Friedrich von Raumer
Geschichte der Hohenstaufen und ihrer Zeit, Band 4
Friedrich von Raumer

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Viertes Hauptstück.

Nachdem wir die Begebenheiten des südlichen Italiens in ungetrenntem Zusammenhange bis auf die Krönung Manfreds erzählt haben, muß zuvörderst die Geschichte Deutschlands nachgeholt werden.

Seitdem hier die Überzeugung von der Unentbehrlichkeit des Königs aus den Köpfen, von seiner Heiligkeit aus den Herzen geschwunden und fast alles Reichsgut vertheilt war; gab das Königthum keine Macht mehr. Jeder stand für sich allein und zählte für sich allein, nach Maaßgabe seiner Kriegsmannen und Einnahmen. Statt des allgemeinen Reichsverbandes entstanden Sonderungen und Einigungen, so wie sie der Zufall der Verwandtschaft, oder persönliche Meinung herbeiführte. – Obgleich also König Konrad aus Deutschland nach Italien zog, galt König Wilhelm, weil ihm Erbmacht und große Verbindungen gleichmäßig fehlten, doch eben nicht vielmehr, als vorhin. Solche Verbindungen, besonders durch Heirath zu schließen, ward daher sein und seines Schutzherrn, des Papstes, Hauptbemühen. Nacheinander kamen die österreichischen Erbtöchter, die Tochter Herzog Alberts von Sachsen, ja wie es scheint, sogar eine dänische Prinzessinn in VorschlagHeirathsversuche von 1248 bis 1252.  Meermann V, Urk. 26, 27, 69, 70, 71.  Cod. Vindob. philol. No. 305, fol. 53.; aber trotz der päpstlichen Empfehlungen mißlangen alle diese Plane, 393 {1252} und erst Herzog Otto von Braunschweig, der Vater mehrer Töchter, scheute sich nicht dem Gegenkönige die eine zuzusagen und hiedurch nach langem Frieden, der alten Weise seines Hauses gemäß, wiederum als Feind der Hohenstaufen aufzutreten. Am 25sten Januar 1252 wurde das Beilager Wilhelms und Elisabeths mit möglichster Pracht und Feierlichkeit in Braunschweig gehaltenBardevic. chron. fr. 218.  Corner 895.  Guden. cod. dipl. I, 621., und die Neuvermählten gingen fröhlich zu Bette. Durch den Fall eines nicht gehörig beobachteten Lichtes entzündeten sich aber die Vorhänge des Brautbettes, und der Brand nahm mit so furchtbarer Schnelligkeit überhand, daß sich der König und die Königinn fast nackt flüchten mußten, und einige Diener, welche mit Verfertigen von Prachtkleidern beschäftigt waren, ums Leben kamen. Dies Unglück galt schon an sich für ein übeles Anzeichen, und noch bedenklicher erschien es, daß auch die Königskrone und mehre dazu gehörige Kleinode ein Raub der Flammen geworden waren.

Sonst hatte diese Heirath nur gute Folgen für Wilhelm: denn Herzog Otto bewog seine Schwäger, die Markgrafen Johann und Otto von Brandenburg und seinen andern Schwiegersohn, den Herzog Albert von Sachsen, im März 1252 auf die Seite ihres neuen Verwandten zu treten; und diesem Beispiele folgten der Erzbischof von Magdeburg, der Markgraf von MeißenMeermann II, 60., die Fürsten von Anhalt, die Grafen von Aschersleben und andere, so daß Wilhelms Macht in ganz Niederdeutschland gegründet schien: – wenn überhaupt damals bei solchem Übertritte die Fürsten und Stände nicht mehr gefordert, als dargeboten und geleistet hätten. Auf jeden Fall war der augenblickliche Gewinn Wilhelms mit dauerndem Verluste für das Reich verbunden: wie denn seine umständlichere GeschichteSiehe Meermans Werk.  Lünig. cod. diplom. II, 2459, 2463. Urk. 5–7.  Gudenus II, 103.  Joannis spicil. 451. fast aus nichts besteht und bestehen kann, als aus einem unangenehmen 394 {1252} Aneinanderreihen unzähliger, die Königsrechte preisgebenden Freibriefe und Verpfändungen. Jeder freute sich von dem uralten, blätter- blüthen- und fruchtreichen Baume ein Blättchen für sich nach Hause zu tragen, und wähnte thöricht, darunter allein besser Schutz und Schatten zu finden, als vorher mit allen nach streng bestimmter Ordnung, unter jenem herrlichen Baume! Besonders legte die Kirche, welche ihn zu schützenLegaten waren: Otto Grillo (Pansa 103); Peter Kapoccio (Cardella I, 2, 276; Miraei opr. diplom. vol. I, p. 425, Urk. 92); Hugo von S. Chers aus Dauphiné (Cardella I, 2, 270, 276); der Archidiakonus von Spoleto (Codex Phil. Vind. No. 305, fol. 151)., welche einen Gesandten über den andern zu seiner Pflege auszusenden vorgab, recht eigentlich die Axt an die Wurzel; und König Wilhelm leistete dabei hülfreichere Hand, als selbst der viel verlangende Papst erwarten mochte!

Am ersten Julius 1252 hielt jener einen großen Reichstag in Frankfurt, wo man den König Konrad des Herzogthumes Schwaben, seine Anhänger ihrer Lehne verlustig erklärteMeermann V, Urk. 113.  Raynald zu 1252, §. 17.  Dipl. miscell. Urk. 8.  Gudeni cod. diplom. I, 624. Man wollte auch den Herzog von Baiern ächten, aber dies wurde von einigen noch hintertrieben., und jeden mit der gleichen Strafe bedrohte, welcher die seinen nicht binnen Jahresfrist von neuem muthe; – und diese Schlüsse, welche Kaiser und Reich für sich unbedenklich fassen und vollstrecken durften, schickte Wilhelm mit Eilboten an den Papst – zur Bestätigung! Aber freilich, der rechtswidrig gewählte König und seine Genossen stellten nicht den mächtigen Kaiser und das ehrwürdige Reich dar; sondern erschienen als Eidbrüchige und Aufrührer, sobald ihrem Treiben von der geistlichen Seite her keine angeblich höhere Grundlage gegeben wurde. Nur durch den Papst konnte der Graf von Holland den rechtmäßigen König seiner angestammten Lande verlustig erklären; auch war jener sehr bereit, Wilhelms Wünsche, welche die Reichsrechte dem 395 {1252 bis 1254} Willen des römischen Hofes unterwarfen, zu erfüllen. »Es gebührt sich,« sagt Innocenz in seiner gezierten Antwort »daß bis die Sprüche welche feierlich durch ein königliches Orakel bekannt gemacht werden, des väterlichen Schutzes apostolischer Bestätigung nicht ermangeln, auf daß sie unverletzlich bleiben.« Diese Minderung seiner Würde, welche Wilhelm nicht fühlte oder, seiner unglücklichen Stellung wegen, nicht fühlen durfte, ließen sich Geringere in ihren Kreisen nicht so gutwillig gefallen. Die Bischöfe von Schwerin und Ratzeburg, welche er, nach seiner eilig oberflächlichen Weise, dem Herzoge von Sachsen untergeordnet hatte, beschwerten sich lautMeermann II, 94. auf jenem Reichstage: wie man sie, unmittelbare Fürsten des Reiches, ungehört und ohne ihre Zustimmung einem Gleichgestellten unterwerfen, ihren Stand mindern, die Reichsunmittelbarkeit ihnen rauben dürfe?

