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September 1898; ersch. in: Dramaturgische Blätter. Organ des deutschen Bühnen-Vereins (Beiblatt zum Magazin für Literatur). Hrsg. von Rudolf Steiner, I. Jg., Nr. 38, Berlin und Weimar, 24. September 1899
Kürzlich ging die Frage durch diese Blätter: Sind Monologe im modernen Drama statthaft oder nicht? Die Monologe bekamen Recht.
Vielleicht ist es nicht wertlos, einmal nicht so sehr den Monolog als vielmehr die Gelegenheit zu betrachten, bei welcher er notwendig erscheint.
Der Monolog geschieht im Augenblick der Unentschlossenheit oder Hilflosigkeit der handelnden Person, gleichsam am Vorabend einer Tat, und hat die Pflicht, die innersten Konflikte dieses Menschen, seine Seele mit Zweifel und Zorn, Sehnsucht und Hoffnung zu enthüllen. Im Zwiegespräch ist nämlich kein Raum dafür, und irgendwo muß es doch geschehen, das sieht jeder ein. Und welches wunderbare Mittel vermag diese heimlichsten Tiefen, in denen die Entschlüsse wurzeln, zu durchleuchten? Merkwürdig: das Wort. Ebendasselbe Wort, welches im Dialog sich unbrauchbar erweist, das Letzte zu umfassen, wird, sobald es sich an niemanden mehr wenden muß, aller Wahrheit mächtig. Derjenige, von dem wir wissen, daß er die äußere Lage nicht überschauen kann, schildert uns im Augenblick seines Zwiespaltes die wunderbare Ordnung seiner Seele so überzeugend, daß die Schilderung und nicht irgendeine spätere Tat die Hauptsache des Dramas wird, das heißt, das epische Moment bedeutet fortab mehr als die Handlung; in ihm liegt die Entscheidung, die Wendung, der Fortschritt.
Und das ist vollkommen berechtigt, wenn anders der Monolog wirklich imstande ist, jene geheimnisvollen Dämmerungen aufzudecken, in denen alle Entschlüsse noch wie kleine, klare Quellen sind. Aber man wird einmal aufhören müssen, ›das Wort‹ zu überschätzen. Man wird einsehen lernen, daß es nur eine von den vielen Brücken ist, die das Eiland unserer Seele mit dem großen Kontinent des gemeinsamen Lebens verbinden, die breiteste vielleicht, aber keineswegs die feinste. Man wird fühlen, daß wir in Worten nie ganz aufrichtig sein können, weil sie viel zu grobe Zangen sind, welche an die zartesten Räder in dem großen Werke gar nicht rühren können, ohne sie nicht gleich zu zerdrücken. Man wird es deshalb aufgeben, von den Worten Aufschlüsse über die Seele zu erwarten, weil man es nicht liebt, bei seinem Knecht in die Schule zu gehen, um Gott zu erkennen.
Man wird das vielleicht im Drama früher einsehen als im Leben; denn das Drama ist konzentrierter, übersichtlicher, eine Art Experiment, bei welchem die Elemente des Lebens in kleinen Probiergläsern sich in ähnlichen Verhältnissen vereinen wie sie sich draußen verhalten in ihrer reichen Unermeßlichkeit. In den Grenzen des Rahmens, als welcher die Bühne sich darstellt, scheint alles Raum zu haben: keine Tat ist zu groß dafür, kein Wort zu bedeutend.
Aber es giebt Mächtigeres als Taten und Worte. Diese sind endlich nur das, womit wir teilnehmen an dem gemeinsamen Alltag, Leitern, welche aus unserem Fenster bis an das Haus des Nachbars reichen. Wir hätten sie kaum gebraucht, wenn wir Einsame geblieben wären, jeder auf einem Stern, und wir brauchen sie in der Tat nicht in den Augenblicken, da wir uns so einsam fühlen. Dann sind wir eines leiseren Erlebens voll, heimgekehrt in ein Land mit heiligen, heimlichen Gebräuchen, schöpferisch in aller Untätigkeit und den Worten entwachsen. Und es ist gewiß, daß solcher Art unser eigentliches Leben ist, das wie eine feine Begleitung über unserm Tun und Ruhen bleibt und uns in unsern letzten Entschlüssen lenkt und bestimmt.
