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Nachdem wir, zur bessern Übersicht, die Geschichte der Kirchenversammlung von Lyon in ununterbrochener Folge erzählt, und den Inhalt des sich daran reihenden Schriftwechsels mitgetheilt haben, muß die Geschichte der übrigen gleichzeitigen Begebenheiten nachgeholt werden.
{1245} Sobald der Kaiser sah, daß der entflohene Papst durch keine Vorstellung nach Italien zurückgebracht werden könneNicolo da Tuccia 304., ließ er den Feldhauptmann Vitale von Aversa im Kirchenstaate mit den nöthigen Anweisungen zurück und begab sich selbst in seine Erblande. Hier traf er mehre Anordnungen für die öffentliche Sicherheit, wußte die Saracenen (da manche seiner christlichen Unterthanen ob des Bannes in ihrer Treue wankend wurden) mittelst neuer Begünstigungen in ihrer Anhänglichkeit zu bestärkenMartin de Canale 41 sagt, daß Friedrich viele Festungen mit Saracenen besetzte. Nur in den Bergen von Sicilien erhoben sie noch einige Male Unruhen. Historia Saracen. Sicula in Murat. script. I, 2, 278. Appendix ad Malaterram zu 1243–1245., und eilte, sobald er durch den Gebrauch der Bäder bei Puzzuoli von einer 183 {1245} Krankheit hergestellt warNiccolo da Tuccia 305., über Florenz wieder nach der Lombardei. Hier dauerten die alten Übel fortGriffò. Mutin. annal. Murat. annal., und aus der Unzahl kleiner unentscheidender Kriegsbegebenheiten prägen sich dem Gedächtnisse fast nur einzelne Züge von Grausamkeit ein, welche z. B. so weit ging, daß die Parmenser und Bologneser wechselsweise ihre Gefangenen umbrachtenGalvan. Flamma 277-278. Ghirardacci I, 166..
In Verona, wo der Kaiser am ersten Junius 1245, vier Wochen vor Eröffnung der Kirchenversammlung von Lyon, feierlichst eingeholt wurde, hatten sich auf seine Ladung, zu ernsten Berathungen eingefunden: der Kaiser Balduin von KonstantinopelZagata 40. Am 17ten Junius war Balduin von Konstantinopel, bei Friedrich in Verona. Bazano 561. Carlo storia III, 328., die Könige Konrad und Enzius, die Herzöge und Markgrafen von Österreich, Steiermark, Kärnthen, Mähren, Brandenburg und mehre andere. Außerdem, so hieß es, habe der Kaiser die Absicht, eine Heirath mit der Nichte des Herzogs von Österreich zu verabreden.
Alle Geschäfte (deren allerdings mehreSo belehnte der Kaiser Salinguerra mit Karpineto, Medicina, Argelata und vielen andern mathildischen Gütern, welche aber wohl größtentheils andere Besitzer hatten. Tiraboschi Moden. V, Urk. 827. Malvecio 914. beseitigt wurden) verloren indeß ihre Bedeutung im Vergleich mit der großen Frage über das Verhältniß des Kaisers zum Papste und zu den Reichsständen. Friedrich meinte: er werde überall ungebührlich gehemmt und könne auf der Bahn, welche ihm sein Beruf vorschreibe, fast nirgends mit Freudigkeit und Erfolg vorschreiten. Als ihm der Markgraf Obizzo Malaspina ein, ehemals sehr schönes, jetzt aber abgemagertes und elendes Pferd zum Geschenk brachteMadiolan. annal. und viele hierüber erstaunten, so sagte Friedrich, seine innere 184 {1245} Stimmung offenbarend: »wundert euch nicht; so wie dies Pferd einst schön, stark und von großem Werthe war, aber elend und jämmerlich geworden ist, so das einst herrliche und gewaltige Kaiserthum: denn weder in Deutschland, noch in Italien hat der Kaiser, was des Kaisers ist.« – Ehe man über diese Rechte zu genauern Untersuchungen und Beschlüssen kam, wurde das gute Verhältniß durch Streitigkeiten zwischen Veronesern und Deutschen gestört, wobei ein edler Lehnsmann des Herzogs von Österreich umkamRolandin. Patav. V, 13. Wir können nicht näher in das einzelne eingehen, und verweisen auf die Prüfung in Verci Ecel. II, 231.. Einige argwöhnten, ohne Grund, der Kaiser habe das Ganze angestiftet um zu prüfen, ob sein oder Ezelins Ansehn in der Stadt mehr gelte; andere hingegen behaupteten, Ezelin habe böswillig die Veroneser aufgereizt: wie dem auch sey, der Herzog von Österreich verließ die Stadt, und der Kaiser eilte, als er von dem Eröffnen der Kirchenversammlung hörte, im Julius 1245 nach TurinNach Ferrero II, 174 wäre der Kaiser einen ganzen Monat in Turin gewesen..
Kaum hatte er sich hier mit dem Grafen von Savoyen verständigtMoriondus I, Urk. 206. Galv. Flamma 279. und mit dem Markgrafen Bonifaz von Montferrat ausgesöhnt, so traf die Nachricht ein: der Papst habe ihn abgesetzt und ein enges Bündniß mit den Lombarden geschlossenSavioli III, 2, 636. Auch mit den unzufriedenen Deutschen traten die Mailänder in Verbindung., welches jeden einseitigen Frieden untersage. Hiedurch erhielten alle Ansichten und Pläne eine neue und gewaltsamere Richtung. Der Kaiser begab sich nach Pavia zurück und begann, in Verbindung mit Cremona, Reggio, Parma, Lodi und Bergamo, den KriegBazano 561.. Am 21sten Oktober lagerte er bei AbbiateBarthol. ann. Mediolan. ann., hielt es aber nicht für gerathen den Übergang über den Ticino zu erzwingen, da die 185 {1245} Mailänder von Genua aus ansehnlich waren verstärkt worden. Einundzwanzig Tage standen beide Heere einander gegenüber, welche Zeit König Enzius rastlos benutzte, um auf dem linken Ufer der Adda alle kaiserlich Gesinnten zu versammeln. Im Norden von Mailand wollte er sich, dies war der geheime Plan, mit seinem Vater vereinigen, und hiedurch eine entscheidende Überlegenheit im Felde herbeiführen. Zu dem Zwecke zog Friedrich rasch von Abbiate den Ticino aufwärts nach Buffalora, und dann, weil die Mailänder ihm unter Anführung des päpstlichen Gesandten Gregor von Montelongo schnell folgten, noch nördlicher gen Kasteno. Mittlerweile war Enzius unerwartet und zum großen Schrecken der Mailänder auf der entgegengesetzten Seite bei Kassano über die Adda gegangen und bis Gorgonzuola vorgedrungenDie Nachricht von dem großen Siege über die Mailänder, bei Math. Paris 464, ist, wie Murat. annal. schon gezeigt hat, zum mindesten übertrieben. Man sieht wenigstens keine Folgen desselben.. Dennoch verzagten jene nicht, sondern hielten den Kaiser mit einem Theile jener Macht noch immer bei Kasteno auf, während sie Simon von Lokarno mit anderer Mannschaft dem Könige entgegenschickten. In dem heftigen, vielleicht schon siegreichen Gefechte ward Enzius durch Panera von Buzano vom Pferde geworfen und gefangen. Zufolge einer Nachricht befreiten ihn Krieger aus Reggio und Parma; zufolge eines andern Berichtes ließ man ihn erst los, nachdem er beschworen, er wolle nie das mailändische Gebiet wieder betreten, und seinen Vater zu einem ähnlichen Eide bewegenDie erste Nachricht steht in den Memor. Reg. Potest. 1114, die zweite in Mediol. annal.. Auf jeden Fall gab der Krieg keinem Theile das Übergewicht; der Kaiser entließ am 12ten November den größten Theil seines Heeres, und brachte den Winter meist zu Grosseto im Toskanischen zu.