Widersprüche solcher an der Reichsgränze liegenden, ohnmächtigen Bischöfe hatten indeß wenig Gewicht, oder verloren es durch die Fürsten, gegen welche sie fast noch mehr als gegen den König gerichtet waren; als aber dieser mit den großen rheinischen Erzbischöfen und Bischöfen in Zwist gerieth, verschlimmerte sich seine Lage gar sehr. Prälaten, die Urheber seiner Wahl, die Gründer seiner Macht, fanden, daß er sich dafür nicht dankbar genug bezeige: sie klagten, daß die Mannschaft des fast immer Geldbedürftigen größtentheils in ihren Besitzungen verweile und zehre, daß ihnen solch ein armer Kirchenkönig mehr zur Last falle, als früher die begüterten Reichskönige aus dem Hause der Hohenstaufen. So strafte sich ihr Thun auf sehr natürliche Weise; aber sie wollten lieber ihr eigenes Werk zerstören, oder auch wohl ganz ohne König leben, als länger auf ihre Unkosten einen Schattenkönig erhalten. Erzbischof Gerhard von Mainz war ganz mit ihm zerfallen; Erzbischof Arnold von Trier ließ bei Koblenz mehre seiner Leute erschlagen oder in den Rhein 396 {1252 bis 1254} werfenMeermann II, 102.  Raynald zu 1252, §. 18.  Albert. Stad. zu 1254.: Erzbischof Konrad von Köln ließ zu Nuys das Haus anzünden, worinn der König wohnte, um ihn zu verbrennen. Und wo die Vornehmsten mit solchem Beispiele vorangingen, blieben die Geringern nicht zurückBelgic. chronic. magnum 270.. In der utrechter Hauptkirche kam es zu so argem Aufruhr, daß man dem Könige einen Stein an den Kopf warf; und als seine Gemahlinn von Trifels nach Worms reisen wollteWaldec. chron. 813.  Origin. guelf. IV, 73.  Wormat. chron. 126.  Es geschah im Dezember 1254., nahm sie der Raubritter Hermann von Ritberg bei Oderheim gefangen, und ließ sie erst frei, als sie ihm alle ihre Kleinode einhändigte. Des Papstes Ermahnungsschreiben halfen gegen solche Übel nur wenigGudeni cod. dipl. I, 643.; und es ist mehr als wahrscheinlich daß Wilhelm bisweilen, im Gefühle der Ohnmacht, der Schaam und des Unrechtes, daran dachte, die von keinem geachtete Krone niederzulegenMath. Paris 556..

Mit etwas mehr Erfolg konnte er, bei der Nachbarschaft seiner Stammgüter, in den flanderischen Händeln auftreten.

Kaiser Balduin von Konstantinopel, vorher Graf von Flandern, Hennegau und Namur, hinterließ zwei Töchter, Johanne und Margarethe. Jene war zuerst vermählt an Ferdinand von Portugal, dann an Thomas von Savoyen, starb aber kinderlos im Jahre 1244. Margarethe hatte sich mit ihrem Vormunde Burkard von Avesnes heimlich verbunden und ihm drei Kinder geboren; was ihre ältere Schwester um so lauter mißbilligteNach einer Quelle in Bouquet XVIII, 589 wußte Margarethe nicht, daß Burkard früher in aller Stille Subdiaconus geworden war, und man hielt überhaupt die Ehe für gültig., da Burkard mehre Pfründen besaß und die Stelle eines geistlichen Stiftsherrn angenommen hatte. Die Hoffnung, in Rom vom Papste die Erlaubniß zu einer feierlichen Ehe zu erhalten, schlug 397 fehl; noch mehr aber erstaunte Burkard, als er auf dem Rückwege nach der Heimath erfuhr: Margarethe habe während seiner Abwesenheit Wilhelm von Dampierre geheirathet. Auf laut erhobene Klage ward er spöttisch von ihr an seine geistlichen Geschäfte verwiesen. Margarethe gebahr ihrem zweiten Manne ebenfalls drei Kinder und erhielt, nach dem Tode ihrer Schwester und ihrer beiden Ehemänner, die Herrschaft von Flandern und Hennegau. Wie aber diese Länder dereinst unter ihre Kinder zu vertheilen wären, darüber entstanden wichtige Bedenken, und schiedsrichterliche Urtheile des Königs von Frankreich beruhigten keinen TheilMiraei oper. diplom. Vol. I, p. 205, Urk. 87–88.  Martene thesaur. I, 1021.  Leibnitz. cod. Urk. 13.  Notices et extraits II, 220.  Math. Paris 594.  Innoc. III epist. libr. XIV, append. libr. XVI, 852.  Wilhelm. Egmond. 505.. Erst als Kaiser Friedrich die Söhne Burkards für ebenbürtig, als Innocenz IV nach einer neuen Untersuchung dessen Ehe für gültig erklärte; erhielten jene ohne Zweifel ein gleiches, ja vielleicht als die Erstgebornen sogar ein vorzüglicheres Erbrecht. Um dieselbe Zeit entspann sich aber die größte Feindschaft zwischen ihnen und ihrer, die nachgebornen Söhne auf alle Weise begünstigenden, Mutter. Um sich zu verstärken, heirathete Johann von Avesnes die Schwester König Wilhelms, und dieser forderte: daß Margarethe ihre Besitzungen von ihm zu Lehn nehme und sein Recht anerkenne, über die Vererbung derselben als Lehnsherr zu entscheiden. Die Gräfinn aber, welche meinte daß die Oberhoheit des deutschen Reiches keineswegs feststehe, und die Rechtmäßigkeit von Wilhelms Königthum obenein in Zweifel zog, lehnte nicht allein die Forderung ab, sondern verlangte nunmehr: Wilhelm solle, wegen mancher von Flandern und Hennegau abhängigen Besitzungen, ihr den Lehnseid leisten. Zornig gab dieser zur AntwortMeermann II, 121, 150, 155, 259.  Erfurt. chron. S. Petrin. zu 1254.: »soll ich ein Lehnsmann meiner Vasallinn, ein 398 {1253} Knecht meiner Dienstmagd werden? Soll ich, der Oberherr von Deutschland, wegen Reichsgüter einem andern Treue schwören? Solche Schande sey ferne von mir!« – Der Gräfinn wurden alle Reichslehne, dem Könige alle flanderischen Lehen abgesprochen; beide Theile rüsteten sich nach solchen Beschlüssen zu offenem Kriege. Doch kam es durch das Bemühen des Herzoges von Brabant noch einmal zu Unterhandlungen, welche aber die Gräfinn arglistig in die Länge zog, um unterdeß einen Einfall in Walcheren vorzubereiten und ihre Gegner zu überraschen. Wilhelm erhielt aber hievon glücklicher Weise noch so früh Nachricht, daß er Mannschaft zum Widerstande sammeln konnte. Daher wurden die Flanderer, als sie etwa zur Hälfte gelandet waren, am vierten Julius 1253 bei Westkappel unerwartet überfallen, gänzlich geschlagen, und zwei der jüngern Söhne Margarethens von dem ältesten gefangen. Sie suchte den Frieden, fand aber die allen andern Punkten vorangestellte Bedingung, persönlich um Verzeihung zu bitten, so hart, daß sie nochmals des Krieges gedachte. Als Johann von Avesnes dies hörte, ließ er seiner Mutter sagen: wenn sie auch nicht um seinetwillen einen billigen Frieden eingehen wolle; so möge sie doch um ihrer, von ihm gefangenen Lieblingssöhne willen, sich nachgiebiger beweisen. Sie aber gab mit einem, aller Würde vergessenden Zorne zur AntwortMath. Paris 505.  Salisburg chron. zu 1253.  Guil. Tyr. 740.: »um meiner Söhne, deiner Brüder willen, werde ich nicht nachgeben. Schlachte sie, grausamer Henkersknecht! Koche und siede den einen mit Pfeffer, brate den andern mit Knoblauch, und verschlinge sie!«

