie, damit sie Frieden halten – wenn du nicht, kann es nur der Tod. Soll ich von Anfang alles aussagen – auch ihre Kinderstreiche?«
»Alles von Anfang!«
»Dann hör uns, Gospodar, in Gnaden und geduldig! – Wir zwei Alten – mein Bruder hier und ich – haben an einem Tag geheiratet, und die Jungen, meiner und seiner, sind in einem Jahr geboren worden, zusammen aufgewachsen. Sie haben einander geliebt wie gute Brüder, ja, noch mehr. Betrachte sie, Fürst: sie gleichen einander.«
»Wie Zwillinge. Fahr fort, Alter!«
»Mit sechzehn Jahren sind sie wehrhaft worden, beide zur selben Stunde.« – Der Sprecher wandte sich plötzlich an seinen Bruder: »Meinst du, daß ich auch den ersten Streit den Herren hier vortragen soll – die Geschichte damals auf dem Markt?«
»Wenn es dir gut scheint, Bruder …? Du bist der Ältere. Der Gospodar wird verzeihen, daß wir ihn mit Kleinigkeiten behelligen.«
»Unsre Knaben also, Gospodar, wanderten eines Tages auf den Markt – wir hatten sie geschickt. Von ungefähr erblickte sein Stanko – mit Verlaub – ein hübsches Mädchen aus dem andern Dorf – sie war mit ihrer Muhme. Er lud sie zu einem Schnaps; und im Spaß – mit Verlaub – schenkte er ihr einen Quittenapfel. – Gut, das war geschehen – und jeder ging wieder seinem Geschäft nach.
Zufällig sieht auch mein Jokasch dasselbe Mädchen – und wie das bei uns so ist, bietet er ihr einen Schluck Schnaps. Jokasch ist – mit Verlaub – durch seine Mutter verwandt mit dem Mädchen, und sie reden in aller Unschuld miteinander. Das Mädchen zieht die Quitte aus dem Hemd und riecht daran und lacht meinem Jokasch zu. Er – zum Spaß, wie schon Jungen sind – nimmt ihr die Quitte weg und steckt sie ein. Und alle drei lachen.
Zurück vom Markt laufen die Jungen wieder miteinander – und mein Jokasch sagt: ›He, Stanko – eine schöne Quitte! Von wem hab ich sie bekommen – rat einmal?‹
Stanko erkennt die Quitte, reißt sie meinem Jokasch aus der Hand und ruft: ›Das ist meine Quitte.‹
›O nein.‹
›O ja. Heut morgen ist sie mein gewesen – sie ist mein, und ich geb sie nicht.‹
Siehst du, Gospodar – aus diesem dummen Stank – mit Verlaub – ist alles erwachsen:
Wie nämlich unlängst die Türken ins Land fielen – du weißt: vorigen Monat – Serdar Omer Pascha von drei Seiten – da haben wir von Wirpasar müssen an die Südgrenze. Gleich im ersten Gefecht, an den Tümpeln … Aber, Gospodar? Willst du darüber nicht gleich die Jungen selbst befragen?«
»Schön. Rede du!« gebot der Fürst und wies auf Stanko.
Stanko sprach mit untergeschlagenen Augen:
»Ich hatte die Büchse auf einen Türken gerichtet und streckte ihn – er war verwundet. Ich will hinspringen, ihm den Kopf abschneiden – Jokasch ist näher dabei und hat ihn schon am Schopf. Es war mein Türke – ich schwör es bei Sankt Petri Schrein – mein Türke – wiewohl ich später daranwar – ich kannte ihn doch am Turban und der Jacke. ›Laß mir,‹ ruf ich, ›meinen Türkenkopf‹ Und er: ›Nein und nein – siehst du nicht, daß ich ihn schon halte?‹ Er stößt mich mit der Schulter – so – beiseite – ich, in meinem guten Recht, will zusäbeln – mit dem geschwungenen Säbel, unwillens, hab ich ihn an der Hand verwundet.«
»Nicht schwer,« warf Jokasch ein und zeigte die Narbe.
»Vater, rede du weiter!« bat Stanko erregt.
»So war es, Gospodar,« fuhr der Alte fort, »und die Knaben haderten. Jokasch, ob auch verwundet, hatte den Kopf – und mein Stanko trotzte; wollt seinen leiblichen Vetter auf der Stelle niedermachen, der Unband. Ich, noch im Kampf, wußte nichts davon. Doch andre besonnene Leute ließen die Büberei nicht zu.
