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Xaver Šandor-Gjalski nacherzählt
Wir hatten die Jagd abbrechen müssen; die Hitze war so arg, daß sie allen Frohmut und alle Kräfte lähmte. Durchtränkt von Schweiß, mit ausgedörrten Kehlen nahmen wir im Sturm die Laube der erstbesten Straßenschenke, ließen uns auf die Bank fallen, dehnten die ermatteten Glieder und riefen nach Wein. So trüb der Wein und sauer er war – vor allem leerte jeder von uns ein derbes Glas bis auf den letzten Tropfen. Die Förster und bäuerlichen Jäger setzten sich zu uns. Die Meute, ausgepumpt und abgehetzt, suchte nicht erst nach Schatten, sondern in den prallsten Sonnenschein sank sie hin und bleckte flankenschlagend die schleimigen Zungen.
Über ein Kleines kam angenehmste Erholung über uns. Obergespan v. Batoritsch verteilte den Mundvorrat aus dem Schnappsack, der Domherr schaffte irgendwoher Fleisch herbei, und der Richter hatte in einem versteckten Fach der Schenke ein paar Flaschen Sauerwasser aufgestöbert.
Da war Hitze und Müh vergessen. Was scherten uns die vielen Fliegen noch, was Staub und Schwüle! Es hob die Stunde wohligen Schwatzes an, mündlicher Historiographie der eben erlebten Jagd, süße Faulheit des Sommertages. Behaglich blickten wir in die Landschaft, den Sonnenglast, der uns umspann – eine Welt von Licht. Wir mußten schmal die Augen schließen. Der Himmel ein einziges Blau – nur tief an der Kimmung zitterte violetter Dunst. Kein Lüftchen regte sich, kein Blatt, kein Halm im Gras. Ein einziger Sperling hüpfte auf der Straße, und ein feines Wölkchen stieg davon auf wie Spinngewebe. Irgendwo brüllte verloren eine Kuh. Oder sind es Wespen, die über dem Dach summen?
Da erhebt sich in der weißglühenden Stille dort am Ende der Straße eine Staubfahne. Fernes Wagenrattern, unklar wie weitweites Wettergrollen – immer deutlicher – endlich unterscheidet man Kutscherflüche im Maisfeld, Räderknarren, dumpfe Hufe. Das Echo der Haine gibt den Lärm doppeldreifach wieder. Den Schwaden nach und dem Geschrei muß es eine ganze Lastenkolonne sein. Schade – die Knechte werden unsre Einsamkeit stören.
Doch als Getue und Wirbel näherkommen, merkt man erst, daß es ein einziges Gespann ist – ein Leiterwagen, himmelauf getürmt mit Hühnerkäfigen, Sack und Pack. Auf dem obersten Hühnerkäfig hocken zwei zerlumpte Bauernjungen. Zwei Pferde sind an die Deichsel gespannt, eins geht vor der Bracke; auf dem Spitzenpferd reitet ein bejahrter Mann, der weitausholend die Peitsche schwingt und mit geschwollenen Scheltreden die Pferde antreibt. Er sieht wild genug aus, der Reiter – als käm er aus dem tiefsten Morgenland; trägt eine übergroße, spitze Pudelhaube, ein offenes, schmutziges Hemd, weite Tuchhosen und Schaftstiefel mit ungeheuern Landsknechtsporen. Am wunderlichsten aber: an der Hüfte des Reiters baumelt ein riesiger Krummsäbel an einem Wehrgehenk von Stricken. Wir sehen verwundert den Aufzug näherkommen.
Vor der Schenke pariert der Reiter, daß sich das arme Tier zusammengerissen fast auf die Hacken setzt – und er steigt umständlich aus dem Sattel, einem hohen altungarischen oder gar türkischem Bock.
Uns in der Laube schenkt er keinen Blick; geht um den Wagen, prüft wichtig Lehnnägel und Radbüchsen, dann die Gäule einzeln, hebt Huf für Huf und untersucht die Eisen. Ein Nagel muß fehlen. Ah, als er es gewahr wird, da stößt er eine ellenlange Verwünschung aus. »Wenn mein Großvater noch lebte,« ruft er, »prügeln täte er dich, du Gauner von einem Schmied, bis dein verfluchtes Fell lohgar wär am lebendigen Leib. So eine Schluderarbeit! Aber zahlen – zahlen läßt du dir, du Kerl, vom gnädigen Herrn!« Und er läuft tiefgebückt des Wegs zurück, um den Nagel zu suchen. Natürlich findet er ihn nicht.
Als er nach ein paar Minuten wiederkehrt, ist sein Zorn verraucht. Mit großen Gesten holt er ein Schaff aus dem Schragen, schöpft mit überflüssiger Kraftanstrengung Wasser und tränkt die Pferde. Dabei schmeichelt er den Gäulen und beschimpft sie in einem Atem – nur das Spitzenpferd, auf dem er ritt, verschont er mit Grobheiten. Ihm tätschelt er die Ganaschen. »O du mein eigensinniges Schweinchen,« zärtelt er, »durstiger Trunkenbold, du alter Frosch!« Wir erfahren bei dieser Gelegenheit den Namen des eigensinnigen Schweinchens: es heißt Bucentauro.
Als er fertig mit dem Tränken ist, holt er ein mächtiges Felleisen aus dem Wagen – offenbar ist alles bei ihm gigantisch. Aus dem Felleisen quellen gebratenes Geflügel, Kuchen, Brot und die langen Schweife von Schalotten. Mit einem groben Taschenveitel bereitet er sich zum Mahl vor, und als wollt er einen Ochsen schlachten, krempelt er die Ärmel auf, langt weit aus, knirscht mit den Zähnen und schneidet tief in die Keule des Truthahns. Er schmatzt so laut, daß wir ihn über die Straße bis in die Laube hören. Welche Selbstgefälligkeit ist in ihm und gibt sich in jeder Gebärde kund!
Die Bauernjungen auf ihrem hohen Sitz sperren die Münder auf. Den Eingeweiden des Wagens ist ein kleiner, scheckiger Kläffer entschlüpft, der gierig, keinen Blick vom Esser, jaulend auf den Leiterholmen trippelt.