Um sich zu rächen, bot Margarethe dem Grafen Karl von Anjou das, ihrem Sohne Johann von Avesnes zugewiesene Hennegau an; und jener, solchen Antrag mit seiner gewöhnlichen Habgier ergreifend, setzte sich im Frühlinge des Jahres 1254 in den Besitz des Landes. Johanns 399 Gemahlinn dagegen suchte Hülfe bei ihrem Bruder König Wilhelm, und dieser machte Karln in höflichen Schreiben auf die Lehnsverhältnisse Hennegaus zu Deutschland und die Ungerechtigkeit seines Beginnens aufmerksam; bot ihm jedoch, im Fall er davon abstehe, seine Freundschaft an. Karl antwortete: »Hennegau werde er nicht räumen, seine Freundschaft möge Wilhelm andern anbieten, welche danach begierig wären; ihm liege nichts daran. Lieb solle es ihm seyn, wenn er den Wasserkönig aufs feste Land locken und seinen Muth an ihm kühlen könne.« Wilhelm schrieb hierauf zurück: »nur die Weiber schimpfen; ein tapferer Mann hingegen gebraucht mehr seinen Arm als seine Zunge. Trachtest du danach dich mit mir zu messen, so finde dich auf der Heide von Asche bei Mastricht ein, wo ohne Hinterhalt und Kunstmittel die Tapferkeit allein entscheiden wird.« Es kam aber weder zu einem Zweikampfe, noch zu einer allgemeinen SchlachtCod. Vindob. phil. No. 61, fol. 33; No. 305, fol. 94.  Cod. epist. 4957, p. 39.  Math. Paris add. 146.  Alb. Stadens.  Guil. Nangis 361, 362., und unter französischer, deutscher und päpstlicher Einwirkung wechselte Krieg und Waffenstillstand, bis erst in späterer Zeit Hennegau bleibend an die Avesnes, Flandern an die Dampierres kam.

Unterdeß langte im Sommer des Jahres 1254 die Botschaft vom Tode König Konrads IV in Deutschland an. Seine alten Freunde und Anhänger erschraken hierüber sehr und hätten gern Konradin, oder doch einen andern Gleichgesinnten auf den Thron erhoben; aber die Umstände erschwerten ihre Plane ungemeinLeibnitz. Prodromus Urk. 13.  Chron. Udalr. August.  Cod. Vindob. philol. No. 305, fol. 149, 151., und der Papst verbot jede neue Wahl aufs strengste. Jetzt erst, und das war sein Hauptgewinn, erschien Wilhelm von Holland als ein rechtmäßiger König, und der niederdrückende Vorwurf der Empörung und des Eidbruches verschwand. Außer 400 {1254} dieser innerlichen Reinigung und Beruhigung trat hingegen fast kein äußerer Gewinn ein, und seine ungünstigen Machtverhältnisse blieben im Ganzen unverändert. Zwar lud ihn der Papst schriftlich und durch den Kardinal Kapoccio zum Römerzuge einMiraei opera diplom. Vol. I, p. 425, Urk. 92.  Cod. Vindob. Phil. No. 61, fol. 32-35. No. 305n fol. 70., allein es fehlte Wilhelmen an Zeit, Geld und Kriegsmannschaft; und wenn er dies alles, etwa wie einst Friedrich I, in reichem Maaße besessen hätte, wäre der Papst, vieler abschreckenden Erfahrungen eingedenk, wohl nicht so zuvorkommend mit seiner Einladung gewesen.

Minder wichtige Geschäfte, die flanderischen Händel und Zwistigkeiten mit den Friesen, beschäftigten Wilhelm im Jahre 1255; und zu Anfang des nächstfolgenden bereitete er einen neuen Heereszug gegen jenen freiheitsliebenden, aller Beschränkungen abgeneigten, Stamm. Was Wilhelm von den Friesen verlangte, nannte er Zucht, Ordnung, Gehorsam; sie nannten es Sklaverei. Schon war jener mit zwei Kriegsschaaren weit in das Land der Westfriesen eingedrungen, als er am 28sten Januar 1256, in der Gegend des Berkmeers den übrigen auf dem Eise weit zuvoreilte, aber zum Theil seiner schweren Rüstung wegen durchbrach, und, ehe man diese Gefahr bemerkte, von den, aus einem Versteck herbeieilenden Friesen, ohne Rücksicht auf das Anerbieten einer großen Lösungssumme, erschlagen wurdeBelgic. chron. magn. 270.  Matth. Paris 621.  Colmar. chron. 1.  Albert. Stadens. Origin. guelf. IV, 75.  Chron. Udalrici August. Menconis chron. 157.  Wilh. Egmond 514.. Sie trugen seine Leiche hinweg, erschracken aber sehr als sie hörten, der unbekannte, von ihnen getödtete Ritter, sey der König gewesen. Jeder Theilnehmer schwieg aus Furcht vor der Strafe; und erst später wurde der Ort seiner Beerdigung entdeckt und für ein angemessenes Grabmahl gesorgt.

Ehe wir von den Folgen dieses Todesfalls für ganz 401 {1256} Deutschland sprechen, müssen wir, – da ja in diesen Zeiten so vieles ohne den König geschah –, einiger andern Begebenheiten erwähnen, welche an sich oder durch ihre Rückwirkung auf das Ganze denkwürdig sind.

Schon am neunten Julius 1252 war Herzog Otto von BraunschweigCorner 898.  Orig. guelf. IV, 73., der Schwiegervater König Wilhelms, gestorben und hatte seine Länder (mit Übergehung der dem geistlichen Stande sich widmenden Söhne) so getheilt, daß Albert, der ältere, Braunschweig, der jüngere, Johann, Lüneburg bekam. Trotz dieser Schwächung der Macht an den nördlichen Gränzen Deutschlands waren die Dänen nicht im Stande Fortschritte zu machen. Vielmehr hatten die Lübecker, als Erich IV im Jahre 1249 ihre Schiffe in seinen Staaten anhalten ließSartorius Gesch. der Hans. I. 141. und einen Versuch machte Nordalbingien zu erobern, mit einer Flotte Kopenhagen geplündert und Stralsund, nebst den benachbarten dänischen Ansiedelungen, verbranntLerbecke 513.. Eben so wurden dänische Anfälle im Jahre 1256 durch Herzog Albert von Braunschweig und die Grafen von Holstein mit Erfolg zurückgeschlagen.

Im Herzogthume Sachsen regierte Albert, der Enkel Albrechts des Bären; in der Mark Brandenburg die Brüder Johann und Otto, dessen Abkömmlinge im dritten Gliede. – Die Fehden über die thüringische Erbschaft dauerten mit geringen Unterbrechungen noch immer fort. Weil ein mächtiger König, welcher einstimmig mit den Fürsten darüber entschieden hätte, leider fehlte und im Wege des Rechtes nichts zu erlangen war, so blieb nur der Weg der Gewalt offen.

An den östlichen Gränzen des Reichs, besonders in Mähren, zeigten sich zu großem Schrecken von neuem die Mongolen. Weil aber ihre Macht schon zertheilt und ihre Thätigkeit mehr nach Asien gewendet warBohem. chron. 12.  Ludwig. reliq. XI, 295., so ging diese 402 Gefahr bald vorüber. Erheblicher sind die Verhältnisse Österreichs und die sich daran reihenden Fehden mit den Böhmen und Ungern.

Gertraud, Herzog Friedrichs des Streitbaren Nichte, erst Ladislavs von Mähren, dann Markgraf Hermanns von Baden Wittwe, fand im Lande wenig AnhangContin. Mart. Poloni 1419.  Schöpflin hist. Zaring. Badens. I, 324., weil man ihr Erbrecht nicht für das beste hielt, und ihr kleiner Sohn Friedrich zum Herrschen noch ganz unfähig war. Sie heirathete später einen russischen Fürsten, Romanus, der sie aber, als seine auf weltliche Herrschaft gerichteten Hoffnungen nicht in Erfüllung gingen, böslich verließ. Ein meißnisches Kloster gewährte der, durch dreifachen Wittwenstand gebeugten Fürstinn wenigstens äußere Ruhe, bis das Schicksal ihres Sohnes ihr noch weit bitterere Leiden bereitete.