Um die Zeit als er noch in der Lombardei stand, traf 186 {1245} die Nachricht ein: daß der Graf von Savoyen die von der Kirchenversammlung zurückkehrenden venetianischen Botschafter, Renier, Morosini und Johann von Canale angehalten habe. Sie wurden auf des Kaisers Verwendung sogleich frei gelassen, suchten ihn dankbar auf und Renier sprach: »Herr, wir gingen auf Befehl unseres Herzogs zur Kirchenversammlung: aber wir sind zornig und betrübt über das, was dort geschehen ist, wir sehen darin klärlich den Tod und den Untergang der ganzen ChristenheitNous veens aptement la mort et la destrucion de tote la crestienté. Martin da Canala 40, als Hauptquelle. Dandolo sagt: excusationes coloratas, sed non justas, sagaciter praestiterunt.. Venedig will keinen Krieg mit euch, sondern die Fortdauer des Friedens, und eure Unterthanen sollen gern und ehrenvoll daselbst aufgenommen werden.« Friedrich antwortete: »da ihr auf der Kirchenversammlung waret, so kennt ihr des Papstes Verfahren. Wie aber durftet ihr mich, dem ohnehin so großes Unrecht geschieht, ohne allen Grund anfallen und mir so viel Schaden zufügen? Ich weiß, daß Venedig durch seinen Handel großen Gewinn aus meinem Reiche zieht; ich weiß aber auch, daß meine Unterthanen nicht weniger von Venedig gewinnenWie viel richtiger, als manche neuere Schriftsteller, sah der Kaiser in diesen Handelssachen.; wollt ihr also das Vernünftige und allen Heilsame, wollt ihr den Frieden, so bin ich gern bereit mit euch unterhandeln zu lassen.« In ähnlichem Sinne wie Renier, sprachen itzt Morosini und Canale. Als dieser indeß gar zu stark versicherte: die Venetianer wüßten sehr wohl, wie ungemein großen Gewinn sie von dem Handel mit den kaiserlichen Staaten hätten; ergriff ihn Renier heimlich bei der Hand, um ihm dadurch einen Wink zu geben, er solle Wahrheiten solcher Art etwas bedachtsamer verbergen. Friedrich, welcher dies bemerkte, sagte jedoch lachend: »laßt nur, laßt, ich weiß dies alles sehr gut.« Hierauf fuhr Renier fort: »ja, Herr, wir haben großen Gewinn: 187 {1245} aber erinnert euch auch, daß, als sich während eurer Jugend diejenigen empörten, welche die Treusten hätten seyn sollen, Venedig euch kein Leids that; daß es den Antrag Kaiser Ottos ablehnte, mit nach Apulien zu ziehen und euer Reich zu theilen; daß es die Kirche in ihrem Kriege gegen euch nicht unterstützte. Deshalb bitte ich euch um Gottes willen, einer einzelnen Beleidigung nicht mehr zu gedenkenWahrscheinlich bezog sich dies auf die grausamen Verwüstungen in Apulien. Der Hinrichtung Tiepolos erwähnen die Gesandten gar nicht, seys aus Politik, oder weil die Sache anders war, als man sie gewöhnlich erzählt.; laßt lieber Friede seyn zwischen euch und uns.« Da sprach der Kaiser: »bei Gott, so sey es!« und der Friede dauerte, bis ihn später Ezelin und einzelne kriegslustige Venetianer störten.
Nicht überall kam man auf so milde Weise zu einer Verständigung. In Parma z. B. hatten die daselbst wohnenden Verwandten des Papstes einen Aufstand gegen den Kaiser angezettelt. Sie wurden aber nach dem Siege der Ghibellinen aus der Stadt gejagtMath. Paris 479. Parmens. chron. zu 1246. Ghirard. I, 167, zu 1245., ihre Häuser niedergerissen, die Einnahmen des Bisthums eingezogen, und jedem Verkündiger des päpstlichen Bannspruches der Verlust der Hände angedroht.
Noch unruhiger sah es in Florenz aus. Seitdem sich im Jahre 1228 Philipp PaternonLami memorabilie II, 1203. Lezioni II, 494-612. als Bischof an die Spitze der Patarener oder Katharer gestellt hatte, mehrte sich ihre Zahl dergestalt, daß jetzo wohl ein Drittheil der Einwohner, und darunter sehr mächtige Männer, ihrer Lehre zugethan waren. Diese stimmte im allgemeinen mit der anderwärts bereits dargelegtenBuch VI, S. 271.; doch heben wir aus den gerichtlichen Verhandlungen noch folgende Sätze aus: »Christus hatte keinen menschlichen Leib, sondern brachte ihn vom Himmel. Wein und Brot sind im Abendmahle nicht sein 188 {1245} Leib und Blut, sondern aus den vier Elementen zusammengesetzt und unvergänglich. Die Körper erstehen nicht aus dem Grabe. Fleischessen und Schwören wurde durch Christus schlechthin verboten. Mann und Weib die sich beschlafen, können nicht selig werden. Das Auflegen der Hände von Gläubigen giebt die erlösende Taufe: aber Christus kam nicht in die Welt um alle zu erretten. Es ist Sünde vor Gott, Verbrecher körperlich zu strafen. Die römische Kirche ist nicht die Kirche Gottes u. s. w.«
Gegen diese Irrlehren traten, in Vollmacht des Papstes, der Bischof Ardingho von Florenz und Roger Kalkagni auf. Sie leiteten die Untersuchungen, begünstigten Angebereien selbst unter den nächsten Verwandten, und ließen sich weder durch den Zorn der Männer, noch durch die Standhaftigkeit der Weiber, auf ihrem angeblich durch die Pflicht gebotenen Wege zurückhalten. Mit Hülfe einer sogenannten Gesellschaft des Glaubens, füllten sie alle Gefängnisse, und Hinrichtungen und Verbrennungen gehörten zur Tagesordnung. Weil nun weder Gewalt noch Widerspruch des kaiserlichen Podesta Pandolfo von Fasanella hiegegen schützte, so hielten es die Angeklagten und Verdächtigen für gerathener, sich auf wiederholte Ladungen zu stellen und Besserung zu geloben. Bald aber spürten die Ketzerrichter Rückfälle aus, und die Verfolgungen begannen mit neuem Eifer. Da erklärte der Podesta am 12ten August 1245, etwa vier Wochen nach dem lyoner Bannspruche: »der Kaiser verbiete feierlich solch Verfahren und fordere die Niederschlagung aller Prozesse.« Statt zu gehorchen, vereinten die Ketzerrichter alle Strenggläubigen, und es kam noch in demselben Monate zu zwei höchst blutigen Gefechten, welche sich für die Minderzahl der Angeklagten nachtheilig endigtenBorghini IV, 445.. Während manche des Kaisers Gerechtigkeit und Duldsamkeit laut priesen, weil er jenen Verfolgungen widersprach; sahen andere in dem Begünstigen von Ketzern und in seiner Behandlung der Geistlichen, nur neue Beweise frevelhaften Unglaubens.