»Ei – auch sie möchten fressen!« grollt der Mann und lächelt, immer majestätisch, voll der Gnaden, und wirft den Rangen einen Knochen zu der rasch verzehrten Keule. Dem Hund, der auf den Säcken bis zu ihm heranscherwenzelt ist, reicht er eine Schnitte Brot. »Seht den Geizhals!« denke ich mir – da holt er schon zwei tüchtige Braten aus dem Felleisen.
»Habt ihr den Knochen abgenagt?« fragt er rauh die beiden Knaben.
»Wir danken Euer Gnaden ergebenst – ja,« antworten sie verschmitzt-demütig.
»Na, dann ist's gut. Da habt ihr!« Er wirft ihnen die zwei großen Bratenstücke zu und predigt: »Nur, wer das Kleine ehrt, ist des Großen wert – so lehrte unser Erlöser Jesus Christus.« Dabei lupft er die Bärenmütze und verneigt sich, weiß Gott warum, nach Süden. »Jesus reichte dem heiligen Petrus die Kirschen einzeln, um ihm diese Wahrheit einzuhämmern.«
Immer blieb er seinem Wagen zugewandt und tat, als sehe er uns nicht; grub aus dem Stroh ein kleines Fäßchen, entkorkte es vorsichtig, legte sich hintenüber und trank in vollen Zügen. Man sah den Wein durch seine Gurgel glucksen.
»Ah, ah,« räusperte er sich, »revera erat valde bonum.« Er rief es laut – damit wir ihn auch hörten; schüttelte sich zufrieden, trocknete die Lippen mit dem Ärmel und teilte vorsichtig den Schnurrbart wieder. »Da, trinkt auch, ihr Rangen! Aber nicht länger, als ich bis zehn zähle – sonst … seht euch den Peitschenstiel an!« Wirklich zählte er, während die Kinder tranken, langsam vor. Endlich zog er vom Wagensitz einen langen, zerschlissenen Rock und schlüpfte darein.
»Du, kleiner Iwo, tränk mir die Truthühner und Gänse! Ich gehe unterdessen ein wenig in die Schenke, um etwas zu nehmen; sonst meint der Trottel von Wirt, ich wär ein Knicker.«
Er kehrte sich plötzlich nach uns um und spielte den Überraschten. Kam mit großen Schritten über den Weg, breit und sonngebräunt. Nun konnte man ihn erst recht betrachten: er hatte langes, hellblondes Haar – und kleine Äuglein wie ein Elefant; mochte an die fünfundvierzig zählen.
»Servus humillimus, inclytae dominationes!« grüßte er überlaut und heiser – legte die Hand an den Säbelkorb und schlug die Hacken zusammen, daß die Sporen klirrten. Zog groß die Kappe und verneigte sich barhaupt tief nach allen Seiten.
»Was Teufel! Sie sind es, mein lieber Gildo?« rief Herr v. Batoritsch. »Unterwegs bei dieser Hitze?«
»Ich küsse die Hände, illustrissime domine! Auch ich habe Sie nicht gleich erkannt. Geruhen Exzellenz es zu entschuldigen. Sieh da, lauter Freunde! Servus humillimus, teurer reverendissime! Ergebenster Diener, spectabilis domine!« Es zeigte sich, daß er mit all den Herren schon irgendeinmal zu schaffen gehabt. Mich kannte er nicht und stellte sich mir feierlich vor:
»Ich bin der nobilis et quondam dominus terrestris Ermenegildus Zintekk ab Wutschja Goritza, Herr auf Ferfrekowetz et Wugrowo Polje, Besitzer eines Hauses in Warasdin und etlicher Wiesen in Sutla, Ehrenprotokollführer der hohen Warasdiner Gespanschaft, Mitglied der landwirtschaftlichen Zweigstelle in Kreuz.«
Batoritsch fragte ihn nach Ziel und Zweck der Reise.
»Heißen Dank der Teilnahme – und Handkuß, illustrissime domine! Ich fahre nach Agram, Geflügel verkaufen. Und weißt du, warum, reverendissime? Man verlangt Abgaben von mir. Man hat alle daemones auf mich losgelassen – Geldstrafen für Stempel, Tabakgefälle und weiß Gott was. Denkt euch: sogar Steuer soll ich zahlen – dafür daß mir mein Vater das Gut hinterlassen hat! Um des Himmelswillen, was für eine Steuer? Ich – für etwas zahlen, was von jeher der Familie gehört hat? Das können sie von Kaufleuten verlangen und Juden, aber nicht von mir, dem bodenständigen Grundherrn. Doch ich lasse mich nicht beleidigen und erniedrigen. Ich gehe zum Rechtsanwalt – und wenn ich ihm alles Geld hingeben müßte, das ich für die Truthühner bekomme: ich werde mit privilegiis und Dokumenten beweisen, daß mein Geschlecht adlig und daher steuerfrei für ewige Zeiten ist. Beinah hätten sie mir meinen Bucentauro gepfändet – ich habe den Steuereinnehmer kaum mit Bitten erweichen können, und … meine Frau hat ihm den Wagen vollgeladen mit Kartoffeln und Gänsen … Ja, ja, so lebt man heutzutage, wo der Staat selbst in Unordnung ist.«
»Lassen Sie den Staat, Gildo – und trinken Sie lieber einen Schluck mit uns,« unterbrach ihn Herr v. Batoritsch.
»Schönen Dank – mit Vergnügen. Ihre Gesundheit, illustrissime – und auf das Wohl der übrigen hochmögenden und wohledeln Herren!« Gildo leerte bis auf die Nagelprobe ein Glas, das ihm der Richter dargereicht hatte.
»Uh, der Wein taugt ja nichts. Meiner ist besser. Wenn die Herrschaften gestatten, will ich Ihnen meinen kredenzen.« Er eilte nach dem Wagen und schleppte sein Fäßchen herbei und das riesige Felleisen. Stolz und freudig breitete er die Schätze des Felleisens vor uns aus und füllte unsre Gläser bis zum Rand. Jäger sind dankbare Genießer – und so wiesen wir auch jetzt Zintekks Freigebigkeit keineswegs zurück. Er war ganz selig, als wir seinen Wein lobten und mit augenscheinlichem Behagen die Zehrung wegputzten.
