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Die Räuber

Dem Ritter Wuk von Wertschewitsch nacherzählt

Es war tiefer Winter – so kalt, daß einem die Augen knisterten, wie man zu sagen pflegt; in den Bergen häuften sich die Schneelagen und wälzten sich krachend zu Tal, die Böen rissen die Bäume von den Wurzeln und schlugen damit aufeinander los. – Was immer sich bekreuzigt in der Herzegowina, saß am Herdfeuer und röstete sich die Zottelbrust.

Glücklich der Christenmensch, der zu solcher Zeit sein Korn im Korb hat – er kann getrost dem Frühjahr entgegenwarten. Weh aber, wer schon zu Weihnachten borgen muß.

Die Türken haben es gut, Freisaßen und Edelleute – leben im Überfluß, Maden im Speck. Winters in warmen Gelassen, in seidene Polster versunken, rauchen sie blonden Tabak – Sommers lassen sie sich am murmelnden Quell vom Lüftchen Kühlung fächeln.

Die Türken unter sich reden, was sie dem Christen an Zins und Zinseszins erpressen werden. Die Christen, kaum daß der Frost ein wenig milder wurde, denken an Beutezüge: an Mariae Verkündigung, 25. März, soll sich melden, wer mithalten will; eine Memme, wer's nicht wagt; Sima Blagojewitsch ist der Hauptmann.

– – – Sima mustert seine Schar und spricht:

»Wir sind unser neunundzwanzig – wenn noch einige zulaufen sollten, umso besser – – vierunddreißig ist für eine Bande die genehmste Zahl. Kommt niemand mehr, muß es mit Gottes Hilfe auch so gelingen. An Georgi treffen wir uns auf dieser selben Stelle. Aber – das sag ich euch: mit gediegenen Waffen, gefüllten Patronengürteln, zwei neue, beschlagene Zünder sind unumgänglich; ein Paar feste Schuhe an den Füssen, ein zweites Paar in der Waidtasche; im Gürtel: Feuerzeug, Ölflasche, Wegzehrung – das brauche ich nicht erst ausdrücklich anzuordnen. – Ihr wißt, daß sich der Räuber fromm und anständig zu führen hat; zu Ostern muß er beichten und das heilige Abendmahl begehren; am Thomassonntag fasten; und darf acht Tage vor dem Ausmarsch nimmer sündigen, auch nicht mit seinem angetrauten Weib. So sollt auch ihr es halten, damit unser Werk Segen bringe und ihr heil zurückkehrt. Hier eine Flasche Schnaps – trinkt mir zu mit hartem Wort: daß ihr an Georgi pünktlich und vollzählig dasein werdet. – Ich beschwör euch aber dreimal vom Himmel bis zur Erde und auf der Erde dreimal kreuz und quer: es bleibe lieber zu Hause: wer sich nicht gern vom Leben trennt; vor Kugeln rennt; über Wunden flennt.«

Alle nickten, tranken und riefen: sie seien einverstanden.

»Dann also,« rief der Hauptmann, »Gott befohlen!«

An Georgi um die Melkstunde ist Mann für Mann erschienen – fröhlich wie zur Hochzeit und bereit. Man trinkt ein Gläschen ›auf glückliche Wiederkehr mit vollen Taschen und blanken Pallaschen.‹ Man berät, bei welchem Genossen man sich demnächst decken und verstecken, weiches türkische Gut man überfallen wird.

Da sagt der Hauptmann: »Niemand andern suchen wir zuerst heim als in der obern Herzegowina, in Newessinje den reichen Arßlan-Beg. An seinem Zaun haben vieler Christen Schädel gebleicht – in seinen Gehegen grast das fetteste Vieh.«

Gut, so ward beschlossen.

Sie schickten einen Boten aus, der stahl sich durch die Berge vor, zu ihrem willigsten Helfer:

»Back Brot diese Nacht, streu Stroh auf für dreißig Mann, brat zwei Hammel und halt reinen Mund!«

Von des Helfers Gehöft konnte man das Türkenschloß ganz deutlich sehen.

