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Dem Ritter Wuk von Wertschewitsch nacherzählt
Schauplatz der Blutmesse war Cattaro.
Wer die Stadt noch nicht gesehen hat, wird sich schwer eine Vorstellung von ihr machen. Sie kauert am südlichsten Ende Dalmatiens, im hintersten Winkel der cattariner Buchten, auf dem Boden eines tiefen Fjordes – dicht geklebt an den Fuß des Felsens, dicht am Meer. Der Fels heißt Lowtschen; er ist steilrecht, beinah zweitausend Meter hoch. Auf dem Lowtschen Cattaros Erbfeind von gestern, der Montenegriner: er konnte hoch von oben nach Cattaro spucken; er sah jeden Menschen, der in den Gassen ging, winzig wie eine Ameise. ›Wenn der Cattariner nach dem Wetter ausblickt, sieht er nicht den Himmel sondern Montenegro.‹
Sommers ist in Cattaro Tag von elf bis fünf … Zwölf Monate im Jahr regnet es. ›Selbst der cattariner Regen kommt steilrecht: aus Montenegro.‹ Hält der Regen aber je für Stunden inne, dann lastet die Schwüle bleischwer auf den Buchten.
Es sollen fünf oder sechstausend Menschen in Cattaro leben – ich glaub es nicht. Nein, so viele können es nicht sein; die Stadt liegt tot, die Palazzi sind verfallen, aus ihren Fenstern sprießen Glockenblumen.
Düster wie der cattariner Tag ist die Vergangenheit:
Die Römer wollten den Hafen besitzen; die Byzantiner, Goten, Serben; die Ungarn, Bosnier, Türken. Immer wieder wurde die Stadt erobert – niemals gehörte Cattaro sich selbst.
Am 23. April 1420 fiel es endlich an Venedig und blieb venezianisch bis 1797. Das war die große Zeit. In Zara herrschte der Provveditore generale des Dogen, ihm war der Rettore von Cattaro unterstellt. Doch man denke ja nicht, die Cattariner wären fügsame Untertanen gewesen. Nein, die einundachtzig Patrizier spielten adlige Republik. Sie hielten einen eignen Gesandten in Venedig, den Oratore. Sie siegelten ihre Urkunden mit grünem Wachs. Sie wählten einen Sopracomito für ihre Galeere und gaben ihm auf, wenn er sich der Heimat nähere, die Flagge von San Marco einzuziehen und jene des heiligen Trifon zu hissen.
Der Senat von Venedig aber schickte seine Verbannten nach Cattaro, damit sie dort stürben.
Um diese Zeit nahmen die Kirchen ein Dritteil des Bodens von Cattaro ein, es gab drei Nonnenklöster in dem winzigen, bedrückten Städtchen, vier Mönchsklöster, fünf geistliche Brüderschaften.
Nun wissen Sie ungefähr Bescheid um Cattaro. Hören Sie die Geschichte von der Blutmesse an. Sie hat sich Ende 1720 zugetragen und ist von Wuk Ritter von Wertschewitsch aufgezeichnet. Zwar hat Wuk viel, viel später gelebt; doch er stützt sich auf getreue Überlieferungen.
Das Jahr war besonders freundlich gewesen und der Herbst schön wie noch nie.
An Martini, 11. November, gegen Mittag dröhnten auf der Marina (im Westen der Stadt) einzelne Freudenschüsse. Alles strömte nach dem Hafen, um zu sehen, was es gebe.
Um die Landzunge kommen fünf oder sechs Boote, reich geschmückt und besetzt mit einer festlichen Gesellschaft. Im ersten Boot flattert eine Hochzeitsfahne. Die Ruderer greifen mächtig aus und wetteifern, den Kai als erste zu erreichen, um ihr Trinkgeld zu verdienen.
Manch ein Patrizier möchte lebendig aus der Haut springen vor Ärger, als er sieht, wer da Hochzeit feiert: Tripo Milatowitsch, ein Bürger – und seine Braut ist Kata Smijitsch aus Perasto, einer Nachbargemeinde. Die Smijitsch sind dort die reichsten Leute, ebenfalls bürgerlich.