»Was wird dir für die Reise bleiben?« fragt der Domherr, indem er aufs neue in den Vorrat griff.
»Keine Sorge um mich! Ich gehe nicht mit leeren Händen in die Welt. Im Wagen habe ich noch viel andres – wenn du willst, für fünf Tage. Ich halte mich an die alte Art; gehe in kein Wirtshaus. Da vertut man nur sein Geld und vergiftet sich mit Schlangenfraß. Trinken Sie nur meine Herren! Belieben Sie, Kuchen zu nehmen – er ist gut! Ich empfehle mich dem gnädigen Wohlwollen der Herren. Vivant, crescant, floreant!«
Gildo kippte begeistert das Glas, indem er streng verlangte, daß wir andern desgleichen täten. So kam nach dem ersten Fäßchen die Reihe bald ans zweite. Gildo sah wohl zwischendurch nach der Sonne und schien weiterziehen zu wollen … Doch er blieb. Er ist ja gewissermaßen Hauswirt – wie sollt er seine Gäste entlassen? Wahrhaft ärgerlich drohte er zuletzt der Sonne mit der Faust – einer kleinen Faust, als gehörte sie einer Frau – und wie Josua in Gibeon rief er ihr zu: »Stehe still!« Doch die Sonne kehrte sich nicht daran, glitt an den Rand der Berge nieder – während Gildo fleißig einschenkte, seinen Wagen vergaß, seine Truthühner, den Bucentauro und sich gewaltig dagegen sträubte, daß wir von ihm schieden. Er war schließlich windelweich geworden; mit Tränen in den Augen und gebrochener Stimme versicherte er uns seiner Freundschaft und Liebe – fuhr plötzlich zornig auf und beschimpfte den Schenkwirt:
»Den ›Herrn Zintekk‹ nennst du mich? Du hast mich ›Euer Gnaden‹ anzusprechen. Ich bin der perillustris ac generosus dominus – verstehst du? Glaubst du, Saujud, ich würde mit deinem Rothschild tauschen? Was ist er neben mir? Nicht einmal der Banus von Kroatien ist meinesgleichen: er irgend ein notiger Schwertadel, Soldatenbaron – und ich: nobilis Zintekk ab Wutschja Goritza. Wär ich auf dem Gymnasium über die Grammatik hinausgekommen … Doch wozu soll mir das blödsinnige Kauderwelsch? Ich brauch dergleichen nicht. Nur mehr Glück müßte ich haben und wäre Banus von Kroatien – aber nicht einmal unser apostolischer König und kein heiliger Petrus kann aus dem Banus einen Zintekk machen. Er zeige mir, der große Banus und Exzellenzherr, wenn er kann, einen adligen Säbel, wie ich ihn von meinen Ahnen und Urguckahnen trage! Edelleute macht man eben nicht auf Regimentsschulen und Gymnasien, ›Edelleute werden geboren‹ – das ist eine alte Wahrheit, die habe ich von meinem seligen Herrn Vater oft genug gehört.« – Und Gildo schlug sich stolz in die Brust und blies gewaltig die Backen auf.
Als wir endlich doch aufbrachen, mußten wir ihm fest versprechen, ihn in Ferfrekowetz zu besuchen.
»Die Herrschaften werden eine Unmenge Hasen bei mir finden; ich weiß mich ja der Hasen gar nicht mehr zu erwehren. Ich selbst bin kein Schütze, nie einer gewesen – und das heckt und heckt – ich sage euch: man stolpert darüber. Rebhühner, Trappen, Enten gibt's nirgends so viel wie bei mir.«
Gern sagten wir ihm da für einen der nächsten Tage zu.
»Nein, nein, entschuldigen die Herren! In den nächsten Tagen geht es nicht. Weiß Gott, wie lange ich in Agram werde bleiben müssen – man hat soviel mit den Ämtern zu tun, der Steuer. Dann eine Tagfahrt in Warasdin: der Nachbar wollt ein Fenster in meine Mauer brechen, auf meinem Hof – und ich opponiere. Wieder ein paar Tage später ist zu Hause Reposition: hat da solch ein verruchter Bauer meine Wiese angeackert. Und irgend ein Vieh von Kaufmann verklagt mich wegen einer angeblichen Schuld, lausiger zwanzig Gulden – ich habe anderthalb Teufel Arbeit mit ihm; will's ihm nicht leicht machen, zu seinem Sündengeld zu kommen, dem Pharisäer, dem Ischariot. Über all das soll ich eine taube Vettel in ihrer Ehre gekränkt haben … Und der Nachbar verklagt mich, weil ich ihm eine Kuh erschlug. Belang ich wieder ihn wegen Feldschadens …«
»Hörst du nicht endlich mal auf?« unterbrach ihn der Richter. »So viel Prozesse?«
»Laß gut sein! Auch zu dir, Herr Richter, werde ich dieser Tage müssen: zwei, drei Bauern sind mir Bergzins schuldig – und der schläfrige, faule Notar hat noch nicht Kontrakt mit mir gemacht …«
»Schön. Wann also erwartest du uns zur Jagd?«
»Am liebsten nähme ich die Herrschaften gleich von der Stelle mit – das können Sie sich denken. Aber das verfluchte Steueramt mit seiner Gebühr … Wartet einmal! Jetzt kommt die Grummet – das Maisbrechen – dann Buchweizenschnitt … Und alles muß ich allein ernten, meine Herren! Auf niemand kann ich mich verlassen. So ist das heutzutage. Leicht hat mein hochseliger Vater gewirtschaftet mit seinen Zinsbauern, Schaffnern und Hegern. Doch um wieder auf den Besuch zurückzukommen: nach dem Buchweizen ist Weinlese. Kommt also zur Weinlese! Bis dahin bin ich hoffentlich fertig mit der Steuersache. Es muß ja doch auch einmal Ordnung werden im Staat. Der gräflich Erdödysche Verwalter hat mir erzählt: in Wien kommt ein neues Gesetz heraus, daß der Adel wieder steuerfrei wird wie einst; dann müssen die Federfuchser in Agram kuschen.«
»Zur Weinlese? Valde bene,« rief Batoritsch.