Friedrich, Margarethens und König Heinrichs VII Sohn, unstreitig der nächste Erbe von Österreich, war unterdeß in Apulien gestorben und hiedurch des Kaisers, seines Großvaters, letztwillige Bestimmung vereitelt; König Konrad, welcher itzt von Rechts wegen das Schicksal des Landes hätte entscheiden sollen, besaß dazu keine hinreichende Macht; eben so wenig war Herzog Otto von Baiern geneigt, gefahrvolle Versuche einer Eroberung des ganzen Landes zu machenDoch hatte er sich im Lande ob der Ens festgesetzt. Rauchs Geschichte von Österr. III, 81., und Graf Meinhard von Görz der kaiserliche Statthalter, kehrte in seine Heimath zurück, weil er nicht glaubte sich behaupten zu können; Margarethe endlich, die jüngere Schwester Herzog Friedrichs, schien als Weib zur Regierung unfähig, und eine neue Heirath derselben hätte immer nur einen fremden Fürsten herbeigeführt. Daher beschlossen die in Trübensee versammelten Stände Österreichs, Bevollmächtigte an Markgraf Heinrich den Erlauchten von Meißen zu schicken, und ihm für einen seiner mit KonstanzeKonstanze war bereits 1243 gestorben.  Ludw. reliq. VIII, 237. 403 (der vorletzten Schwester Herzog Friedrichs) erzeugten Söhne die Herrschaft von Österreich anzubieten. Auf ihrer Reise nach Meißen wurden die Gesandten, an ihrer Spitze Heinrich von Lichtensteinv. Hormayr Taschenb. für 1822, S. 51., durch den König Wenzel von Böhmen, scheinbar aus bloßer Gastfreundlichkeit, eingeladen nach Prag zu kommen. Kaum aber waren sie daselbst angelangt, als der, wahrscheinlich schon früher von den Verhältnissen unterrichtete König ihnen aufs nachdrücklichste vorstellte: »es sey thöricht, bei der Wahl eines neuen Landesherrn ausschließend ein zweifelhaftes Erbrecht zu berücksichtigen und Kinder zu berufen, deren Unfähigkeit zum Herrschen außer allem Zweifel sey. Ottokar dagegen, sein Sohn, habe sich bereits als ein Mann gezeigt und besitze an ihm eine ganz andere Stütze, als jene Knaben an ihrem mit der Kirche überdies zerfallenen Vater. Gelte ihnen Verwandtschaft mehr als Mannhaftigkeit, nun so sey ja Gertrud mit seinem ältesten Sohne Ladislav vermählt gewesen, und Ottokar werde nicht abgeneigt seyn, der verwittweten Margarethe seine Hand anzutragen. Hiedurch entstehe in diesen Gegenden ein Reich, mächtig genug um Ungern und Mongolen zurückzuschlagen, und die Bedenken, welche etwa über die Erhaltung örtlicher und landschaftlicher Rechte entstehen möchten, ließen sich leicht durch sichernde Bedingungen heben. Weise man seinen Vorschlag trotz all dieser Gründe von der Hand, so dürfte es an andern Vorwänden nicht fehlen, Österreich mit Krieg zu überziehen, und statt eines treuen Freundes würden sie an ihm einen gefährlichen Gegner finden.« – Durch diese Vorstellungen und andere Kunst- und Geld-Mittel wurden die Gesandten ganz gewonnen, kehrten nach Österreich zurück und sprachen auf dem neu berufenen Landtage sehr bestimmt für Ottokar, während dieser sich an der Spitze einer nicht unbedeutenden Macht der Gränze nahte. Mit entschiedener Stimmenmehrheit ward er als Fürst anerkannt, kam ums Ende des Jahres 1251 in den Besitz 404 fast des ganzen Landes, und heirathete wenige Monate später, 22 Jahre alt, die 46jährige MargaretheChron. Urald. August. zu 1239 u. 1240.  Wipacher bei Westenrieder II, 98.  Dobneri monum. II, 366, No. XVIII.  Wadding III, 513.  Bohem. chron. Ludwig. 294. Lambacher Urk. 7, 8, 12, 17, 18.  Beitr. zur Gesch. von Österr. I, 180.. Der Papst, welcher im September 1248 Gertruds Recht für das beste erklärte, weil ihr Gemahl, Hermann von Baden sich gehorsam zeigte, bestätigte im Julius 1253 Margarethens ErbrechtWürdtw. nova subsid. IV, 36., Heirath und Herrschaft, sofern sie nebst ihrem Gemahl schwöre, der Kirche und dem Könige Wilhelm beizustehen. Ob Innocenz hiezu ein Recht habe, oder auch nur folgerecht verfahre, durfte man kaum fragen, da er sich in jener Urkunde nennt: »den Stellvertreter des wahren Gottes auf Erden und den Präsidenten der allgemeinen RepublikVeri Dei in his terris vicem gerens et universali reipublicae Praesidens.  Lang Jahrb. zu 1253.

Mit der Erwerbung Österreichs, so meinte Ottokar, sey ihm auch Steiermark anheim gefallen; wogegen die Stände dieses Landes, auf alte Rechte und Freibriefe gestützt, ihre Unabhängigkeit und ihr Wahlrecht behaupteten. Pfalzgraf Heinrich, der Sohn Ottos von Baiern, welchen sie zu ihrem Herzoge beriefen, glaubte sich nur mit Hülfe seines Schwiegervaters, Königs Bela von Ungern, erhalten zu können. Allein dieser wirkte eigennützig für sich selbst und bediente sich eine Zeit lang der damals noch nicht von ihrem letzten Gemahle verlassenen Gertrud, um einen scheinbaren Rechtstitel oder doch Kriegsvorwand zu bekommen. In den hierauf sogleich ausbrechenden Kriegen wurden die Länder wechselseitig durch DeutscheNeuburg. chron.  Salisburg. chron. zu 1252–54.  Zwetlense chron. recent. 532.  Bohem. chron. 72.  Pappenheim. Unrest kärnthische Chronik 494.  Haselbach 720.  Mellic. chron. Aventin. annal. VII, 6, 10.  Contin. Martini Poloni 1421.  Ulrich von Lichtenstein 258–260., Böhmen, Ungern und Mongolen auf die entsetzlichste Art verwüstet, Klöster und Kirchen nicht verschont, die Einwohner gefangen 405 hinweggeführt und eine furchtbare Hungersnoth veranlaßt. Endlich, im Sommer des Jahres 1254, schlossen Ottokar und Bela Frieden, wonach jener Österreich, dieser Steiermark behieltDas Nähere bei Rauch III, 152. König Wenzel von Böhmen starb den 20sten September 1253, und Ottokar zog im Jahre 1255 mit dem Markgrafen von Brandenburg gegen die heidnischen Preußen.  Murat. antiq. Ital. VI, 88.  Pulkava 224.  Neplachonis chr. zu 1257..