Ich kam eben, als Stanko seinem Vetter hinrief: ›Warte nur! In diesen selben Schuhen, eh du sie noch zerrissen hast, wirst du es büßen.‹ Und Jokasch darauf: ›Mich schreckst du nicht.‹
Seitdem, Gospodar, seit dem Tag sind sie Feinde. Ich habe alles versucht – auch mein Bruder alles – die Nachbarn mahnen und bitten: die Knaben belauern einander. Es soll keine Ruhe sein, eh nicht einer hin ist oder beide.«
Der Fürst: »Ich aber, Unselige, will, daß ihr euch auf dem Fleck die Hände reicht. Ich dulde kein Zerwürfnis im Land – nicht zwischen zwei Dörfern – am wenigsten unter so nahen Verwandten, unter einem Dach. Geht als Brüder heim! Und hör ich jemals, daß ihr noch gebalgt habt – bei den Heiligen drei Nothelfern: ich laß euch beide über die Kanone legen, dort beim Kloster, und laß euch Fünfundzwanzig auf den Arsch messen. – Wollt ihr gehorchen?«
Jokasch: »Gospodar – wenn du befiehlst – ich bin dabei, daß unser Zwist soll begraben sein für immer. Er ist ja mein Vetter. Will er aber nicht, dann soll er frei sagen – als Mann – was er möchte.«
Stanko kniete nieder. »Herr, ich beschwöre dich beim Himmel und der Erde, kreuz und quer, und bei deinem Namen: verlang nicht von mir, daß ich die große Schande trage! Er hat mich um meinen Türkenkopf betrogen, meine Ehre. Ich kann ihm nicht die Hand reichen, seine Hand nicht nehmen. Lieber mag mich die schwarze Erde decken, Herr – lieber laß ich mich draußen an der welschen Kirche erschießen. – Wir können nicht beide weiterleben. Er muß durch meine Hand sterben oder ich durch seine. Dann aber wäre Blutrache in der Familie. – Darum, Gospodar, bitt ich dich: erlaub, daß wir zum Zweikampf antreten!«
Der Vater: »Stanko, mein Sohn! Glaub nicht, daß Jokasch sich vor dir fürchte. Hier steht er mit dem Säbel – wenn der Fürst und der Senat in den Kampf willigen. Doch es wäre Sünde, wenn einer von euch im Grab läge, und der andre müßt um ihn weinen. Besser für euch beide und schöner für uns Väter, wenn ihr vor dem Feinde fallt – dazu haben wir euch aufgezogen.«
Stanko: »Leere Worte. Ich kann nicht anders, Vater! – Jokasch! Wenn du kein altes Weib bist …«
Ein Senator: »Hüte deine Zunge, Knabe! Hast du vergessen, daß du vor deinem Fürsten stehst?«
Stanko: »Er hatte den Türken am Schopf – das ist wahr. Doch ich kniete dem Türken auf der Brust und holte aus zum Streich. Der Kopf gehört dem Sieger. Wär Jokasch mein Bruder vor Gott und kein Schuft: so hätt er brüderlich den Kopf mir gelassen – oder ihn abgeschnitten und mir verehrt.«
Der Fürst und die Senatoren blickten die Bursche an – beide wie aus dem Ei gepellt, wohlgewachsene Kerle – und hielten ihrer Jugend viel zugute.
»Jokasch,« sprach der Fürst, »wie denkst du?«
»Ich, Herr, füge mich – was immer du anordnest. Reicht er mir die Hand – hier ist meine. Gestattest du, daß wir fechten: einmal muß jeder sterben und dreimal kann man nicht.«
Alle redeten auf Stanko ein. Er blieb stumm und verbissen. – Da wandte sich der Fürst an den Senat:
»Schicken wir sie zum Teufel. Und sie sollen morgen herkommen. Vielleicht sind sie dann klüger – oder wir.«
Da fand Stanko endlich seine Sprache wieder:
»Dein Wille, Gospodar, reicht über sieben Berge – unser aller Leben ist in deiner Gewalt. Doch vertröst uns nicht auf morgen: Ich werde morgen nicht andern Sinnes sein. Wozu warten, den Tag vertrödeln und den Mundvorrat verzehren?«
»Ihr Herren,« fragte ratlos der Fürst, »was tun wir da?«
»So laß die Kampfhähne in Gottes Namen gewähren, Gospodar! Uns dauern nicht sie – vielmehr ihre armen Mütter.«
Den beiden Alten gefror das Blut in den Adern.