189 {1245} Schon vor seiner Absetzung hatte Friedrich die Geistlichen in Hinsicht auf Steuern, Gerichtsstand und Unterwürfigkeit fast den Laien ganz gleich gestellt; und nach jenem Ereignisse blieb ihm noch weniger Grund oder Neigung, sie zu schonen. Deshalb wurden die, nach seiner Überzeugung viel zu zahlreichen Bisthümer und Pfründen im Falle der Erledigung keineswegs ohne Ausnahme besetzt; wenigstens klagte der Papst, daß an funfzig Kathedralen und unzählige Pfarreien, zum Verderben des Volks, leer ständenCodex Palatin. Vatic. No. 953 p. 65 und Cod. epist. Vatic. No. 4957, 32. – Das Erzbisthum Amalfi war funfzehn Jahre unbesetzt. Chron. Archiep. Amalfit. 170.. Ferner wurde befohlenPetr. Vin. I, 4, 10.: »alle Geistliche zahlen ein Drittel ihrer Einnahmen, um die Kirche von der päpstlichen Tyrannei zu befreien; alle schwören dem Kaiser und seinem Sohne Konrad einen neuen Huldigungseid. Wer des Papstes Bannspruch verkündet und keine Messe lieset, wird verjagt und verliert seine Güter; wer dem Kaiser gehorcht, bleibt dagegen in seinen Stellen und erhält das Recht, von Laien zu erben. Der Kaiser wird sich nie mit dem Papste aussöhnen, ohne für diese Getreuen in jeder Beziehung gesorgt zu haben. Sie allein erhalten die Erlaubniß, ihren Wohnort zu verlassen; sonst steht harte Strafe auf alles eigenmächtige Umherziehen im LandeRipoll I, 158. Erfurt. chron. S. Petrin. Chioccarello catal. zu 1243. Malespini 167. Wadding III, 2. Codex epist. Vatic. No. 4957, 18..« – Nun hatte aber der Papst seinerseits den Bettelmönchen das Umherziehen recht eigentlich zur Pflicht gemacht, damit sie überall gegen den Kaiser wirken, seine Absetzung verkünden, Nachrichten einziehen, Geld sammeln und das niedere Volk aufreizen könnten. Deshalb erklärte Friedrich: »da die Bettelmönche, aller wiederholten Warnungen ungeachtet, keinen Frieden halten, so können sie auch keinen Frieden verlangen«. Sie wurden über die Gränze gebracht; – und mit dieser 190 {1245} Maaßregel war selbst die den Bettelmönchen feindliche Weltgeistlichkeit zufrieden. Einige von jenen verfluchten den Kaiser wegen seiner Strenge; ja bei dem Einzuge in eine Stadt hielt ein Minorit dessen Pferd an und sagte ihm die ärgsten Schimpfreden und Verwünschungen ins Angesicht. Friedrichs Begleiter wollten den Mönch hiefür züchtigen, jener wehrte ihnen aber und sprachVitoduran. 4.: »laßt den Menschen, er möchte gern ein Märtyrer werden, aber durch mich soll er seinen Zweck gewiß nicht erreichen!« Andere Bettelmönche hingegen äußerten, milder gesinnt: sie dürften über ihre Vertreibung nicht klagen, denn ihre Heimat sey ja überall und nirgends. Damit keine, schon längst verbotene, Geldzahlungen an den Papst statt finden könnten, wurden Häfen, Küsten und Handelsstraßen genau bewacht, und im Fall sich verdächtige Spuren fanden, selbst die Bücher der Kaufleute und Wechsler eingesehenMath. Paris 388, 414.. Die Überführten traf schwere Strafe an Leib und Gut; auf daß ihr Beispiel lehre: gegen den Kaiser zu wirken, sey eben so gefährlich, als unrechtmäßig.
Über diese Verhältnisse schrieb der Papst an alle Prälaten, Barone, Beamte, Obrigkeiten, ja an alle Einwohner des sicilischen ReichsRaynald zu 1246, §. 11. Schreiben von 26sten April.: »von jeher habe ich den größten Antheil an euren Leiden genommen, und eure Geduld kaum damit entschuldigen können, daß ihr euch vor eurem neuen Nero so sehr fürchtet. Jetzt, nachdem meinerseits alles mögliche gegen diesen gethan ist, muß ich euch bei Gottes Barmherzigkeit anflehen und euch zur Vergebung der Sünden auflegen, daß ihr von dem verdammten Menschen, an den ihr durch keinen Eid mehr gebunden seyd, ohne allen Verzug und alle Ausflüchte abfallet, und zu meiner und der Kardinäle Freude, in den Schooß der römischen Kirche zurückkehrt.« – Ferner hob der Papst alles auf, was der Kaiser in Hinsicht der Personen und Güter dem gemeinen 191 Kirchenrechte zuwider verfügt hatte, und nannte ihn dabei einen räuberischen Wächter, vergeudenden Verwalter, verletzenden Beschützer, irrenden Führer, übereilenden Fürsten, einen zerstörenden KönigCustos praedans, gubernator dissipans, defensor offendens, dux devians, princeps praecipitans, rex rodens. Schreiben vom achten December des Jahres VI. Baron. de Monarch. Siciliae 338. Tedeschi 338.. – Zwei Kardinäle, Rainer Kapoccio und Stephan de RomanisBaldassini XVII. Cardella I, 2, 222. Savioli III, 2, 637., erhielten unumschränkte Vollmacht, auf alle Weise gegen Friedrich zu wirken, die Ghibellinen umzustimmen und die Guelfen zu nachdrücklichen Maaßregeln anzuhalten. In der Lombardei und in Tuscien blieb indeß, aus den erzählten Gründen, der Erfolg unentschieden; in der Mark Ankona wurden die verbündeten Guelfen sogar von Friedrichs Feldherrn, dem Grafen Robert, geschlagenAmiani I, 201. Ughelli Italia sacra II, 543., und überhaupt hoffte der Kaiser im nächsten Frühlinge mit verdoppelten Kräften und noch größerem Erfolge gegen alle seine Feinde auftreten zu können. Da entstanden ihm neue dringendere Gefahren von einer Seite her, wo er sie am wenigsten erwartete.
Pandolfo von Fasanella1240 – 1245 war Pandolf Statthalter. Cartepec. di S. Salvatore Urk. 474. Cod. di Volterra Urk. 519. Ughelli Ital. sacra VII, 468. Camici zu 1246, p. 32. Niccolo da Tuccia 357. Bartholom. annal. Ein Pandolf Fasanella war 1266 Justitiar Karls I in Bari. Pirri sicil. II, 1199., seit 1240 Statthalter in Tuscien und noch vor kurzem der eifrige Vollstrecker kaiserlicher Befehle, Jakob von Morra, vielgeltend an Friedrichs Hofe, Andreas von Cigala, Oberfeldherr im sicilischen Reiche, die Grafen von S. Severino, Theobald Franzesko, und andere apulische Barone verschwuren sich: sie wollten gegen den Kaiser Aufstand erheben, ihn aller Herrschaft berauben, ja ihn ermorden. Beleidigter Ehrgeiz und persönlicher Haß, eigennützige Hoffnungen und päpstliche 192 {1246} Darstellungen wirkten so mächtig neben und durch einander, daß jene aller Dankbarkeit und Treue vergaßen und in Hochverrath und Mord ein Verdienst erblickten. Im Anfange des Jahres 1246, während sich der Kaiser zu Grosseto aufhielt, war alles reif zur Ausführung jenes Vorhabens, und schon erzählte der Bischof Heinrich von Bamberg, welcher von Lyon zurückkehrteHofmann annal. Bamberg., verglichen mit Petr. Vin. II, 10 und Math. Par. 479, beweiset, daß vom Bischofe von Bamberg, und nicht von Bari, die Rede ist., unterwegs mit lauter Freude: »binnen kurzem werde der Kaiser von seinen eigenen Vasallen ermordet werden.« Da bekam die Gräfinn von KasertaDiese Gräfinn nennt die Historia Sicula 779, und Chron. imper. Laurent. Vergleiche Petr. Vin. II, 10, 20, 52; III, 61., Friedrichs würdige und hochgesinnte Freundinn, Nachricht von den finstern Planen; und noch einige andere bestätigten furchtsam, oder reuevoll, oder treu gesinnt, die Wahrheit ihrer Anzeige. Mittlerweile hatten die übrigen Verschwornen, überzeugt, daß die erste Hälfte ihres Plans in Grosseto gelungen sey, öffentlich in Apulien verkündet: der Kaiser sey todt. Andreas von Cigala besetzte, als Oberfeldherr, ungehindert mehre Burgen für die Empörer; der Kardinal Rainer, welcher, von Perugia her mit einem in aller Stille gesammelten Hülfsheere nahte, zweifelte nicht, das ganze Reich werde binnen kurzer Frist für den Papst zu willkürlicher Vergabung erobert seyn.