Diesem Leben Raum und Recht (und das heißt auf der Bühne: Ausdruck) zu schaffen scheint mir die vorzügliche Aufgabe des modernen Dramas zu sein – und dieser schlägt der Monolog mit seiner naiven Plumpheit geradezu ins Gesicht. Er zwingt das, was über den Dingen ist, in die Dinge hinein und vergißt, daß der Duft eben nur besteht, weil er sich von der Rose befreit und allen Winden willig ist.
Fragt man nun, was an seine Stelle treten soll, so behaupte ich, daß er im Drama überhaupt keine Lücke läßt; denn das tiefere Leben, das zu beleuchten er berufen wäre, muß allezeit ebenso geschlossen und ununterbrochen sich entwickeln wie die ›äußere Handlung‹, deren Ursache es schließlich ist. Wenn dieses Nebeneinander zweier Handlungen wirklich zur Geltung kommt, sind keine Verzögerungen durch retrospektive, epische Beschreibung des momentanen Seelenzustandes, keine Durchblicke in den Hintergrund mehr notwendig.
Freilich: wie das erreicht werden soll, hat keiner der ›Modernen‹ gezeigt. Sie vermissen alle den Monolog, lassen ihn fort, statt ihn überflüssig zu machen, und dann fehlt er natürlich, und man weiß, ›wo er kommen sollte‹. Der Darsteller wird unruhig, raucht, trommelt an die Scheiben und scheint ein sehr schlechtes Gewissen zu haben und um Vergebung zu bitten für seine Schweigsamkeit. Das ist allerdings kein Fortschritt.
Der eine aber, welcher die Macht dieses leisen Erlebens, klarer als die vor ihm und bewußter, erkannt hat, – Maeterlinck, steht seinen Offenbarungen zu sehr als Priester gegenüber denn als Künstler und erscheint einseitig in dem Streben, alles zum Ruhm des Gottes zu tun, der ihn erfüllt und erhebt.
Seine Gestalten haben die Schwere verloren. Sie sind wie Gestirne, die, umhüllt von ihrer leuchtenden Einsamkeit, sich hoch in der Nacht begegnen. Sie können nur aneinander vorübergehen, und keine vermag die andere zu halten. Sie sind Düfte, allein man sieht den Garten nicht, aus dem sie aufsteigen. Das macht, daß das Leben, dessen Verkünder Maeterlinck wurde, uns fremd erscheint und seine Mystik tiefer und rätselhafter hinter den Dingen aufgeht, die ihm nicht so körperlich und undurchsichtig sind wie uns. Immerhin scheinen mir die Dramen des genialen Belgiers – um einen technischen Ausdruck von der Radierkunst zu nehmen, der ›erste Zustand‹ des neuen Dramenbildes zu sein, der noch durch andere Platten vervollständigt werden muß.
Der Weg geht also über Maeterlinck hinaus, und er wird ungefähr dieses Ziel haben: man wird lernen müssen, nicht die ganze Bühne mit Worten und Gesten auszufüllen, sondern ein wenig Raum darüber lassen, so als ob die Gestalten, welche man schuf, noch wachsen sollten. Ich bin überzeugt, das andere kommt von selbst: das leisere Leben wird sich wie eine Wärme, wie ein Glanz darüberbreiten und wird ruhig und licht über allem bleiben: über den Worten und über den Vorgängen, – nur Raum muß man ihm geben.
Dabei steht immer noch die Frage frei, wie das geschehen soll? Doch man kann sie erst beantworten, bis es einer getroffen hat – unwillkürlich.
Bis dahin hat der Monolog recht. Er ist wie ein schöner kostbarer Vorhang (bestenfalls) vor den weiten, klaren Perspektiven aufgehängt. Man kann auch an einem Vorhang seine Freude haben. Und die Dichter und die Schauspieler und das Publikum von gestern finden sich gewiß in der Erkenntnis seiner Schönheit und seines Wertes.
Das dahinter ist für die, welche schon weiter vorgeschritten sind.