Doch es kam garnicht zum Verweilen auf Stroh und zum Verschnaufen. Denn als die Bande dem Boten nachkam um Mitternacht, da gab es was zu staunen: die türkischen Toren klafften sperrangelweit – im türkischen Schloß Lustlärmen, Licht und Lachen: Hunderte von Türken feierten Ramadan; im Ramadan, Festmonat, schlafen die Türken bei Tag und jubeln bei Nacht. – Mit hundert Türken aber, die wach und jach und erzgerüstet sind, bände der Dümmste nicht an. – Immerhin, eine Koppel schön gesattelter Pferde holte sich der Hauptmann mit drei Burschen vorsichtig aus dem Einfang, und dabei lief eine Kuh mit das war alles.

Was jetzt? – Ein Augenblicken ruhen und in derselben Nacht entsagend abziehen. Mehr läßt sich da nicht wollen.

Erschöpft, wie die Leute sind vom endlosen Stapfen über Steg und Stein, wird der Augenblick zur Stunde, das Schläfchen wird zum dicksten Schlaf, die Nacht zur Dämmerung. Geschwinde schenkt der Hauptmann seinem Wirt noch die Kuh zum Dank für Herberg und Speisung – und die Bande soll eben davon – hurtig, um des Himmels willen – ehe die Türken den Verlust ihrer Pferde noch gemerkt haben. Der Kundschafter ist bis in die Spitze der Tanne geklettert, hat scharf ringsum geäugt, ob's auch geheuer wäre, da …

Da deutet er auf das Schloß und heißt die Gefährten aufblicken.

Aus dem Schloß wandeln in der Herrgottsfrühe mir nichts, dir nichts: Frauen, Mädchen, Knaben.

Eine vornehme Türkin, unverschleiert, vier, fünf Mägde und drei Jungen. Vielleicht, dieweil die trunkenen Moslem schlummern, selig ermattet vom Nachtgelage, wollen die Frauen sich in der Morgenluft die Köpfe klären. Denn auch sie haben unter sich Ramadan gefeiert.

So schreiten sie gemächlich, guten Mutes in die Landschaft – die Sonne will aufgehen. – In der Tanne glotzt der Späher offenen Mauls, und in den Hecken hocken ratlos die Räuber.

Als die Frauen weit genug geschritten sind, murmelt der Hauptmann:

»An die Arbeit!«

Und deutet seinen Vertrautesten.

– – – Die Frauen saßen am Brunnen und schnatterten, die Knaben hopsten im tauigen Gras.

Die Frauen dachten nichts Böses, als die Räuber nahten, ließen nur die Schleier fallen, wandten sich ab, bargen die Hände in den Ärmeln und verstummten; denn ein Fremder soll nicht die Stimme hören einer ehrbaren Frau und keinen Teil ihres Körpers sehen.

Als die Bursche aber »Hollaheh« riefen, »auf und mit uns!« – da entrang sich der Edelfrau ein kurzes, hohes Winseln oder ein Pfiff – als wollte sie sterben vor Angst. Die Mägde jammerten und schlugen sich die Brüste und rauften sich die Haare:

»Wir sind Christinnen – die Herrschaft wird unsre Väter und Brüder töten, wenn ihr die gnädige Frau, die Kinder berührt.«

Der Hauptmann gebot:

»Kein Wort, keinen Laut! Fürchtet nichts für Leben und Ehre – ich verpfände euch meinen Glauben. Still fort mit uns! Sondern sagt mir, liebe Mägde: Wer ist die gnädige Frau?«

»Die Arßlan-Begowitza mit ihren Söhnchen.«

»Dann hab ich keinen schlechten Fang getan.«

Die Begowitza verging vor Scham und Schauder.

– – – Diesen Tag mögen Arßlan-Begs Gäste früher als sonst aus süßer Muße erwacht sein und umhergejagt haben die Läng und Breite nicht gescheit. Gefunden haben sie nichts und niemand.

Auf der ersten Rast im Felsgebirge aber sprach der Hauptmann zu den Mägden:

»Welche von euch mag die klügste sein?« und wählte zwei aus.

»Ihr beiden geht mir heim zu Arßlan-Beg und bestellt ihm einen Gruß von Sima Blagojewitsch. ›Deine Frau,‹ sagt ihr ihm, ›deine Kinder sind in Gottes und des, großen Sima Händen – kann man in bessern Händen sein? Darum möge Arßlan-Beg kein Minutchen sorgen – Frau und Kinder werden wohlbehalten wiederkehren. – Ein Sima feilscht nicht mit einem Arßlan, doch möge Arßlan nicht durch allzu geringes Lösegeld unsre Ehre kränken.«

Die Mädchen gingen. Die Räuber warteten und schliefen. Nur ein Mann hielt Lugaus.