»Seit wann darf das gemeine Volk mit solchem Gepränge heiraten?« murrten die Patrizier. Und ein Bürger antwortete ihnen: »Ihr Herren, dreimal im Leben wird unsereins genannt: am Tag der Geburt, am Hochzeitstag und beim Begräbnis. Von der Wiege bis zum Grab ist des Volkes Leben schwer. Die Hochgebornen werden nur schwer geboren, doch das Leben macht man ihnen leicht.«
Tripo Milatowitsch war ein angesehener junger Kaufmann, gescheit, glücklich im Handel, ein frommer Christ, jedermanns Freund und niemands Sklave. Er erwies den cattariner Edeln die gebührende Achtung, doch er wehrte sich ernstlich gegen jeden, der sich etwa unterfing, einem Bürgerlichen nahzutreten. Seine Gegner fletschten gegen ihn die Zähne – das wußte er – doch die Bürgerschaft und die ehrbaren Patrizier liebten ihn umsomehr. Waren ihm manche Adlige neidig gewesen um Tugenden und Reichtum: nun hatte er doppelte Eifersucht auf sich geladen; denn seine Braut stammte aus einem tapfern, berühmten Geschlecht und stellte so manche Edelfrau in Schatten durch Kleiderpracht, Schönheit und vornehme Gestalt.
Am lateinischen Niklastag 1720, 6. Dezember, bereitete man die übliche Feier in der Kirche zu Sankt Nikola. Da hatten natürlich die adligen Familien die ersten Bänke inne, und die Bürger durften sich erst setzen, soweit Platz blieb. Die Glocken läuteten zum drittenmal. Alles strömte in festlichem Staat in die Kirche. Auch Tripo führte seine junge Frau daher – unter all den Andächtigen hatte sie nicht ihresgleichen. Er erklärte ihr: »In die ersten drei Bänke setz dich nicht – weiter hinten setz dich, wo du willst.«
Sie ließ vier Bänke vor sich frei. Die Kirche füllte sich im Nu. Eben sollte die heilige Messe beginnen. Eine adlige junge Dame, Frau Pasquali, hatte sich etwas verspätet, blickte in den vordern Reihen um, nach rechts und links, fand aber keinen Platz mehr. Die vierte Bank war noch leer. Sie aber trat in die fünfte ein, gradenwegs auf Tripos Frau Kata zu, die allein dortsaß, und rief so laut, daß man es in der ganzen Kirche hören konnte: »Pack dich, hier ist kein Raum für dich!«
Die Triponische erblaßte. Im nächsten Herzschlag sprang ihr das stolze Blut in die Wangen, und perlende Tränen brachen aus den Augen. Das war kein Spaß, den man ihr da angetan hatte – im dichtgefüllten Dom, vor all den Damen und Herren. Tripo, im Hintergrund der Kirche, hatte es gesehen und gehört. Todesschweiß trat ihm auf die Stirn – er so wenig wie die andern konnte im Augenblick ermessen, wie ihm die Beleidigung zu Kopfe stieg und die Brust zusammenkrampfte.
Er lief vor, faßte seine junge Frau am Arm und ging mit ihr schnurstracks heim. Kata kämpfte mit Wut und Tränen. Ihr Puls war erstickt, die Zunge gelähmt. Tripo tröstete sie, doch er wußte selbst keinen Balsam für die ihm geschlagene Wunde.
Schuldlos war er, hatte keinen Anlaß gegeben. Und man ging ihm an die Ehre? Er wird sich rächen – furchtbar, ohne Schonung – auf der Stelle – heute – und morgen spätestens. Nichts und niemand soll ihn hindern – er will nicht sehen, nicht hören, noch weniger verschieben, überlegen. Sein und Habe gilt ihm nichts. Die Ehre alles.
Die Erregung an diesem Niklastag war ungeheuer. Die Bürgerschaft fühlte sich mitbeschimpft, das ist klar – selbst die besonnenen Patrizier tadelten die Unart der Pasquali. Doch was eine Närrin beschmutzt, können hundert Weise nicht abwaschen.
Die einen also wie die andern hielten Tripos Stange. Er war taub für alle und blieb stumm. Er brütete Vergeltung und wartete nur seine Stunde ab: morgen früh.
Der 7. Dezember war ein Sonntag, und Tripo wollte wieder in die Kirche. In der Dämmerung hatte er heimlich mit den Bürgern verabredet, daß sie sich alle wieder bei Sankt Nikla sammeln, wohlbewaffnet mit verborgenen Messern und Taschenpistolen – und was auch immer geschehe: sie werden wagen und sich schlagen wie ein Mann.