Wir schüttelten einander die Hände. Gildo suchte uns immer noch zurückzuhalten – wir sollten warten, bis auch er aufbräche. Längst war der Mond emporgestiegen, Abend lag ob dem Gefilde. Zintekk weckte mit der langen Peitsche die Jungen auf dem Wagen, bestieg seinen Bucentauro – und mit gewaltigem Getöse, wie er gekommen war, zog er von dannen. Gleich einem Dampfer schlingerte der Wagen, und Räderknarren störte die Nacht in ihrem Schlaf. Als der Wagen weit verschwunden war, hörte man noch Zintekks Grollen und Fluchen, bis erhabene Stille wie ein Vorhang über die Groteske fiel.
Zur Zeit der Weinlese kommt auf das Gut des Obergespans v. Batoritsch ein Jüngelchen aus Ferfrekowetz, barfuß und zerlumpt. In einer Hand trägt der Bote einen mannshohen Stecken – in der andern einen ebenso ungeheuern Brief mit fünf Siegeln, fünf Wappen der »nobilis familiae Zintekk ab Wutschja Goritza et eadem«. Weder dem Diener noch dem Schaffner will er den Brief abgeben, sondern ganz allein dem Herrn supremus comes zu eigenen Händen – das hat ihm sein Herr gebieterisch eingeschärft. Ein vergilbter Halbbogen, der offenbar aus einem Register oder einem Gerichtsurteil gerissen ist, weist folgende Epistel Zintekks auf:
»Illustrissime domine!
Domine nec non protector ac amice gratiosissime!!
Dieweil bei mir auf dem mir besitzthümligen Allodialweinberk in den Klemenitzer Hügeln, zugehöhrig der Zintekkischen Herrschafft, id est meinem adligen Gut Wugrowo Polje, die Weinlese auf den Tag des Heiligen Candidatus, und zwar den dritten mensis octobris angesetzt wurde – (in parenthesi: in den Ferfrekowetzer Weinbergen, wohin ich die Herrschafften am freundliebsten gebeten hätte, habe ich die Lese noch nicht anordnen können, massen die Leute in jenem Gebiht sozusagen verrükt geworden sind und zu den Agramer Bürgern auf Arbeit gehen, ich aber, ihr ehemaliger Grundherr, ohne Taglöhner bin!) – also nahe ich mich Eurer Exelenz, illustrissime domine, domine gratiosissime, mit der unterthänigsten Bitte: Eure Exelenz, ingleichen die übrigen H. H. Herrschafften – und auch andre gäste seyen mir hochwilkommen – mögen geruhen, mich in erwähntem Weinberk, wie ausgemacht, mit Ihrem Besuche zu behehren. Wohl ist ein Spanferckel für den Spiß bereid, und wird es keineswegs der Thruthennen ermangeln, sowie wir in irgendeinem Kellergen alten Wein aufzutreiben gedenken, ob auch der schwartze Kater darauf sizzen mag – auf das man in octavis singen könne: ›Kommt der Heilige Michel, last uns Drauben essen und picheln!‹
Gnad und Verzeiunk für meine fellerhafte, ungelenke Schrifft, allein ich bin ein Mann vom Pfluhg, und so etwass ist nicht meines Amtes. Nun meinen alerunterthänigsten Hantkuß, und allen andren hochmögenden und liebwerten Herren Herren Nachparn und Gönnern mein aufrichtiges und freuntschaftliges valeant! Eurer Exelenz aber zeichne ich mich als Ihr humillimus nec non fidelissimus servus
In curia nobilitaria Ferfrekowetz ante festa Sti. Michaelis.
Ermenegildus nobilis Zintekk ab Wutschja Goritza
et caetera etc.
Postscriptum: Auch bittet um Antword durch selbigen Botenjung der alerunterthänigst Opgezeichnete.«
Herr v. Batoritsch sagte natürlich für uns alle zu, ohne uns erst zu befragen.
Am angesagten Tag war auch niemand ausgeblieben. Unsre Jagdgehilfen fuhren vor Morgengrauen mit den Koppeln voraus. Da Zintekk seiner eigenen Aussage nach nie gejagt hatte, erhofften wir uns erkleckliche Beute.
Ein weiter Weg. Dennoch standen wir schon gegen sieben auf den Klemenitzer Hügeln, dem Zintekkschen Weinberg gegenüber. Der Gastgeber nirgend. Die Sonne war hochgestiegen und strahlte in einen frischen, tauglänzenden Herbsttag. Während wir noch Rats pflogen über den ersten Trieb, schmetterte auf dem Berg drüben ein Horn. Erstaunt sahen wir dahin. Da stand hoch oben Ermenegildus und blies aus Leibeskräften. Wehe, er verscheucht uns das Wild! Bald sammelten sich um ihn Leute mit Schaffen, Butten und Körben. Nun wußten wir: er hatte seine Leser zusammentrompetet. Als er sie nieder in die Weinspaliere führte, erblickte er uns. Sofort ließ er die Arbeiter sein und brüllte aus vollem Hals: »Die Böller! Schieß, Iwan, schieß!« Über ein Kurzes dröhnten die Böller, daß Gott erbarm.
Nun erst kam Zintekk uns mit großen Sprüngen entgegen, und schon aus vielhundert Schritt Entfernung begann er uns zu versichern, wie glücklich er über unser Kommen sei. Knapp vor uns nahm er Haltung an und hielt eine ›peroratio‹ – die mußten wir geduldig anhören. Bis drei oder vier sollten wir uns nach Gefallen vergnügen – dann aber sei Mahlzeit im Winzerhaus. Er selbst werde bei den Arbeitern bleiben.
»Alles wimmelt von Wild,« rief er uns noch nach. »Man stolpert darüber.«
Im ersten Trieb: kein Löffel, kein Federchen. Es mag an den Böllern liegen und dem närrischen Getute. Wohlgemut schlossen wir einen Kreis um den zweiten Hag, üppigen Jungwald. Hier muß es Wild in Hülle geben. Wir wanderten und klommen und streiften – die Hunde gaben keinen Laut – alles wie ausgestorben.