In der Nacht krischen plötzlich die Frauen.

Sprang der Hauptmann auf mit dem Gewehr – und wen sah er da im Zwielicht noch grinsen und schon schlottern? Tomo Kerkulja, einen von der Bande, den schlechtesten Kerl.

»Was habt ihr, Mädchen?« fragte der Hauptmann streng.

»Sieh dir ihn an,« entgegneten sie, »diesen Menschen! Er hat sich angeschlichen, unziemlich genaht. – Hauptmann! So hältst du Wort? So achtest du den Glauben?«

Hob der Hauptmann stumm die Waffe und ließ die Waffe reden: mitten in Tomos Herz. Tomo warf nur die Arme hoch und fiel auf das Gesicht.

Vom Knall war alles munter worden. Doch der Hauptmann mußt erst laut befehlen, daß sie die Leiche in die Büsche scharrten. Denn solch ein Hundsfott, murrten die Bursche einstimmig, bliebe besser den Aasgeiern aufgetischt.

Am Morgen meldete der Posten:

»Eine Karawane.«

Sie klomm langsam heran die steinige Steile, vier Treiber mit sieben Maultieren, hochbepackt. Als sie näherkamen, warens türkische Diener. Der Hauptmann schickte ihnen Führer entgegen. Der erste Türke trug einen Brief oben in den angespaltenen Bergstock eingeklemmt:

»Von mir, Arßlan-Beg dem Hauptmann Sima Blagojewitsch und seiner Mannschaft Gruß und Frieden. Die beiden Christinnen haben mir gemeldet, wie unser Gesinde in Eure Macht geraten ist. Ich schicke Euch hier durch meine Leute eine Last Mehl, dann Kuchenmehl, sechs gebratene Schafe; zwei Schlauch Wein, einen Schlauch Schnaps, damit ihr auf mein Wohl trinket; eine Last Melonen; damit ihr euch erquickt; einen Sack Kaffee, einen Zucker; jedem Mann ein gesticktes Hemd von Halbseide und einen Leibgurt von Leder; jedem ein Paar Schuhe und ein gesticktes Taschentuch, damit ihr wißt, mit wem ihr zu tun habt; Euerm Hauptmann einen grünen Pelz, eine Damaszenerklinge und zur Verteilung an die Leute neunundneunzig ungrische Dukaten – bei meinem schönen Glauben: ich habe zur Stunde mehr nicht da. Dies alles schicke ich Euch mit meinen besten Wünschen – und wenn es Euch zu wenig dünkt: meine drei Söhnchen sind bei Euch; schert ihnen je ein Löckchen ab zum Zeichen, daß wir ewig Freunde sein wollen, Paten und Verwandte: ich Arßlan-Beg von Newessinje und der berühmte Hauptmann Sima Blagojewitsch – denn mit solch einem Helden verbrüdere ich mich gern. Glück und Segen, Ihr Tapfern, auf Euern Weg und Stegen!«

Rief der Hauptmann:

»Heran, Edelfrau – nun meine Patin und Schwester! Heran ihr Knaben, damit eure Locken fallen!«

Der Hauptmann schnitt dem ältesten Knaben ein Büschelchen ab – Pajo Malitsch dem Zweitältesten, Mitar Malitsch dem jüngsten. Sie tafelten vergnügt, und jeder Pate schenkte seinem Patenkind einen Dukaten.

Nach dem Mahl bestiegen Frauen und Kinder die Maultiere.

Beim Abschied sprach der Hauptmann:

»Lebt wohl, Schwester – lebt auch ihr wohl, Mädchen und Patenkinder! Nur möge mir Arßlan-Beg fünf Tragtiere borgen, damit ich seine Geschenke wegbringe. Eines Tages findet er die Tragtiere wieder in seinem Stall.«

So ist es auch geschehen.

Es hat niemehr ein Räuber Arßlan-Begs Schloß berannt, sein Vieh oder Gesinde angetastet.

Sima Blagojewitsch ist im Alter von zweiundneunzig Jahren 1853 gestorben, als Schulze seines Heimatortes.


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