In diesem Augenblicke unbegränzter Hoffnungen erhielten die apulischen Verschwornen auf einmal die Nachricht: ihre Plane seyen entdeckt, Pandolf Fasanella und Jakob Morra zum Kardinal Rainer entflohen, und der Kaiser selbst bereits in Apulien angelangt. Mit solcher Schnelligkeit und solchem Nachdruck ergriff er hier die nöthigen Maaßregeln, und mit solchem Eifer unterstützten ihn die den Verrath verabscheuenden Bewohner des ganzen Landes, daß die Empörer kaum Zeit behielten, sich in zwei Schlösser, Skala 193 {1246} und Kapoccio, zu retten. Binnen kurzer Frist wurde das erste eingenommen, und der Kardinal Rainer am 31sten März 1246 durch den kaiserlichen Feldherrn Marin von Ebulo, bei Askoli gänzlich geschlagen. Kapoccio hingegen widerstand, bis Mauern und Thürme durch die rastlose, Tag und Nacht nicht unterbrochene Thätigkeit der Belagerer, niederstürzten, und der Mangel an Lebensmitteln und Wasser aufs höchste stiegPetr. Vin. II, 10, 20.. Am 18ten Julius ergaben sich Theobald Franzesko, Wilhelm Graf von S. Severino, Gaufredo von Morra, Robert und Richard Fasanella und mehre andere Edle, nebst 150 Mannen und Dienern. Ferner nahm man zwanzig hieher geflüchtete Mädchen, Frauen und Witwen gefangen; man fand endlich vierzig lombardische Geißeln, welche Theobald hatte befreien wollen.
Der Kaiser, welcher nach seinen Briefen jede Ungebühr im sicilischen Reiche dergestalt empfand, als beträfe sie seinen Augapfel, beschloß den Hochverrath dieser vornehmen, oder von ihm äußerst begünstigten Personen und Beamten so streng zu bestrafen, als Herkommen und Gesetze damals vorschrieben. Diese Ansicht siegte um so mehr ob, als die Gefangenen behaupteten: sie gehorchten nur den Befehlen des Papstes und führten die Sache der römischen Kirche; weil sie (nach Friedrichs Erzählung) frei und ohne allen Zwang bekannten, daß selbst seine Ermordung, unter Beistimmung des Papstes, in ihren Planen gelegen habe! – Die gefangenen Frauen wurden ins Gefängniß nach Palermo gebracht; man hat sie seitdem nie wieder gesehenNunquam postea comparuerunt. Append. ad Malat. 1244.. Die überführten Hauptverbrecher wollte der Kaiser anfangs, mit der päpstlichen Bulle vor der Stirn, in alle Länder umherführen lassen, zum abschreckenden Beispiele und zum Beweise seines gerechten Hasses gegen den mordlustigen Statthalter Christi; dann zog man vor, die Strafe an den Schuldigern schnell zu vollziehen. Sie wurden gerädert, nachdem man 194 {1246} ihnen vorher die Augen geblendet, die rechte Hand abgehauen und die Nase abgeschnitten hatte.
Um dieselbe ZeitTansius 82. hatten die übrigen Glieder der seit längerer Zeit gegen Friedrich meuterischen Familie S. Severino, Mannschaft, wahrscheinlich zum Entsatze von Kapoccio gesammelt, erlitten aber in den kanosischen Feldern eine völlige Niederlage. Von dem ganzen Hause wurde nur ein neunjähriger Knabe, fast durch ein Wunder, gerettet und vom Papste erzogen; er focht später im Heere Karls I gegen Konradin.
Des Kaisers Sieg war also vollkommen, und nur sehr wenige hielten den Abfall jener Vasallen und Beamten durch weltliche oder kirchliche Gründe für gerechtfertigt; aber mancher Unschuldige wurde wohl mit in das Verderben verwickeltChronic. imper. Laurent., die Härte der Strafe erzeugte Mitleiden, selbst für die Schuldigeren, und überall erschien es beklagenswerth, daß Furcht den sich bekundenden Mangel an Liebe und Vertrauen ersetzen sollte.
Der kaiserlichen Klage über des Papstes Theilnahme und Mitwirkung, folgten bald Gegenbeschuldigungen von Seiten des letztenMath. Paris 481, 486, zum Theil zu 1247.. Zwei Männer wurden in Lyon verhaftet, welche Friedrich zur Ermordung des Papstes hingesandt haben sollte; weil aber genauere Beweise und Nachrichten ausblieben, so hielten viele das Ganze für erfunden. – Umständlicher lautet eine zweite Erzählung: Radulf, ein Dienstmann Friedrichs, gab seine Stelle auf, weil ihm der Sold nicht immer zur bestimmten Frist ausgezahlt wurde, und begab sich, in der Hoffnung einer einträglichern Anstellung, nach Lyon. Hier fand und beredete ihn Walter von Okra durch das Versprechen überschwänglich großer Belohnungen, den Papst, welcher für seine Sünden den Tod vielfach verdient habe, zu ermorden. Ein Gastwirth 195 {1246} Namens Reginald ward ins Geheimniß gezogen, und übernahm es, – da er den Papst und die Kardinäle kannte –, für ähnliche Zusicherungen Ort und Gelegenheit zur That nachzuweisen und herbeizuführen. Plötzlich erkrankte indeß Reginald, und erzählte seinem Beichtiger das Obige, worauf Radulf gefangen ward, aber beharrlich leugnete, bis ihn die Folter zum Bekenntnisse zwang.
Bald nachher, so lautet eine dritte hieher gehörige Erzählung, wurden in Lyon zwei Italiener verhaftet, welche gestanden: sie hätten sich mit vierzig Gleichgesinnten verschworen, ohne Furcht vor Hindernissen oder Strafe, den Papst, diesen Verwirrer der ganzen Welt, diesen Schänder der Kirche in Stücke zu hauen, und lebten der festen Überzeugung, daß eine solche That Gott und Menschen zum Wohlgefallen gereiche. Hierüber erschrak Innocenz nicht wenig, stellte überall Wachen auf und wagte es lange nicht, es sey denn zur Messe, aus seinem Palaste hervorzugehen: – denn, fügt der Berichtserstatter hinzu, es ist natürlich, daß derjenige viele fürchtet, welcher von vielen gefürchtet wird, und der vielfach beunruhigt wird, welcher viele beunruhigt.