Nicht minder wichtige Veränderungen traten während dieser Zeit in Baiern ein. Herzog Otto, ohne Rücksicht auf päpstliche Bannsprüche der treuste Freund der Hohenstaufen, starbBavaric. chron. ap. Pez. II, 77.  Pappenh. Aventin. ann. VII, 6, 11.  Zschokke I, 503.  Erst 12 Jahre später erlaubte Papst Klemens IV, daß, nach vorhergegangener Genugthuung, der Leichnam Herzog Ottos in geweihter Erde begraben werde.  Monumenta boica X, 473. am 29sten November 1253, und seine beiden Söhne Ludwig und Heinrich regierten (weil damals noch kein ausschließendes Recht der Erstgeburt statt fand) gemeinschaftlich das väterliche Erbe bis zum Jahre 1255. Dann theilten sie dasselbe, um Streit zu vermeiden, wobei Ludwig die Pfalz am Rhein und Oberbaiern mit München und Ingolstadt erhielt; Heinrich dagegen Niederbaiern, nebst Landshut, Straubingen, Reichenhall, Amberg, Sulzbach und die Besitzungen bis an den böhmer WaldNäheres haben Andreas et Craft chron. 2085.  Bavaric. chron. 389.  Udalr. Aug. Zschokke II, 5.  Bavaric. chr. ap. Pez. II, 77.  Über die Theilung der Anrechte auf Regensburg Gemeiner Chronik 411; vergl. Avantin. annal. VII, 7, 3.. Papst Alexander ermahnte nochmals beide FürstenCod. Vindob. phil. No. 305, fol. 151.  Chron. Udalr. Aug. zu 1253 u. 1255., der Kirche und dem Könige Wilhelm anzuhangen, worauf sie sich zu 406 {1255} ihrem eigenen Vortheile mit den Bischöfen versöhnten, um den König aber nicht im mindesten bekümmerten.

Durch den Tod dieses ohnmächtigen Herrschers verlor das Reich zwar nicht viel, aber desto wichtiger war die Frage: wie Deutschland durch eine neue Königswahl aus der zeitherigen Bedrängniß errettet werden könnte. Selbst in den Zeiten hohenstaufischer Übermacht hatte der Gedanke an ein Erbrecht dieses Hauses keinen Eingang gefunden; wie viel weniger itzt, wo dem Knaben Konradin die Macht fehlte, und Papst Alexander IV im voraus jeden mit dem Banne bedrohteRaynald zu 12256, §. 3.  Kreisschreiben an die Erzbischöfe.  Lünig Reichsarchiv. Spicil. ecclesiast. von Mainz. Urk. 35.  Leibnitz. prodrom. Urk. 13.  Nach damaliger Rhetorik sagt der Papst: hic vehementer vigilandum est, hic perspicaciter intuendum, hic considerandum prudenter, hic mature deliberandum, hic provide praecavendum, hic aperiendi sunt oculi, hic habendae sunt aures intente, hic mens esse debet non rudis et torpida, sed diligens, pervigil et consulta etc.  Bullar. Romanum I, 111., welcher dessen Erhebung in Vorschlag zu bringen wage: denn er sey zur Regierung unfähig und aus einer der Kirche immerdar feindlichen, heillosen Familie entsprossen. Nun hätten aber die deutschen Fürsten doch auf jeden Fall eilig den Tüchtigsten und Mächtigsten aus ihrer Mitte erwählen und nicht hinter dem, für die Kirche so folgereichen und preiswürdigen, Verfahren der Kardinäle bei den Papstwahlen zurückbleiben sollen: allein zu der falschen leider schon als Grundsatz aufgestellten Ansicht, daß ein schwacher König der beste sey, gesellte sich eine neue, nicht geringere Verkehrtheit, nämlich: keineswegs einen Deutschen zum König der Deutschen erwählen zu wollen, sondern einen Ausländer, einen Fremden! Nur ein solcher, so hieß es, sey unparteiisch und dankbar, bringe Macht und Reichthum mit sich ohne Gefahr für die Freiheit, vermöge am wenigsten das Wahlrecht in ein Erbrecht zu verwandeln, dürfe seine Verwandten nicht auf Kosten der Fürsten erhöhen u. s. w. Ja einzelne meinten gewiß: man könne des 407 {1256} Königs wohl ganz entbehren, und wenn der Fremde sich oft in seine alte Heimath begebe, oder auch gar nicht nach Deutschland komme; so biete dies den besten Übergang, um die so verdrießliche Oberleitung ganz los zu werden. Leider konnte aber auch der Unbefangenste, Wohlmeinendste darüber in Verlegenheit gerathen: wer vor allen der Krone würdig sey; und die, welche aus Neid keinem Gleichgestellten künftig den Vorrang lassen wollten, suchten vorhandene Schwierigkeiten eher zu vermehren, als zu beseitigen. Die Welfen und Wittelsbacher waren durch Theilungen geschwächt, und Herzog Ludwig von Baiern außerdem, wegen seiner übertriebenen Strenge, keineswegs beliebt; Österreich herrenlos, oder in Fehden erschöpft; Sachsen und Brandenburg seitwärts gelegen und durch das Königthum wenig gereizt; die Erhebung eines Schwächern aber, wenigstens manchem, bedenklich, seitdem man erlebt hatte, daß niemand dem Könige als solchem mehr gehorchen wollte. Doch war die Rede davon, ob der Markgraf von Brandenburg, oder der König von Böhmen, oder der reiche Graf Hermann von Henneberg zu erwählen seyGebauer Leben Richards S. 35.  Schultes Geschichte von Henneberg, I, 116.  Gruner opuscul. II, 160.  Der König von Böhmen habe die Wahl, Zwist fürchtend, abgelehnt, bezeugt vereinzelt Contin. Mart. Pol. 1422.; dort aber blieb es beim Reden, und dem letzten Bewerber stellte sich bald ein Reicherer gegenüber. – Eigennutz nämlich war die zweite verwerfliche Leidenschaft, welche sich bei diesen Wahlgeschäften, bei diesem Versteigern der ersten Würde auf Erden hervorthat, und an das polnische Verfahren in den schlechtesten Zeiten dieses Staates erinnert. Davon hätten sich die drei rheinischen Erzbischöfe am meisten frei halten sollen; aber gerade diese gingen mit bösem Beispiele voran.

Erzbischof Gerhard von Mainz war nebst seinem Oheim, einem Grafen von Eberstein, auf ungebührliche Weise in das Land des Herzogs Albert von Braunschweig 408 {1256} eingefallen und gefangen worden. Den Grafen ließ der Sieger bei den Beinen aufhängenGebauer 83.; vom Erzbischofe forderte er ein Lösegeld, das dieser nicht aus eigenen Mitteln herbeischaffen konnte, sondern durch den Verkauf seiner Stimme bei der Königswahl zu erwerben hoffte.