Leute von der Leibwache des Fürsten führten die beiden Knaben nach einem Rasenplatz zwischen den Schenken. Der Fürst und die Senatoren folgten.
»Und so auch ich,« erzählt Wuk Wertschewitsch. »Ganz Cetinje sammelte sich rundum. ›Eine Sünde!‹ riefen die Menschen. ›Es ist himmelschreiend.‹ ›Unerhört – dieser Trotz!‹ – Man scharrte einen Kreis ins Gras, doppelt so groß wie eine Dreschtenne. Die Wache reichte den Kämpfern ein Paar gleiche Jatagane, blitzblank und scharf wie Glas. Der Fürst ordnete an: sie dürfen nur einmal aufeinander los. ›Daß ihr es wißt, Bursche: wenn einer von euch sich untersteht, nochmals anzugreifen – den laß ich augenblicks niederknallen.‹
Sie nahmen Stellung, jeder mit der Waffe in der Faust, und maßen einander eine Sekunde. Beide entschlossen, keiner zuckte.
Immer noch sprachen die Alten auf sie ein:
›Willst du deinem Vetter die Hand reichen, Stanko?‹
›Morgen, wenn ich bei Leben bleibe. Heute nicht.‹
›Dann also,‹ entschieden die Väter und sprangen dazwischen – ›wenn es soweit kommen muß, zum Schlagen: küßt einander wenigstens vorher und verzeiht euch gegenseitig das vergossene Blut, damit wir Alten es nicht rächen müssen.‹
Sie tauschten Kuß und Handschlag und nahmen wieder Stellung. ›Halt dich brav!‹ bellten sie einander zu. Und lagen im Geraufe.
Schon hatte Jokasch einen Hieb sitzen in der linken Schulter – das Gelenk klaffte bis auf die Knochen.
Dem andern, Stanko, rann es schwarz, im Strom rechts aus der Brust. Er knickte ein. Sank. Fühlte sich sterben, wollte zur Pistole greifen, um den Vetter mit hinüber zu nehmen …
Die Leibwache fuhr rechtzeitig darein.
Man trug beide – Stanko und den andern – ins nächste Wirtshaus. Die Väter – das Volk – die Frauen besonders – jammerten und schrien.
Es war damals in Cetinje ein berühmter Wundarzt, Marko Ilinkowitsch – ich glaube, ein Cattariner. Er machte sich zuerst an Stanko, um ihn vielleicht noch zu retten.
›Wirst du es vermögen?‹ fragte der Vater, bebend von tausend Ängsten.
Der Arzt zuckte die Achseln, ›'s ist eine ungewöhnliche Wunde. Drei Rippen durch und durch. Man sieht das Innere des Brustkorbs. Das Innere, scheint mir, ist heil. Sondern bringt rasch drei Maß Weißwein!‹
Stanko liegt auf dem Rücken – und der Arzt schüttet ihm die ganze große Kanne Wein in die offene Brust – wie in ein Faß.
Dann packt er an und wiegt den Kranken rechts und links, als gelte es, das Faß auszuspülen. Endlich neigt er ihn vorwärts und läßt den blutigen Wein wieder ausrinnen.
›Noch drei Maß – aber gestrichen voll!‹ – Und er wiederholt das ganze Verfahren.
Als der Wein nun nicht mehr so dunkel kommt, schnürt der Arzt die wunde Brust derb in einen Riemen, bis sich die Ränder schließen. Mit einer Nadel – drei für einen Kreuzer – und Schusterdraht näht er zu, schmiert mit einer Hühnerfeder Balsam hin und legt einen Lappen darauf, der mit irgendwas Weißlichem getränkt ist.
›So bleibt mir der Junge bis Abend liegen,‹ bestimmt der Arzt. ›Dann werde ich sehen, ob ich ihn durchbringe.‹
Hierauf befaßte er sich mit Jokasch.
Als Marko Ilinkowitsch am Abend wiederkam, fragte er:
›Stanko! Hörst du mich? Willst du Wein oder Schnaps?‹
›Schnaps.‹
›Hallelujah – nun gehörst du mir.‹ – Er beugte sich mir zu und erklärte:
›Wissen Sie, ich schone meine Patienten nicht. Wer die Behandlung übersteht, genest. Und wer sie nicht aushält, um den ist nicht schade.‹
– – – Stanko war nach zwei Wochen gesund; bei Jokasch dauerte es zwei, drei Monat.
Dann berief der Fürst beide, auch die Väter, in die Billarda. Im Angesicht des Senats küßten sie einander und söhnten sich feierlich aus.«