Seiner Frau trug er auf: »Du wirst dich in die Bank setzen genau wie gestern. Hier hast du einen scharfen Dolch. Steck ihn in den Ärmel! Und wenn dich die Adlige etwa wiederum vertreiben will, dann darfst du dich ohne meinen Ingrimm nicht von der Stelle rühren. Sollte sie aber Hand an dich legen, erhebst du dich und fährst ihr mit dem Dolch quer durch das Gesicht. Tust du nicht, was ich dir befehle, dann töte ich dich noch heute in der Messe. Willst du, daß ich Blutschuld auf mich lade als Mörder meiner Gattin? – vor dem Altar?«
Die Kirche war voll und übervoll mit Andächtigen. Nur Tripo und seine Frau hatten andre Gedanken als an Gott, und Kata ahnte nicht, daß sie diesen Tag sollte Witwe werden.
Die heilige Messe hatte begonnen, kaum ein Verspäteter trat noch ein – darunter auch jene dreiste Frau de Pasquali. Sie hatte Platz genug in den ersten Bänken unter den Adligen. Als sie aber, zu unglückseliger Stunde, Tripos Kata in der fünften Bank erblickte, schritt sie herausfordernd auf sie zu und schmälte: »Bist du wiederum da – mir zum Trotz? Troll dich nach hinten!«
Kata tat, als ob sie nicht hörte – und die Edelfrau schlug – mir nichts, dir nichts – nach der Bürgerin.
Die Triponische wurde glutrot. Und, nicht faul, sprang sie auf, zückte den Dolch und zog ihn der Gegnerin grausam durch das Gesicht,
Der adlige Ehegatte sah es, ergriff sofort seinen Degen und eilte herzu, um Kata zu durchbohren.
Doch Tripo war ihm auf den Fersen, mit dem Dolch in der Faust, und schrie: »Sind wir drauß deine Vasallen – in der Kirche gehört Gott uns allen.« Stach ihn mitten zwischen die Schulterblätter – und der Edelmann fiel ohne Hauch, ohne ›Jesus!‹ auf den Scheitel. Die Patrizier sahen den Ihrigen tot, den Mörder vor sich – umringten Tripo er aber brüllte: »Schließt das Tor! Wer für mich ist, tue wie ich! Mitsammen geboren, mitsammen gestorben!«
Furchtbares Handgemenge. Bürger und Adel zu allem Schlimmen bereit, die einen wie die andern übertrieben kühn. Da blinkte und klirrte der weiße Stahl, da rauchten die Pistolen, da krischen die Weiber, plärrten die Kinder, da jaulten und jammerten die Greise, die Verwundeten stöhnten. Der Zelebrant und die andern Mönche baten, flehten um Einhalt. Vergebens. Wer will den Donner hemmen, wenn das Wetter braust?
Nach einer Viertelstunde war alles geschehen: der Freund konnte den Freund nicht erkennen, Tote waren über Verwundete gefallen, die Verwundeten wälzten sich im Blut, und manche Mutter wird zu klagen haben.
Eh noch das Getümmel beendet war, hatte sich vor der Kirche eine Menge entsetzten Volkes gesammelt, mit ihnen der Bischof. Der Lärm aus der Kirche sagte nur zu deutlich, was darinnen vorging – doch sehen konnte man es nicht; und helfen konnte niemand, denn das schwere Tor war verschlossen und verrammelt. Als keiner der Streiter es mehr wehren konnte – denn alle waren tot oder verwundet da schleppte sich eine Frau an das Kirchentor, sie hörte das Volk draußen rufen und toben und Einlaß verlangen, und schob endlich die Riegel zurück.
Als erster trat der Bischof ein und mit ihm der Rettore Gregurina. Als sie von der Schwelle aus schon den Boden der Kirche bedeckt sahen mit Leichen, erschraken sie vor diesem Unglück, der Ermordung einer Stadt. Der Bischof wandte sich auf den Hacken um, zurück nach der Menge: »Adel und Bürgerschaft! Brüder in Gott und im Geist geliebte Söhne! Ich beschwöre euch bei der heiligen Kirche, dem Kreuz, das ich auf der Brust trage: haltet Gottesfrieden, bis wir eure Brüder und Schwestern bestattet haben und eine versöhnliche Genugtuung ersinnen!« Ob sie wollten oder nicht – da mußt jeder den Arm heben zum feierlichen Eid.