Diese Gefangenschaft Gerhards gab dem Erzbischofe von Köln, Konrad von Hochstaden, desto freiere Hände. Sowie bei den Wahlen Heinrich Raspens und Wilhelms, zeigte er sich auch diesmal vor allen thätig und gedachte zuerst daran, dem Grafen Richard von Kornwall und Poitou die deutsche Königskrone zuzuwenden. Dieser, ein Sohn König Johanns und der Gräfinn von Angouleme, zählte bereits siebenundvierzig Jahre, und hatte sich in den Fehden mit Frankreich oft ausgezeichnet; oft war er aber auch mit seinem Bruder, dem schwankenden, übereilt hitzigen König Heinrich III von England in Zwist gerathen. Im Jahre 1240 unternahm er einen Kreuzzug und ward, in Erinnerung an seinen Oheim Richard Löwenherz, von den morgenländischen Christen mit großem Vertrauen und großer Theilnahme empfangen; allein die Verhältnisse lagen so ungünstig, daß er nur Askalon befestigen und einen Waffenstillstand abschließen konnte. Auf dem Rückwege ward Richard von seinem Schwager, dem Kaiser Friedrich II ehrenvoll aufgenommen, konnte aber dessen Streit mit Gregor  IX durch seine Vermittelung nicht zu Ende bringenAbbas S. Petri in Sparke zu 1208. Siehe oben S. 102.. Seitdem hatte er meist in England gelebt und durch Sparsamkeit, Geschenke des Königs, Handelsvorrechte, Bergwerke und Mittel aller Art, sein ursprünglich schon bedeutendes Vermögen so vergrößert, daß er damals wohl mit Recht für den reichsten Fürsten in Europa galt. Dies war der Hauptgrund, warum Erzbischof Konrad von Köln vor allem auf ihn sein Augenmerk richtete; außerdem ward noch angeführt: »ein deutscher Fürst sey nicht da; einen Hunnen, 409 {1256} Ungern, Slaven oder Franzosen könne und wolle man nicht wählen; eben so wenig zeige der Norden einen tüchtigen Bewerber. Richard dagegen sey zwar ein Ausländer, aber mit vielen deutschen Fürsten, auch mit den Hohenstaufen verwandt, dem Papste befreundet und des Kreuzzugs halber ehrenwerth.« Als nun Erzbischof Konrad Vertraute nach England sandte und dem Grafen gegen Zahlung gewisser Summen an die Hauptwahlfürsten die Krone anbieten ließ, übereilte sich dieser nicht, eingedenk des bösen Schicksals der bisherigen GegenkönigeMath. Par. 633.  Erfurt. chron. S. Petrin.  Salisburg. chron. zu 1257.  Lambert. addit. zu 1256.  Erfurt. antiquit.; und ging erst näher auf den Vorschlag ein, als ihm berichtet ward, er dürfe auf allgemeinere Beistimmung des Volkes und der Fürsten rechnen. Richards nach Deutschland abgesandte Bevollmächtigte wurden itzt dahin Handels eins, daß jener zahle: dem Erzbischofe von Köln 12000 Mark, dem Erzbischofe von Mainz 8000 (wovon jedoch Herzog Albert 5000 als Lösungssumme erhielt), den beiden Herzögen von Baiern 18000, jedem der übrigen Fürsten 8000 MarkSo sagt Wikes Chronik; doch ist hier wohl nur von den Fürsten die Rede, welche jetzt vorzugsweise als Wähler auftraten.. Viele glaubten, mit diesen so freigebigen Anerbietungen und Versprechungen wären alle Schwierigkeiten beseitigt: allein gerade hieraus entstanden gutentheils die neuen Bedenken und Widersprüche.

Arnold von Isenburg, Erzbischof von Trier, welcher bei der Wahl Wilhelms von Holland überall den Ausschlag gegeben hatte, nahm es übel, daß der Erzbischof von Köln dergestalt an die Spitze trete, für seinen Kopf Verhandlungen beginne, Verträge schließe, und sich selbst eine Summe von 12000 Mark ausbedinge, während mehre ihm gleichgestellte Fürsten und Prälaten mit 8000 Mark sollten abgefunden werden. Wenn man übrigens einmal einen Ausländer wählen wolle, so sey nicht der Graf Richard der würdigste Bewerber, sondern der gepriesenste König in 410 {1256} Europa, der Enkel König Philipps von Schwaben, Alfons der Weise von Kastilien.

Erzbischof Arnold und Herzog Albert von Sachsen (welcher auch für seinen Verwandten, den Markgrafen von Brandenburg bevollmächtigt war) hatten sich früher als ihre Gegner in dem Wahlorte Frankfurt eingefunden, und auch ein böhmischer Abgeordneter schloß sich ihnen an. Konrad von Köln (welcher auch des Erzbischofs von Mainz Stimme vertrat) und Herzog Ludwig von Baiern zogen zwar später, allein mit so zahlreicher Mannschaft herzu, daß jene ängstlich die Thore schlossen und erklärten: nur mit geringer Begleitung könne man sie in die Stadt aufnehmen. Über solche Beschränkung ungeduldig, erwählten Konrad und Ludwig in ihrem und des Erzbischofs von Mainz Namen, und nach genommener Rücksprache mit den sonst gegenwärtigen Fürsten und Prälaten, zwar außerhalb Frankfurts, aber doch auf fränkischer Erde, den Grafen Richard von Kornwall am 13ten Januar 1257 zum König der Deutschen. Erzbischof Konrad und einige andere Fürsten und Prälaten eilten selbst nach England, huldigten ihrem neuen Herrn, und wurden von ihm reichlich beschenkt.

Durch diese raschen Schritte ließ sich Erzbischof Arnold von Trier keineswegs von seinen Planen zurückschrecken, sondern versprach jedem seiner Mitwahlfürsten in Alfons NamenUngewiß, ob aus eigener Macht, oder ob Alfons in der Zwischenzeit befragt war und wirklich eingewilligt hatte.  Chron. Udalr. August. 20,000 Mark Silber, und ernannte am 15ten März 1257, für sich, Sachsen, Brandenburg und BöhmenEs scheint nicht, daß die andern Wahlfürsten gegenwärtig waren., den König Alfons von Kastilien zum Könige von Deutschland. Die Bischöfe von Speier und Konstanz und der Abt von S. Gallen überbrachten ihm die Nachricht von seiner Erhebung, und nahmen Abrede mit ihm über die weiter zu treffenden MaaßregelnArx Gesch. von S. Gallen I, 366.  Gallia christ. VI, 730.. – Den Franzosen war 411 {1257} diese Wahl, da man einmal keinen der ihrigen wollte, willkommener, als die Wahl Richards; ihre Unterstützung aber keineswegs von der Art, daß sie den Ausschlag geben konnteMath. Paris 645.  Rymer foed. I, 2, 11.  Wickes chron.. Vielmehr hatte Richard mit größter Eile alle Vorbereitungen getroffen, um nach Deutschland überzusetzen, landete in Dordrecht und ward am 13ten Mai 1257 in Achen gekrönt. Nichts empfahl ihn mehr als das Gerücht: sein Schatz sey (laufende Einnahmen ungerechnet) so reich, daß er, ohne ihn zu erschöpfen, zehn Jahre lang täglich hundert Mark ausgeben könneMath. Paris 634. Doch schossen die englischen Juden auch Geld vor.  Rymer foed. I, 2, 26., daß ihn zweiunddreißig achtspännige Wagen begleiteten, jeder mit einer Tonne beladen, so groß als ein Weinfaß von drei OhmCorner 902., – und diese zweiunddreißig Tonnen wären ganz voll Geld. Hiemit gewann er viele Freunde (so z. B. wahrscheinlich schon im Februar dieses Jahres den König von BöhmenRymer foed. I, 2, 24.; andere hingegen waren nicht feil, oder glaubten ihm aus innern Gründen widerstehen zu müssen; endlich wurden selbst diese großen Schätze erschöpft, worauf mehre sich von ihm lossagten und ohne Rückhalt äußerten: sie hätten ihn geliebt, nicht seiner Person, sondern seines Reichthums halberDicentes, quod eum non dilexerunt propter personam, sed ratione substantiae, et dederunt ei libellum repudii.  Auct. incert. ap. Urstis.!