So haben wir noch fünf-, sechsmal vergeblich die Standplätze gewechselt; wateten durch Sümpfe, setzten über angeschwollene Bäche, erkletterten die steilsten Hänge: kein Löffel, kein Federchen.
Gegen vier kehrten wir nach dem Winzerhaus zurück. Zintekk in voller Arbeit. Er saß rittlings auf der Torggel und quetschte und preßte mit einem dicken Pfahl die Trauben und dampfte von Schweiß. Butte um Butte übernahm er von den Lesern und schüttete die Trauben in den Bottich. Auf jede Beere hatte er acht.
»Weidmannsheil!« schrie er. »Wie war die Strecke?«
Der Domherr lächelte … »Du fragst noch?«
»Nichts?? Hab mir's doch gleich gedacht,« erwiderte Zintekk. »Die vermaledeiten Bauern, Wilddiebe schlagen ja alles tot. Woher sollt es Hasen geben, wenn heutzutage, wohin du spuckst, eine Bauernhütte steht?«
»Aber,« rief der Domherr, »per amorem Christi – Mensch was hast du uns dann vorgefaselt? Jeden Schritt sollten wir über Wild stolpern.«
»Hochwürden! Über Wild stolpern!? Gibt's das irgendwo? Ist doch nur eine Redensart. Schließlich haben die Herren einen hübschen Spaziergang gemacht und werden bei Appetit sein … Hier sind die Spieße. Bald ist das Spanferkel gebraten.« Lieblicher Duft drang zu uns herüber. Mägde und Bursche mit riesigen Eßkörben auf den Köpfen kamen des Pfades. Zintekk sprang von der Torggel und gab wiederum das Zeichen zum Schießen.
»Die Leute sollen wissen, daß die Herrschaft zum Mittagessen geht,« schmunzelte er. Ungeheures Knallen rollte über Berg und Niederungen und hallte von den jenseitigen Hängen wider. Allüberall antworteten die Nachbarn, die Bauern mit Zuruf und Jauchzen.
Das Winzerhäuschen war eine Blockhütte von verwitterten Eichenbohlen, mit Stroh gedeckt. Das Türchen hatte eine altertümliche hölzerne Klinke. Zintekk hielt uns lange davor auf, damit wir die Klinke auch nach Gebühr anstaunten, und öffnete erst, als wir uns alle vergeblich an dem kunstvollen Mechanismus versucht hatten.
Stickige, dumpfe Luft schlug uns aus dem Halbdunkel entgegen. Die Wände waren mit Lehm beworfen, der Estrich gestampfter Lehm. Von den schwarzen Balken der Lage hingen Bündel von allerhand dürren Kräutern – Haufen von Bast, Weidenruten und morschen Pflöcken standen in den Winkeln. In der Mitte des Stübchens aber ein langer Tisch, sauber gedeckt. Müde nahmen wir daran Platz. Zintekk stieß die Fensterladen auf – und nun drang mit der hellen Sonne das bunte Um und Auf der Weinlese zu uns herein: das Muhen der Ochsen, Brummeln der Wespen, liebes Rieseln neuen Mostes, das Kreischen der Torggel, Scherzen und Lachen der Leser, ihr Gesang, beizender Rauch von den Feuern und Bratengeruch. Ein steinalter Bauer, einst Pandur bei Zintekks Vater und jetzt totum factum, humpelte von Spieß zu Spieß, wendete die Ferkel und Truthühner und beträufelte sie mit Fett. Zwei, drei Kinder verfolgten lebhaft jede seiner Bewegungen. Vor Staunen und Genuß rissen sie die jungen Augen kreisrund auf, und die lieben, kohlegeschwärzten Gesichtchen waren ganz gespannt vor Erwartung.
Wir, in süßer Ruh, saßen um den Tisch und sogen den appetitlichen Duft jener ›Gespanssuppe‹ ein, die zur Weinlese immer gereicht wird, Zintekk in eigener Person schöpfte sie mit der Geschicklichkeit eines Klosterkochs aus einem riesigen Topf.
Anfangs Schweigen in der Runde. Erst als Zintekk sein Glas erhob und uns begrüßte, kam das Gespräch in Fluß – und bald reihten sich die Trinksprüche unzählbar aufeinander. Beim Braten tranken wir schon zum drittenmal auf das Wohl der würdigen, noch unsichtbaren Hausfrau, die uns da so herrlich bewirtete.
Zintekk war in Verzückung. Dabei ließ er die Pflichten des Landmanns keineswegs außer acht, lief malzumal hinüber nach den Weingärten, fuhr lärmend unter die Arbeiter und ermahnte immer wieder den Schaffner: »Singen sollen die Leute und pfeifen, aber nicht naschen!« Stets behielt er eine finstere Miene bei gegen die jungen Leser und Leserinnen, seine frühern Untertanen – doch brachte er ihnen mit eignen Händen ein Schaff Most von der Torggel, damit sie ihre Kehlen anfeuchteten. Sie sollten aber die Gnade und Wohlgeneigtheit des Herrn beileibe nicht dahin deuten, daß es keinen Unterschied mehr gebe zwischen Edelmann und Bauer. Verschämt drückten sich die Mädchen an der Tür herum und flüsterten; nach kurzem Beraten sangen sie im Chor ein hübsches Lied. Vom nächsten Weingarten tönte die Antwort – und so wurde es ein lustiger Sängerkrieg im herbstlichen Spätnachmittag.
Feierabend. Herr v. Batoritsch erhob sich zur Heimkehr. Da fuhr Zintekk so erschreckt auf, als hätten wir seine schönsten Pläne zerstört.
»Wie?« rief er. »Die Herrschaften fühlen sich also nicht wohl bei mir? Dann habe ich Ihre Wünsche nicht erraten. Sie werden doch nicht gehen wollen? In Ferfrekowetz erwartet uns meine Frau zum Abendessen.« Er ließ keine Einrede gelten – wir mußten über Berg und Tal nach Ferfrekowetz. Zintekk war ganz glücklich, uns führen zu dürfen.
Auf dem mondbeschienenen Hügel saß windschief und niedrig ein altes Landhaus von Holz. Ein halsbrecherischer Steig führte hinan. Von weitem schon sah man Herdflammen lodern, eine ganze Schar Mägde aufgeregt hin und hereilen. Zintekk rannte voraus und pfiff seine Frau hervor, sie erschien alsbald auf der Schwelle und wischte sich verlegen die Hände in ihre Schürze.