Als man die Leute dann in die Kirche einließ, hatten sie Entsetzen zu schauen: über 140 Tote – und zahllose Verwundete waren in ihrem Blut wie ertrunken. Zu Dutzenden lagen sie da, schief wie ein Wald von Bäumen, die man allesamt gefällt hat – und im Gemetzel nicht ein Greis, nicht ein Krüppel, kein Lahmer oder Buckel, blind oder taub – sondern alles auserwählte, stramme, junge Leute. Da suchte jeder seine Angehörigen im Blut, packte sie auf den Rücken und schleppte sie wehklagend heim. – Eine hochmütige Patrizierin hatte zugeschlagen, die Blüte einer Stadt getroffen und getilgt. Starrsinn hatte das Unheil gestiftet, Ehrgefühl die Trübsal vollbracht.
Man schaffte Verband, Elixier und Salben für die Verwundeten, und andern Tags beerdigte man in voller Ordnung die Toten.
Die Häupter der Gemeinde, soweit sie noch lebten, im Verein mit dem Bischof und den Brüdern Dominikanern, sahen aber voraus, daß damit der Streit noch lange nicht geschlichtet war, daß noch viele, viele Racheopfer fallen würden, weit mehr als gestern in der Kirche, wenn man nicht ohne Säumen, um jeden Preis ausgliche und paktiere.
Bischof und Rettore beriefen die Ältesten der Familien und drängten und warben so inständig, so lange, bis Patrizier und Bürger die Urfehde bis Weihnachten verlängerten und versprechen mußten, inner und außer der Kirche, bei Tag und Nacht, im Angesicht des Volkes und im Geheimen sich jeglicher Feindseligkeit zu enthalten.
Wer seinen Bruder oder Sohn der schwarzen Erde hat übergeben müssen, kann sich wohl einige Tage gedulden – doch bis zum Grab kann ers nicht vergessen. Den Bürgern mochte die Mäßigung ein wenig schwerer ankommen als den Patriziern. Doch die Bürger waren auch in der Minderzahl gegen die Adligen; darum verbissen sie ihren Schmerz, so tief er ihnen ins Herz biß, und trugen ihn in der Furcht vor heißerm Leide.
Einstweilen also meinte man Ruhe zu haben – und zu Weihnachten würde sich schon ein Ausweg finden lassen aus der Schreckenslage.
Nein. Die Familie Smijitsch in Perasto hatte nichts beschworen. Von altersher Kauffahrer, im Ringen mit Seeräubern aufgewachsen – eine Schlangenbrut, wie schon ihr Name sagt – sie dachten nicht daran, Frieden zu halten. Als sie hörten, was sich in Cattaro zugetragen, welche Schmach ihrer Schwester widerfahren war, da kamen zehn Brüder Smijitsch mit Säbeln und Büchsen in einem Boot daher; täuten im Hafen an, schritten pfeilgrad nach Tripos Haus und bemächtigten sich der jungen Witwe. Tranken kein Glas Wasser im Haus, sprachen kein Wort auf dem Weg nach dem Hafen, sondern schweigend entführten sie die Schwester, und jeden cattariner Edelmann, dem sie begegneten, maßen sie frechverächtlich vom Kopf bis zu den Füßen. Tags darauf kam aus Perasto ein Brief nach Cattaro, worin die Smijitsch sämtliche überlebenden Pasquali zum Kampf forderten und auch gleich Ort und Zeit des Zweikampfes bestimmten: morgen auf der Markower Spitze.
Die Buchten von Cattaro sind nicht sehr weitläufig, sondern eine nahe Nachbarschaft. Das schreckliche Begebnis am Nikolo hatte sich rasch in allen Gemeinden umgesprochen. Wie im Unglück, so muß sich Freundschaft auch in der Güte zeigen. Die Sprecher und Vorstände beider Bekenntnisse, der Katholiken und der Altglauber, vereinigten sich und beschlossen einstimmig, daß man zwischen Cattaro und Perasto Frieden machen muß – kost es, was es koste – doch geschickt und klug, ohne den cattariner Leu zu reizen und der perastiner Schlange auf den Schwanz zu treten. Aus allen Städten und Flecken an der Bucht machten sich die Oberhäupter auf, sammelten sich am festgesetzten Tag in Perasto und verlangten auf die höflichste Art den Friedenseid bis Weihnachten. Die Perastiner konnten die Bitte nicht abschlagen.