Wechselbeschuldigungen, wie die vorstehenden, zeigen allerdings, bis zu welcher Höhe Argwohn und Haß damals gestiegen waren; doch ergiebt eine nähere Prüfung: daß weder Kaiser noch Papst in dem Maaße schuldig waren, wie einer es vielleicht vom andern, oder wie die heftig Partei nehmende Welt glaubte. Erstens fehlt es an hinreichenden Beweisen, daß der Papst Friedrichs Ermordung gewollt und gebilligt habe. Wenn er diesen aber als Ketzer bezeichnete, dem Treue und Eid nicht zu halten sey, wenn er ihn als den größten Verbrecher darstellte, so mochte heftigeren Gemüthern ein dergestalt Verfluchter auch als todeswürdig erscheinen; es mochten sich Bettelmönche, diese Ausleger päpstlicher Schreiben, bestimmtere Hinweisungen und Zustimmungen erlauben, und so den Verschwornen die aufrichtige Überzeugung entstehen, der Papst wolle und billige den Mord.
196 {1246} Was zweitens die Beschuldigungen gegen den Kaiser anbetrifft, so steht zuvörderst das Daseyn eines Mordplans noch nicht fest: denn jene erste Erzählung wird bloß nebenbei erwähnt und als sehr zweifelhaft behandelt; die zweite hat sehr viel innere Unwahrscheinlichkeit in Hinsicht auf Zeit, Ort, Theilnehmer und Aussagen, und nur die zuletzt erwähnte Verschwörung könnte durch falschen Eifer entstanden, und durch einzelne kaiserliche Beamte, nach Weise der Bettelmönche, befördert seyn. Dies alles würde aber immer nicht genügen, um den Kaiser als unmittelbaren Urheber oder Theilnehmer zu bezeichnen; auch führt Raynald, der amtliche Geschichtschreiber der PäpsteZu 1247, §. 9., nur den Matthäus Paris und kein päpstliches Schreiben als Quelle und Beweis jener Gerüchte an; endlich erklärt sich der Kaiser selbst darüber auf glaubwürdige WeisePetr. Vin. II, 10.: »trotz dem willkürlichen und ungerechten Verfahren, welches der Papst gegen uns beobachtete, haben wir, wie Gott der Allwissende weiß, niemals zu seiner oder der Kardinäle Ermordung unsere Zustimmung gegeben, sondern eine solche Frevelthat verabscheut; ob wir gleich, durch Eiferer für unsere Rechte, mehre Male deshalb angegangen wurden. Immerdar genügte es uns, wenn wir Unrecht, das uns geschah, durch eine, von aller Rache entfernte gerechte Vertheidigung abhalten konnten.« – Und ein anderes Mal schrieb Friedrich dem Könige von FrankreichCodex Vindob. philol. No. 61, f. 77; No. 305, f. 70.: »daß wir selbst, oder durch die unsrigen, dem Papste sollten nach dem Leben getrachtet haben, muß schon um deswillen einem jeden unglaublich erscheinen, weil es unserer hohen Würde ganz unwürdig und unserer siegreichen Stellung ganz unangemessen ist. Welcher vernünftige Mensch kann sich einbilden, wir hätten den Tod unseres Gegners auf eine Weise bezweckt, die unsern Streit endlos und unsterblich machen müßte? Und was hülfe uns überhaupt sein Tod? So wie die Sachen 197 {1246} jetzo stehen, wird ohne allen Zweifel dieser und jeder künftige Papst unsern Absichten und Maaßregeln zuwider seyn.«
In welche zornig bittere Wehmuth aber all diese Ereignisse des Kaisers Gemüth damals versetzten, zeigt ein merkwürdiger, an seinen Schwiegersohn Vatatzes gerichteter BriefCodex Vind. philol. No. 305, f. 76 und f. 128.. »Sonst bestand,« so schreibt er, »das Eigenthümliche der herrlichen Hoheit des Kaisers darin, daß er mit seinem eigenen Glücke und Schicksale zufrieden war und niemanden beneidete: jetzt aber dringen bisher ungekannte Sorgen störend auf ihn ein, welche andere eben so achtsam betrachten sollten, wie ich sie erkenne und fühle. Denn wir Könige und Fürsten und Bekenner des ächten Glaubens werden belastet mit allgemeinem Hasse, und gerathen in Spaltung mit den Bürgern und mit den Geistlichen. Jene nämlich trachten nach dem sie reizenden Mißbrauch einer verpestenden Freiheit; diese möchten durch heimliche Bemühungen und, wo selbige nicht ausreichen, durch offenbare Gewalt unsere Ehren, Würden und Güter verringern! – Solche Übel drücken aber hauptsächlich nur das Abendland, wo der Sitz der Kirche ist. O glückliches Asien! o ihr glücklichen Beherrscher der Morgenländer, welche die Waffen ihrer Unterthanen nicht fürchten und von den Erfindungen der Geistlichen und Bischöfe nichts zu besorgen haben!«
So wurde Friedrich durch seine Feinde zu einer Überschätzung der öffentlichen Verhältnisse anderer Welttheile hingedrängt; doch gingen seine Anklagen immer nur gegen die Form der Kirchenregierung und die einzelnen dabei wirksamen Personen, nicht gegen das Christenthum überhaupt. Vielmehr ließ er sich, um die erneute, in den Augen des Volks sehr anstößige Beschuldigung der Ketzerei gründlich zu widerlegen, über alle Punkte und Geheimnisse des christlichen Glaubens streng prüfen, und der Erzbischof von 198 {1246} Palermo, der Bischof von Pavia, die Äbte von Montekassino, Kava und Kasanova, die Predigermönche Roland und Nikolaus, also Männer von Ansehen und verschiedenartiger Stellung, unterzeichneten eine darüber aufgenommene Urkunde und begaben sich nach Lyon, um des Kaisers Rechtgläubigkeit einstimmig und eidlich zu bezeugen. Anstatt aber, wie sie hofften, für ihre Bemühungen gelobt zu werden, sagte ihnen der Papst: »sie verdienten harte Strafe, daß sie sich mit einem Gebannten eingelassen, ohne höhern Auftrag für ihn Geschäfte übernommen, ja ihn dabei sogar als Kaiser behandelt hätten.« Hiegegen stellten jene Männer demüthig vor: »wenn Friedrich auch in jener Urkunde noch Kaiser oder König genannt werde, so wollten sie doch nur als Rathgeber und Abgeordnete eines bloßen Christen betrachtet seyn;« worauf der Papst endlich drei Kardinäle ernannte, um den Inhalt ihrer Botschaft zu hören und zu prüfen. Diese bestätigten nicht allein das obige, sondern es ergab sich auch: daß der Kaiser bereit sey sich an passendem Orte und in Gegenwart des Papstes, auf genügende Weise, von allem Verdachte der Ketzerei zu reinigen. Jetzo mochte Innocenz über die zu ergreifenden Maaßregeln doch in einiger Verlegenheit seyn: denn wenn er die Anklage auf Ketzerei zurücknahm, so fiel das wirksamste Mittel die Gemüther aufzubringen, plötzlich dahin; um deswillen zog er vor, von der Höhe seiner kirchlichen Stellung herab zu erklärenSchreiben vom 23sten Mai 1246 (nach der Absetzung) bei Rayn. §. 