»Da – Seine Exzellenz ist gekommen und die andern hochmögenden, wohledeln Herrschaften, um unser armseliges Dach zu beehren. Verneige dich!« herrschte Zintekk seine Frau an. Sie verneigte sich verwirrt und streckte schüchtern mir die Hand entgegen.
»Was fällt dir ein, ungeschicktes Ding? Mit Seiner Exzellenz mußt du doch beginnen,« schmähte Zintekk. Die Frau wurde noch verwirrter. Zintekk durchschnitt sie mit einem Blick und erbleichte vor Zorn. Flugs huschte er ins Haus und spähte mißtrauisch in alle Ecken – während die Frau reihum ihre schwielige Arbeitshand reichte.
Amelie, dieser magere, ausgemergelte Wurm, hatte einst bessere Tage gesehen, wie mir der Domherr erzählte. Sie war eines hohen Beamten sechste oder siebente Tochter, war sogar im Institut erzogen. Und als Zintekk einst vor Jahren ›in plena publica forma‹, in silberverschnürtem Festrock, mit einer Truthahnfeder auf der Mütze, mit Krummsäbel und Sporen, um Amelie freite, erhielt er sie nur, weil sie schon über die erste Jugend beträchtlich hinaus und ohne Mitgift war. Die Arme hatte in ihrer Ehe nichts zu lachen. Wenn sie sich auf ihre Kenntnisse – die deutsche Sprache – etwas eingebildet haben sollte – Zintekk wußte ihr den Hochmut gründlich auszutreiben. Er unterjochte sie wie ein asiatischer Despot. Sie blieb kinderlos; stündlich warf er ihr vor: sie lasse das große Geschlecht der Zintekk absichtlich aussterben, und wurde nicht müde, darüber zu jammern und zu geifern. Auf dies eckige, geplagte Geschöpf war er auch noch maßlos eifersüchtig, weil … ja, weil sie Klavier spielte. Ein Weib, das Klavier spielt, hatte nach seiner Meinung ein ›weites Herz‹ und war aller Schlechtigkeiten fähig.
Wir traten ins Zimmer. Eine große Petroleumlampe beleuchtete es. Unkenntlich braune Bilder an den Wänden, an der Stirnseite ein tiefer Lederdiwan – und darauf sitzt … Zintekk traut seinen Augen nicht: auf dem Diwan sitzt ein städtisch gekleideter junger Mann. Grimmig und betroffen tritt Zintekk drei Schritt zurück, erbleicht und richtet einen Othelloblick auf seine Frau.
»Wer ist das?« haucht er, und seine Äuglein flackern unheimlich. Er donnert: »Bin ich euch endlich auf die Spur gekommen?«
Der junge Mann hat sich erhoben und spricht ernst:
»Ich bin der königliche Offizial Gawran. Bin wegen der Steuer gekommen … Sie wissen …«
»Wa…s?? Sie wollen pfänden?« stammelt Zintekk. Doch schon hat er sich gefaßt. Die Eifersucht schlägt in Zorn um. Er beginnt den Offizial furchtbar zu schmähen – die Ämter, die Regierung, den Staat, Unordnung und Welt. »Wie dürfen diese Hochverräter, diese Verbrecher Steuern von einem Edelmann verlangen? Bei Gott und dem Ehrenwort eines Edelmannes: ich werde nicht zahlen – niemals, keinen Kreuzer – und wenn man mir die lebendige Haut vom Rücken schindet!«
»Gut,« antwortet der Offizial gelassen. »Die Kommission kommt und wird die Getreide- und Weinvorräte aufnehmen … Der Herr Vorstand hat angeordnet, daß keine Frist zu gewähren ist. Die Direktion hat lang genug Geduld mit Ihnen gehabt.«
»Ja, ja man will mich vernichten, weil Zintekk für die alte Ordnung im Staate kämpft. Er ist den Herren Beamten gefährlich und unbequem – man muß ihn umbringen, so bald wie möglich. Aber Gildo von Zintekk fürchtet sich nicht.« Er schlug mit der Faust auf den Tisch, daß die Stube wackelte. Dann fuhr er auf Amelie los: warum sie ihm nicht Botschaft nach dem Weingarten geschickt habe, daß Pfändung im Haus ist. Sie suchte ihn zu beruhigen, bat den Offizial mit gerungenen Händen, er möge entschuldigen, daß sich ›der Herr‹ so benehme – es sei ihm Unrecht mit der Gebühr geschehen … Zintekk schritt unterdessen mit langen Schritten unruhig um den Tisch.
»Ist das Abendessen fertig?« fragte er plötzlich.
»Längst.«
»Laß auftragen! Auch der Herr Offizial wird mit uns speisen. Zieren Sie sich nicht! Man kommt nicht in ein kroatisches Herrschaftshaus, um ungesättigt wegzugehen und ohne einen Tropfen Wein. Sie bleiben! Ich habe ja nicht Sie verletzen wollen, Ihre ehrenwerte Persönlichkeit. Sie sind nicht schuld. Man befiehlt Ihnen – und Sie müssen gehorchen. Dienst ist Dienst. Ich weiß das – auch ich bin Ehrenprotokollführer … Ich ärgere mich nur über eure verruchten Gesetze. Aber damit wird es bald ein Ende haben. Es wird tabula rasa, Ordnung im Staat – hat mir gestern der Verwalter von Erdödy gesagt. Noch einen Monat, und wir bekommen wieder unsre cassam domesticam bei der Gespanschaft, wie es ehedem war – der Adel wird keine Steuern mehr zahlen.«
Als hätte der Gedanke daran, die Aussicht Zintekk im Augenblick ausgewechselt – seine gute Laune war wiedergekehrt. Bei Tisch lustiges Plaudern und Lachen. Man hätte alles eher denken können, als daß jener Herr, der neben dem Hauswirt saß, gekommen war, um Rinder und Pferde aus dem Stall zu pfänden. Zintekk freundete sich immer inniger mit ihm an, und bald bot er ihm die Bruderschaft. Da durfte man nicht aus gewöhnlichen Gläsern trinken. Er ließ altertümliche, große Becher bringen und hielt eine Rede auf den Offizial: von der Heiligkeit der Freundschaft, von Liebe und Sympathie, die der Fremde in Zintekks Busen sofort entzündet hätte – von dem alten Edelsitz Ferfrekowetz, der so liebe Gäste aufgenommen – und so weiter. Mit verschränkten Ellen leerten sie die Becher, umarmten und küßten einander dreimal.