Von hier fuhren die Vornehmen nach Cattaro. Sie meldeten sich beim Senat und verhandelten im Namen von Perasto. Und fügten hinzu: »Wißt, daß wir alle uns von euch abwenden, wenn ihr nicht in den Frieden willigt.« Der cattariner Adel streckte nicht nur beide Arme nach den Vermittlern aus, sondern dankte ihnen noch und bat, sie möchten ihr edles Beginnen auf das uneinige Cattaro selbst ausdehnen und den Einwohnern Recht sprechen – der Adel wolle gern alles auf sich nehmen, was die Aldermänner der Bucht verfügen würden.
Am zweiten Christtag traten die Schöffen in die Schranken, erwählte, ausgezeichnete Männer. Die Zahl der Richter wuchs über die übliche weit hinaus. Ihr Streben, ihr einziger Gedanke war: den Einklang mit Cattaro zu stimmen.
Und nach einem Tag Erwägens und Beratens setzte man folgende Schrift auf:
Brüderliches Urteil.
Ehre dem Herrn im Himmel immerdar!
Im Namen der heiligen Dreieinigkeit und der Mutter Gottes haben wir Schöffen zu Gericht gesessen vor der Kirche Sankt Nikolai zu Cattaro.
Wir haben einander angesehen und abgezählt und haben gesagt: ›Hier stehen wir vierundzwanzig im Namen Gottes, und das bedeutet, daß Toten und Lebendigen genuggeschehen soll nach Gesetz und Billigkeit.‹
Und als wir auf Kreuz, Evangelium und Schwert geschworen hatten, daß wir wahrsprechen werden nach bestem menschlichen Können und beim Heil unsrer Seelen und ganz und gar kein Unrecht begehen, beriefen wir alle Mann aus beiden Lagern, jeden, der die Büchse trägt, und sprachen zu ihnen: ›Redet zuerst ihr, Herr Antun Pasquali, für den Adel, ehrlich und grad, auf euer Gewissen – ihr Bürger aber schweigt!‹
Wir lauschten ihm, bis er geendet hatte, und erteilten das Wort dem greisen Vincenzo Milatowitsch, Tripos Vater, ihm allein.
Ließen dann beide im Wechsel antworten, bis sie selbst innehielten und riefen: ›Wir haben alles gesagt.‹
Hierauf ließen wir die Zeugen vortreten – wer da wollte und berufen ward. Die Zeugen aber vermahnten wir zur Treue, denn wer falsch schwört, hat sein Paradies zerstört.
Wir haben all und jeden gehört, den wir verhören mußten, haben Ursachen und Folgen aufs Quentchen gewogen, den Faden der Begebenheiten dünn durch die Finger gezogen.
Wir haben uns überzeugt, daß der Zank zwischen cattariner Adel und Bürgerschaft herkam zuerst von der einen, dann von der andern Frau mit langem Haar und kurzem Verstand. Doch Frauen kann man weder mit Gefängnis noch mit dem Tod bestrafen.
Der erste Frevel geschah von Seiten der adligen Frau, denn sie war Urheberin des Haders und hat die Leidenschaften der Bürger zur Brunst entzündet. Jedermann liebt seine Ehre, wie des Kaisers Ehre dem Kaiser lieb ist, und gibt alles hin für seine Ehre, die Ehre aber nicht für alle Erdengüter.
Doch wir haben auch befunden, daß die Bürger zum Streich bereitwaren ohne Kenntnis des Adels – ansonsten hätte das Verhängnis bloß die Gatten jener beiden Frauen getroffen, die da begonnen hatten, und es wäre kein so grauenvolles Schlachten geworden.
Wir haben uns vor Augen gehalten, daß kein Tod kommt vor dem Tag, der da geschrieben steht. Und kein Zweifel ist, daß sich der schreckliche Fall nach Gottes unerforschlichem Ratschluß zutrug.
Wir haben die Schatten gezählt und keinen Fremden unter ihnen gefunden, sondern lauter beklagenswerte Brüder sind in dem unlieben Zwist gefallen, beim Rachewerk der Helden. Wir haben bedacht: Wer ist gefallen? Cattariner Christen. Und wer hat sie getötet? Wiederum Cattariner Christen.
So urteilen wir denn heute für immer:
Kopf gelte für Kopf, und Blut sei für Blut gemessen. Wir haben erkannt, daß keiner keinem einen schlechten Heller schulde, denn alle zahlten mit gleicher Münze, und die Greuel, die sie den andern vermeinten, haben sie sich selbst zugefügt.