Beide Könige suchten aufs eifrigste die Bestätigung des Papstes, welcher auch, mit Bezug auf frühere Erklärungen, behauptete, daß ihm bei zwistigen Wahlen die Entscheidung zustehe. Allein er besorgte, die Kirche könne durch einen solchen Ausspruch in Gefahr gerathen, und ihm war der Zwist welcher Deutschland in Ohnmacht stürzte, für seine italienischen Plane wahrscheinlich sehr willkommenMonach. Patav. 697.  Leibnitz prodrom. Urk. 14.  Dumont I, S. 216, Urk. 416. Umständliche Darlegung der Gründe und Gegengründe über die Doppelwahl, in dem Schreiben Urbans in Rymer foed. I, 2, 77.; daher verschob er, unter dem scheinbaren Vorwande, daß die Zweifel über die Rechtmäßigkeit der Wahlen noch nicht 412 {1257} gehörig geprüft wären, seinen letzten Ausspruch. Beide Könige übten Reichshandlungen jeder Art, und wenn eine große Zahl von Urkunden Beweis ächter Regierungsthätigkeit und wahrhafter Fortschritte gäbe, so hätte Deutschland damals eine schöne Zeit gehabt. Alfons, welcher den Beinamen des Weisen als König keineswegs verdiente, kam indeß gar nicht nach Deutschland, so daß Richard allerdings mehr Einfluß hatte als er; doch kümmerten sich viele so wenig um ihn, als um den Kastilianer, und seine häufige Abwesenheit in England war ihrem Streben nach völliger Unabhängigkeit ganz erwünscht. Richards Verschwendung englischer Gelder für deutsche Angelegenheiten, die mit Erlaubniß König Heinrichs erhöhte Besteuerung seiner GüterRymner foed. I, 2, 42, 73, 118.  Math. Paris 639., der eigennützige Betrieb des ihm ausschließlich überwiesenen Wechselhandels u. s. w. erzeugten in England große Unzufriedenheit; und wenn es daselbst auch nicht aus diesen, sondern aus andern Gründen zum Kriege mit den englischen Baronen kam, so trafen doch die Folgen Richard sehr schwer: er ward im Jahre 1264 in der Schlacht bei Lewes gefangen und erst nach funfzehn Monaten wieder entlassen. »Das wenige Öl (dies äußerten manche), was ihm in Achen auf den Kopf gegossen ward, hätte er zu Hause wohlfeiler haben können. Thörichtes England, das sich freiwillig so vielen Geldes beraubte! Thörichte Fürsten Deutschlands, welche ihr edles Recht für Geld verkauftenAnnal. Albiani bei Langebek I, 210.

In dieser Zeit, wo das Königthum und der Reichsverband für die Sicherheit bürgerlicher Verhältnisse keine hinreichende Gewähr leistete, suchte man auf andern Wegen einen Ersatz derselben. Die deutschen Städte, deren Ursprung in verschiedene Zeiten fällt, deren raschere Entwickelung aber mit der Regierung Kaiser Friedrichs I beginnt, 413 hatten öfter Schutz als Widerstand bei den Hohenstaufen gefunden: denn beide bedurften einander oft gegen die Macht der Fürsten und Prälaten. Als nun aber nach dem Tode Friedrichs II das Ansehn der Könige ganz dahinschwand, standen die einzelnen deutschen Städte, nicht bloß den Herzögen und Fürsten, den Erzbischöfen und Bischöfen gegenüber, fast ohnmächtig und hülflos da; sondern selbst einzelne Adliche und Raubritter durften den handeltreibenden Bürgern von ihren festen Schlössern aus das ärgste Übel anthun, ohne daß Mittel und Wege vorhanden waren, sich an ihnen zu rächen oder sie zu bestrafen. Was früher im einzelnen und ungenügend geschahSartorius Geschichte der Hanse I, 53., das trieben die Verwirrungen, welche unter König Wilhelms nichtiger Regierung aufs höchste stiegen, in umfassenderem Maaße hervorWormat. chron. in Ludwig reliq. II, 126.. Mainz, Worms und Oppenheim gedachten, wohl nicht ohne Erinnerung an den Vorgang der Lombarden, zuerst an einen größern Städtebund, und der Gedanke fand bei seiner Natürlichkeit und Nützlichkeit den allgemeinsten Beifall. Köln, Speier, Basel, Freiburg, Breisach, Hagenau, Weißenburg, Wetzlar, Marburg, Aschaffenburg, Bingen, Bacharach, Boppard, Andernach, Münster, Regensburg, über sechzig, meist rheinische Städte, traten in den neuen BundChron. Udalr. August. zu 1247.  Gemeiner Chronik 377.. Sie beschwuren im Sommer 1253 und im Herbste 1254 folgende Gesetze ihres VereinsUrkunden vom 12ten Julius 1253, und 28sten September 1254. (Wir nehmen hier nur die Hauptpunkte auf.) Zusätze im Jahre 1255 und 1256.  Leibnitz mantissa VIII, 93.:

»Es soll Friede seyn auf zehn Jahre, für Hohe und Niedere, Geistliche und Laien, die Juden nicht ausgenommen. Alle durch Reichsgesetze unbestätigte Zölle sind rechtswidrig und hören auf. Raubschlösser werden durch gemeinsame Anstrengungen unter erwählten Anführern zerstört. Gegen Feinde und Friedensbrecher leisten sich alle 414 {1254 bis 1256} Beistand. Ohne gemeinsamen Beschluß soll indeß kein Krieg erhoben, viel weniger einem erklärten Feinde heimliche Hülfe von Bundesgliedern geleistet werden. Der Bund wird die Bauern und armen Landleute schützen, wenn sie den Frieden halten; bekriegen, wenn sie an Fehden und Unbilden Theil nehmen. Rechtsfragen und Streitigkeiten unter Bundesgliedern entscheiden vier erwählte Geschworne, und in gewissen wichtigen Fällen der ganze Bund. Worms ist Haupt- und Mittelpunkt für die obern, Mainz für die untern Städte; jährlich werden vier allgemeine Versammlungen in Köln, Mainz, Worms und Straßburg gehalten. Die obern Städte von Basel bis zur Mosel stellen hundert, die untern Städte fünfhundert Kriegsschiffe und eine verhältnißmäßige Anzahl Matrosen und Landsoldaten. Gewisse Geldbeiträge werden von den Geschwornen nach dem Vermögen erhoben und berechnet. Jedes Bundesglied kann von seinen Nachbarn eine Erklärung verlangen, ob sie dem Frieden beitreten wollen; wenn nicht, so werden sie als fremd betrachtet und haben keinen Theil an den Vortheilen desselben. Der Bund verpflichtet sich, das Reichsgut auf alle Weise zu erhalten und zu vertheidigen. Demjenigen, welchen die Fürsten einstimmig zum Könige wählen, wird der Bund sogleich gehorchen; wählen sie dagegen zwiespaltig mehre, so wird er keinem beistehen, noch in eine Stadt aufnehmen, noch Geld leihen, noch irgend einen Dienst thun, und zwar bei Strafe des Meineides, Friedensbruchs und der gänzlichen Zerstörung.«

Als diese Beschlüsse bekannt wurden, mißfielen sie manchem Fürsten, und erregten insbesondere den größten Zorn der Raubritter. »Sollen,« so sprachen diese, »Bürger, Kaufleute und Krämer uns Gesetze vorschreiben und unsere Herren werdenAlbert. Stadensis. Staindel.?« Hingegen fühlten die besonnen und besser Gesinnten, daß die Umstände solchen Bund erforderten, daß er auf richtigen Grundsätzen beruhe, und es gerathener 415 {1254 bis 1256} sey, sich an ihn anzuschließen, als ihm zu widerstreben. Aus diesen und andern Gründen traten allmählich bei: die Erzbischöfe von Mainz, Trier und Köln, der Bischof von Metz, der Abt von Fulda, der Pfalzgraf Ludwig, der Herzog Heinrich von Baiern, die Grafen von Leiningen, Katzenellenbogen u. s. w. Einzelne minder mächtige Edle wurden auch wohl gezwungenCogunt in foedus.  Herm. Altah., am Bunde Theil zu nehmen. Hiedurch dehnte sich die Grundlage desselben einerseits allerdings auf eine erfreuliche Weise aus; andererseits aber minderte sich der innere Zusammenhang und die Gleichheit der Bestrebungen und Zwecke. Es mußte entweder von hier aus zu einer allgemeinen, erneuten Reichsverfassung kommen, oder die Gefahr einer baldigen Auflösung des Bundes eintreten.