Mitternacht. Der Domherr mahnte zum Gehen.
»Quod non!« rief Zintekk. »Wir werden vorlieb nehmen, wenn's auch eng ist. Ferfrekowetz muß, Gott sei Dank, seine Gäste nicht in die Nacht stoßen.« Und die Hausfrau eilte, um Betten und Stroh für uns zu bereiten: für Exzellenz und den Domherrn im Schlafzimmer, für uns andre im Eßsaal. Nur der Offizial nahm trotz allen Protesten Zintekks schwer benebelt Abschied. Als sein Wagen in das Dunkel knarrte, da schlug sich Zintekk gröhlend auf die Schenkel und rühmte sich: wie er mit seinem Schlaukopf den Kerl hineingelegt hätte …
Es war ein Türenschlagen und Räumen in Ferfrekowetz, ein Tellerklappern und Panschen, ein Schnarchen die liebe Nacht. Lang vor Morgen meldeten sich die Hähne, ein Fohlen brach aus und galoppierte im Hof. Bald tauchte draußen Zintekk auf im Nachtgewand und weckte laut die Mägde. Die eine trieb er in den Stall zum Melken, die andre in den Hof zum Viehfüttern, die dritte irgendwohin ins Dorf. Ich sah durchs Fenster, wie er, barhaupt im Hemd, nach dem Wetter ausblickte und den letzten Sternen.
Früh erhoben wir uns, und schon war Zintekk da, um uns zum Frühstück zu laden. Nun aber trug er einen langen Mantel, war mit dem Säbel gegürtet, und aus der Brusttasche guckte ein Pistol.
»Ich gehe zu den Bauern, den Bergzins eintreiben,« sagt er. »Sie haben vor Michaeli geerntet – und keiner läßt sich blicken. Da werde ich sie mal an die Herrschaft erinnern; sonst saufen sie den Most, und ich habe das Nachsehen.«
»Aber wozu Pistole und Säbel?«
»Weil ich gleichsam auf Pfändung bin. Man muß den Leuten ein wenig Furcht einjagen. Ich sehe streng auf meine Rechte.«
»Und der Staat, mein Lieber?« sagte der Domherr lachend. »Sollt er es mit dir anders halten?«
»Also auch Sie, reverendissime,« erwiderte Zintekk schmerzlich. »Auch Sie billigen es, wenn man meine Vorrechte antastet.«
»Mensch,« rief Herr v. Batoritsch, »nimm doch Vernunft an: der Staat baut Eisenbahnen, Telegraphen …«
Er winkte verächtlich ab. »Frühstücken wir lieber!«
Ich verlor Zintekk völlig aus den Augen. Gelegentlich hörte ich, er habe gegen die Pfändung protestiert. Als der Offizial wieder einmal ins Haus fiel, machte Zintekk ihn trunken und zahlte wieder keinen Groschen. Seine Eingaben ans Gericht ließ er ohne Stempel. »Die Vorschriften und Gesetze haben keine Giltigkeit, solang nicht Ordnung im Staat ist. Ergo obligieren sie den Edelmann nicht.«
Pfändung folgte auf Pfändung. Es verödeten die Stallungen, die Keller und Fruchtkammern – Zintekks Schuld aber minderte sich nicht: die Prozeßkosten fraßen die Erlöse. Selbst wenn Zintekk vom Sockel seiner klassischen Folgerichtigkeit hätte herabsteigen wollen und seines stählernen Trotzes – wenn er Gesetzbuch und die Rechtlichkeit der Steuern nun anerkannte: seinen unendlichen Verlegenheiten wär er doch nicht mehr entronnen. Es kam, was kommen mußte: eines Tages erhielt er den Bescheid, daß auf Antrag der königlichen Steuerdirektion all seine Habe versteigert werde.
Zintekk war außer sich. Er wollte den Steuerdirektor töten, das Vaterhaus in Brand stecken. Seine Freunde redeten ihm zu: er möge doch den Warasdiner Besitz und die Vorwerke verkaufen, die Steuern bezahlen … Vergebens flehte ihn seine Frau an, wenigstens sein Dach zu retten, um nicht in der Fremde sterben zu müssen, wo sie doch ohnehin nicht mehr lang zu leben hätte … Sie war nämlich seit einiger Zeit erkrankt. Sie und alle Nachbarinnen hielten es für Wassersucht – so stark war sie angeschwollen. – Zintekk hörte auf niemand. Er verschlang täglich zähneknirschend die Zeitung: ob sie denn immer noch nicht die Nachricht bringe, daß Ordnung sei im Staat und die Adligen keine Steuern mehr bezahlen müßten.
So kam der Schicksalstag. Zintekk erwartete ihn mit seinem Krummschwert in der Faust. Doch die Schätzleute erledigten ihr Geschäft in aller Ruhe: irgend ein Händler in Gemeinschaft mit seinesgleichen, einem Gastwirt aus dem nächsten Ort, erstand in der Feilbietung ›das adlige Zintekksche Gelände‹ – und Zintekk schlug weder mit dem Säbel drein, noch zündete er das väterliche Haus an, rächte sich auch nicht am Direktor. In den Pflaumengarten schloff er, hockte sich nieder und weinte – weinte still und bitter.
Aus seiner Verzweiflung riß ihn ein Dienstmädchen … Oh – er verstand sie gar nicht, sah sie nur dumm an und schüttelte den Kopf.
»Natürlich, natürlich – ich bin verrückt,« murmelte er. »Lauf zum Bader, damit er mir zur Ader lasse! Wie hätt ich auch den Verstand behalten sollen in solchem Ungemach! Niemand erhebt sich, um für mich einzutreten. Ich, der ehemalige Grundherr, verliere Hab und Gut – und diese Bestien, die freigelassenen Sklaven, die Bauern rühren keinen Finger. Ist das die Ordnung im Staat?«
»Aber, Euer Gnaden, ich bitte: die Frau fühlt sich nicht wohl – sie wird gebären. Kommen Sie doch!« ruft dringlich die Magd.