So ordneten wir Adel und Bürgerschaft, daß die einen rechts standen und die andern zur Linken. Dann nahm jeder von uns zwei Steinchen auf und warf ein Steinchen über die einen wie über die andern mit den Worten: ›Die Schuld ist halb und halb aufgeteilt, eine Sünde auf die andre geschlagen. Von heut an bis zum jüngsten Tag soll keiner dem andern mit Laut oder Blicken Vorwürfe machen, sondern ihr müßt einander brüderlich küssen und verzeihen und den Toten ewigen Frieden geben. Amen.‹
Ferner entscheiden wir: Für die Beleidigung, die eine Frau adliger Herkunft antat der Kata Tripos von Peraster Herkunft, wird Herr Antun Pasquali die erste Taufgevatterschaft, die sich in seinem Haus ergibt, Katas jüngstem Bruder anbieten, und an jenem Tag, wo dieser Pate stehen wird, muß Krile Smijitsch, Katas erster Bruder, zwei Cattariner Edelleute zur Blutsbrüderschaft erwählen.
Kata wird in schwarzem Gewand fünfhundert Tage bei ihrem Bruder in Perasto bleiben, wird ihres Kindes genesen und es säugen. Nach fünfhundert Tagen aber soll Krile sie nach Cattaro begleiten, immer noch in schwarzem Gewand, und sie wird in Tripos Haus einziehen und einem zweiten Mann folgen nach ihrer Wahl.
Das Kind, das Kata unter dem Herzen trägt, wird auf Kosten des cattariner Adels erzogen werden. An Herrn Antun Pasquali muß die Bürgerschaft 184 goldne Zechinen zahlen. Diese gehören aber nicht dem Haus Pasquali, sondern bleiben nur in dessen sicherer Hand, bis Katas Kind für die Heirat herangewachsen ist. Und wenn es dann etwa wollte einen Adligen oder eine Adlige aus Cattaro heiraten, wird man ihm nicht die Hand verweigern dürfen, und für die 184 goldnen Zechinen soll die Hochzeit ausgerichtet werden.
Und wir haben bestimmt: jede cattariner Familie muß am Tage des heiligen Nikola einen Scheffel Weizen und eine Tasche Mais hergeben, damit sie verteilt werden an jene Waisen, die ohne Ernährer geblieben sind.
Endlich verfügen wir, daß in keinem Haus der Cattariner Kommunität von nun an ein Brot gebacken werden darf anders denn mit dem Sinnbild eines Lamms versehen – als ewige Mahnung an das traurige Geschehnis.
So haben wir es erdacht und beschlossen mit Genehmigung des Hochwürdigsten Bischofs und des erlauchten Rettore Gregurina.
Diese Urkunde hat niedergeschrieben Bruder Cyrill vom Orden des heiligen Dominicus in Gegenwart aller Edeln und Bürger, und wir zeichneten sie eigenhändig mit unsern Namen und drückten unsre Petschafte bei, und als er die Rolle allem Volk vorgelesen hatte, übergaben wir sie dem erlauchten Rettore Grafen Ludovico Gregurina, damit er sie für alle Zeiten aufbewahre.
Und Gott schenke uns in Gnaden gute Zeiten und schicke seinen Friedensengel unter die Cattariner. Amen.
Nachdem unser Urteil verlesen war, führten wir beide Lager zusammen und küßten sie und gaben ihnen auf, daß sie einander die Hände reichen und einander küssen sollten.
Dann sagten wir ihnen noch: Wer von dem gewesenen Zerwürfnis zu reden beginnt, soll fünf Wachskerzen von Ellenlänge der Kirche stiften.
Wer aber den Bruderkrieg erneut, sei verdammt und geächtet, und er fliehe, von Gott verflucht, auf die Felsenhöhen, die kein Vogel im Flug erreichen kann, in wüste Klüfte und eisige Grüfte, in die tiefsten Tiefen, wo Gottes Glocken nicht riefen, wohin Menschen nicht spähen, wo Hähne nicht krähen, wo kein zweibeiniges Wesen sich bekreuzigt und kein vierbeiniges gedeiht.
Uns Schöffen aber, die wir das Beste wollten, grollet nicht! Wir haben euch verstanden und euern Unmut und uns um keinen Deut frommer zu sein gedünkt, als ihr gewesen. Wir verzeihen allen – dem Wild in den Bergen, der Natter unter dem Stein – und suchen Verzeihung von jedem Geschöpf Gottes für uns und unsre mangelhafte Einsicht. Amen. Amen. Amen.