20. Das kaiserliche Schreiben welches §. 20–23 folgt, ist dagegen vom ersten August 1245, also früher.: »die ohne seinen Auftrag vorgenommene Untersuchung sey ein Werk tollkühner Anmaaßung und den Urkunden und Briefen, worin Friedrich Kaiser und König genannt werde, nicht der geringste Glaube beizumessen. Aus weltkundigen Ursachen habe man ihn für einen Ketzer erklärt, noch jetzt dauere seine heillose Freundschaft mit Ungläubigen fort, und seine angebliche Rechtfertigung gehe 199 {1246} um so mehr auf arglistige Täuschung hinaus, als die Prüfenden und deren Verwandte zu Friedrichs Hofe gehörten, oder doch seiner furchterweckenden Tyrannei unterworfen wären. Mithin verbleibe es beim Bannspruche; doch wolle Innocenz (obgleich der Kaiser, aus oft erwähnten Gründen, gar kein Gehör verdiene) nicht verweigern, daß er sich, innerhalb einer bestimmten Frist, waffenlos und mit geringer Begleitung stelle, wo er dann über diese Angelegenheit, wenn es Rechtens, und wie es Rechtens seyn dürfte, gehört werden solleIpsum super hoc, si de jure et sicut de jure fuerit, audiamus. Schreiben des Papstes vom 23sten Mai 1246, bei Raynald §. 17-21.!«
Daß der Kaiser über diese Antwort und Behandlungsweise aufs neue zürnte, ist sehr natürlich, und manche seiner bittersten Anklagen des Papstes wurden vielleicht nach diesem Ereignisse niedergeschrieben. In dem Maaße aber, als die Hoffnung einer Aussöhnung nochmals verschwand, mußte er auf andere Mittel und Maaßregeln bedacht seyn. Höfliche, von weltlicher Macht unterstützte Schreiben thaten in mehren Städten, ja selbst in Rom, größere Wirkung, als des Papstes Ermahnungen, der Kirche treu zu bleiben; und andere Orte, wie z. B. Kamerino, wurden durch Erlaß von Steuern und Abgaben gewonnenSanese chron. 27. Petr. Vin. III, 9 und 49. Camici zu 1246, Urk. I, II, p. 41. Cod. epist. Vatic. 4957, 24. Math. Par. 479. Lilio 251.. Sein unehelicher Sohn, Friedrich von Antiochien, zog, nachdem er alle Widersacher bezwungen hatte, am 26sten December 1246 siegreich in Florenz ein, und zerstörte die Burgen und Thürme der GuelfenCod. epistol. Vatic. 4957, 38. Fioravanti 224. Sanese chr. 27. Camici Urk. IV, 44. Petr. Vin. III, 9..
Nur Viterbo nahm keine Rücksicht auf des Kaisers vortheilhafte Anerbietungen, sondern verjagte alle irgend ghibellinisch Gesinnte. Hiedurch wuchs deren Zahl allmählich 200 {1246} so sehr, daß sie sich bei Palenzana sammeln und, von kaiserlicher Mannschaft unterstützt, im Februar 1246 die Stadt umlagern konnten. Obgleich man hier anfangs die härteste Strafe darauf setzte, wenn jemand mit den Vertriebenen auch nur spräche, so wurde deren Behauptung: »ihr Plan gereiche zur Ruhe und zum Frieden der Stadt,« dennoch allgemein bekannt, und das von Hunger und Noth hart bedrängte Volk zwang die Konsuln, sich in das Lager zu begeben, wo die Vertriebenen jene Versicherung wiederholten, zugleich aber erklärten. sie würden die kaiserlichen Schreiben nur dem gesammten Volke zeigen und vorlesen. Hierauf wollten die Konsuln, welche einen Übertritt der Menge befürchteten, nicht eingehen, sondern kehrten ohne Entscheidung nach Viterbo zurück. Aber am nächsten Tage eilten schon viele, ohne Rücksicht auf Bann und Strafe, ins Lager, um ihre Verwandten und Freunde zu sehen und von ihnen Brot zu kaufen. Am dritten Tage wagten sich die Vertriebenen bis dicht vor die Thore, es kam zu noch häufigern Gesprächen, und endlich entstand ein so allgemeines und heftiges Geschrei: Friede, Friede! daß man die Thore öffnete und die milden Versprechungen des Kaisers freudig annahm! Nur der Palast des überall leidenschaftlich gegen den Kaiser auftretenden Kardinals Kapocci ward niedergerissenBussi 137. Tuccia 319. Camici Urk. VIII, S. 49..
In der Lombardei wechselte das Kriegsglück, und noch öfter die wandelbare Gesinnung mancher Häupter: so traten z. B. die Markgrafen Opizzo und Konrad Malaspina in diesem Jahre auf die Seite des Papstes, und dann wiederum auf die Seite des KaisersBarthol. annal. zu 1246..
Aus dem allen ergiebt sich: daß die italienischen Ereignisse zu keiner Entscheidung des großen Kampfes führten, sondern der Ausschlag davon abhing, was die übrigen europäischen Mächte erklären, und was die Deutschen 201 {1246} unternehmen würden. Wir sprechen zuerst von jenen, um dann in einer Folge die deutschen Angelegenheiten erzählen zu können.
Spanien war, wie gewöhnlich, mit seinen innern Angelegenheiten und den Kriegen wider die Ungläubigen beschäftigt. – König Sancho von Portugal hatte, nicht ohne eigene Schuld, den Haß mehrer geistlichen und weltlichen Großen auf sich geladen, ward ihren Bitten zufolge, auf der Kirchenversammlung von Lyon abgesetzt, und die Regierung seinem Bruder Alfons übertragenRaynald. annal. zu 1245, §. 67–71.. Hieraus entstand innerer Krieg, in welchem nicht wenige dem abgesetzten Könige so treu blieben, daß Alfons erst nach dessen Tode ganz obsiegte. Der Kaiser unterließ nicht den päpstlichen Spruch über Sancho, als einen ungerechten Eingriff in die weltlichen Rechte der Könige darzustellen. – In den nordischen Reichen wirkten päpstliche Gesandte für die Annahme aller Grundsätze des Kirchenrechts und der Kirchenordnung; und wenn gleich Innocenz von dorther keinen eigentlichen Kriegsbeistand erhielt, so fehlte es doch nicht an Geldzahlungen. Auch die polnische Geistlichkeit bewilligte ihm ein Fünftel ihrer Einnahmen auf drei JahreConcil. collect. XIV, 119.. – Ungern, welches sich in der Hoffnung auf großen Beistand gegen die Mongolen dem Kaiser lehnspflichtig erklärt hatteRaynald zu 1245, §. 81., wurde durch den Papst von dem geleisteten Eide entbunden. Wichtiger aber, als die Verhältnisse zu diesen Reichen, waren die zu England und Frankreich.