»Ist das dein Ernst?« Er läuft ins Haus, wo im ersten Zimmer der Richter mit eintöniger Stimme das Protokoll der Feilbietung diktiert; und hinten aus der Dienerstube piepst ein dünner, ungewohnter Laut – der erste Schrei eines Neugebornen.
Als Zintekk eintritt, findet er seine Frau ohnmächtig auf einem Stuhl, und die Bäuerin neben ihr hält ein kleines, schwächliches Kindchen im Arm.
»Da, Herr! Wir meinten, es wär die Wassersucht – und Gott beschert Ihnen einen Sohn.‹
»Einen Sohn!« jubelt Zintekk und übernimmt das Kind. »Die Zintekks sterben also doch nicht aus.«
Und er vergießt dicke Tränen. In der ersten Überraschung vergaß er sein Leid – nun bricht es umso stärker hervor. »Heimatlos der Vater – heimatlos der Sohn,« schluchzt er. »Nicht im Herrensaal der Zintekks ist es geboren – nein, im Mägdezimmer auf der Diele. Da hat sich das Schicksal einen furchtbaren Spaß erlaubt.«
Zintekk sollte sein Haus verlassen. Doch wohin sich wenden, was beginnen? Es waren schreckliche Tage für den Armen. Er dachte an allerlei: ein kleines Gütchen pachten – dazu fehlte es ihm an Geld. Er klopfte bei den benachbarten Gutsherren an – niemand wollte etwas gemein haben mit einem Mann, der sich mit der Regierung überworfen. Eine Beamtenstelle – seine Hand war zu ungelenk zum Schreiben. Ein früherer Freund wollte ihm einen Hegerposten geben. Sein alter Stolz bäumte sich auf, und er hätte den Freund beinah erwürgt.
Allein die Zeit verstrich, und Zintekk fürchtete, für Weib und Kind kein Brot zu finden.
Da gelangten strenge Verordnungen von der Regierung an die Steuerdirektionen: die großen Außenstände der öffentlichen Abgaben seien nach Kräften einzubringen. Man brauchte Gerichtsvollzieher auf allen Seiten. Der Steuerdirektor erinnerte sich Zintekks: wie geschickt und lieblos er im Eintreiben seines Bergzinses gewesen war – und sagte sich: einen Bessern finde ich nicht. Er wußte, in welcher Not Zintekk lebte – da wird ihm Hilfe willkommen sein. Und er bot Zintekk die Stelle eines Gerichtsvollziehers an.
Zuerst sprang Zintekk auf wie ein verwundeter Tiger.
»Ich – Steuern eintreiben? Ich, der ich all mein Gut geopfert habe für den Grundsatz der alten adligen Steuerfreiheit?«
Doch er sah, wie drüben in den Hof schon allerhand Wirtschaftsgerät des neuen Besitzers gefahren wurde – und im andern Zimmer quiekte das Kind. Zintekk bebte vor Schmerz … Endlich fragte er: ob man denn viel zu schreiben hätte als Gerichtsvollzieher. Als er die Auskunft erhielt: es wäre nicht zu schreiben, sondern nur energisch vorzugehen – da beschloß er in seinem Innern schon, zuzugreifen. Doch er nickte nur langsam und sprach: er wolle sich's noch ein wenig überlegen … Der Arme hatte zeitlebens so großgetan – nun mußte er wenigstens vor sich und seiner Frau die Täuschung aufrechterhalten: nicht er habe sich um das karge Brot beworben – vielmehr bitte der Staat in seinen Nöten dringend um Zintekks Beistand. So wurde perillustris ac generosus dominus Ermenegildus Zintekk ab Wutschja Goritza et caetera, der leidenschaftliche Gegner der Steuer, Stempel und Gebühren, eines Tages provisorischer königlicher Gerichtsvollzieher.
Eine Jagd, Ende November. Noch lag der Nebel auf dem Land, als ich durch ein Dorf ging.
Da ballte sich ein Klumpen von Leuten. Gendarmen vor dem Zaun, und aus dem Hof tönte Geschrei, Fluchen und Weinen. Das Hoftor öffnete sich – zwei Treiber jagten eine erschreckte Kalbin hervor, und hinter ihnen schritt, mit einem gewaltigen Stab in den Händen, Ermenegildus Zintekk und beschimpfte die Bauern, was Platz hatte.
»Wer mich anrührt, kommt ins Zuchthaus. Ich will euch lehren, Ehrfurcht haben vor einem königlichen Beamten!« ruft er mit strenger Stimme.
Als er auf mich stößt, ist er überaus betreten. Er ist schrecklich gealtert in einem Jahr, ein ganzer Greis. Auf dem Kopf trägt er eine phantastische Kappe mit schwarz-goldnen Troddeln. Ich betrachte sie lächelnd, und er raunt mir zu:
»Man muß den Bauern Achtung einflößen.«
»Du bist immer noch der alte Gildo.«
»O nein,« seufzt er und senkt die Lider.
Ich bin erschüttert und bereue sehr, ihn offenbar verletzt zu haben. Er atmet tief auf und sagt:
»Glaub nicht, lieber Freund, ich wäre unglücklich! Ich habe jetzt, gottlob, keine Scherereien mehr … erledige meinen Dienst … man ist mit mir zufrieden: der Steuerdirektor hat mir sogar eine Belohnung zu Neujahr in Aussicht gestellt … Glaub nicht, ich sei unzufrieden … Ich habe keinen Grund zu Klagen …«
So sprach er und blickte mir in die Augen. Ich fühlte, daß nur ein Restchen seines alten Stolzes ihm die Worte eingegeben hatte und daß er furchtbar litt, der arme Teufel.
Als er bald darauf starb, da wußte ich: nach diesem ruhigen Bett in kühler Erde hatte sich sein Herz gesehnt … trotzdem ihm der Steuerdirektor zu Neujahr eine Belohnung versprochen hatte.