Jene erste Gesetzgebung des deutschen Bundes erscheint umfassender, gründlicher, bestimmter, als was die Lombarden jemals in mehren Versuchen zu Stande brachten, oder zu Stande bringen wollten; aber die größere Macht der Prälaten und Fürsten hinderte, selbst in dieser Zeit geschwächten königlichen Ansehns, in Deutschland die Begründung einer ausschließlichen städtischen Herrschaft; auch hätte diese, nach italienischer Weise, bald zu innern bösen Fehden geführt. Wir mögen also, sofern der Bund nur wenige Jahre lang den Frieden erhielt, dessen Auflösung beklagen; müssen uns aber freuen, daß die Elemente des mannigfachsten geselligen Lebens sich damals weder in bloßes Kirchenthum, noch in bloßes Bürgerthum, noch in bloße Einherrschaft aufgelöset, und damit den Tod des wesentlich Deutschen herbeigeführt haben. Während in diesem Reiche manches dahinstarb, entwickelte sich anderes mit frischer Lebenskraft; wie sich dagegen der wahre, gänzliche Tod eines Reiches gestalte, das zeigt in eben diesen Jahren der Untergang des Chalifats.

Mit beispielloser Schnelligkeit hatte sich die Herrschaft 416 des Islam durch das Schwert verbreitet, über alle Länder von den Säulen des Herkules bis nach Indien, und von Äthiopien bis in die Wüsten des nördlichen Asiens. Aus gezwungenen Bekennern wurden die Besiegten nach und nach überzeugte Anhänger der neuen Lehre; und die rohen, bloß des Krieges kundigen Sieger verwandelten sich allmählich in Freunde des Friedens und der Wissenschaft. Bagdad, angelegt vom zweiten abbassidischen Chalifen Mansur, (um die Zeit der Gründung karolingischer Herrschaft im Abendlande) wurde der Sitz des Handels, der Gelehrsamkeit, der feinen Sitten. Neben dem Unterricht in angeblich mehr als hundert Wissenschaften, fand auch die Dichtkunst ihre Stelle; neben griechischer, dahin zu neuem Leben geflüchteter Weisheit, alle Künste asiatischen Aufwandes. Hunderttausende pilgerten zu diesem Sitze geistlicher wie weltlicher Herrschaft, geistlicher wie weltlicher Wissenschaft. Allein je reicher und bewundernswürdiger sich hier alle Verhältnisse gestalteten, je mehr Leben und Bewegung sich in dem Mittelpunkte, dem Herzen des ungeheuren Reiches zeigte, desto mehr starben die äußern Glieder ab. Bald wurde dort alles nur auf Genuß gestellt und hingewendet; und was sich für kräftige Thätigkeit ausgab, war fast nur zur Auflösung führende Empörung. Man verstand weder das Ganze in strengem Gehorsam beisammenzuhalten, noch eine höhere Form freiwilligen Vereins aufzufinden, noch es auf eine Leben erhaltende Weise zu theilen. Die ganze Geschichte des Chalifats löset sich allmählich auf in die Geschichte innerer Frevel und fremder zerstörender Angriffe. Es giebt fast keinen rohen Volksstamm von der Westküste Afrikas bis in das innerste unbekannte Asien, der nicht mehr oder weniger Theile jenes Reichs erobert, verwüstet, freiwillig verlassen, oder gezwungen wiederum andern Überzüglern eingeräumt hätte.

Und in Bagdad lagen eigentlich, trotz äußeren Scheines, die Dinge am übelsten: Stolz und Anmaaßung beim gänzlichen Mangel an weltlicher Macht, Prahlerei mit der 417 {1258} Wissenschaft bei geistloser Behandlung und Nachbeterei, frevelhaft leidenschaftliche Religionsstreitigkeiten nach dem Verschwinden von Zwang und Gehorsam. Die Chalifen waren seit langer Zeit ein Spielball der Emirn aus anderen Geschlechtern und Völkern; oder noch öfter Sklaven unwürdiger Günstlinge und ihrer eigenen Sündhaftigkeit. So auch Mostasem, der siebenunddreißigste aus dem Hause der Abbassiden, der sechsundfunfzigste seit Abubekr. An seinem Hofe verfolgten sich, ohne daß er Ordnung zu erhalten vermochte, die Parteien der Sunniten und Rafediten auf frevelhaft grausame Weise, und ein von ihm vertriebener Gelehrter Naßireddin arbeitete, gleich seinem Vezier Alkami, an dem Untergange des ohnehin todkranken Reiches. Jener reizte als Ankläger des Chalifen die Mongolen zu feindlichen Angriffen, dieser lockte sie fast noch mehr durch unzeitige Schmeicheleien; und, auf anderer Anstiften, wurden sie daneben durch übermüthige Antworten, oder vorsätzlich unbedeutende Geschenke beleidigt. Hiefür beschloß HulakuHulaku zerstörte 1256 auch den Raubstaat der Assassinen, und was davon noch übrig blieb, erlag später dem mamelukischen Sultan Bibars., der Enkel Dschingischans und ein Frevler gleich ihm, Bagdad anzugreifen. Ob man nachgeben, ob man widerstehen solle, darüber stritten sich die Häupter noch jetzt; und dem elenden Chalifen schien es selbst in diesem Augenblicke rathsamer, Geld zu sparen, als es zur Rüstung eines Heeres oder zur Befestigung der Stadt zu verwenden! Leicht wurde seine schlecht angeführte, unbedeutende Mannschaft geschlagen und die Belagerung begann. Der Mongole Hulaku verstand aber, trotz seiner Rohheit, neben dem Kriege auch die Künste der Arglist und Treulosigkeit. Er versprach dem Chalifen Sicherheit, ungestörten Besitz und seine Tochter dessen Sohne Abubekr zum Weibe; worauf sich Mostasem mit allen Reichen und Edeln zu jenem ins Lager begab, sehr freundlich empfangen und zu dem Befehl bewogen wurde: 418 {1258} alle Einwohner sollten sich, behufs einer Zählung, unbewaffnet vor den Thoren einfinden. Kaum aber war dies geschehen, als Hulaku sein Wort, daß ihnen kein Übel widerfahren solle, brach: er ließ die Gräben füllen, die Mauern schleifen, die Stadt plündern und die Einwohner niedermetzeln. Vierzig Tage lang dauerte die Plünderung, an 200,000 Menschen kamen ums Leben! Von allen herrlichen Gebäuden, frommen Denkmälern, unzähligen Moscheen, unersetzlichen Schätzen arabischer und persischer Kunst und Wissenschaft, wurde fast nichts gerettet. Den Chalifen, welcher noch große Geldsummen überliefert hatte, fragte Hulaku höhnisch und verächtlich: »warum hast du sie nicht verwandt, um dich zu vertheidigen?« Er ließ ihn in einen Thurm sperren, Schüsseln mit Golde gefüllt vorsetzen und verhungernSo erzählt Marco Polo bei Ramusio 5.  Abulfeda zu 1258.  Abulfarag 339.  Hammer Geschichte der Assassinen, Buch 7.  Deguignes III, 140.! So endete der letzte der einst die halbe Welt beherrschenden Chalifen, 1258 Jahre nach Christi Geburt, 636 Jahre nach der Flucht Muhameds. Bagdad verschwand zwar nicht ganz von der Erde, wie Ninive, Babylon, Egbatana, Ktesiphon, Seleucia (an deren Stelle jetztRitter Erdbeschreibung, II, 141. Löwen und Schakale, höchstens Räuberhorden hausen): aber es konnte sich von diesem furchtbaren Unglück nie wieder erholen, wurde nie wieder Mittelpunkt einer achtungswerthen weltlichen oder geistlichen Macht, nie mit seinen Umgebungen wiederum ein Gegenstand ächter, inhaltsreicher Geschichte. 419

 


 


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