Auf der Kirchenversammlung in Lyon brachte der Papst die englischen Bischöfe theils durch Furcht, theils durch vorläufige Versprechungen dahin, ihre Siegel sowohl der Bannbulle wider den Kaiser, als auch der Urkunde anzuhängen, welche König Johann wegen des nach Rom zu zahlenden Zinses ausgestellt hatteMath. Par. 460, 468.. Als sie aber zuletzt dennoch 202 {1246} nur den Bescheid erhielten: »ihre Forderungen und Beschwerden stimmten nicht mit des Papstes Wünschen;« so schwuren sie, jeder Anmaaßung mit Gewalt entgegenzutreten. Hiezu schwieg Innocenz, wohl wissend, daß Widerspruch das Übel nur verschlimmere, Mangel an Einigkeit aber einen nach dem andern unterwerfen werde. Um jedoch wenigstens die Patrone der Kirchen in etwas zu beruhigen, setzte er fest: ihre Rechte sollten nicht weiter geschmälert, und nicht mehren Italienern nach einander dieselbe Pfründe ertheilt werden. Von diesen und ähnlichen Versprechen ging aber fast nichts in Erfüllung; ja zu den schon unerträglichen alten Lasten kamen täglich neue Forderungen, unter andern die, daß jeder Prälat zu des Papstes Kriege gegen den Kaiser in der Art Reisige stellen solle, wie etwa Lehnsträger zu den Fehden ihrer Lehnsherrn. Hierüber kam es auf einem allgemeinen Reichstage zu wechselseitigen lauten Klagen, und der König, die Bischöfe, die Äbte, die weltlichen Großen, alle stellten, gleich gesinnt, in mehren besondern Schreiben dem Papste und den Kardinälen so demüthig als dringend vor: daß, wenn Linderung und gerechte Behandlung länger ausbliebe, schwer zu beseitigende Übel und Ärgernisse einbrechen müßten. Unter den vielen Punkten über welche man sich beschwerte, waren folgende die wichtigsten: erstens, der Papst schreibt, unbegnügt mit dem Peterspfennige, Steuern und Lasten aus, ohne Beistimmung des Königs, wider die Freiheiten und Rechte des Landes und trotz des, von den englischen Bevollmächtigten in Lyon eingelegten Widerspruches. – Zweitens, werden die Rechte der Patrone, ungeachtet neuer Versprechungen des Papstes, verkürzt und die Pfründen an Italiener gegeben, welche, zum Verderben der Seelen, des Englischen ganz unkundig sind und das Land durch Wegsendung vieler Gelder in Armuth stürzen. Diese Italiener sorgen weder für die Armen, noch für Gastfreundschaft, noch für Kirchenschmuck, noch für Baue, noch für regelmäßiges Halten des Gottesdienstes; sondern lassen alles, unbekümmert um Kirchenrecht und 203 {1246} Landessitte, verfallen und zu Grunde gehen. – Drittens, zwingt man Engländer, sich gegen Herkommen, geschriebenes Recht und Verwilligungen früherer Päpste, außerhalb Landes unter Feinden vor Gericht zu stellen. – Viertens, werden durch häufige Anwendung der nichtswürdigen FormelDiese Formel, non obstante, erklärte nämlich alle bisherigen Rechte, Freibriefe u. dergl. für nichtig, sofern sie einem päpstlichen Befehle entgegenstanden.: »ohne Rücksicht u. s. w« gleichmäßig Eide, Sitten, Gewohnheiten, Urkunden, Freibriefe, Rechte, Vergünstigungen u. dergl. auf eine so ungerechte, als unerträgliche Weise vernichtet!
Anstatt nun, wie man sehnlichst erwartete, eine Antwort auf diese Beschwerden zu ertheilen, liefen zunächst Schreiben des Papstes an die Cistertienseräbte ein, worin er sie aufforderte: ihm sogleich von den schönen GoldstoffenAurifrisiae. Math. Par. 473, 475, 480. zu schicken, welche er an den Gewändern englischer Geistlichen gesehen habe. Zugleich erzählte man sich, der Papst habe auf die Bemerkung, daß jene Stoffe in England selbst verfertigt würden, zur Antwort gegeben: »England ist der Garten unseres Vergnügens, ein nicht auszuschöpfender Brunnen; wo aber viel ist, da kann man viel nehmen.« Dem gemäß verlangte er jetzt, auf bisher unerhörte Weise, die Erbschaften aller ohne Testament sterbenden Geistlichen, und binnen Monatsfrist, bei den härtesten Kirchenstrafen, die Einzahlung von 6000 Mark. Hierüber und über die gänzliche Vernachlässigung ihrer Beschwerden zürnten die meisten aufs heftigste, und brachten den König dahin, alle Zahlungen nach Rom öffentlich zu verbieten. Sobald Innocenz hievon Nachricht erhielt, wollte er England mit dem strengeren Banne belegen: aber der Kardinal Johannes, ein geborner Engländer stand auf und sprach: »Herr, um Gottes willen mäßigt euren (wenn es zu sagen erlaubt ist) unangemessenen Zorn, zähmt eure willkürlichen 204 {1246} Aufwallungen durch Besonnenheit und bedenkt, daß die Zeiten gar übel sind: das heilige Land in Gefahr, Griechenland abgefallen, Ungern in die Hände der Mongolen gegeben, Deutschland durch inneren Krieg zerrüttet, Friedrich, der mächtigste Fürst auf Erden, unser Feind, wir alle vom Sitze der Kirche und aus Italien vertrieben, Spanien so ungehorsam, daß man selbst Bischöfen die Zunge ausschneidet, Frankreich durch uns verarmend und voll Unzufriedenheit; England endlich, trotz vieler Beleidigungen zeither gutwillig, fängt nun durch Sporen und Schläge immer mehr geängstigt, gleich Bileams Eselinn, auch an zu reden und zu widersprechen; mithin sind wir, gleich den Ismaelitern, überall verhaßt und zwingen alle zum Haß!«
Durch diese Vorstellungen wurde aber Innocenz nicht zu Nachgiebigkeit und Mäßigung gestimmt, sondern noch heftiger zur Strafe und Rache aufgereizt; und wenn in diesem Augenblicke nicht neue Botschaft aus England angelangt wäre, dürfte das Reich schwerlich dem Interdikte entgangen seyn. Der König nämlich, zu raschen Aufwallungen so geneigt, als eines beharrlichen Entschlusses unfähig, hatte sich durch Freunde des Papstes und durch Menschen, welche bei der allgemeinen Bedrückung selbst gewannen, zur Nachgiebigkeit bereden lassen; welches Zeichen kläglicher Feigheit den Papst sogleich dergestalt ermuthigte, daß er nunmehr ein Drittel der Einnahmen von allen Pfründen, und die Hälfte der Einnahmen von denjenigen Pfründen verlangte, deren Inhaber abwesend waren, oder, wie man sich ausdrückte, nicht Residenz hielten. Diese Forderung führte allerdings zu neuen Widersprüchen, aber nicht zu einem vollen Bruche. Überhaupt war der Mittelpunkt alles Zwistes hier nur das Geld; allgemeinere höhere Ideen über das Wesen und das Verhältniß der geistlichen und weltlichen Macht, wie sie sich in dem Streite mit dem Kaiser aussprachen, kamen gutentheils durch die bedeutungslose Mittelmäßigkeit König Heinrichs III, gar nicht zum Vorschein. Aller Widersprüche ungeachtet, zog der Papst beträchtliche 205 {1246} Summen aus England; während der Kaiser von seinem Schwager kaum einige mündliche oder schriftliche Verwendungen erpressen konnte, auf welche Innocenz aber nicht die mindeste Rücksicht nahm.
{1245} Fast noch wichtiger, als die Verhältnisse zu England, waren die zu dem näheren Frankreich. Um die Zeit als Innocenz IV nach Lyon kam, erkrankte König Ludwig IX in Pontoise so heftig, daß man ihn schon für todt hielt und er nur durch ein Wunder gerettet zu seyn schien. Dankbar nahm er das Kreuz, und fand es bei seinem großen Eifer für den Zug nach dem Morgenlande, höchst unangenehm und unrecht, daß der Streit zwischen dem Papste und dem Kaiser dieses Unternehmen so vielfach hinderte. Von dieser Stimmung wohl unterrichtet, schickte der letzte, Peter von Vinea und Walter von Okra als Gesandte an ihn ab, welche mündlich und schriftlich vorstelltenVie de S. Louis mscr. p. 14. 19. Du Fresne zu Joinville 56. Petr. Vin. I, 18. Guil. Nang. 341. Rayn. zu 1245, §. 78. 79.: »der König möge sich den Anmaaßungen des Papstes widersetzen und ihn zur Rücknahme des Bannspruches bewegen; er möge nicht dulden, daß in Frankreich, auf eine höchst anstößige Weise, das Kreuz gegen den Kaiser, statt wider die Ungläubigen gepredigt werde. Vielmehr sey dieser bereit, nach Herstellung des Friedens mit dem Papst und den Lombarden, selbst das Kreuz zu nehmen, oder seinen Sohn Konrad mit dem Könige nach Asien zu senden, damit das ganze heilige Land wieder erobert werde. Und selbst für den Fall, daß der Zwist mit dem römischen Stuhle fortdauere und kein Frieden zu Stande komme, wolle er den König mit Schiffen, Mannschaft und Lebensmitteln unterstützen, und habe deshalb bereits an alle Obrigkeiten die nöthigen Verfügungen erlassen.« – Dies alles erfreute und bewegte den König so sehr, daß er am 30sten November 1245 mit dem Papste in Clugny zusammenkam; aber siebentägiges Berathen 206 {1246} führte nicht zur Aussöhnung mit dem Kaiser, sondern nur zur Verabredung einer zweiten Zusammenkunft auf Ostern 1246Math. Par. 461. Guil. Nang. 345. Chron. Cluniac. bei Marrier 1666.. Ludwig versprach bis dahin nähere Vorschläge von Seiten Friedrichs beizubringen, oder ihn zu vermögen, daß er sich persönlich einfinde. Das letzte fand Hindernisse; wogegen der Kaiser gern die Vermittelung des Königs annahm und sich zu allem bereit erklärte, was irgend mit seiner Ehre und den Rechten des Reiches verträglich sey; ja laut einer, freilich durch gar keine Urkunde bestätigten, Nachricht bei Matthäus ParisSeite 468. Petr. Vin. I, 16., erbot er sich sogar seine abendländischen Reiche an König Konrad abzutreten, selbst aber im Morgenlande lebenslänglich für die Christenheit gegen die Ungläubigen zu fechten.
Auf jeden Fall erschienen diese, oder ähnliche Anerbieten Friedrichs dem Könige genügend; anstatt aber darauf einzugehen, sagte Innocenz: »Herr König, geliebtester Sohn! ich führe nicht meine Sache, sondern die der ganzen Christenheit. Eure Herrlichkeit möge sich erinnern und überlegen, wie oft der Kaiser seine Eide und Versprechungen brach, wie er die heilige Kirchenversammlung verschmähte, wie er, einem Proteus gleich, sich verwandelte und in keiner Hinsicht irgend Glauben verdient.« Der König erwiederte: »Herr Papst! steht nicht im Evangelium geschrieben: du sollst dem reuig Bittenden siebenundsiebzigmal vergeben? Bedenkt, wie schlimm die Zeiten sind: das heilige Land in höchster Noth, seine Rettung nächst Gott am meisten abhängig vom Kaiser, durch dessen Staaten man ziehen, dessen Häfen man berühren muß, und ohne dessen Freundschaft man kein Meer mit Sicherheit befahren kann. Er verspricht sehr viel; weshalb ich bitte und bittend rathe, ihr wollet, um meinet und um so viel tausend Kreuzfahrer willen, ja zum Besten der gesammten Kirche und Christenheit, solche Demüthigungen eines so großen Fürsten annehmen, Christi 207 Beispiel nachfolgend, der sich ja selbst erniedrigte bis zum Kreuze.« Ungeachtet dieser billigen Vorstellungen des edeln Königs blieb der Papst unbewegt, und schrieb in alle Welt: »ich habe es zwar erlaubt, daß Gesandte des Kaisers zum Könige von Frankreich gingen, diesem aber zugleich erklärt, ich würde Friedrichs und Konrads Absetzung niemals zurücknehmenCod. Vindob. phil. No. 305, f. 52; No. 383, f. 12..« Über dies Benehmen des Papstes zürnte Ludwig gar sehr, aber es lag nicht in seinem Charakter, einen Streit mit der Kirche aus Grundsätzen bis auf die Spitze zu treiben; auch zeigte sich Innocenz in allen andern Dingen so gefällig gegen ihn als möglich, und setzte z. B. fest: daß kein Prälat ohne päpstliche Genehmigung in seinen Staaten Bann oder Interdikt aussprechen dürfeEpist. ad reges Francor. 21..
Minder geduldig gegen kirchliche Anmaaßungen waren viele der französischen Großen. Die zunehmende Sittenlosigkeit und Habsucht der Geistlichen, die drückende Nähe des Papstes, Friedrichs Darstellungen und sein beharrlicher Widerstand reizten zu ähnlichen Klagen und ähnlichen Befreiungsversuchen. Der Adel that sich zusammen und schloß einen feierlichen Bund, an dessen Spitze der Herzog von Burgund und die Grafen von Bretagne, Angouleme und S. Paul standenMath. Paris 483, 485.. Man verbot bei den strengsten Strafen, daß sich irgend jemand vor geistlichen Gerichten stelle, es sey denn wegen Ketzerei, Wucher oder Ehesachen. Man übertrug jenen Häuptern die Entscheidung: ob Forderungen, Bann oder Interdikt der Geistlichen zu achten seyen oder nicht. Alle endlich gelobten sich unter einander, nach Maaßgabe der Bedrängniß mit Rath oder mit Geldbeiträgen, ja selbst mit dem Schwerte beizustehen. Als der Papst von diesem ernsten Bunde hörte, erschrak er sehr, wußte aber, als Ermahnungen und Kirchenstrafen nicht halfen, manche einzelne mit Geschenken, Ablaß und Pfründen so geschickt zu 208 {1246} bedenken, daß sie, um ihres Vortheils willen, das Allgemeine vergaßen und aus angeblicher Demuth jene Plane fallen ließen.
Bei diesem Streite mit dem Adel erkannten die Geistlichen zwar einerseits, wie vortheilhaft ihnen der Beistand des Papstes gewesen sey; sie wurden aber andererseits von diesem gleichzeitig so bedrückt, daß sie Hülfe bei dem Könige suchten, welcher auch alle Zahlungen an die neuen Steuereinnehmer des Papstes, die Bettelmönche, mit größtem Ernste verbot; weshalb sie ohne alle Ausbeute das Reich verlassen mußten, und noch obenein verlacht wurden. Ungeachtet dieser kräftigen Maaßregel blieben aber, wie gesagt, Ludwigs Ansichten über Christenthum und Kirchenherrschaft so verschieden von denen des Kaisers, daß dieser auf keinen Beistand nach seinem eigenen Sinne, wohl aber Innocenz darauf rechnen konnte: seine Herrschaft werde (sobald er nur im einzelnen nachgebe) von Frankreich aus nicht untergraben, ja sein Aufenthalt in Lyon nicht einmal gestört werden. Ob aber Deutschland, das bei dem ganzen Streite am meisten betheiligte Reich, sein weltliches Oberhaupt kräftig unterstützen, oder auf die Seite des Kirchenfürsten treten werde? diese wichtigste Frage wird sich itzt nach gegebener Übersicht der europäischen Verhältnisse, mit größerer Klarheit und Vollständigkeit entwickeln und beantworten lassen. 209